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Vom Tabakbau in der Provinz Posen

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Oskar Eulitz – Verleger zu Lissa

Dieser Artikel und auch die Bilder wurde entnommen aus: „Aus dem Posener Lande“ – Monatsblätter für Heimatkunde – 6. Jahrgang – Heft 9 – erschienen im September 1911 – Herausgegeben von Stadtbibliothekar Professor Dr. Georg Minde-Pouet in Bromberg – Verlegt von Oskar Eulitz, Lissa in Posen und digitalisiert durch: http://www.wbc.poznan.pl/dlibra

Auch in den evangelischen Kirchenbüchern der Gegend Neutomischel finden sich ab und an Erwähnungen, dass Tabakanbau und -handel betrieben wurde, einige Beispiele sind:

Tabakplanteure: Alt Tomysl: Johann George Elias, Duschnik: Jocob Leschke, Neustadt: Johann Selchen, Gottlieb Pfeiffer, Polnisch Bömisch: David Ratz, Strelz: Paul Dede, Usenszic: Martin, Hensel, Wielichowo: Peter Krüger, Wollstein: Gottlieb Rabow

Tabakspinner: Neustadt: Johann Friedrich Pfeiffer, Neutomischel: Johann Joseph Pfeiffer, Pinne: Johann Samuel Günther

Tabakfabrikanten: Alt Tomysl: Johann Christian Leske, Grätz: Johann Martin Musch

* * *

Das schöne Herbstwetter lässt mir keine Ruhe, es treibt mich hinaus, durch Feld und Wald zu wandern. Wie ein Feuerball steht die Sonne am Himmel, ihre goldigen Strahlen zur Erde sendend. Überall auf den Feldern sieht man geschäftiges Treiben. Die letzten Gaben des Herbstes müssen eingeerntet werden. Altweibersommer zieht seine langen Fäden von Baum zu Baum, als wollte er mir den Weg versperren. Freudig schreite ich weiter, die weißen Fäden zerreißend. Wie wandert’s sich so schön! Ein schattiger Wald winkt mir mit seinen immergrünen Zweigen.

„Grüß Gott!“ tönt es mir da plötzlich entgegen.

„Ah! Grüß Gott! Hat dich das schöne Wetter auch hinaus gelockt?“

„Gewiss, man muss es doch genießen, solange es noch geht.“

„Du rauchst ja schon wieder, als wenn ein Kossät‘ bäckt.“

„Lass mir doch das kleine Vergnügen, es ist ja fast das einzige, dass ich in meiner Einsamkeit habe. Darf ich dir eine anbieten?“

„Ich muss danken, du weißt ja: immer noch Nichtraucher!“

„Von denen kannst du schon eine vertragen: echt Havanna!“

„Havanna? – Wohl Posener Deckblatt mit Havanna-Einlage!“

„Wie meinst du das? Wird denn in der Provinz Posen Tabak angebaut?“

„Aber gewiss!“

„Wo denn?“

„In den Dörfern Rogsen, Chlastawe und Kuschten im Kreise Meseritz und Gollmütz im Kreise Schwerin a.d.W.“

„Kannst du mir vielleicht etwas Genaueres vom Tabakbau erzählen?“

„Gern! – Höre:

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Blühende Tabakpflanze

Der Tabak ist von von Linné nach dem französischen Gesandten Nicot Nicotiana benannt worden. Er gehört in die Familie der Solanazeen. Die Pflanze hat eine starke Faserwurzel. Der starke, 1 ½ bis 1 ¾ Meter hohe Stengel ist kurz behaart, klebrig, kantig und sehr holzig. (Die Pflanze auf der Abb. ist annähernd 2 Meter hoch, allerdings in keinem der genannten Dörfer gewachsen, sondern in den Frühbeeten zu Polanowitz, Kreis Strelno.) Die lanzettlichen Blätter des virginischen Tabaks – Nicotiana tabacum – erreichen eine Breite von 25-30 cm und eine Länge von 50-60 cm. Der türkische oder Bauerntabak – Nicotiana rustica – mit eiförmigen Blättern wird in der Provinz Posen fast gar nicht angebaut. Die starke Mittelrippe tritt auf der unteren Blattseite bedeutend, oft bis zur Stärke eines kleinen Fingers, hervor. Die Blüten stehen in ausgebreiteten Rispen, sind langröhrig und von hellroter Färbung. Die Blumenkrone ist eine Glocke mit fünfzähnigem Saume. Auch der grüne Kelch ist fünfzähnig und bleibend. Die Frucht ist eine zweiklappige Kapsel mit sehr zahlreichen, kleinen dunkelbraunen Samen.

Ende August werden die großen Rispen abgeschnitten und in luftigen Räumen zum Trocknen aufgehängt. Die trocknen Fruchtkapseln zerreibt man im Frühjahr und gewinnt so die Samenkörner. Ende März werden diese mit etwas Erde vermengt, angefeuchtet in einen Lappen geschlagen und an einem warmen Orte zum Keimen gebracht. Die gekeimten Samenkörner werden dann nach ungefähr 14 Tagen in Beete gesät. Die aufgehenden Pflänzchen müssen sehr häufig begossen werden. Nachts schützt man sie durch dicke Strohdecken vor Frost. Die grünen Pflanzen stehen bald so dicht, dass man unter ihnen den Erdboden nicht mehr erkennen kann. Sie werden oft mit gesiebtem Straßenabraum bestreut, damit sie mehr Wurzeln anlegen können.

Ende Mai und Anfang Juni werden die jungen Pflanzen aus dem Garten in Abständen von 25-30 cm auf den in Beete geteilten Acker verpflanzt. Damit die Pflanzen in frische Erde kommen, muss „vorgestochen“ werden, d. h. der Acker wird an den Stellen, wohin die Pflanzen kommen sollen, umgegraben. Nach zwei bis drei Wochen wird der Tabak behackt und beim zweiten Behacken auch behäufelt. Bei warmer, nasser Witterung wächst der Tabak bald soweit, dass er den Acker wie mit einem grünen Tuche vollständig bedeckt.

Bald zeigen sich auch die Blütenköpfe. Pflanzen, an denen die Blüte zur Entwicklung kommt, haben Blätter von nur geringer Größe. Um größere Blätter zu erzielen, „köpft“ man den Tabak. Die Blütenköpfe werden in einer bestimmten Höhe abgebrochen, so dass die Pflanze nur acht bis zehn Blätter behält. Nur einige Stauden werden der Samengewinnung wegen zur Blüte gebracht. Bad nach dem Köpfen erscheinen in den Blattwinkeln neue Triebe, „Geiz“ genannt. Der Tabak wird nun „gegeizt“, d. h. die jungen Triebe werden herausgebrochen, damit die Pflanze ihre ganze Kraft ungeteilt den Blättern zuwenden kann.

Anfang August ist der Tabak reif. Die unteren Blätter, Sandblätter genannt, werden gelb, die übrigen Blätter werden abgebrochen und, nachdem sie etwas gewelkt sind, angereiht. Die Mittelrippe des Blattes wird mit einer ungefähr 40 cm langen Nadel durchstochen und auf eine Schnur gezogen. Eine nicht geringe Arbeit, die von jung und alt zum größten Teil am Abend im Kreise der Familie, Verwandten und Bekannten ausgeführt wird. Der angereihte Tabak wird einige Zeit in dazu gebauten Gerüsten, später in sehr luftigen Innenräumen getrocknet. Zu dicht aufgehängter Tabak schimmelt oder bekommt besonders bei feuchter Witterung den „Brand“.

Die beim Abblatten stehen bleibenden „Strünke“ treiben schnell frischen Geiz. Damit diese minderwertigen Blätter nicht unter die Ernte gemischt werden können, müssen die Strünke innerhalb einer festgelegten Zeit beseitigt sein.

Schon im September wird der Tabak an Fabrikanten oder „Spinner“ verkauft. Der aus Rogsen und Chlastawe kommt zum größten Teil nach Brätz, Schwiebus, Landsberg a.d.W. Der Zentner bringt durchschnittlich 20-26 Mark, oft auch mehr. Vor zwei Jahren (1809) wurde für einen Zentner bis zu 37 Mark gezahlt. Von einem Morgen werden durchschnittlich zehn Zentner geerntet. Der Tabakbau ist mithin sehr lohnend, wenn nur die viele Arbeit nicht wäre. In den letzten Jahren ist der Tabakbau in der Provinz Posen immer mehr zurückgegangen. Es werden nur noch rund 50 Hektar bepflanzt. Noch weniger bepflanzt ist Westfalen, mit nämlich nur 0,2 Hektar, Schleswig-Holstein betreibt keinen Tabakbau.

Anfang November wird der Tabak von den Trockenböden abgenommen, zu größeren Bunden vereinigt und amtlich verwogen. Die Steuer, die der Käufer zu zahlen hat, beträgt für den Zentner 22,50 Mark. Bei Flächen von weniger als vier Ar ist die frühere Flächensteuer beibehalten worden. Sie beläuft sich auf 4,5 Pfennig für einen Quadratmeter. Wenn kaum die letzte Pflanze in die Erde gekommen ist, wird der zu erwartende Ertrag eingeschätzt. Da die Entwicklung des Tabaks sehr von Witterungseinflüssen abhängig ist, ist es selbstverständlich, dass der Ertrag auf dem Felde oft zu hoch eingeschätzt wird. Fehlt beim Verwiegen an der geschätzten Zahl von Zentnern etwas, so muss der Besitzer den Grund hierfür angeben(!).

Der Steuerertrag belief sich im Deutschen Reiche in den letzten Jahren auf etwa elf Millionen Mark. Der von dem aus dem Auslande kommenden Tabak erhobene Zoll betrug etwa 45 Millionen Mark, so dass Steuer und Zoll zusammen eine Belastung von nicht ganz einer Mark für den Kopf ergaben. Diese Zahl dürfte nach der Steuererhöhung von 1909 auf etwa 1,60 Mark gestiegen sein. Vergleicht man damit die Belastung anderer Staaten – Italien etwa mit 3,00 Mark für den Kopf, Vereinigte Staaten mit 4,10 Mark, Österreich 4,20 Mark, Spanien 4,30 Mark, England 5,10 Mark (nur Zoll, da der Tabakbau seit 1652 verboten ist), Frankreich 6,50 Mark -, so wird wohl auch jeder Raucher zugeben müssen, dass der Tabak schon noch eine kleine Steuererhöhung vertragen konnte.

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Links: Anreihen der Blätter auf die Nadel – Rechts: Abstreifen auf die Schnur; im Vordergrunde: abgeblattete Stengel – im Hintergrunde: Das Blatten

Lang ist die Leidensgeschichte des Tabaks. Während er bald nach seinem Bekanntwerden in Europa als Heilmittel benutzt und als eine „göttliche Pflanze“, ein Geschenk des Himmels“, eine „Zierde der Erde“ verherrlicht wurde, begannen bald Staat und Kirche einen langen Kampf gegen das „Satanskraut“. Papst Urban VIII. erließ 1624 eine Bulle gegen das Tabakschnupfen in der Kirche. Als Antwort erschien an der Bildsäule des Pasquino in lateinischer Sprache der Satz: „Gegen ein Blatt, das vom Winde fortgerissen wird, gehst du mit Macht vor, und einen dürren Halm verfolgst du?“ Da das Epigramm dem Papst gefiel, sicherte der dem Verfasser 500 Scudi Belohnung zu, aber Pasquino antwortete: „Gib sie dem Hiob!“ Der Vers steht nämlich Hiob 13, 25 (Frankfurter Zeitung). Jakob I. von England tadelte seine Untertanen in einer von ihm verfassten Schrift, dass sie „aus ihrem Innern eine Sudelküche machten und die edelsten Teile des Körpers mit fettigem Ruß beschmutzten“. In einem anderen Buche stellt er das Rauchen als das wahrhafte Bild der Hölle dar, das auch zur Hölle führt: „es macht trunken und toll im Kopf und ist der Hölle gleich in seinem Wesen; denn es ist ein stinkendes, ekelhaftes Ding.“ Ein Prediger rief seiner Gemeinde recht drastisch zu: „Damit man immer mehr saufen könne, macht man den Hals zur Feuermauer und zündet dem Teufel ein Rauchwerk an.“ Kant bezeichnet den Tabak als „das gemeinste Mittel von Sinnesempfindungen, es sei, ihn zu schnupfen oder auch durch Pfeifenröhren oder durch angezündeten Zigarro zu rauchen.“

In vielen Städten war das Rauchen auf den Straßen verboten. In Dresden wurde ein solches Verbot erst 1844 aufgehoben. Russland bestrafte das Rauchen mit Verbannung nach Sibirien. Nach dem großen Brande in Konstantinopel im Jahre 1633 wurden die Rauer in der Türkei sogar mit dem Tode bestraft.

Heute (1811) kennt man solche Verbote nicht mehr, man wird sie kaum für möglich halten. Wie viele sind es, denen die Zigarre oder das Pfeifchen in der Einsamkeit an Freundesstelle tritt, und die durch das edle Kraut bei der Arbeit angeregt werden. So behauptet es wenigsten ein unbekannter Dichter in einer Hymne auf den Tabak, die hier noch folgen soll:

Wenn mein Pfeifchen dampft und glüht,

und der Rauch von Blättern

sanft mir durch die Nase zieht,

Tausch‘ ich nicht mit Göttern.

Du trittst in der Einsamkeit

Mir an Freundesstelle;

Fehlt es mir an Zeitvertreib,

Nehm‘ ich’s Pfeifchen schnelle.

Schwindet dann der Rauch im Wind,

Fang‘ ich an zu lachen

Und denk: So vergänglich sind

Alle andern Sachen.

Edles Kraut, du stärkest mich,

Gibst mir Kraft und Leben.

Könnt‘ ich, edler Tabak, dich

Nach Verdienst erheben!

Schenk‘, o Himmel, diesem Kraut

Früh und spät den Regen

Und dem Landmann, der es baut,

Wonne, Glück und Segen.“