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Das Haus Ochla – meine Erinnerungen – Gertrud Henkel

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„Haus Ochla“ – 1926 - Vorderansicht Neustädter Straße No. 222, Neutomischel

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Die Vorderansicht des Hauses heute - Aufn. 2010/08 PM

Frau Gertrud Henkel gehörte im Juni 2010 zu der Vorkriegsbesuchergruppe des Städtchen Nowy Tomysl dem früheren Neutomischel. Durch ihren Besuch erfahren wir in diesem Artikel mehr über die Familie Ochla und deren ehemaligem Anwesen. Frau Henkel hielt Ihre Erinnerungen in diesem Beitrag für die Leser fest. Vielen Dank !

Obwohl immer mehr der alten Grabsteine auf dem städtischen Parochialfriedhof verschwinden, und somit nicht nur immer mehr der Vergangenheit der Stadt, sondern auch die heute kaum noch praktizierte Kunst der Steinmetze früherer Tage, wurde das im Artikel erwähnte Grab und dessen Gedenkstein noch gefunden.

Die Schwarz-Weiss-Fotos wurden zur Verfügung gestellt aus dem Privatbesitz der Frau Gertrud Henkel, Berlin; mit Ausnahme des Bildes der Anna Konieczna, dieses wurde mit freundlicher Genehmigung ihrer noch heute in Nowy Tomysl ansässigen Enkel in den Artikel eingefügt

Die Original Aufnahmen wurden angefertigt von Herrn Gottlieb Hecke – Fotostudio Neutomischel. Die Farbfotos wurden im Jahr 2010 aufgenommen; so ist das „Gestern“ dem „Heute“ gegenübergestellt.


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Gustav Ochla war am 23 Februar 1865 in Paproc geboren worden. Sein Haus in Neutomischel in der Neustädter Straße No. 222 erbaute er 1907. Aus der Ehe des Herrn Ochla mit seiner ersten Frau Emilie geb. Lewandowska entstammten 3 Söhne. Alle drei gingen um 1919 nach Berlin.

Meine Eltern bezogen nach ihrer Heirat im Mai 1924 eine Wohnung im Haus des Herrn Ochla. Bis ins Jahr 1941 waren wir dort ansässig.

Nach dem Tod von Emilie schloss der Herr Ochla eine weitere Ehe mit Anna Weimann aus Königsfelde am 26. Oktober 1926. Am 12. Februar 1928 kam dann die Tochter Johanna auf die Welt. Mit ihr bin ich bis heute befreundet.

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Die Sicht von der Windmuehlenstrasse auf das Ochla Haus, Aniela Konieczna die Ehefrau des Briefträgers Jan Konieczny im Garten, im Hintergrund Reisches Windmuehle,Foto aus dem Archiv der Familie Konieczny

Aus dem Jahr 1926 stammt das Foto „Haus Ochla“. Es zeigt die gesamte Vorderansicht. Zu erkennen ist links das Hoftor und die Eingangspforte; im Hintergrund die Windmühle Reisch, welche auf dem Nachbargrundstück stand. Ebenerdig waren die drei Fenster links vom Hauseingang der Wohnung von Frau Hedwig Quast zugehörig. In der Tür stehen auf diesem Foto Frau Henkel mit ihrem Töchterchen auf dem Arm. Die drei Fenster rechts von der Haustür gehörten zur Wohnung der Familie Ochla. Im offenen Fenster ist das Ehepaar Ochla noch zu erkennen. Im oberen Stockwerk links, zu der Wohnung gehörten die ersten drei Fenster, wohnte dann die Familie Konieczny mit ihren 2 Kindern, Herr Konieczny war Briefträger zu jener Zeit. Rechts wiederum, diesmal die vier zu erkennenden Fenster, war dann noch die Wohnung der Familie Panek. Frau Panek mit 3 Kindern schaut aus dem Küchenfenster. Herr Panek war Wachtmeister in Neutomischel. Vor dem Haus links und rechts vom Hauseingang selbst waren Blumengärten angelegt, die von den Familien Quast und Ochla liebevoll gepflegt worden waren.

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1937 - Hochzeit der Anna Quast; im Hintergrund die holzgeschnitzte Veranda des Hauses Ochla

Von der Rückfront dieses Hauses ist leider keine Aufnahme erhalten. Aber ich erinnere mich daran, dass links unten wiederum die durchgehende Wohnung der Familie Ochla lag, dann kam die holzgeschnitzte große Veranda mit dem rückwärtigen Hauseingang, ihr folgte die Wohnung der Familie Kolaszynski mit 3 Fenstern. Oben links waren dann unsere Wohnung Henkel und rechts die der Frau Dudzinski. Einen Teil der Veranda kann man noch auf dem „Hochzeitsfoto der Anna Quast“ aus dem Jahr 1937 erkennen. Auf dem Bild sind in der letzten Reihe als zweite und als dritte Person von links das Ehepaar Ochla zu erkennen. In der zweiten Reihe wieder von links findet sich das Ehepaar Henkel mit ihrer Tochter. Das kleine sitzende Mädchen links vor dem Brautpaar ist die Johanna Ochla, rechts daneben findet sich die Tochter der Braut.

Rechts von der Veranda gab es seinerzeit wiederum einen kleinen Vorgarten; in ihm wuchsen 2 Walnussbäume. Vor diesen Bäumen stand eine lange Bank. Hier tauschten die Hausbewohner, gleich ob deutsch oder polnisch, in den Abendstunden die neuesten Nachrichten aus und es wurden gute und interessante Gespräche geführt. Es waren gemütliche Beisammensein bevor der Tag endete. Ich erinnere mich an so manche Maiabende an denen wir einfach nur den Froschkonzerten aus den nahegelegenen „Lehmkeuten“ gelauscht haben. Diese „Lehmkeuten“ waren Überbleibsel aus vergangenen Zeiten des Lehmabbaus und zu jener Zeit eigentlich schon mehr nur Teiche rechts und links gelegen an der Bentschener Strasse; später wurden sie einfach zugeschüttet.

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Lageplan des Hauses und Hofes

Auf dem insgesamt 6.300 Quadratmeter großen Grundstück lag hinter dem Haus der große Hof. Links am Haus vorbei war der Zugang. Linker Hand lag dann gleich die Tischlerwerkstatt des Herrn Ochla. Dahinter schloss sich der Pferdestall an; dieser war an meinen Vater vermietet gewesen.  Den rückwärtigen Abschluss des Hofes bildete die große Scheune mit der Tenne und dem Heuboden. Rechts von ihr lagen die damals üblichen Außentoiletten.Fünf waren es; jeweils 2 Mietparteien teilten sich eine von ihnen. Ein Durchgang mit Pforte zum Garten, zwischen den Toiletten und der dann rechts auf dem Grundstück gelegenen Gebäude unterbrach die Geschlossenheit des Hofes. Wie schon kurz erwähnt, schloss sich rechts an den Gartenzugang, gleichzeitig auch das Grundstück begrenzend ein weiterer Gebäudetrakt zum Haus hin führend, das Karree vervollständigend, an. In ihm kamen zuerst die Ställe der Mieter, dann eine kleine ebenerdige Wohnung, die von der gehbehinderten Frau Jakubowski bewohnt worden war und letztlich zum Haus hin gelegen die Waschküche mit der Räucherkammer.

Hinter der großen Scheune selbst, zu erreichen durch den schmalen Durchgang mit Pforte zwischen den Toilettenhäuschen und den Ställen, lag der Obst- und Gemüsegarten. Er zog sich hin bis zu „Reisches Windmühle“. Äpfel, Pflaumen, Birnen, Stachel- und Johannisbeeren, Kohl, Salat, Bohnen, Mohrrüben und hauptsächlich Kartoffeln um nur einiges zu nennen, alles wurde noch selbst angebaut.

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1941 – im Garten; im Hintergrund die Mühle Reisch; als dritte von links: Johanna Ochla, ganz rechts Elfriede Quast

Im 26 April 1938 ist Gustav Ochla dann im Alter von 73 Jahren verstorben. Ich erinnere mich an ihn als einen sehr regen und tüchtigen Mann, der sein Auskommen als Maurer, Tischler und Hausschlachter neben vielen anderen Tätigkeiten hatte. Es gab nichts was er nicht konnte – er konnte einfach ALLES !

Ja ! Es war ein schönes Wohnen im Haus Ochla. Als Kinder spielten wir „Wische“, „Verstecken“ oder auch „Ball“. „Wische“ war Kriegen bzw. Fangen spielen; „Eins, zwei, drei – ich komme“ – verstecken wird noch heute gespielt und für das Ballspielen musste oft die hohe Giebelwand des Hauses herhalten.

Wir wohnten ja an der Neustädter Straße, diese war auch seinerzeit schon vielbefahren. Im Sommer kamen hier die Pferdefuhrwerke durch und im Winter die großen Schlitten. Ein Spiel von uns war hinten auf die Schlitten-Kufen aufzuspringen und dann in Richtung Stadtmitte mitzufahren um von dort wieder auf die Kufen eines Schlittens aufzuspringen, der stadtauswärts fuhr.

Mich überkommt ab und an ein kleines Bedauern, wenn ich daran denke, dass die polnischen Kinder meist deutsch mit uns sprachen. In der Schule wurden wir deutsch unterrichtet mit aber jedem Tag einer Stunde Unterricht in polnischer Sprache; und ich kann es heute noch gut lesen und habe auch noch vieles der Grammatik in Erinnerung, nur mit dem Sprechen waren und blieben wir ungeübt.

Zuerst unsere Eltern und auch dann wir lebten freundlich und friedlich miteinander – sodass es bis heute eine schöne Erinnerung an diese Zeit ist.

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Die Grabstelle Ochla - Aufn. 2010/08 PM

1989 fand ich bei meinem ersten Besuch auf dem katholischen Friedhof in Neutomischel noch das Grab mit dem erhaltenen Grabstein der Emilie Ochla. Bei späteren Besuchen habe ich ihn nicht mehr gefunden. Inzwischen weiss ich aber, dass die Grabstelle noch heute besteht. Es einer der wenigen noch erhaltenen Gedenksteine mit deutscher Inschrift: „Hier ruht in Gott meine liebe Frau unsere gute Mutter Emilie Ochla, geb. Lewandowska – 20. März 1867 – 24. März 1926“ (aus den Daten des Standesamtes von Nowy Tomysl war zu erfahren, dass ihre Eltern Traugott Lewandowski und Apollonia Kruschel aus Neu Bolewitz waren).

Frau Anna Ochla und ihre Tochter Johanna kamen 1945 in das Arbeitslager Gronowo bei Lissa. Im Jahr 1949 gelangten beide dann nach Deutschland.

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1932 an der Neustädter Straße gegenüber dem Haus des Stellmachermeisters Adolf Saage (dessen Haus ist abgerissen), Hr. Henkel - mein Vater - pflügt den Acker des Bäckermeisters Otto Jost (sein Haus steht noch) daneben war die Schmiede von Michel und Ignatz Smilowski. Ignatz war ein Freund meines Vaters; ich habe mich mit ihm in den 90ziger Jahren immer noch getroffen. Ganz links lag noch die Fabrik von Roman Nitsche und dahinter die Schule.