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Denjenigen, die vor uns dahingegangen sind – Die vergessenen Friedhöfe im Kreis Nowy Tomysl/Neutomischel

Dieser Artikel wurde in der Vierteljahreszeitschrift ‚PRZEGLĄD NOWOTOMYSKI‘ 2/6/2008. (Neutomischel’s Rundschau – die Ausgabe 2/6/2008 – am 10.08.2008) veröffentlicht. Die Überschrift wurde ausgewählt von Herrn Dr Boguslaw Wojcieszak,  dem Redakteur der Vierteljahreszeitschrift „Przegląd Nowotomyski“. Durch seine Initiative wurde dieser Beitrag dann unter dem von ihm gewählten Titel veröffentlicht.

Die Übersetzung des im Original Polnisch erschienenen Artikels ins Deutsche wurde vorgenommen von Przemek Mierzejewski in Zusammenarbeit mit Damian Konieczny. Die Überarbeitung für die deutsche Veröffentlichung erfolgte durch Gudrun Tabbert.

Quellennachweis: * Die Familiendaten zu Schliefke, Janotte, Weber und Steinbrenner wurden entnommen aus den Kirchenbüchern der ehemaligen evgl. Kirche zu Neutomischel verfilmt auf Mikrofilm von Manuskripten im Archiwurm Panstwowe, Poznan durch THE CHURCH OF JESUS CHRIST of Latter-Day Saint

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Friedhöfe um Neutomischel (Messtischblatt Jahr 1893 nr 3662)

Ich begann zu suchen, wo sich dieser jüdische Friedhof in Nowy Tomysl/Neutomischel wohl befunden haben mag?

Auf einer alten Karte aus dem Jahr 1961 wurde ich erstmals fündig. Die verschieden farbig gehaltenen eingezeichneten Grundstücke wiesen seinen Lageplatz hinter dem heutigen Kindergarten „Zacisze“ („Ruheecke“) aus. 1961 war dieses außerhalb der Grenzen der Stadt Nowy Tomyśl. Heute befinden sich dort der Kinderspielplatz und dessen Zufahrtsweg.

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Gedenkstein Friedhof Kroschnitz

Eine weiterer Hinweis zur Lage fand sich nach preußischen Karten vom Ende des 19. Jahrhunderts (Messtischblatt Nr. 3662 1: 25000). Hier findet sich, dass dieser Friedhof mit einer Mauer umgeben war.

Ursprünglich hat sich das Areal auf dem sich der Friedhof befand zum Dorf Glinau gehört. Es wurde dann in 6 kleinere Parzellen aufgeteilt. Als 1964 durch Neuordnung verschobener Stadtgrenzen diese neu ausgewiesen wurden, verlief die Grenze zwischen Glinau und Nowy Tomysl mitten durch das alte Friedhofsgelände. Die Lage verwischte noch weiter, da durch weitere Grundstücksankäufe im Jahr 2003 noch weitere Grenzverschiebungen stattfanden. Heute gehören alle Grundstücke der ehemaligen Friedhofsanlage der Stadt.

Erinnerungen und Erzählungen besagen, dass die letzten Spuren und die Einplanierung des Geländes mit dem Ausbau des Kindergartens vorgenommen wurden.

Heute erinnert nichts mehr daran, dass auf diesem Gelände sich jemals ein jüdischer Friedhof befunden hat.

Ein weiterer Stadtfriedhof in Nowy Tomysl/Neutomischel war der, der evangelischen Gemeinde. Das Gelände auf dem er sich befand wurde im Jahr 1778 mit der Stadtgründung durch Feliks Szoldrski und dem Bau der evangelischen Kirche ausgewiesen. Seinerzeit war er hinter dem bei den heutigen am Neuen Markt stehenden Gebäuden an der Komunalna Straße (frühere Friedhofstrasse) gelegen.

Nach den heute noch einsehbaren Karten beim Grundstücksvermessungsamt, die seit 1863 immer wieder aktualisiert wurden, ist die genaue Lage gegenüber dem ehemaligen Gebäude des Gaswerkes, dem heutigen Marktplatz und des Ladens, und der im Aufsatz von K. E. Goldmann erwähnten Windmühle noch genauer nachvollziehbar.

Heute ist nur noch ein Teil des ehemaligen Friedhofsgeländes anhand des alten Baumbestandes, einiger dort wachsender typischer auf Friedhöfen verwendeter Bodendeckerpflanzen und des am 01 Juni 2003 aufgestellten Gedenksteines erkennbar. Die anderen Teile des Geländes sind bebaut mit einem Restaurant, Garagen und einem Parkplatz.

Es finden sich weitere Reste alter vergessener Friedhöfe in der Umgebung von Nowy Tomysl.

Gedenkstein zur Begründung des Stadtparks (Paprotsch) [3]

Gedenkstein zur Begründung des Stadtparks (Paprotsch)

Einige Beispiel sind:

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Totengräberhäuschen

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Schon mit dem 18. Jahrhundert kreuzten sich die Wege der damaligen polnischen Bewohner des Gebietes des heutigen Kreises Nowy Tomysl/Neutomischel vornehmlich mit Deutschen und den seinerzeit noch separat zu betrachtenden Angehörigen des Judenvolkes. Mit der gemeinsamen Besiedlung dieser und einigen wenigen anderen und doch so verschiedener Volksgruppen ist die teils recht komplizierte Geschichte unserer Gegend zu begründen, zu erklären und auch nachzuvollziehen. Als wenige Zeugen dieser Vergangenheit gelten die abgelegenen, tief in dichten Wäldern noch vereinzelt zu findenden versteckten Friedhöfe, die noch erhaltenen ehemaligen evangelischen Kirchen oder zumindest deren Ruinen und ganz wenige ehemalige Gebäude der alten Synagogen.

Als Königlich-Preußen (Prusy Królewskie) galt ab 1466 der westliche Teil Preußen, der Polen zugehörig war und der ab dem 17. Jahrhundert auch als Polnisch Preußen bezeichnet wurde. Die Kolonialisierung begann in etwa Mitte des 16. Jahrhunderts. Eine erste Siedlung entstand in der Gegend Pasłęk/Preußisch Holland im Jahr 1527. Im Laufe der Jahre weitete sich die holländische Kolonisation entlang Wisła/Weichsel durch Toruń/Thorn, Bydgoszcz/Bromberg aus, um im Jahr 1624 Warszawa/Warschau zu erreichen. Als die erste und wohl auch älteste Gemeinde nach Holländer Recht in Großpolen wird das am 16 April 1597 gegründete Ługi Ujskie/Usch Hauland angesehen.

Anfangs kamen die Kolonisten wohl tatsächlich aus Holland, und erst später ließen sich auch deutsch – und polnisch stämmige Siedler nieder. Diese ersten Siedlungen wurden als „Holland“ bezeichnet, was sich in der Gegend von Nowy Tomysl/Neutomischel dann auch in die Bezeichnung „Hauland“ im Sprachgebrauch wandelte. Die Ansiedlung fand nach sogenanntem Holländer Recht statt. Eine wichtige Ausgangsbasis dieses Rechts besagte, dass die Kolonisten persönlich freie Menschen waren, dieses im Unterschied zu den Fronbauern, die als Eigentum, als Leibeigene des Adels, welcher zu jener Zeit die Landbesitzer stellte, galten. Im Ansiedlungsvertrag schloss der Grundbesitzer mit allen Bewohnern des ganzen Dorfes einen schriftlichen Erb- oder langfristigen Pachtvertrag ab. Die ganze Dorfgemeinschaft wurde als Solidargemeinschaft gewertet und jeder galt für jeden als Bürge, solidarisch wurde einmal pro Jahr Zins gezahlt. Die Verträge wiesen auch die Höhe der Tributabgaben an den Grundherrn sowie die ihm zu leistenden Arbeitsdienste aus.

In diesen Verträgen – auch Privilegien genannt – verpflichtet sich der Grundherr wiederum aber auch unter anderem dazu zinsfrei ein Grundstück für die Einrichtung eines Gottesackers – eines Friedhofes zur Verfügung zu stellen. Manchmal findet sich auch, dass er kostenlos das benötigte Holz zum Bau einer Schule zur Verfügung stellte.

Als Neuheit galt die Autonomie der Gemeinde. Der Gemeindevorsteher (der Schulze oder auch im neueren Sprachgebrauch der Bürgermeister) und seine Schöffen wurden jährlich durch die Dorfgemeinschaft gewählt, dieses vermittelte den Ansiedlern ein Gefühl der Solidarität und des Mitspracherechts.

Die Bezeichnung „Holländerei” verlor mit späterer Zeit jegliche ethnische Bedeutung. Die Ansiedler waren sowohl Polen als auch Deutsche oder gehörten auch anderen Nationalitäten an.

In früher Zeit muss man sich unsere Region als Urwald vorstellen. Tiefe dunkle Wälder, in denen nur Bären, Wölfe und andere Wildtiere hausten. Moore, Seen und unbegehbare Regionen und vor allem unbewohnt.

Die Besitzerin dieser Gebiete war Marianna Bogumiła Unrug, Ehefrau des Ludwig Szołdrski’s, die sie von ihrem Oheim (Onkel) Bogusław Unrug 1694 gekauft hatte (sog. Teki Dworzaczka/ Dworzaczek‘s Bände http://teki.bkpan.poznan.pl [9] ).

Boguslaw Unrug erlaubte höchstwahrscheinlich die Erste in unserer nächsten Umgebung gelegene Ansiedlung. Eintragungen hierzu finden sich im Kirchenbuch der katholischen Parochie Wytomysl unter den dort verzeichneten Taufen. Mit dem 3. Mai 1693 ist als Herkunftsort das Dorf „Olendry“ erwähnt. In dieser Eintragung wurde Elżbieta, Tochter des Franciszek und der Gertruda Derlo getauft (entnommen aus dem Buch der Parochie Wytomysl, welches sich in Kreisbibliothek in Nowy Tomyśl befindet). Als das Dorf „Olendry” (deutsch = Hauland) gilt das spätere und heutige Sękowo/Friedenau. Das offizielle Privileg für diese Siedlung wurde am 11. November 1700 gewährt.

Zur etwa gleichen Zeit wurden für weitere Dörfer aus dem so genannten Tomyskich Olędrów/Tomysler Hauland Privilegien erteilt:

Zu dieser Zeit stand das Land unter der Herrschaft des Königs von Polen und des Großherzogs von Litauen – August II. mit dem Beinamen der Starke, welcher auch gleichzeitig Kurfürst von Sachsen war.

Mit der Ansiedlung der Kolonisten im 18. Jahrhundert begann sich die Landschaft nach und nach zu verändern. Um sich Häuser zu bauen und sich ihre Äcker urbar zu machen wurde der Wald gerodet und weite Landstriche trockengelegt. Als größere Siedlungen in den damaligen Kreisen von Poznań/Posen und Kościan/Kosten galten nach einer Haushaltszählung im Jahr 1790 die Dörfer:

Wiederum zählten zu den größten Hauländereien:

Die Kolonisten in den Nowy Tomysl’s Gegenden, waren überwiegend Protestanten; und vornehmlich deutschsprachig. Man vermutet, dass die meistens von ihnen aus Schlesien und der Neumark, welche sich von dem Gebiet des heutigen Lubuskie Bezirks (Woiwodschaft) bis nach Berlin erstreckte, gebürtig waren; Gebieten, die unmittelbar an das damalige Polen grenzten. Anzumerken ist hier, dass historisch Städte wie Zielona Góra/Grünberg oder Głogów/Glogau zu Schlesien gehörten. (Władysław Rusiński „Osady tzw. olędrów w dawnym województwie Poznańskim“ 1939 Poznań – 1947 Kraków, Polska Akademia Nauk – Hauländereien in dem ehemalige Posen‘s Woiwodschaft).

Als Folge des polnisch-schwedischen Vernichtungskrieg in der Zeit von 1655-1660, dem Durchzugs der Kriegsheere und der Plünderungen waren die Dörfer regelrecht entvölkert. Verstärkt wurde der wirtschaftliche Absturz von vielen Siedlungen und Städte dann noch durch das Wüten der Pest. Es mangelte an freien Arbeitskräften. Das Land ging unaufhaltbar dem Untergang entgegen.

Um diesen Niedergang entgegen zu treten und wieder günstigere Wirtschaftsbedingungen herzustellen erlaubte der polnische Adel, der eben auch im Besitz des polnischen Grundbesitzes war (derer von Unrug, Szołdrski, Garczyński und die Mielecki Familie) unter bestimmten genau festgelegten Bedingungen die Kolonisation zunächst einzelner Gebiete. Durch die Siedler kam es wieder zu Steuereinnahmen. Um die Besiedlung und damit die Einnahmen kurzfristig realisieren zu können wurde weder nach Herkunft, nach Nationalität noch nach Glauben der Siedler gefragt – zu diesem Zeitpunkt hatten diese Punkte einfach keine Bedeutung.

Im Raum Nowy Tomysl/Neutomischel war die Einwohnerzahl der Siedler des protestantischen Glaubens sehr groß. Diese Bewohner baten den damalige Besitzer des Gebietes – Felix Szołdrski – er selbst polnisch katholischer Adeliger, eine evangelische Gemeinde gründen zu dürfen. Felix Szoldrski erteilte dazu im Jahre 1777 mit Genehmigung des Konsistoriums in Leszno/Lissa die Erlaubnis.

Ähnliches hatte – Ludwig Mielęcki – Besitzer der Gutes Hammer, ein Jahr früher mit der Gründung der evangelischen Gemeinde den Siedlern der Gegend von Kirchplatz Borui/Boruja Kościelna gestattet, nachdem auch er die Erlaubnis dazu erhalten hatte.

Diese Genehmigungen wurden möglich mit dem per 24. Februar 1768 unterzeichneten so genannten „Warschauer Vertrages“, welcher unter dem Druck Russlands und Preußens zustande gekommen war. In diesem wurden den Dissidenten (Andersgläubigen) Bürgerrechte eingeräumt und ihre Glaubensfreiheit garantiert. Bis diesem Zeitpunkt gehörten die damaligen in unserer Gegend ansässigen Protestanten der Gemeinde in Chlastawie/Klastawe an. Diese gilt auch heute noch als älteste evangelische Gemeinde in Großpolen.

Die deutlichsten noch existierenden Spuren des Aufenthalts der „Hauländer“ und ihrer Nachkommen sind die evangelischen Kirchen und die Überreste ihrer Friedhöfe in unserer Gegend. Von letzteren wird angenommen, dass diese mit der Auflösung der Siedlungsprivilegien und der Errichtung der evangelischen Kirchen eingerichtet wurden, und dass fast jedes Hauland einen hatte. Meistens waren sie außerhalb des eigentlichen Dorfes und auf einem kleinen Hügel angelegt.

Bis 1945 wohnten im Kreis Nowy Tomysl/Neutomischel nur ungefähr 50% polnische Bürger die anderen 50 % waren deutscher Herkunft mit meist evangelischer Konfession (nach Angaben des Landrats aus dem Jahr 1935). In den umliegenden Ortschaften stellt es sich wie folgt dar:

Allerdings befanden sich 90% der Grundstücke in deutschem Besitz (AP Poznań Starostwo Powiatowe w Nowym Tomyśl sygn. 1811, Księga narodowościowa gminy Nowy Tomyśl – Nationalitätbuch der Nowy Tomyśl – Gemeinde).

In den Jahren nach 1945-1949/1951 wurden evangelische Friedhöfe zerstört, manche sogar geplant vernichtet. Viele gerieten in der Vergessenheit. Manchmal wurden sie wohl auch „gedankenlos“ aufgelöst und die Areale anderen Bestimmungen zugeführt.

In den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts hat der Landrat in Nowy Tomyśl/Neutomischel sich der Probematik der verfallenen Friedhöfe angenommen und eine Lösung zu diesen angestrebt. Eine Zählung ergab, dass es im Kreis Nowy Tomyśl/Neutomischel in den Kreisgrenzen von 1971 (mit Grodzisk Wlkp./Grätz und Granowo) 67 stillgelegte Friedhöfe gab , davon

Im Protokoll aus der Beratung des Landrats ist dokumentiert, dass 38 Friedhöfe im Jahr 1964 geordnet wurden. Nach Berichten der Miliz, der damaligen Polizei, aus dem Jahre 1973 gab es auf dem Gebiet der Wojewodschaft Poznań/Posen noch insgesamt 834 evangelischen Friedhöfe (Evangelische Reste in Wojewodschaft Poznań/Posen, Seite 70 Biuletin IPN 3/2004, Arkadiusz Małyszka).

Es wurde versucht herauszufinden, was die Feststellung „ … geordnet“ wohl bedeutet haben mag. Waren die Friedhöfe instand gesetzt worden, wurde sie vielleicht sogar wieder genutzt oder waren die Areale einfach in sich geschlossen und stillgelegt worden? Eine Erklärung hierzu konnte nicht gefunden werden, da von dieser Kommission niemand mehr ermittelt werden konnte.

Im Kreis Nowy Tomyśl/Neutomischel in den jetzigen Grenzen gibt es vorwiegend evangelische Friedhöfe – insgesamt 97. Diese Anzahl umfasst Friedhofsplätze ohne Grabsteine, Privatfriedhöfe (z. B. Wąsowo/Wonsowo [10], Zębowo/Zembowo [11]) und Friedhöfe, die einmal ganz oder auch nur teilwiese evangelisch waren und jetzt als katholische genutzt werden (z. B. Jastrzębniki/Jastrzembnik [12], Opalenica/Opalenitza [13], Jastrzębsko Stare/Friedenhorst [14]).

Eine kleine Statistik stellt sich wie folgt dar, in Klammern ist die Zahl der Grabsteine mit Aufschriften, die es gelang völlig oder zumindest teilwiese zu entziffern, gefolgt von dem sich ergebenen Faktor der vorhandenen Aufschriften durch die Zahl der Friedhöfe in der betreffenden Gemeinde:

Zahlreiche evangelische Friedhöfe zeichnen sich heute in der Natur nur noch durch die spezifische, auf Friedhöfen seit Jahrzehnten verwendete Kulturpflanzenwelt aus. Immer schon für Grabanlagen typische Pflanzen finden sich dann entgegen jedem natürlichen Vorkommen tief im Wald: Akazien, Thujen, Flieder oder Maiglöckchen und große, mit Efeu und der Zwergmispel überwucherte Flächen. Man kann auch zartere Kulturpflanzen wie z. B. Schöllkraut und Schneeglöckchen treffen. Noch heute verweisen oft verwachsene, wildwuchernde Thuja Büsche auf den Verlauf der Friedhofswege zwischen den ehemaligen Gräberreihen. Oftmals sind gerade durch den Wuchs des Efeus sogar noch die eigentlichen Grenzen der ehemaligen Friedhofsanlage erkennbar.

Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Man kann auch für ihr Alter gut erhaltene Friedhöfe mit intakten, unbeschädigten Grabsteinen antreffen.

Als einer der am besten erhaltenen Friedhöfe, mit Friedhofskapelle gilt der in Przychodzko/ Deutschhöhe [20] (Gemeinde Zbaszyn/Bentschen). Ich persönlich halte den Friedhof in Stary Folwark/Altvorwerk [21] Gemeinde

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Friedhof Stary Folwark/Altvorwerk

Miedzichowo/Kupferhammer) für den Reizvollsten und zumindest gleich gut erhaltenen Friedhof. Er liegt fast ein wenig verwunschen tief im Wald; weit entfernt von jeglicher Bebauung; er ist provisorisch von der Oberförsterei Bolewice/Bolewitz umzäunt; und auf ihm befinden sich gut erhaltene kunstvoll gearbeitete Grab- und Gedenksteine. Er könnte selbst heute noch ohne jegliche Veränderung als ein Thema für eine Fotoausstellung mit schönsten Aufnahmen genutzt werden. Genauso reizvoll, obwohl ein klein wenig zerstörter, ist der Friedhof von Nowy Dwór/Weidenvorwerk [23] (Nowy Świat/ Neue Welt) (Gemeinde Zbąszyń/Bentschen). Er wird von einer zum Teil eingefallenen Mauer umgeben und besitzt eine restaurierte Friedhofskapelle. Auf ihm finden sich Spuren, dass einige Grabsteine gepflegt werden. Vielleicht ist hier der ein oder andere noch nicht vergessen.

Wiederum gibt es auch Friedhöfe, die von allen vergessen und zerstört sind. Dicht und undurchdringbar mit Flieder oder Schneebeeren zugewachsen, in den Sommermonaten für das Auge unerkennbar versteckt. Erst mit dem Fall des Laubs im Spätherbst werden dann unter dem Gebüsch kleine Erdhügel erkennbar, zeichnen sich Plätze ehemaliger Gräber ab; manchmal ist es nur noch eine alte Grabumrahmung aus Beton und von den Grabtafeln ist nichts mehr vorhanden, manchmal nur der für Gräber eben typische Bodendeckerbewuchs.

An anderen Stellen kann man zu Allerheiligen einzelne Grablichter zum Gedenken finden. Wiederum finden sich an einigen Orten auch gepflegte namenlose Gräber und hier und da renovierte Grabsteine (z. B. in Wąsowo/Wonsowo [24], Nowy Dwór/Weidenvorwerk [23]).

Das Wissen über viele Friedhöfe verliert sich im Laufe der Zeit mehr und mehr; es verschwindet aus dem Gedächtnis. Heute erinnern sich nur wenige ältere Personen wo sich der jüdische Friedhof in Nowy Tomyśl/Neutomischel oder der evangelische Friedhof zu Paproć/Paprotsch befunden hat. Bei der jüngeren Generation ist oftmals überhaupt keine Kenntnis dieser Anlagen mehr vorhanden.

Mit der Überraschung reagieren einige Gesprächspartner, wenn ich erzähle, dass sich der Friedhof zu Przyłęk/Scherlanke [5] genau zwischen zwei Tankstellen befindet, an denen die Zuhörer sich zumindest einmal in der Woche aufhalten. Das zauberhafte Häuschen auf der anderen Seite der Straße kennen auch viele vom vorbeifahren, dass es jedoch das Gerätehaus des Totengräbers mit dem Unterstand es Leichenwagens war ruft nur Erstaunen hervor.

Es fehlen die Nachkommen, die für die Ruhestätten ihrer Vorfahren sorgen oder der Zerstörung der Friedhöfe entgegenwirken und Einspruch geltend machen. Manchmal erinnern sich ältere Bewohner noch an ihre ehemaligen deutschen Schulkollegen, erzählen aus den gemeinsamen Jugendzeiten. Viele haben auch noch nicht vergessen, welches Schicksal die Friedhöfe in Borui Kościelnej/Kirchplatz Borui [25], in Nowy Tomyśl/Neutomischel [26] oder auch Paproć/Paprotsch [4] erlitten haben.

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Friedhof zu Sekowo/Friedenwalde

Alle diese Friedhöfe sollten uns heute noch bewusst machen, dass in unserer kleinen Heimat drei große Nationalitäten – Polen, Deutsche und Juden – gemeinsam gewohnt und gelebt haben. Sie sind heute neben den Kirchen die letzten Zeugen unserer schwierigen Vergangenheit. Ohne Pflege und Erhaltungsmaßnahmen werden die Friedhöfe weiter in Vergessenheit geraten. Ihr Schicksal wird dem ähneln, dass polnische Friedhöfe in den ehemaligen polnischen Ostgebieten und dass griechisch- und russisch-orthodoxe Friedhöfe in dem heutigen östlichen Polen erleiden – sie werden nicht mehr existieren.

Von und auf manchen Friedhöfen jedoch kann ich Spuren der absichtlichen Vernichtung sehen. Das betrifft leider im Wesentlichen die Anlagen in der Gemeinde Nowy Tomyśl/Neutomischel. Hier wurde der Friedhof Mitte der 70iger Jahre einplaniert. Grotesker Weise wurden die zerbrochenen Grabsteine zweckentfremdet als Bausteine weiter verwendet. Mein erster Eindruck wird zur Tatsache dadurch, dass ich nur 18 Grabtafeln auf 28 Friedhöfen der Gemeinde Nowy Tomyśl gezählt habe. Zum Vergleich in der Gemeinde Miedzichowo/Kupferhammer finden sich 106 Grabtafeln auf 25 Friedhöfen.

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Grabstein Schliefke [28]

Grabstein Schliefke

3 gut erhaltene Grabtafeln in der nächsten Umgebung finden sich auf dem ehemaligen Friedhof von Sękowo/Friedenwalde [7] :

Reinhold Schliefke (*13-01-1865 + 30-11-1905) und sein Sohn Richard Schliefke (+20-11-1893 *17-01-1894)* -Johann Carl Reinhold Schliefke, so lauten laut Taufeintrag seine gesamten Vornamen, er stammte aus Przyłęk/Scherlanke und war der Sohn von Johann Carl August Schliefke (*01-10-1824 zu Nowy Tomyśl/Neutomischel) und Johanna Wilhelmina geb. Muster (*17-04-1827 in Albertowske/Albertoske).Seine Eltern hatten am 3-02-1854 in NowyTomyśl / Neutomischel in der evangelische Kirche bei dem heutigen Chopin Platz/bei dem Alten Markt die Ehe geschlossen.

Grabstein Arndt [29]

Grabstein Arndt

Joseph Arndt (*01-07-1794 +20-11-1849)*

Johanna Beate Janotte verheiratete Steinbrenner verwitwete Weber (*19-08-1816 in Zinskowo, +14-12-1887)* undJohann Christian Steinbrenner (*21-10-1823 +16-02-1890) Johanna Beate Janotte hatte am 14-10-1841 in Neu Tomysl / Neutomischel Johann Gottlieb Weber aus Scherlanke ( * ca.1812, +27-07-1851 in Zinskowo )geheiratet. Mit ihren zweiten Ehemann hatte sie 23-02-1855 in Neu Tomysl/Neutomischel die Ehe geschlossen.Sie war die 2. Tochter von Johann Martin Janotte, Nachbar in Scherlanke und späteren Einwohners zu Zinskowo (*25-12-1785 Scherlanke) und dessen Ehefrau Anna Rosina Schinske (* 21-02-1791 Zinskowo, *23-03-1843 Zinskowo). Die Ehe der Eltern wurde am 26-06-1811 auch schon in Neu Tomysl/Neutomischel geschlossen.

Johann Christian Steinbrenner (*21-10-1823 + 16-02-1890)* war der Sohn von Johann George Steinbrenner,Einwohner zu Zinskowo und auch zu Alt Jastremske (* ca. 1776 +26-02-1849 Zinskowo) und dessen Ehefrau Christina Stein (* ca. 1782 + 31-01-1834 Alt Jastremske)

Aber wieder zurück zu den Zerstörungen. Ein ähnliches Schicksal wie der ehemalige Friedhof von Nowy Tomysl/Neutomischel erfuhren die Friedhöfe zu Miedzichowo/Kupferhammer [30], Łęczno/Lentschen [31] (Gemeinde Miedzichowo/Kupferhammer) oder heutige wieder tätige Friedhöfe in Boruja Kościelna/Kirschplatz Borui [32] und Opalenica/Opalenitza [13].

Hin und wieder findet sich, dass die Areale der alten Friedhöfe überbaut sind. Einige Beispiele dafür sind die Kulturhäuser in Lwówek/Neustadt [33], Boruja Kościelna/Kirchplatz Borui [25] oder wie z. B. heute auch in Nowy Tomysl [26], hier erfolgte die Bebauung mit einem Gebäude, dass zuerst ein Restaurant beherbergte, dann zu einem Supermarkt umgestaltet wurde um dann jetzt die Adresse einer Discothek bzw. eines Nacht-Clubs zu sein. Es gibt aber auch in zwei Fällen eine heutige Bebauung mit Privathäusern (Lwówek/Neustadt [34], Bolewicko/Neu Bolewitz [35]). Ich habe viele Male Empörung seitens alter Menschen bezüglich dieser Verfahrensweise gehört. Letztendlich wurde dieses aber auch aus der Perspektive der erlittenen Kriegsleiden der polnischen Bevölkerung durch Deutschland ausgelöst. In der Nachkriegszeit hat niemand an Respektlosigkeit gegenüber Verstorbenen gedacht, es galt einfach alle Spuren des Feindes aus dem Dasein zu auszuradieren. Nur – eine gemeinsame Geschichte – kann und sollte man nicht löschen. Niemand sollte ohne Vergangenheit sein.

Gedächtniskreuz auf dem Friedhof Sekowo/Friedenwalde [36]

Gedächtniskreuz auf dem Friedhof Sekowo/Friedenwalde

Ein erster Schritt, diese gemeinsame Vergangenheit wieder neu zu entdecken, ist der die letzten Überreste der alten Friedhöfe zu erhalten und der den Begrabenen ihre Letzte Ruhe wieder zu geben.

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Grabstein Janotte Ww Weber/Steinbrenner

Ein Beispiel in unserem Kreis ist hier zweifellos Herr Zygmunt Duda. Er war der Wegbereiter und Bahnbrecher – der Nestor der Lokalhistoriker im Kreis Nowy Tomyśl/Neutomischel. Er sorgte für die Friedhöfe der Gemeinde Opalenica/Opalenitza (incl. Kopanki/Kopanke [38], Łęczyca/ Lenker Hauland [39]). Gleichfalls muss man auch die Friedhöfe in Mała Lipka/Klein Lipke [40] zugehörig zur Gemeinde Nowy Tomyśl/Neutomischel und Chrośnica/Krosnitz [41] zur Gemeinde Zbąszyń/Bentschen gehörig erwähnen, gerade auf letzterem entstand aus und mit privater Initiative der Bewohner eine Erinnerungsstätte. Dazu gehörig ist auch die Stiftung und Aufstellung des Gedenksteine mit der alles ausdrückenden Aufschrift – „Denjenigen, die vor uns dahingegangen sind“.

Im Juli 2003 wurde auch auf dem Friedhof Nowy Tomyśl/Neutomischel einen Gedenkstein aufgestellt.

Ein Beispiel ist auch die Anstrengung der Oberförsterei Bolewice/Bolewitz. Mit der Hilfe der Schuljugend hat man dort vor einigen Jahren Ordnung auf den Flächen der auf ihrem Territorium liegenden alten Friedhöfe und die Einzäunung dieser realisiert; namentlich zu erwähnen sind hier die Friedhöfen der Gemeinde Miedzichowo/Kupferhammer.

Erwähnen muss man dieser Stelle auch die Herren Jan Grześ und Paweł Michalski aus dem Kulturhaus „Unter dem Turm“, in Wielichowo. Sie haben sich für die Friedhöfe der Gemeinde Wielichowo engagiert. Zusätzlich haben sie ihre Wirkung mit der fotografischen Ausstellung der ehemaligen evangelischen Friedhöfe aus dem Kreis Grodzisk Wlkp/Grätz unter dem Titel „Bewahren vor der Vergessenheit“ dargestellt. Diese Ausstellung wurde zum Teil mit Geldern des Marschallamt der Posen‘scher Woiwodschaft unterstützt.

In der Gemeinde Nekla/Nake [42]l wurde durch die Initiative von Herrn Jerzy Osipiuk ein Renovierungsverein der Hauländischen Friedhöfe in Leben gerufen. Inzwischen wurden 6 alte Friedhöfe instand gesetzt und auf jedem einen Holzkreuz mit der Gedenkstafel aufgestellt.

Die fotografische Dokumentation der alten, evangelischen Friedhöfe von Kujawy hat mit großer Mühe Jutta Dennerlein mit den polnischen Mitarbeitern realisiert. Ihr Werk kann man im Internet unter dem Link http://www.upstreamvistula.org/ [43]bewundern.

Auch in unserer Gemeinde ist der Zeitpunkt der Besinnung gekommen. Es gelingt mir persönlich mit den ersten getanen Schritten, den unangenehmen Eindruck, den ich immer bei einem Besuch auf einem alten Friedhof hatte, zu verwischen.

Als Beginn wurde die fotografische Dokumentation der noch erhaltenen Friedhöfe erstellt. Sie kann eingesehen werden über das Internet mit der Adresse http://www.oledrynowotomyskie.e7.pl/cmentarze [44].

Ein weiterer Schritt wurde im Anschluss durch den amtierenden Bürgermeister von Nowy Tomyśl/Neutomischel Herrn Henryk Helwing beschlossen. Unter und mit ihm wurde die erste Finanzierung von Gedenkkreuzen an den Plätzen von ehemaligen Friedhöfen realisiert. Aufgestellt ist heute je ein Kreuz in Przyłęk/Scherlanke, Glinno/Glinau, Sękowo/Friedenwalde und Paproć/Paprotsch. Am 24. September 2009 wurde ihre Aufstellung mit einem feierlichem Gottesdienst begangen.

In den nächsten Jahren soll die Aufstellung von weiteren Gedenkkreuzen auf den ehemaligen Friedhöfen von Grubsko/Grubske [45], Klein Lipke [40], Kozie Laski/Kozie Laski [46], Stary Tomyśl/Alttomischel [47], Nowa Róża/Neurose [48] folgen. Die Folgefinanzierung durch unsere Gemeinde ist zugesagt.

Ich hoffe, dass in den nächsten Jahren alle ehemaligen Friedhöfe mit dieser „kleinen“ Geste gegenüber „Denjenigen, die vor uns gegangen sind“ die Hand des Gedenkens der gemeinsamen Vergangenheit gereicht werden wird.

Ein letzte Gedanke von mir ist immer, wenn ich diese alten Friedhöfe besuche, dass sich vielleicht auch jemand gefunden hat oder noch finden wird, der den alten polnischen Friedhöfen im Osten eine ähnliche Ehrerbietung entgegenbringt oder noch entgegenbringen wird.