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Das Rathaus – gebaut als Amtsgericht – und Gefängnisgebäude der Stadt Neutomischel im Jahr 1879

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Eingang zum ehem. Amtsgerichts- und Gefängnisgebäude

„Neutomischel, den 10ten Februar 1879

Der Stadtgemeinde in Neutomischel wird hiermit vorbehaltlich etwaiger Rechte Dritter die Erlaubnis ertheilt, auf Ihrem Grundstücke No. 84 daselbst unter genauester Beachtung, aller bestehenden bau-und feuerpolizeilichen Vorschriften nachstehende Baulichkeiten auszuführen: Ein Amtsgerichts- und Gefängnißgebäude neu zu erbauen.“

unterzeichnet ist diese Genehmigung: Magistrat, Polizei-Verwaltung – Bürgermeister Witte

Dieser Artikel entstand anhand der im Staatsarchiv in Posen / Archiwum Państwowe w Poznaniu – verwahrten Akten: Akta miasta Nowy Tomyśl / hier Ordner  „Der Bau des Rathauses – im Allgemeinen [2]

Grundstück 84 war in der Mitte des Neuen Marktes belegen. Um 1806 war es, wie den Akten zu entnehmen ist, bebaut gewesen mit dem „Kommunal-Gefängnis oder Rathhaus der Stadt Commune“. 37 ½ Fuß lang, 23 ½ Fuß breit und 10 Fuß hoch (1 Fuß/0,35m = ca. 13,10 x 8,20 x 3,50m hoch); ein Fachwerkbau, auf dem Dach ein kleiner 8 Fuß (ca. 2,80m) hoher Turm. Dieses vermutlich erste Verwaltungsgebäude wurde im Jahr 1866 abgebrochen.

Das nächste Gebäude auf diesem Grundstück, jetzt in den Unterlagen „Communalhaus der Stadt Neutomysl No. 84“ genannt, wird 1866 als massiver aus gebrannten Steinen errichteter Bau beschrieben. Sein Baujahr ist mit 1865 angegeben. Dieses bedeutet, dass dieser Bau nur neben dem alten Gebäude errichtet worden sein kann, und dass das „Kommunal-Gefängnis oder Rathhaus der Stadt Commune“  erst nach Fertigstellung des Neubaus abgebrochen worden war.Das „Communalhaus“ , jetzt 40 x 40 x 14 Fuß ohne dem Fundament in den Ausmassen (14,00×14,00×4,90m) war schon etwas größer als der Vorgängerbau. In dieser Zeit war in dem Gebäude noch die Feuerwehr der Stadt untergebracht, denn es wurden 2 Spritzenschuppen und 1 Raum für den Wasserwagen als zugehörig erwähnt. Von diesem Gebäude gibt es heute keine weiteren Aufzeichnungen mehr – bei den Recherchen wurde ausser einer einmaligen Erwähnung nichts gefunden, man könnte fast meinen dieses Gebäude sei nicht existent gewesen.

Das Jahr 1879 im Stadtwappen [3]

Das Jahr 1879 im Stadtwappen

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Rathaus bzw. Communalgefängnis der Stadtcommune – 1864 / Bild: Stadtbibliothek Nowy Tomysl

Der dritte Verwaltungsbau, der im Jahr 1879 genehmigte Bau eines „Amtsgerichts- und Gefängnisgebäudes“ war mit noch größeren Abmessungen  geplant worden, es wurden 25,42 Meter für die Länge und 26,16 Meter inklusive der Flügel angegeben; ein 3 Meter hohes Kellergeschoss, ein 4 Meter hohes Erdgeschoß und weitere 4,50 Meter in der Höhe für den 1sten Stock ergeben eine imposante Gesamthöhe von 11,50m. Die Bauplanung sah die Errichtung in massiver Bauweise von gebrannten Mauersteinen vor, das Dach sollte mit Zink No. 12 gedeckt werden.

Anhand der Archiv Unterlagen ist zu vermuten, dass der Bau eines Gerichtsgebäudes nicht nach eigenem Ermessen der Gemeinde errichtet werden durfte. Alle Pläne, jede Veränderung oder Abweichung und nicht zuletzt die Einrichtung waren unter Überwachung und Einhaltung der Anweisungen des „Ersten Präsidenten des Königlichen Appellations-Gerichts zu Posen“ zu erstellen. Unter dem 13. Februar 1879 findet sich zum Beispiel ein Schreiben in dem das Einverständnis „zu dem gestellten Anerbieten zweckmäßiger Änderungen der Anlage“ erteilt wurde, dass das im Erdgeschoß nach dem hinteren Giebel geplante Bürozimmer bis an die Giebelwand ausgedehnt werden durfte, und dass das dort ursprünglich geplante Aktenzimmer am Ende des Korridors eingerichtet werden sollte. Dieses Aktenzimmer wiederum musste wie das Aktenzimmer im 1sten Stock mit einem Fenster versehen werden. Zusätzlich wurden, damit diese Aktenkammern eine entsprechende Größe haben würden, noch über die Anlage der Türen und sogar über die Standplätze der Öfen entsprechend Anweisung erteilt. Mit einem weiteren Schreiben vom 2. Mai 1879 wurde ein eingereichter Grundriss an den Magistrat in Neutomysl zurückgesandt, in dem „diejenigen Einzeichnungen vorgenommen worden sind, welche die erforderlichen baulichen Einrichtungen im Schöffensaale darstellen. Demnach ist ein etwa 0,25 M hohes Podium an der Fensterwand in einer Tiefe von 2,5 M herzustellen, eine den Zuschauerraum abgrenzende Barriere in der Ecke des Saales, in welcher die Eingangsthür vom Flure aus vorhanden ist, und eine Barriere für eine etwa  5 Sitzplätze enthaltende Angeklagtenbank an der gegenüber jener Thür belegenen Wand. Die Barriere für den Zuschauerraum muss eine Pforte haben, welche in der Nähe der Eingangs-Thür anzubringen ist. Die Thüre des Saales müssen Flügelthüren sein, um der Würde des Ortes zu entsprechen. Damit der Zuschauerraum geräumig genug werde, empfiehlt es sich, die Thür in der den Fenstern gegenüber liegenden Wand möglichst nahe dem Ofen anzubringen, so dass, wie in der Zeichnung vorgesehen ist, der Raum zwischen der Thür und der Zimmerecke mindestens 4 M(eter) breit ist.“

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Im Innenhof war der Gefängnishof untergebracht

Eine Nachfrage des Magistrats der Stadt über die Einrichtung des Gefängnisses konnte zu diesem Datum noch nicht beantwortet werden. Das Büro des „Ersten Präsidenten des Königlichen Appellations-Gerichts zu Posen“ schreibt: „… habe ich nun deßhalb noch nicht beantworten können, weil mich ähnliche Anfragen anderer Communen nöthigen, den Herrn Justizminister um Weisung zu bitten, ob und in welchem Maaße auf den angeordneten Einrichtungen an den Gefängniß Thüren, Fenstern und Leibstühlen bestanden werden soll und ich darauf noch ohne Bescheid bin.“ Einen Monat später erfolgte die Mitteilung, dass von der Anordnung des Herrn Justizministers vom 26ten März 1879 abgesehen werden konnte, wenn die Durchführung derselben nachträgliche bauliche Änderungen und daraus entstehende besondere Aufwendungen erfordern würden.

Herr Kunowski erteilte jedoch nicht nur schriftliche Anweisungen als Vertreter des Büros des „Ersten Präsidenten des Königlichen Appellations-Gerichts zu Posen“; zwecks Besichtigung des „künftigen“ Amtgerichts und der in „Ausführung begriffenen Baulichkeiten“ besuchte er auch persönlich am 10 Mai 1879 die Stadt.

Ob dieser persönliche Besuch mit einem Schreiben vom 29 Mai 1879 des Büros des „Ersten Präsidenten des Königlichen Appellations-Gerichts zu Posen“ zusammenhängt, mit dem ein Sachverständiger, es war ein Kreisbaumeister Kunze aus Samter, zur sofortigen Begutachtung der Pläne und des Baus beauftragt wurde, war nicht mehr genau festzustellen. Aber es müssen  sehr große Bedenken zur Bauausführung aufgetreten zu sein, denn es heißt „… sich sogleich die Baupläne über den Bau des Amtsgerichtsgebäudes in Neutomischel von dem dortigen Magistrat vorlegen zu lassen und dieselben in allen Theilen, so weit es sich um die Contruction des Gebäudes handelt, eingehend zu prüfen und namentlich die Eisencontructionen zu berechnen. Sollten sich hierbei erhebliche Fehler finden, wodurch die Stabilität des Gebäudes gefährdet wird, so sind diese Mängel dem Magistrat sofort mitzuteilen und ist auf Abhilfe unbedingt zu dringen. Sollte dies nicht binnen einer zu setzenden Frist erfolgt sein, so ist uns Bericht zu erstatten. Es liegt uns aber sowohl im allgemeinen polizeilichen Interesse, als auch als Aufsichtsbehörde der Stadt die Pflicht ob, diese mit so erheblichen Opfern der Stadt ins Leben gerufene Bauausführung zu überwachen …“ Mehrere Schreiben des seinerzeit als Bürgermeister tätigen Herrn Witte verwahren sich allerdings gegen jegliche Baumängel. Wie schon geschrieben, war leider nichts Genaueres aus dem Schriftverkehr zu erfahren, was diese Maßnahme ausgelöst haben könnte. Gefunden werden konnte aber auch nicht, dass Baumängel festgestellt worden waren.

Im Juli 1879 war der Bau schon so weit fortgeschritten, dass mit den Innenarbeiten begonnen wurde. Aus Posen wurden dementsprechend Anweisungen erteilt:

Und doch, es kam zu einer weiteren Schwierigkeit. Für den 28 Juli 1879 wurde eine Sitzung der Bau-Deputation einberufen –Bürgermeister Witte unterzeichnete diesen Aufruf und geladen wurden die Herren A. Kuttner, A. Maennel und G. Töffling.

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Quelle: Staatsarchiv Poznań 4385/Akta miasta Nowy Tomyśl (Stadtakten), sygnatura 81 (Der Bau des Rathauses – im Allgemeinen) http://szukajwarchiwach.pl/53/4385/0/1.4/81

Aus Posen war die Anweisung erteilt worden, dass am dem Gelände des Gerichts- und Gefängnisgebäudes ein Brunnen angelegt werden musste, der den Häftlingen frei zugänglich sein sollte.

Diese Anordnung löste in der Durchführung allergrößte Bedenken aus. Das Gebäude war in U-Form angelegt worden und der Innenhof für die Häftlinge sollte dadurch geschaffen werden, dass die beiden Seitenflügel mit einem großen Tor verschlossen werden sollten. Es verblieb also nur dieser Innenhof um einen Brunnen anzulegen. Zimmermeister Kahl aus Grätz, dem die Bauausführung oblag, befürchtete, dass die Fundament von Wasser unterspült werden könnten oder sich sogar durch die Feuchtigkeit „Schwamm“ in Wänden bilden könnte, auch schloss er Risse in dem „sehr hohen“ Gebäude nicht aus. Seitens des Magistrats der Stadt Neutomischel schlug man also vor, Wasser aus einem der vier auf dem Neuen Markt befindlichen Brunnen zu nutzen.

Die Stadtherren hatten dabei aber nicht bedacht, dass die Häftlinge sich aus dem Gefängnis heraus zu diesen Brunnen begeben müssten, also sich hätten frei bewegen müssen. Dieser Umstand wurde Ihnen dann allerdings aus Posen am 3. August 1879 mitgeteilt und die Forderung nach der Anlage eines Brunnens auf dem Gefängnishof bekräftigt; die Stadt hatte diesen anzulegen.

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1879 – 2012 – Das Gebäude steht nun seit 133 Jahren auf dem Marktplatz

Aus Posen kam datiert mit dem 5. September 1879 dann die Mitteilung, dass die Lieferung für  „Utensilien für die Geschäfts- und Gefängniß-Lokale“ über den Posener Tischlermeister Bittmann veranlasst worden war.  Dieser schreibt, dass er am 28. September den Aufbau und die Einrichtung beendet haben sollte und deshalb die für das Gericht bestimmten Repositorien (Schränke zur Aufbewahrung der Amtsbücher und Ordner) in den nächsten Tagen liefern würde. Für diesen Transport war dann die Spedition Carl Hartwig, Posen beauftragt worden, die mit dem 20 September 1879 einen komplett beladenen Eisenbahn-Waggon per Bahn auf die Reise nach Neutomischel versendete.

Nochmals entstand dann Mitte September 1879 in Posen Unruhe. Scheinbar war übersehen worden sich bestätigen zu lassen, ob in dem Gebäude ebenfalls die Lokalitäten eines Standesamtes mit untergebracht worden waren.  Der Magistrat hatte diesen Punkt allerdings sehr wohl bedacht und konnte bestätigen, dass mit dem  01. Oktober 1879 ebenfalls das Standesamt seine Tätigkeiten aufnehmen könnte.

Mit Schreiben vom 17. September  1879 kam dann auch die Mitteilung vom königlichen Kreisgerichts in Grätz, dass die Lieferung der Utensilien und Akten zum Monatsende geplant werden würde.

Per 01. Oktober 1879, wie aus Posen vorgegeben, „trat“ das Amtsgericht Neutomischel „ins Leben“

Schade ist, dass wir keinerlei Aufzeichnungen, alte Akten oder dergleichen zur Einweihung oder Übergabe des nur in einem Jahr errichteten Gerichtsgebäudes mit dem darin eingerichteten Kataster- und Standesamt, sowie dem Gefängnis gefunden haben. Nicht bekannt ist warum erst per 07. Oktober 1880 das Gebäude erstmals als „Rathhaus“ der Stadt Neutomischel bezeichnet wurde.