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Soziale Stiftungen in Grätz – 1906 und 1908

Das ehemalige Heim der "Rudolf Mosse Stiftung" (1.) [1]

Das ehemalige Heim der „Rudolf Mosse Stiftung“ (1.)

Eine Stiftung ist eine Einrichtung, die unter Zuhilfenahme eines Vermögens einen durch den Stifter festgelegten Zweck verfolgt. In der Regel wird das Vermögen auf Dauer erhalten und die Begünstigten erhalten die Erträge aus der Anlage des Vermögens.  Stiftungen haben in der Regel eine Satzung, in welcher auch der Zweck und die Art des Stiftungszwecks festgelegt ist. Stiftungen werden von einem Vorstand nach außen vertreten.

Wie in anderen Städten so gab es auch in Grätz mehrere Stiftungen.

Nachfolgend die Begründung der „Rudolf Mosse Stiftung“ , welche die Errichtung eines Heims in der Stadt Grätz für unbemittelte und würdige, alte, gebrechliche, ganz oder teilweise erwerbsunfähige Personen ohne Unterschied des Geschlechts und der Konfession aus dem Jahr 1906 durch Rudolf Mosse vorsah.

Und  auch die der „Abraham Herzfeld Stiftung“.  In ihr wurden  „verschämte Arme der Stadt Graetz, welche sich scheuen, die öffentliche städtische Armenpflege in Anspruch zu nehmen“ begünstigt.

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Stiftungsgeschäft des Verlags-, Buchhändlers- und Rittergutsbesitzer Rudolf Mosse zu Berlin betreffend Begründung eines Heims in der Stadt Grätz Provinz Posen

§ 1. Anläßlich der bevorstehenden silbernen Hochzeit des deutschen Kaiserpaares will ich eine Stiftung errichten, deren Zweck und Verfassung wie folgt bestimmt werden

§ 2. Zweck der Stiftung , welche den Namen „Rudolf Mosse- Stiftung“ führen soll, ist die Begründung eines Heimes in der Stadt Grätz für unbemittelte und würdige, alte, gebrechliche, ganz oder teilweise erwerbsunfähige Personen ohne Unterschied des Geschlechts und der Konfession, sofern sie in Grätz oder einer Nachbargemeinde den Unterstützungswohnsitz haben denen dort Wohnung, Beherzung, Beleuchtung, Pflege und Wartung, sowie nötigenfalls, je nach dem Grade der Bedürftigkeit und der Höhe der aus dieser Stiftung verfügbaren Mittel, volle oder teilweise Beköstigung gewährt werden soll.

§ 3. Für Begründung der Stiftung ist dem Magistrat der Stadt Grätz ein Kapital von 150.000 M in Worten Einhundertfünfzigtausend Mark zu übergeben

§ 4. Zum Erwerbe des Grundstücks, auf welchem das Heim errichtet werden soll, für die Ausstattung sämtlicher zum Heim erforderlichen Baulichkeiten und Anlagen einschließlich der inneren Einrichtung dürfen nicht mehr als 6.000 M verwendet werden. Zeichnungen und Kostenanschläge des Heims sind vor Beginn des Baues dem Stifter zur Genehmigung vorzulegen.

Von dem Grundkapitale sind auch an die Stadtgemeinde die Kosten der geplanten baulichen Erweiterungen und Änderungen schließlich einer Zentralheizungs-Anlage des Dr. Marcus Mosse – Krankenhauses bis zu dem Betrage von 30.000 M auszuzahlen, wenn und soweit die Verausgabung für diese Zwecke nachgewiesen ist.

Der Restbetrag von 60.000 Mark und … Beträge, welche für die in diesem Paragraphen bezeichneten Zwecke nicht Verwendung zu gelangen haben, bilden einen eisernen, mündelsicher anzulegenden Fond, dessen Erträge in erster Linie zur Instandhaltung des Heims, dann auch zur Verpflegung der in das Heim Aufgenommenen dienen sollen.

§ 5. Den der Stiftung etwa zufließenden Kapitalien sind zur Vermehrung des Grundkapitals bestimmt, falls der Geber nicht anderweite Verfügung darüber getroffen hat.

§ 6. Der Verwaltung der Stiftung wird von dem Magistrat der Stadtgemeinde Grätz geführt. Das Heim nebst Zubehör ist gegen Feuergefahr zu versichern.

§ 7. Über die Aufnahme Bedürftiger in das Heim und den Umfang der den Aufgenommenen zu gewährenden Unterstützung, sowie deren Entziehung oder Einschränkung beschließt ein Kuratorium. Bei der Bestimmung derjenigen Personen, welche Aufnahme in das Heim finden sollen, sind in erster Reihe die in der Stadt Grätz Unterstützungswohnsitz berechtigten zu berücksichtigen.

§ 8. Das Kuratorium besteht aus folgenden Personen:

  1. dem Bürgermeister der Stadt Grätz als Vorsitzenden
  2. dem Stadtverordneten Vorsteher der Stadt Grätz als stellvertretenden Vorsitzenden
  3. dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde zu Grätz
  4. dem Pfarrer der evangelischen Gemeinde zu Grätz
  5. dem Probst der katholischen Gemeinde zu Grätz
  6. einem vom Magistrat zu Grätz zu wählenden Mitgliede
  7. einem von den Stadtverordneten zu Grätz zu wählenden Mitgliede

Die Wahl der unter 6. und 7. genannten Mitglieder des Kuratorium ist so zu treffen, daß jede der drei Konfessionen mindestens durch zwei Mitglieder im Kuratorium vertreten ist. Die Wahl des Magistrats geht der der Stadtverordneten vor.

Die Beschlüsse des Kuratoriums sind gültig wenn sie mit einfacher Majorität bei Anwesenheit von mindestens vier Mitgliedern gefaßt werden. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

Im Übrigen regelt das Kuratorium seine Geschäftsordnung

 

Berlin, den 25. Januar 1906 – Rudolf Mosse

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Der Vorstand und die Repräsentanten-Versammlung der Synagogen-Gemeinde zu Graetz i. Posen veröffentlichte einen Nachruf zum Gedenken an das verstorbene Ehrenmitglied der jüdischen Gemeinde - Herrn Abraham Herzfeld - Quelle: Berliner Tageblatt [2]

Der Vorstand und die Repräsentanten-Versammlung der Synagogen-Gemeinde zu Graetz i. Posen veröffentlichte einen Nachruf zum Gedenken an das verstorbene Ehrenmitglied der jüdischen Gemeinde – Herrn Abraham Herzfeld – Quelle: Berliner Tageblatt

Stiftungsgeschäft der verwittweten Rentierin Julie Herzfeld zu Berlin betreffend Begründung einer Stiftung in der Stadt Graetz Prov. Posen

§ 1. Zum Andenken an meinen am 8. Juni 1838 zu Graetz geborenen, am 23. December 1907 zu Berlin verstorbenen Gatten Abraham Herzfeld, Ehrenbürger der Stadt Graetz, will ich am heutigen Tage, an welchem er sein siebzigstes Lebensjahr vollendet hätte, eine Stiftung errichten, deren Zweck und Verfassung wie folgt bestimmt wird

§ 2. Zur Begründung der Stiftung, welche den Namen Abraham Herzfeld Stiftung führen soll, wir dem Magistrate der Stadt Graetz ein Kapital von zehntausend Mark übergeben.

Die Zinsen dieses Kapitals sollen alljährlich am Todestage meines Gatten, dem 23. December in Beträgen von nicht unter zehn und nicht über fünfzig Mark tunlichst an verschämte Arme der Stadt Graetz, welche sich scheuen, die öffentliche städtische Armenpflege in Anspruch zu nehmen, verteilt werden.

Mit einem Drittel der Zinsen sollen jüdische Bedürftige bevorzugt sein, die andern zwei Drittel möglichst gleich … an Bedürftige beider christlichen Confessionen verteilt werden.

Bei gleicher Bedürftigkeit sollen gebürtige Graetzer gegen von auswärts zugezogene den Vorzug erhalten.

§ 3. Die Verwaltung der Stiftung wird vom Magistrat der Stadt Graetz geführt.

§ 4. Ueber die Verteilung der Zinsen beschließt ein Kuratorium, welches aus den Mitgliedern des Kuratorium der Rudolf Mosse Stiftung besteht, hierzu soll jedoch der Rabbiner der jüdischen Gemeinde zu Graetz als stimmberechtigtes Mitglied zugezogen werden.

§ 5. Die Beschlüsse des Kuratoriums sind gültig, wenn sie mit einfacher Majorität bei Anwesenheit von midestens fünf Mitgliedern gefasst werden. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.

Im Uebrigen regelt das Kuratorium seine Geschäftsordnung.

 

Berlin 8. Juni 1908 – gez. Julie Herzfeld geb. Badt

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt: (1.) Abdruck der Stiftungeinrichtungen – Autor: Piotr Bartkowiak, Buch „Rola i działalność mniejszości żydowskiej w Grodzisku Wlkp w XIX i XX wieku“ – Grodziskie Zeszyty Historyczne nr 11, Grodzisk 2003 – Wydawnictwo Muzeum Ziemi Grodziskiej przy MGOK w Grodzisku (MGOK – Miejsko-Gminny Ośrodek Kultury)