Das Warten auf die neue Orgel 1858-1861

Bild der heutigen Orgel der Herz-Jesu-Kirche

Bild der heutigen Orgel der Herz-Jesu-Kirche -Aufn. PM

Die Stadt Nowy Tomysl unterhält seit Dezember 1999 mit dem Amt Biesenthal-Barnim in Brandenburg eine Städtepartnerschaft. Dass zwischen beiden Städten bzw. Gemeinden eine noch weitaus ältere Verbindung besteht ist aus alten Unterlagen ersichtlich geworden.

1811 wurde in Biesenthal der Orgelbauer August Ferdinand Dinse geboren, er war späterer Mitbegründer und -inhaber der Orgelbaufirma Lang & Dinse in Berlin. In Biesenthal findet sich noch heute eine der wenigen in ihrer ursprünglichen Substanz erhaltenen Orgeln des Baumeisters. Sie gilt als ein Geschenk des Orgelbauers aus dem Jahr 1859 an seine Geburtsstadt.

1859 war auch das Jahr in dem die evangelisch-unierte Gemeinde zu Neu Tomysl von der Orgelbaufirma Lang & Dinse ihre neue Orgel hätte erhalten sollen.

Dieser Beitrag wurde zusammengestellt anhand von im Staatsarchiv zu Poznan verwahrten Akten, hier: Bestand: 53/893/0 Konsystorz Ewangelicki w Poznaniu » Serie: 17.82 Neutomischel – pow. Nowy Tomyśl » Einheit: 5366 – Bauten an der evangelischen Kirche … vol. II

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Im Februar 1858 fasste das evangelisch-unierte Kirchenkollegium von Neu Tomysl den Beschluss für die Kirche eine neue Orgel anzuschaffen. Die alte Orgel annähernd 70 Jahre alt, so wurde ausgeführt, verursachte „eine Menge“ Reparaturkosten, aber letztlich würden die Reparaturen nur ein „bestandloses Flickenwerk“ sein.

Seitens der Kirchenkollegiums war man nicht untätig gewesen und hatte zu diesem Zeitpunkt schon Erkundigungen über Orgelbauer und die von ihnen ausgeführten Arbeiten eingeholt; man hatte sich letztlich auf den Orgelbauer Adolf Alexander Lummert aus Breslau, der in jener Zeit auch die Aufstellung der Orgel in Ratibor vorgenommen haben soll, für die Durchführung des Orgelbaus in Neu Tomysl fixiert.

Für eine derartige Investition und Baumaßnahme war es Voraussetzung gewesen, dass die Königliche Hochlöbliche Regierung, Abteilung II für die Kirchenverwaltung und das Schulwesen, in Posen ihre Zustimmung erteilte. Als seitens des Kirchenkollegiums von Neu Tomysl um die Genehmigung ersucht worden war, erteilte die Regierung die Auflage einen zweiten Kostenvoranschlag des Orgelbaubetriebes Lang & Dinse, Berlin einzuholen.

Unter dem 20. Juli 1858 wurden, so der Text eines Anschreibens, die Kostenvoranschläge beider Orgelbauer, Lummert und Lang & Dinse, seitens der Gemeinde Neu Tomysl bei der Regierung in Posen zur Genehmigung eingereicht. Leider sind diese Kostenvoranschläge nicht in den Unterlagen erhalten geblieben, sodass keine Einzelheiten bekannt sind.

Bild der Kirche aus der "kurzgefassten Chronik" aus dem Jahr 1888

Bild der Kirche aus der „kurzgefassten Chronik“ aus dem Jahr 1888

Anfang Oktober 1858 wurde man bezüglich einer Regierungsentscheidung in Neu Tomysl ungeduldig und erlaubte sich dort nachzufassen. Die Antwort kam auch umgehend – zur Bearbeitung der Angelegenheit durch die letztlich zuständige Superrevision in Berlin, fehlte die Einreichung einer Zeichnung des Grundrisses der Kirche. Diese Aussage hatte aber schon Mitte Oktober 1858 keine Gültigkeit mehr. Unter dem 13. Oktober wurde dem Kirchenkollegium mitgeteilt, dass man beide Kostenvoranschläge erhalten habe, dass man das Angebot mit den Baukosten von 1.600 Mark der Firma Lang & Dinse genehmige. Als Voraussetzung der Genehmigung galt, dass das Geld zur Bestreitung der Baukosten in der Kirchenkasse vorhanden zu sein habe. Der angeforderte Grundriss der Kirche sei nicht mehr erforderlich.

Der Vertrag zur Ausführung des Baus der Orgel in Neu Tomysl war letztlich unter dem 28. Dezember 1858 datiert, konnte aber durch eine verspätete Rücksendung seitens der Firma Lang & Dinse erst per 02. Januar 1859 in Posen zur notwendigen letzten Prüfung und Genehmigung eingereicht werden. Letztere wurde dann per 18. Januar 1859 erteilt.

Ohne die Zeit der Einholung von Auskünften zu berücksichtigen, war annähernd ein Jahr für Planungen und Genehmigungen vergangen.

Leider sind keine Einzelheiten aus dem Vertrag zwischen der Gemeinde Neu Tomysl und dem Orgelbauunternehmen Lang & Dinse bekannt. Zu Beginn scheinen die Arbeiten in einem vereinbarten Zeitrahmen stattgefunden zu haben, doch dann kam es zu Verzögerungen, die die Geduld der Neutomischler auf eine harte Probe stellten.

Seitens der Königlichen Hochlöblichen Regierung wurden von dem Kirchenkollegium Zwischenbescheide über den Fortgang des Orgelbaus angefordert. Unter dem 17. Juli 1859 antwortete diese, dass man seitens Lang & Dinse zum Monatsbeginn einen Zwischenbescheid angefordert und gerade erhalten habe:

“ Erwidere auf Zuschrift vom 7. des Monats, dass seit Bestellung der Orgel für die Kirche daselbst die Theile des Werkes in Angriff genommen. Einige Theile schon vollendet sind und sobald die Witterung im Winter einigermaßen erträglich ist komme ich zum Aufbau dorthin und stelle das Werk auf. Berlin, den 18. Juli 1859

Wie schon geschrieben entsprach diese Antwort zu Beginn der Orgelbauarbeiten scheinbar noch dem vereinbarten Terminplan. Der geplanten Einweihung der Orgel für den Sonntag nach Ostern im Jahr 1860 schien nichts im Wege zu stehen.

Doch der geplante Einweihungstermin verstrich ohne neue Orgel in der evangelisch-unierten Kirche zu Neu Tomysl. Abgezeichnet hatte sich der Niedergang aller terminlichen Planungen schon um die Weihnachtszeit 1859. Keiner der zu jener Zeit gewechselten Briefe wurde aufgefunden, vielleicht sind diese auch nicht mehr erhalten; in einem Schreiben vom 24. April 1860 welches seitens des Kirchenkollegiums an die Königliche Hochlöbliche Regierung in Posen gerichtet wurde, findet sich aber die ganze Misere recht deutlich beschrieben:

Unterschrift des Orgelbauers F. Dinse

Unterschrift des Orgelbauers F. Dinse

„… nach einem Schreiben des Orgelbauers Dinse von Weihnachten schrieb derselbe, dass die Theile der Orgel größtentheils fertig wären und er sobald der Winter etwas leidlich werden würde, er sogleich die Orgel aufstellen wollte. Als wir im Laufe des Winters ihn an sein Versprechen erinnerten, schrieb derselbe über die Vollendung ganz unbestimmt und bemerkte zugleich, dass er im Winter nie eine Orgel aufstellte, und noch hatte er in seinem Contrakte dieses Bedenken gar nicht geäußert. Nach dem Contrakte sollte die Orgel schon den Sonntag nach Ostern eingeweiht werden, und er willigte auch beim Abschluß des Contraktes ein, sich für jede Woche der Verzögerung einen Abzug von 30 Mark gestatten lassen zu wollen. Wir haben etwa 3 Wochen vor Empfang des hohen Schreibens vom 31. März abermals an den Orgelbauer geschrieben und bestimmte Auskunft über die Vollendung und den Termin der Aufstellung gefordert, haben aber bis heute noch keine Antwort bekommen. Wir wissen daher gar nicht, wie es mit dem Bau steht und die Leute wollen schon die Geduld verlieren und das Vertrauen zu dem Orgelbauer …“

Im Mai 1860 versicherte Dinse dann, dass eine Aufstellung im Juli stattfinden werde. In einem Schreiben vom 26. August 1860, noch immer war nichts passiert, findet sich eine weitere Beschreibung der Umstände aus Sicht der Neutomischler in einem weiteren Bericht nach Posen: „…Schon an Ostern sollte unsere neue Orgel fertig sein und ist bis heute noch keine Anstalt dazu. Der Orgelbauer schiebt es immer weiter hinaus und erfüllt nie seine Versprechen. Wir haben schon oft erinnert und immer hat er Ausflüchte. Vor etwa 6 Wochen war er hier und versprach ganz gewiß spätestens in 3 Wochen die Orgel zu bringen und es ist schon über einmal so lange vergangen und er gibt keine Nachricht und kommt auch nicht … kommt nun bald der Herbst und wer weiß ob nicht die nasse Witterung fortdauert oder noch ärger wird und das Werk Schaden leidet …“.

Mit einem Schreiben datiert vom 3. September 1860 schreibt Dinse dann an die Königlich Hochlöbliche Regierung in Posen: „… das Orgelwerk trifft in den Tagen vom 18. bis 20. September dort ein, und werde selbige möglichst schnell aufstellen und durch ein vorzüglich schönes Werk das Kirchencollegium derart zufrieden stellen, dass diese Verzögerung nicht mehr erwähnt werden wird“.

Erst am 20. Mai 1861 berichtete das evangelische Kirchenkollegium letztlich an die Regierung in Posen, dass es doch noch zu einem guten Ende gekommen sei: „Euer Königlichen Hochlöblichen Regierung berichten wir ganz ergebenst über die stattgefundene Einweihung der hiesigen neuen Orgel nachstehend folgendes:

Blick auf die heutige Orgel in der Herz Jesu Kirche- Aufn. PM

Blick auf die heutige Orgel in der Herz Jesu Kirche- Aufn. PM

„Nachdem am Sonnabend, den 11 Mai, die hiesige neue Orgel durch den Cantor und Lehrer Neumann aus Hammer Boruy besichtigt worden war, dessen Gutachten dabei liegt, wurde dieselbe am 12. Mai, am Sonntage Exaudi, feierlich eingeweiht, und zwar in folgender Art: Der Gottesdienst begann mit dem Liede: Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut pp. bis zum 6. Vers ohne Orgelbegleitung. Hierauf folgte die Liturgie und die 2te Hälfte des angefangenen Liedes. Daran schloss sich die Weiherede, und der Chor sang das Amen zum ersten Male von drei vollen Akkorden der Orgel begleitet, welches den eigentlichen Weihe-Act schloss. Der Cantor Neumann zeigte nun in einem längeren Vorspiel, was die neue Orgel zu leisten im Stande ist, worauf ein Gesang für gemischte Chöre mit Orgelbegleitung folgte. Nun begann das Hauptlied: Allein Gott in der Höh sei Ehr pp., worauf die Festpredigt gehalten wurde. Zum Schlusse wurde mit freudig bewegten Herzen von der Gemeinde noch das Lied angestimmt: Nun danket alle Gott pp. Gott, der bis hierher geholfen, helfe glücklich weiter und lasse unsere Gemeinde als eine Pflanzstätte wahrhaft religiösen Glaubens und Lebens immer … und fröhlicher erblühen.

Eine Rechnungslegung über Einnahmen und Ausgaben für den Bau der neuen Orgel kann jetzt noch nicht stattfinden, da der Orgelbauer kontraktmäßig die letzten Raten erst nach 1 und 2 Jahren empfängt.“

Es war also geschafft mit 1-jähriger Verspätung war die neue Orgel der evangelischen-unierten  Gemeinde zu Neu Tomysl eingeweiht worden. Die Planungen hatten offiziell im Februar 1858 begonnen und am 12. Mai 1861 hatte die feierliche Einweihung stattgefunden.

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Die Kirche mit dem abgebrannten Turm, bei diesem Brand wurde die Orgel auch die Orgel in großen Teilen vernichtet - Karte aus der Sammlung von Wojtek Szkudlarski

Die Kirche mit dem abgebrannten Turm, bei diesem Brand wurde auch die Orgel in großen Teilen vernichtet – Karte aus der Sammlung von Wojtek Szkudlarski

Abschließend stellt sich dem Leser jedoch, eine nicht zu beantwortende Frage: Fa. Lang & Dinse hatte einer Zahlungsminderung von 30 Mark pro Woche zugestimmt, die Kosten der Erstellung der Orgel waren mit 1.600 Mark veranschlagt gewesen, wie hat man sich hier schlussendlich wohl geeinigt ?

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Die eingangs erwähnte „alte“ reparaturbedürftige um 1788 erbaute Orgel war trotz ihrer Schwächen noch von der evangelisch-lutherischen Gemeinde für ihre im Jahr 1858 errichtete Kirche angekauft worden. Dort wurde sie noch weitere 30 Jahre genutzt. Letztlich wurde sie , da sie „zeitweilig gänzlich ihren Dienst versagte“, in einem Alter von annähernd 100 Jahren ausrangiert.