- Tomischler Hauland - http://hauland.de -

Ein Grätzer Pestbericht aus dem 17. Jahrhundert

[1]

Pest-Arzt um 1720 - Quelle: http://commons.wikimedia.org /wiki/File:Beak_Doctor_ 1720.jpg?uselang=de

H. Ehrenberg beginnt seinen Artikel mit den Worten: Es ist bekannt, wie schwer Polen während des 16., 17. und 18. Jahrhunderts von der Pest heimgesucht wurde; zahlreiche Urkunden und sonstige schriftliche Nachrichten belehren uns, wie tief in alle bürgerlichen Verhältnisse das Wüten dieser unheimlichen Krankheit eingriff. Ein ganz eigenartiger Bericht über dieselbe fand sich vor Kurzem auf einem einzelnen losen Blatte in dem jetzt im Posener Staatsarchiv verwahrten Grätzer Archive. Er bietet eine so rührende und ergreifende Schilderung der durch die Pest verursachten Not, dass seine Veröffentlichung unseren Lesern sicherlich willkommen sein wird. Der Bericht lieg zwar nur in Abschrift vor und die Abschrift ist ziemlich neu (so die Betrachtung im Jahr 1886) – Papiere und Schrift weisen auf unser Jahrhundert – aber sie bietet, nach den vielen sorgfältig angebrachten Verbesserungen zu schließen, doch eine genaue Wiedergabe der ursprünglichen Niederschrift dar. Anscheinend war diese Abschrift für den Druck bestimmt, da der Abschreiber auch eine Überschrift und Anmerkungen, die freilich nur zum kleineren Teil brauchbar sind, hinzugefügt hat.

Aber nirgends hat sich bisher ein Druck des Berichts finden lassen. Der Verfasser ist unbekannt; er schrieb den Bericht, wie aus demselben hervorgeht und wie man trotz des im Anfange vorkommenden Wortes „heuer“ annehmen muss, nach dem Jahre 1638 nieder, mindestens zwölf Jahre nach dem von ihm vorzugsweise geschilderten Ereignis; seine Angaben erweisen sich jedoch, so weit diese sich feststellen lässt, als durchaus zuverlässig. Leider sind die Vogtsbücher, auf die er sich bezieht, nicht mehr vorhanden, die Hauptquelle ist also erloschen, und wir sind darum mehr auf beiläufige anderweite Bemerkungen angewiesen. Dass in den Jahren 1626 und 1627 in der Tat die Pest in Grätz gewütet hat, ergibt sich aus mehreren Eintragungen in ein Zinszahlungsbuch (Liber solutionis censuum sacerdotibus etc. Dep. Grätz Nr. 34(, wo es heißt, dass der Betreffende den Zins nicht habe zahlen können, weil er kurz zuvor an der Pest (peste grassante) gestorben sei o.ä. Desweiteren wird uns aus Trau-, Tauf- und anderen Büchern bewiesen, dass Johannes Gladisch in der Tat sowohl 1626/7 wie 1638 Rathsmann bzw. Bürgermeister war. Auch die übrigen Persönlichkeiten, die der Bericht erwähnt, lassen sich anderweitig nachweisen.

Dass der Verfasser ein Deutscher war, darf weiter nicht Wunder nehmen, da die Zahl der deutschen Bewohner von Grätz damals eine sehr große war. Um nur einige Belege hierfür anzuführen, sei eine Grätzer Chronik aus dem 17. Jahrhundert erwähnt (Staatsarchiv Posen, Dep. Pf. Grätz 31 I. Bl. 1 f.), aus welcher wiederholt hervorgeht, dass dort deutsch gepredigt wurde und es der Deutschen so viele gab (populo germanorum ibidem numerose congregato), sowie ferner die Tatsache, dass in den Grätzer Trau- und Taufbüchern jener Zeit öfters Prediger für die Deutschen (concionator Germanorum) erwähnt werden; es ist auch bemerkenswert, dass die beiden einzigen älteren Inschriften, die der Verfasser in dieser Stadt hat finden können (an einer steinernen Grabplatte in der Kirche und an einem Denkstein südwestlich von der Kirche) in deutscher Sprache abgefasst sind.

Der Abschreiber hat als Überschrift gewählt: „Alte Urkunden der Stadt Grätz. Ein Bürgermeister vom Pestjahr 1627. Nach geschriebenen Quellen“, und der Bericht selbst lautet dann, wie folgt.

„Solch Gejünse (1) ist seit der ältesten Menschen Gedenken nicht gehöret worden weder zu Grätz, noch auch in den gesammten polnischen Landen, als wie heuer geschahe durch die Schickung des gerechten Gottes, dessen Zorn wir wohl verdienet haben. Mag durch gräulicher Menschen Zauberein angethan sein, so über Land herummarodieren; doch lasse ich Männiglich in seien Würden, dieweil ich Niemand nit verleumden mag. Hat sich eine Pestilenz in der Stadt eingenistet, derohalben sich Niemand mehr sicher hielt in seiner Hütten vor Ansteckung und schwarzem Tod. Im Brachmonde kam es aber gar toll, von wegen dessen, dass niemand das Land bestellen möchte, das Korn aber auf dem Felde von denen Vögeln verfressen worden oder im Dreck elendiglich umbkam. Wannehero ein grausiger Hunger enstund, selich (2) aber der Pestilenz frisch Oel in die Flammen geschüttet. Mein Herr Jesu! War das eine Noth!

Ich war mit meinem Töchterlein Anna und mit dem Ehrn (3) Martino von der Spittelskirch ad sanctum Spiritum (4), nachdem wir in einem brünstigen Gebet die Stadt dem Herrn empfohlen , nach dem Walde bei Zdrojewirka (5) (!) geschlichen, wo wir ein Loch einer Höhlen gleich von Brummelbeeren und Knirkbusch (6) verrancket, ausersehn, da wir den Rest unserer Vorräthe in Gewahr ließen. Sind sechs Brode gewest und ein Hammel gesalzen, item ein geräuchert Speckschwaden, item zwo Stockfische, item ein viert Backäpfel, zwo Steine Krakauer Salz, tandem zwo Sack Korn, wie auch ein Tönnchen Branntwein nit zu vergessen. Da wir aber am Morgen vom Laublager aufstunden, das Pater und den Angelus gebetet, auch wohl an die zwene Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, rannten eine ganze Schaar Volk, alte Greise und Weibsvolk mit Kindern bei Seufzen und Weinen zu uns in die Herberg, und kamen die kleinen Würmer mit ausgestrckten Händeleins angelaufen und schnurrten (7) und schrieen den Pater auf polnisch an: chleba! chleba! (8) Da mich solch groß Leid billig bejammerte, mochte Ehr Martino nit wehren, daß er alles Brod mit sammt dem Fleisch und die Fische gekocht, wie auch das Backobst, so vorräthig, unter die Hungerigen vertheilete. Ist uns am ersten Tag unserer Waldwohnung das Korn nur verblieben und der Brandwein, so hinter dem Laub geborgen lag.

[2]

Tanz des Todes - Holbein-death - Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Holbein-death.png?uselang=de

Blieben auch da nicht von der Pest frei, denn uns nach kamen viel Volk aus der Stadt, mögen wohl an tausend Seel also ausgewandert sein. Starben im Walde jedweden Tag an 10, auch wohl mehr Leut vor Hunger und Pest, die elenden Leichname aber hatte Pater Martinus je Morgens mit gemeinem Geschrei beerdigt (merke allwo das Kreuz am Walde unter der großen Eiche stehet, seiend die Meisten begraben). So aber diese unsere Noth Domino Consuli Johanni Gladysch (9) zu Ohren kam, eilte er aus der Stadt herüber zu uns und erschracke nit wenig darob, angesehen wir quineten (10) und für den leidigen Hunger wie ein Schatten vergingen, alle insgesammt blaß wie ein Laken. Barmherziger Gott, das war dein Engel vom Himmel!

Enstund dahero eine große Freud in der Menge, denn Dominus Consul brachte von Sr. Hochgeboren dem Herrn Wojwoden zwölf große Leib Brod, hat just jeder an die 40 Pfund gewogen, und eine Kuh geschlachtet zur Atzung. War wenig gewest für Alle. Als aber Pater Martinus das Oculi Omnium gebetet und all dieses zu theilen begunnte, da hatte Männiglich nahe fast genug. Mag gewachsen sein unter der Hand, wie die Brode sammt den Fischleins dem Herren in der Wüste. Nunmehro ist Muth in die Leut gefahren, denn Dominus Consul kam also täglich gen Mittag zu uns und brachte verschiedenerlei Essen vom Hofe, daß wir nicht vor Hunger zu sterben gemußt. Gott lohns dem ehrlichen Mann!

Hatt auch in der Stadt ebenso überall Nachfrage gehalten um reich und arm, daß Männiglich befürsorgt werde im Leben und im Tod. Ist selbst der herumgegangen zu visitiren die Kranken und daß die Leichnahme exportirte würden Stund für Stund, nicht wartend auf die Stadtbüttel, sonder in persona. Sintemal und alldieweil nämlich er selbsten nicht hätte Alles schaffen können, hat ihme der ehrbare Herr Steffen der Apothecarius (11), so ehedem selbsten Consul gewest, mildiglich geholfen und auch wol die Hälfte seiner Hab unter die Armen spendiret. So aber Dominus Consul in ein Haus kame, da heulten alle Leut für Freuden, wie sonsten für Jammer, und die Kindeleien tanzeten in der Stuben, wie ein junge Rehe, und also that es auch mein Töchterlein Anna im Walde; da sie aber schwach war, untersagte ich ihr solchen Fürwitz, anerwogen dies auch hieße den Herrn versuchen, zumalen ja sowohl Pestilenz als auch Hungersnoth unaufhaltsam unter uns hasete. So gratiosa aber ist gottesfürchtiger Menschen Impression auf das Herz derer, die da Noth leiden. Hat doch Dominus Consul Johannes Gladysz für das Amt keine Löhnung bezogen, sondern ist von ehrbarer Bürgerschaft zu 6 Jahr erwählet worden Ehren halber, wie es hierorts landesüblich Brauch war seit Menschen Angedenken.

Ist aber Herr Johannes Gladysch wohl an 12 Jahren Consul ohne Intermission gewest. Denn obwohl die Seuche balde cassiret, und es nunmehro eine Zeit lang mit der Hungersnoth geruhlich worden, hat doch die Gemein ob großer Furcht, da der Krieg mit denen Schweden annoch im Nachbarslande wüthete, die Pestilenz möge heimkehren, denselben abermals erwählet und durch mächtiger Männer Fursprach selig zum Amte contendiret. Als er aber Anno 1638 am Tage Laurentii (12) das zweite Sexennium beendigt und calculum legte der Stadt vor dem Rathe und denen Zunftältesten, da kamen Obrigkeit und Bürger auf das Rathhaus, um Domino Consuli Dank zu bringen; dannenhero Männiglich wohl wissen kunnte, daß wir alle sammt hätten mögen im Walde und in der Stadt zu Tode hungern und in der Pestilenz jämmerlich umbkommen, wenn der allbarmherzige, auch der allbarmherzige Gott uns nit auf diese Weiß durch solch einen Consul so grundgütig bedacht und gesegnet hätte.

Es saßen aber im Rathe zu jener Zeit Steffen, der Apotecarius, auch Pharmacopola benamset, item Johannes Slatala (13) item Simon Straschygost (14), item Franz, der Cantor, item Johannes Ogrodnik (15). Waren auch zugegen gewest, wie all dieses in den libris advocatialibus des Rathes und der Schöffen zu kommender Menschen ewiglichem Andenken verzeichnet zu lesen stehet, andere Bürger mehr, wie auch ich selbsten, fürnehmlich aber unser gnädige Herre, Herre Wojwode Johannes Opalenski, item sein Commissarius, der Hochwohlgeborene Herr Samuel Trach Gninski (16), item Ehr Paulus Cyranus, Decanus von Grätz. Mein Pater Martinus aber von der Spittelskirche, der treue Freund in allen Nöthen, der ist in der Pestilenz doch umbgekommen. Ist wohl der letzte gewest von denen, die da an der Seuche starben. Gott gebe ihm die ewige Ruhe, hat auch allwie ein redlicher Vater die Gemein befürsorget in Noth.“

* * *

 * * *

Quelle: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen – 1886 – digitalisiert veröffentlicht unter http://archive.org/details/zeitschrift03bromgoog