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VI. Bundesschießen des Schützenbundes Neumark – Posen (01.-02. August 1897) / Teil 1

VI. Bundes-Schiessen in Neutomischel 1897 / Zeitungsanzeige [1]

VI. Bundes-Schiessen in Neutomischel 1897 / Zeitungsanzeige

Regen, Regen, nichts als Regen !

Eifriger und besorgter haben unsere lieben Mitbürger wohl selten in das Wetter geschaut, als in der Woche, die dem VI. Bundesschießen des Schützenbundes Neumark – Posen vorausging; hing doch von dem Wetter zum wesentlichen Theil das Gelingen des so sorgsam vorbereiteten Festes ab. Aber fast schien es, als hätte der Himmel alles, was an Wolken überhaupt aufzutreiben gewesen, just nach Neutomischel berufen, um sie über der Feststadt zu entleeren:

Regen des Morgen, Regen des Mittags, Regen des Abends und sogar des Nachts !

Selbst die Muthigsten begannen zu verzagen und als auch der Freitag keine Aenderung zu bringen schien, wurde ernsthaft erwogen, ob nicht das Fest verschoben werden könnte. Aber mit dem ersten Streifen blauen Himmels, der am Freitag auftauchte, kehrte auch die Hoffnung zurück und unverdrossen rührten sich Hunderte fleißiger Hände, um der Stadt ein festliches Gepräge zu geben. Und obgleich die Anfuhr von Laub, das des strömenden Regens wegen nicht so reichlich, wie beabsichtigt gewesen, gehauen werden konnte, der Nachfrage seitens der Bürgerschaft lange nicht genügte, ist die

Ausschmückung der Stadt

doch eine überaus prächtige geworden. Schon wo die Anfahrtsstraße zum Bahnhofe in die Chaussee einmündet, ist eine Ehrenpforte mit einem mächtigen „Willkommen“ errichtet und bis zur Stadt überspannen noch zahlreiche Hopfenguirlanden die Eschenallee. Die Stadt selbst ist in einen Park verwandelt; am Fahrdamm entlang und um die Märkte herum ziehen sich in ununterbrochener Reihe Tannen- und Birkenbäumchen, die Häuser zieren Guirlanden und Kränze, laubumwundene Masten, mit Guirlanden verbunden, bilden Ehrenpforten und an den Laubgewinden, die in überaus großer Zahl die Straßen überspannen, hängen bunte Tafeln mit Grüßen und Inschriften verschiedener Art.

Fahnen und Fähnchen, Banner und Wimpel in den preußischen und deutschen Farben flattern und wehen von allen Häusern; leider sind mehrfach die Farben der Fahnen nicht richtig angeordnet, man sieht weiß-schwarz statt schwarz-weiß, roth-weiß-schwarz, und sogar in einem Falle schwarz-roth-weiß, statt schwarz-weiß-roth von der Spitze an. Es bedarf wohl nur des Hinweises, daß in der Flaggensprache des Schiffsverkehrs die verkehrt gehißte Flagge, z. B. weiß-schwarz von oben statt schwarz-weiß „Meuterei an Bord“ bedeutet, um unsere lieben Mitbürger zu veranlassen, die vielleicht nur in der Eile geschehenen Verwechselungen für die nächste Gelegenheit zu beseitigen.

Flaggen11 [2]

Ganz besonders schön geschmückt ist das Bundeslokal von Töffling an dem neuen Markt, das Rathhaus und die Front des C. E. Goldmann’schen Hauses. Auf den freudigen Gesichtern der Menschenmenge, die am Vorabend des Festes die Straßen der Stadt durchwogte, um die Ausschmückung anzusehen, konnte man deutlich die Befriedigung lesen die jeder über den gelungenen Schmuck empfand, und trotz des am Abend leise hernieder rieselnden Regens zog freudige Festesstimmung in jede Brust und als um 9 Uhr unsere Stadtkapelle mi dem

Zapfenstreich

die Straßen durchzog, der auf dem Markte in das herrliche „Ich bete an die Macht der Liebe“ ausklang, da sah jeder voll Stolz und Zuversicht dem kommenden Feste entgegen. Am Sonntag früh um 5 Uhr ertönte der

Weckruf

und im Anschluß daran das schöne Lied „Freut euch des Lebens“. Freudig bewegt sprangen die Schläfer aus den Betten, um den ersten Blick besorgt gen Himmel zu richten. Doch, Gott sei Dank, er war zwar nicht wolkenlos, aber man konnte, doch die Hoffnung hegen, daß es wenigstens trocken bleiben würde.

Um 6 1/ Uhr traten der Empfangsausschuß und eine Abtheilung Schützen vor dem Bundeslokal an und marschierten mit Musik und der Fahne nach dem Bahnhof, um die ankommenden Schützen zu begrüßen. Unter den Klängen eines lustigen Marsches lief um 7 Uhr 16 Minuten der Zug ein; dem nahe an 200 Schützen in den verschiedensten Uniformen entstiegen; auf dem Anfahrtsplatz ordneten sie sich gildenweise zum Zuge und nachdem Herr Kannewischer einige herzliche Begrüßungsworte gesprochen, ging es unter Vorantritt der Röschke’schen Kapelle, die aber schon beim Hause ihres Dirigenten abtrat, während von da ab die vorzüglich geschulte Kapelle des Herrn Post aus Schwiebus die Führung übernahm, der Feststadt zu, wo eine frohbewegte Menge den Zug geleitete.

Man sah es den Gesichtern der fremden Schützen an, daß sie freudig überrascht werden von dem festlichen Aussehen unseres schmucken Städtchen. Nachdem vor dem Rathhaus die Fahnen abgebracht waren, wurden die Gäste zu Töfflings Hotel geleitet, wo die Wohnungskarten ausgegeben wurden.

Unterdessen rückte der Empfangsausschuß wieder unter klingendem Spiel nach dem Morzynski’schen Gasthof, wo die Schützen aus Neustadt b. P., Lentschen und Tirschtiegel eben eingetroffen waren. Nachdem ihnen Herr Ober-Steuer-Kontrolleur Linder ein herzliches Willkommen entgegengebracht hatte, marschierten auch sie vor das Rathhaus, und nach dem Abbringen der Fahnen zum Bundeslokal, um die Wohnungskarten in Empfang zu nehmen. Hier konzertirte die Post’sche Kapelle und Gäste und Einheimische saßen gemüthlich beim Frühschoppen beisammen.

Um  10 1 / 2 Uhr trat der

Bundesvorstand

im Saale des Rohlfing’schen Hottel „zum schwarzen Adler“ zu einer Versammlung zusammen, um über die Bundesangelegenheiten zu berathen. Nach einer Begrüßung durch den Bundesvorsitzenden, Herrn Bürgermeister Witte, die in ein Hoch auf Sr. Majestät den Kaiser aus klang, erstattete der Geschäftsführer Herr Bernhardt dem Geschäfts-, und Kassenführer Herr Bruttig den Kassenbericht. Sodann wurde über verschiedene Angelegenheiten Beschluß gefaßt und zum Festort für das nächste Bundesschießen Schwiebus gewählt.

Inzwischen ergoß sich ein furchtbarer Gewitterregen über die Stadt und Angst und Sorge beschlich so manches Gemüth, ob die Witterung wohl das schöne Fest stören würde. Aber der Himmel hatte ein Einsehen und wenn auch gegen zwei Uhr noch einige Tropfen fielen, so hellte es sich doch bald auf, um den ganzen Nachmittag schön zu bleiben. Den Glanzpunkt des Festes bildete der überaus prächtige

Herzlich-Willkommen-1 [3]Festzug

der sich gegen 2 1/2 Uhr Nachmittags, nachdem die Fahnen vom Rathhaus abgeholt waren, von der Neustädter Chaussee aus in Bewegung setzte. Voraus ritt auf stolzem Rappen ein Herold zu Pferde in prächtigem Wams und altdeutschem Hut mit wallenden Straußenfedern, sein muthiges Pferd mit vollendeter Sicherheit beherrschend.

Ihm folgte eine Abtheilung von 8 jungen Leuten in blauem Kittel und weißem, breitrandigem grünbebändertem Panamahut, über der Schulter mit Hopfenranken umwundene Stäbe tragend, was ein sehr hübsches Bild abgab und allgemein gefiel.Unter Vorantritt eine Tambour-Majors mit grüner Schärpe folgte das Musikchor des Herrn Post, dahinter in brennend rothen Jacken und Mützen drei Zieler, die von Herrn C. E. Goldmann entworfene Festscheibe und Zielerstäbe tragend. Hinter dem Kommandeur der Neutomischeler Schützengilde und seinem Adjutanten wurde die etwa 50 Jahre alte grüne Schützenfahne, geleitet von Schützen, und dahinter auf einer Stange das Stadtwappen von einem prächtig in Sammet und Seide gekleideten Herold zu Fuß getragen.

Nun kamen der Bundesverband, – der Bundeskönig ist dem Feste fern geblieben-, die Festausschüsse und dann die einzelnen Gilden in einer durch das Loos bestimmten Reihenfolge, zuletzt die einheimische. Vor jeder Gilde trug je ein Knappe in wundervollen farbenprächtigem, altdeutschem Gewande eine Tafel mit dem Namen des Heimathortes der betreffenden Gilden, die ihre Fahnen im Zuge führten. Ein zweites Musikchor war etwa vor dem letzten Drittheil des Zuges eingeschoben, der über 300 Mann stark war und 12 Fahnen mit sich führte.

Stadtwappen-4 [4]Vor dem Rathhaus wurde in zwei Zügen aufmarschiert, um die Ehrengäste abzuholen, die geführt von dem Herrn Oberstleutnant von Zawadzky und dem Herrn Landrath v. Daniels die Front abschritten und dann bei dem Bundes-Vorstand mit eintraten. Herr Bürgermeister Witte begrüßte nun die fremden Schützen und Ehrengäste in doppelter Eigenschaft, als Vorsitzender des Schützenbundes Neumark – Posen und als Oberhaupt des Festortes mit herzlichen Worten, sprach seinen Dank für das zahlreiche Erscheinen aus und hieß sie, allen ein freudiges Fest wünschend, willkommen.

Dann marschierte der Zug durch die Goldstraße nach dem alten Markt und nahm hier in einem gewaltigen Viereck um das Kriegerdenkmal Aufstellung, was ein Bild von großartiger Wirkung abgab: Gilde an Gilde gereiht in den mannigfachsten zum Theil malerischen Uniformen, überragt von den zahlreichen prächtig gestickten Fahnen.

Vor dem Denkmal hielt nun Herr Landrath v. Daniels eine schwungvolle

Rede.

Anknüpfend an die Worte des Dichters (Simon Dach, *29. Juli 1605 in Memel, + 15. April 1659 Königsberg):

„Der Mensch hat nichts so eigen,
Nichts steht ihm so wohl an,
Als daß er Treu erzeigen
Und Freundschaft halten kann!“

bezeichnete Redner die Uebung bürgerlicher Tugenden, die Pflege der Treue und Freundschaft als die Aufgabe der Schützengilden, deren Sache es nicht sei, Politik zu treiben, wenn es auch in dieser Beziehung einst anders gewesen sei und die Schützengilden mitgewirkt hätten bei der Bekämpfung unbotmäßiger Elemente. Die Pflege der Treue und Freundschaft sei ein gute Bürgschaft für die Dauerhaftigkeit der Schützengilden, zugleich auch die Quelle der Sympathien unseres Volkes für die Schützenbrüderschaften.

Treue zu erzeigen sei eine Forderung unserer Zeit, einer Zeit der Sammlung Aller, die ernstlich gewillt seien, für unsere heiligsten Güter, für die Errungenschaften großer Zeiten einzutreten. Der Mahnruf des Kaisers zur Sammlung um die Fahne der Zucht und Ordnung, des Schutzes aller nationalen Arbeit sei beherzigenswerth und von allen Patrioten mit freudiger Genugthuung begrüßt worden. Treue müsse erzeigt werden unserm Gott, unserer Religion, dem Kaiser und dem Reiche, und die Freundschaft habe dabei helfend einzutreten, und dem Schwachen, der dem Blendwerk trügerischer Verlockungen nicht zu widerstehen vermöchte, liebreich die Bruderhand zu bieten.

Indem Redner schließlich es freudig und dankbar begrüßte, daß der Schützenbund Neumark – Posen an unserem schlichten und doch so hehren Kriegerdenkmal Halt gemacht habe, um untrügliche Beweise der Treue und Freundschaft an einer Stelle zu geben, die so recht dazu geschaffen sei, uns zu mahnen an die idealen deutschen Heldengestalten, an einer idealen Weltanschauung überhaupt festzuhalten, forderte er den Bund auf, alle Zeiten eine feste Stütze von Altar und Thron zu sein und mit diesem Gelöbniß den ersten Festesgruß dem Träger der Krone, der Krone von Gottes Gnaden, unserem geliebten Kaiser und König zu bringen.

Unter „präsentirtem Gewehr“ stimmten die Mitglieder des Bundes begeistert ein in den Ruf: Unser Kaiser und König, Wilhelm II. Hurrah, Hurrah, Hurrah.

Nachdem im Anschluß an diese Rede, die auf jeden einen packenden ergreifenden Eindruck machte, der erste Vers der Nationalhymne gesungen war, setzt sich der Zug wieder in Bewegung und marschierte nun durch die Posener Straße nach dem Schützenhause. Ueber die schlechte Beschaffenheit des vorher sorgfältig hergerichteten, jetzt durch den gewaltigen Regenguß des Vormittags etwas aufgeweichten Weges half der allzeit gute Schützenhumor hinweg und fröhlich strömte draußen alles den Schießständen – und dem goldenen Gerstensaft entgegen.

* * *

Fortsetzung folgt

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Quellen, soweit nicht direkt im Text oder in Bildbeschreibungen angegeben: Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra) – “Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel” 1897 (wie immer wurde die Schreibweise aus der Original Veröffentlichung beibehalten)