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Kraft Arno – Die letzte Windmühle von Neutomischel 2001

Die letzte Windmühle von Neutomischel“ – der Artikel wurde im Original von Arno Kraft für das Jahrbuch der Landsmannschaft Weichsel-Warthe Ausgabe 2001 verfasst und publiziert.
Eine Veröffentlichung auf dieser Seite erfolgt mit freundlicher Genehmigung der LWW – Landesmannschaft Weichsel-Warthe und Arno Kraft.

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Noch heute gibt es in Nowy Tomysl eine ulica Wiatrakowa = Windmühlenstraße. Die letzte Windmühle dieser 1786 entstandenen Stadt, die nördlich dieser Straße stand, wurde aber nach dem letzten Kriege abgerissen. So erinnert nur noch der Straßenname daran, daß auch diese jüngste Stadt Großpolens Windmühlen besaß. Schon ein Jahr nach Gründung der Stadt wurde die Müllerinnung gegründet, und es wurde ein „Stammbuch der Meister“ geführt. Sozusagen als Paten des „Gewercks der Müller in Neu Tomyschel“ fungierten die Ältesten und Beisitzer der „Königlichen Stadt Bomst“. Es heißt in den Zeilen 44 bis 46 des Neutomischler „Stamm-Buchs der Meister“: Anno 1787. den 10. Julij, ist das Löbliche Gewerck der Mühl Meister in Neu Tomischel, von denen Löblichen Meistern des Bomster Ehrbaren acht und recht nach löblichen Gebrauch ein geführet und bestetiget worden.“ – Es ist hier zu bemerken, daß das Buch nicht nur in deutscher Sprache, sondern auch in deutscher Schrift – gotische Buchstaben – geführt wurde. Die Rechtschreibung unterlag keinen Regeln, und so kommt es vor, daß gleiche Wörter oft schon in der nächsten Zeile anders geschrieben wurden als in der vorangegangenen. Eigennamen wurden allerdings oft in lateinischen Buchstaben oder hin und wieder unterschiedlich geschrieben.

„Ober Eltester“ der Bomster Meister war Johann Samuel Preubisch. der damals auch Erbbesitzer der „Babrowker Wasser Mühle“ an dem Schwarzwasser – ca. 7,5 km nordwestlich der Stadt – war Auch die anderen führenden Meister des Bomster Gewerks, das den Neutomischlern bei der Gründung behilflich war, werden genannt. – „Die Stiffter aber des löblichen Gewercks allhier in Neu Tomischel sind gewesen Mstr Johann Gottfried Reiche, Erbbesitzer der Mischker Wind und Wasser Mühle, welcher als Erster Ober Elster verordnet worden, Mstr Christian Markwart, Erbbesitzer zweyer Wind Mühlen in Sontop, welcher als Neben Elster verordnet worden, Mstr George Draber, Erbbesitzer zwey Wind Mühlen in Sontop, Beysitzer, Mstr Gottfried Kliem, Erbbesitzer der Ersten Wind Mühle hiesiger Stadt Neutomischel und Beisittzer, Mstr. Christian Giese, Erbbesitzer einer Wind Mühle in Alt Tomischel und verordneter Sprach Meister, Mstr Johan Samuel Preubisch, Erbbesitzer der Babrowka Wasser Mühle und damaliger Ober Elster in Bomst.“ Es wird auch hinzugefügt: „da bey ist auch zu Mercken, daß He Johann Heinrich Jose, als regierender Bürger Meister ebenfalls ein Grosser beförderer dieses löblichen Gewercks gewesen ist.“

Schon einen Tag nach der Gründung der Innung in Neutomischel wurde der erste Müller zum Meister ernannt. Es heißt in der Bucheintragung: „Anno 1787 den 11. Julij, ist Johann George Kruschel, von denen Herren Elsten und Beysitzern, vor offener Lade zu einem Meister auf und angenommen worden, und verspricht als ein treues Mitglied bey dem löblichen Gewerck Treu und Ehrlich zu halten, wozu wir ihm Glück und Seegen wünschen.“ So wurden bis zum Jahre 1861 immer wieder Gesellen zu Meistern ernannt und im Stammbuch der Meister eingetragen.

Leider fehlt bei den meisten Eintragungen die Nennung von Orten, so daß man nicht sagen kann, wo der neue Meister seine Mühle hatte; aber das stand wohl eben bei der Ernennung zum Meister noch nicht fest und ist deshalb erklärlich.
Die Neutomischler Müllerinnung löste sich wohl im Jahre 1861 auf, denn die letzte Eintragung erfolgte am 1. Juli 1861 mit der Aufnahme von Gottlieb Rausch in die Innung. Als Obermeister unterschrieb G. Rausch (wohl ein Verwandter des Aufgenommenen) und als Schreiber Heinrich Tepper. Die Müller traten danach der Bäckerinnung bei. Viele in der Stadt bedauerten diesen Schritt nur deshalb, weil nun die rauschenden Feste der Müller aufhörten; man nannte sie damals „Müller-Quartale“, denn auf ihnen ging es oft hoch her.

Die Windmühlen konnten jetzt der Konkurrenz durch die Dampfmühlen nicht mehr standhalten und verschwanden nach und nach von der Bildfläche. In Neutomischel nahm als erste Dampfmühle südlich vom Neuen Markt die von Maennel im Jahre 1849 ihren Betrieb auf. Alexander Maennel besaß vorher schon eine Windmühle in der Stadt. – Vor vier Jahren ist diese Mühle, die wohl die zweite Dampfmühle im Posener Land war, nun auch abgerissen worden. – Jetzt aber zurück zu den Windmühlen in Neutomischel und Umgebung: Wenn ich mich auf einen Aufsatz des Neutomischler Heimatforschers Karl Eduard Goldmann stütze (abgedruckt in „Aus dem Posener Land“, 7. Jg. 1912), so hatte nach seinen Angaben diese kleine Stadt zur Hochzeit der Windmühlen insgesamt 15 Windmühlen. Aber in benachbarten Holländer-Gemeinden gab es auch viele Mühlen: Glinau hatte 3, Paprotsch 6, Scherlanke 2, Zinskowo 2, Königsfelde 2, Alttomischel 2, Sontop 6 und Alt-u. Neu-Borui 8. Das sind also im Umkreis von rd. 7 bis 8 km nochmals 31 Windmühlen!

Die letzte Windmühle von Neutomischel war schon damals, als Goldmanns Aufsatz erschien, die letzte ihrer Art in der Stadt. Die zwei großen Dampfmühlen von Maennel und Schmidt konnten nun alles Getreide mahlen, das in der Umgebung geerntet wurde. Und auch in den meisten Nachbarstädten waren Dampfmühlen vorhanden. So war nach dem Ersten Weltkrieg die Mühle von Robert Reisch, die dieser von seinem Vater Gottlieb übernommen hatte, eigentlich schon ein Kuriosum, und wir Kinder sahen diese Mühle nur selten in Betrieb. Meistens nur im Herbst, wenn stärkerer Westwind blies und viele Bauern nicht gleich ihr Korn gemahlen bekamen, wichen sie auf die Windmühle aus. Manche fuhren aber auch immer zu Reisch, da sie dort etwas geringere Kosten fürs Mahlen zahlten, denn der Wind weht ja kostenlos. So lebte die Familie Reisch nun in erster Linie vom Handel mit Getreide und Mehl.

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 Reisches Windmühle

In der Friedhofsgasse, gleich hinter dem Neuen Markt, befand sich das neue Lager der Firma Reisch, und für uns Kinder in der Nachbarschaft war es ein großes Erlebnis, wenn man festgestellt hatte, daß trotz aller Vorsichtsmaßnahmen Ratten eingedrungen waren und daraufhin eine große Jagd veranstaltet wurde. Bei dieser zeichnete sich der schwarzgefleckte Terrier der Familie besonders durch Schnelligkeit und Jagdglück aus.

Die Windmühle am Westrand der Stadt stand auf einem kleinen Hügel, der wohl aufgeschüttet war und ca. einen Meter über Straßenhöhe lag. Wenn die Mühle nicht in Bewegung war, spielten wir mit Reisches Jungen Jagen und rannten um den Hügel und die Mühle herum; manchmal spielten wir auch Verstecken und das kreuzförmige, aus Ziegelsteinen gemauerte weitere ein Meter hohe Fundament, auf dem erst der Holzbock der alten Bockwindmühle stand, bot ein gutes Versteck, das man leicht verlassen konnte, wenn der Sucher in der Nähe war Wenn die Mühle in Betrieb war, hielten wir uns in respektvollem Abstand auf und der Müller brauchte uns gar nicht erst vor Gefahren warnen. Der Wind pfiff durch die Flügelöffnungen, und das Flügelholz knarrte und stöhnte unter der Wucht des Windes und rief in uns schon genug Ängste hervor, und wir blieben instinktmäßig von alleine in sicherer Entfernung zu diesem lauten Koloß. – So hatte die alte Mühle schon von sich aus für uns etwas Bedrohliches.

Auf ihrem Sattelbalken stand die Inschrift – MCG Anno 1791 -. wie bei Goldmann nachzulesen. Ich erinnere mich, daß Buchstaben und Zahlen in einen sehr dicken Balken eingeritzt waren, aber wir machten uns damals als Kinder keine Gedanken darum. Es war wohl das Jahr der Erbauung und der Name des ersten Besitzers. Nach der Jahreszahl wurde sie fünf Jahre nach der Stadtgründung erbaut und nach dem Meisterbuch hieß der Müller wohl Meister Christian Giese, der vorher eine Mühle in Alttomischel besaß und ihr erster Besitzer gewesen ist, Goldmann gibt als Vorbesitzer den Namen Tiesler an, der sie an Gottlieb Reisch verkauft hatte. Heinrich Tiesler war am 22. April 1851 in die Neutomischler Müllerinnung aufgenommen worden. Der erste Müller mit Familiennamen Reisch war am Johannis-Quartal 1821 aufgenommen worden. Er trug die Vornamen Johann George und stammte nicht aus der näheren Umgebung.

Unsere letzte Windmühle stand vorher weiter südlich und wurde von Gottlieb Reisch wohl nach Abnahme der Flügel auf Rollen auf den neuen Standort versetzt. Das erhöhte Steinfundament wurde wohl erst später untergesetzt, als man nicht genügend Wind bekam, weil nicht weit weg an der Windmühlenstraße einige kleine Häuser gebaut wurden. Auf dem alten Standort an der Neustädter Straße wurden bald schöne Häuser vom Baumeister Hasenfelder gebaut; es waren richtige Villen.

Nach dem Tode von Robert Reisch übernahm sein Sohn Gustav In den dreißiger Jahren die Mühle. Nach 1945 verschlug es ihn nach Hameln zu Verwandten in die Stadt des Rattenfängers und der Mühlen. Hier arbeitete er als Müller in einer sehr großen Mühle bis zum Eintritt ins Rentenalter.

In Nowy TomysI hatte man wohl nach dem Kriege keinen neuen Windmüller, der die Mühle weiter betreiben konnte. Sie stand mehrere Jahre still und man beschloß, sie abzureißen, denn sie wurde auch nicht mehr gebraucht. Einen Teil des Holzes und auch die Steine des Fundamentes konnte man gut für Wohnbauten verwenden, denn in der Stadt wurden neue Wohnungen gebraucht nach dem Zuzug von Polen aus den jetzt russischen Teilgebieten. Baumaterial war knapp zu dieser Zeit; vorhandenes neues Material ging auch aus dieser Gegend nach Warschau zum Aufbau der zerstörten Hauptstadt Polens.

Auch die beiden Windmühlen in Alttomischel, die nicht in einem guten Zustand waren, ereilte das gleiche Schicksal.

Nur noch eine stark zerzauste Mühlenruine steht an der Chaussee nach Kirchplatz-Borui. Man möchte sie wohl gern als Erinnerung an alte Zeiten behalten und als Industriedenkmal wieder instand setzen oder wiederaufbauen. Aber es fehlt das Geld dafür. – So bleiben uns nur alte Bilder und uns Alten romantische Erinnerungen.