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Eine Mordnacht in einem Abbau bei Sontop – 1858 – Teil 1

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Der neue Pivatal - mit: EINE MORDNACHT IN EINEM ABBAU BEI SONTOP

Der neue Pitaval – Eine Sammlung der interessantesten Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit, enthält in der Veröffentlichung aus dem Jahre 1865 den Artikel – EINE MORDNACHT IN EINEM ABBAU BEI SONTOP IM GROSSHERZOGTUM POSEN. Im Vorwort heisst es wie folgt: … macht uns mit Menschen aus den untersten Klassen der Gesellschaft bekannt, deren Gewerbe Diebstahl und Mord sind, nur fehlt hier jeder versöhnende Zug. In dem dunkeln Gemälde ist die dunkelste Gestalt die Witwe Lüdtke: die Megäre dingt einen Mann, den sie zum ersten mal sieht, ohne weiteres zum Mord, sie liefert den früheren Geliebten und ihren eigenen Sohn ans Messer und tröstet sich noch mit einer Verdrehung der Bibel, denn, sagt sie, es steht geschrieben: „Wer kein Blut vergießt, dess Blut soll auch nicht vergossen werden.“ Die Situation des einsamen Hauses im Walde passt zu der grausigen Bluttat. Das Ganze ist ein Abgrund von entsetzlicher Rohheit, das Geständnis des auf den Tod verwundeten, nach dem heiligen Abendmahl verlangenden Girndt das einzige lichte Moment.

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Fast alle Dörfer in Westpreußen und dem Großherzogtum Posen sind im weiten Umkreise von sogenannten Abbauten umgeben, die ganz vereinzelt, fern von der Landstraße, im freien Felde oder in dem an die Feldmarken anstoßenden Walde liegen, meist aus einem nur das notdürftigste Obdach gewährenden Wohnhause mit Stall und Scheune und wenigen Morgen Landes bestehen und einen sehr bedenklichen Ruf bei den Polizeibehörden genießen. Von armen Leuten bewohnt und der wirksamsten Kontrolle (der durch die Nachbarn und Gemeindegenossen) entzogen, bieten sie allen denen, welche aus irgendeinem Grunde wünschen müssen, mit der Obrigkeit nicht in Berührung zu kommen, ein willkommenes Obdach. Die benachbarten Wälder laden zum Wilddiebstahl ein, und nächtliche Raubzüge in die Umgegend werden von dort aus  um so lieber unternommen, als das gestohlene Gut in nächster Nähe leicht zu verbergen ist und die Dorfschulzen und Gerichtsmänner ihrer polizeilichen Tätigkeit nicht gern, und am wenigsten bei Nacht, eine zu bedeutende räumliche Ausdehnung zu geben pflegen.

Einen solchen Abbau, der zu dem bei Neutomysl im westlichen Theile der preußischen Provinz Posen belegenen Dorfe Sontop gehört, besaß im Jahre 1858 die Witwe Luise Lüdtke, eine rüstige Frau im Alter von 44 Jahren. Das kleine, aus Lehmfachwerk erbaute und etwa 14 Schritt im Geviert messende Wohnhaus bestand aus zwei, durch die Hausflur getrennten Zimmern. Die Eigentümerin mit ihrer zwanzigjährigen Tochter Ernestine, ihrem dreizehnjährigen Sohne Robert und zwei kleineren Kindern im Alter von neun und fünf Jahren, wohnte in der einen Stube, der Bruder ihres verstorbenen Ehemannes, der Ausgedinger Gottlieb Lüdtke, ein großer kräftiger Man von 55 Jahren, und der älteste Sohn der Witwe Lüdtke, Namens Eduard, welcher damals im 17. Lebensjahr stand, hatten die andere Stube inne.

Am Morgen des 24. Juni 1858 kam die Witwe Lüdtke in höchster Aufregung, bleich und zitternd, zu dem Schulzen Hoffmann nach Sontop. Ihr Sohn Robert hatte, wie sie unter strömenden Tränen erzählte, seinem Oheim (=Onkel), den Gottlieb Lüdtke, und seinen Bruder Eduard in der Nähe des Wohnhauses ermordet gefunden. Hoffmann folgte ihr sofort nach dem fast eine Viertelmeile vom Dorfe entfernten Abbau.

Die ganze nur etwa drei Morgen große Lüdtke’sche Besitzung ist von allen Seiten von dichten Kieferwaldungen umgeben. Ein selten benutzter Fahrweg zieht sich in einiger Entfernung am Wohnhause vorüber. Die nächste menschliche Wohnung, ein Waldwärterhaus, liegt etwa 1.000 Schritt entfernt, tief im Walde.

Vom Wohnhause führt ein schmaler Fußpfad zwischen Kornfeldern nach einer sumpfigen, mit Erlen bestandenen Wiese. Auf derselben, 250 Schritt vom Wohnhause, befindest sich ein von hohem Erlengebüsch umgebenes kreisförmiges Wasserloch, in dortiger Mundart Keute genannt. Es hat einen Durchmesser von 10, eine Tiefe von etwa 7 Fuß und war in dem heißen Sommer von 1858 bis auf den morastigen Boden ausgetrocknet.

Hoffmann begab sich, von Robert Lüdtke geführt, nach diesem Wasserloche. Schon auf dem Wege dahin nahm er eine fast einen Fuß breite Blutlache wahr. Sonst etwas Verdächtige, insbesondere die Spuren eines Kampfes, bemerkte er nicht. Am Rande der Keute war eine zweite kleinere Blutlache sichtbar, in der Keute selbst erblickte der Schulze zunächst den schon kalten und starren Leichnam des ihm wohlbekannten Gottlieb Lüdtke. Der Verstorbene lag auf dem Rücken; der Kopf war zurückgebogen, hart unter dem Kinn zeigte sich eine weite, klaffende, fast um den ganzen Hals gehende Wunde. Da Gesicht und die aus Hemd, Hosen und Weste bestehenden Kleider waren mit frisch geronnenem Blut beschmutzt. Zwischen den auseinandergespreizten Beinen des Toten fand Hoffmann eine tote Ziege, deren Bauch aufgeschlitzt war, sodass die Eingeweide heraustraten. Der Kopf der Ziege lag auf der Brust des Lüdtke, das eine Horn war bis an die Wurzel unter den die beiden Hosenträger auf der Brust verbindenden Quergurt gesteckt.

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Toteneintrag aus dem Jahr 1858 im Kirchenbuch von Neutomischel mit dem Vermerk: die Täter wurden bald ermittelt ....

In der Mitte der Grube entdeckte man ferner die Leiche des Eduard Lüdtke, das Gesicht tief in den Morast gedrückt. Am Vorderteile des Halses klaffte eine tiefe, in der Mitte 2 Zoll weit auseinanderstehende Wunde. Die Lage der Leiche machte auf Hoffmann den Eindruck, als sei sie von oben herab in die Grube geworfen worden. Zu Häupten beider Leichen lagen, lose hingeworfen, ein Rock des Gottlieb und eine Jacke des Eduard Lüdtke. An beiden Kleidungsstücken war kein Blut sichtbar. Endlich wurde in der Grube ein ziemlich stumpfes Taschenmesser gefunden, welches die Witwe Lüdtke als dem Gottlieb Lüdtke gehörig bezeichnete; an der Klinge klebten etliche Ziegenhaare und Blut.

Fortsetzung folgt …