Raubmord im Wald von Posadowo – 1913

Die Chaussee von Pinne nach Neustadt, ca. 9 km, ein Fußweg von annähernd 2 Stunden / Messtischblätter http://mapy.amzp.pl/tk25.cgi?23,48,60,80

Die Chaussee von Pinne nach Neustadt, ca. 9 km, ein Fußweg von annähernd 2 Stunden / Messtischblätter http://mapy.amzp.pl/tk25.cgi?23,48,60,80

Nachfolgend die Berichterstattung aus dem Neutomischler Kreisblatt des Jahres 1913:

1913-08-22 „Am Mittwoch 20. August 1913 abend ist der 21 Jahre alte, unverheiratete Handlungsgehilfe Stephan Witkowski, als er von Pinne mit einer größeren Summe Geldes nach Neustadt b. P. heimkehrte, ermordet und der ganzen Barschaft beraubt worden.

Der Ermordete war der Sohn des Sattlermeisters W. Witkowski aus Samter und bei der polnischen Ein- und Verkaufsgesellschaft Rolnik in Neustadt b. P. angestellt.“

Stephan Witkowski – geboren 10. Juli 1893 zu Samter

Vater der Sattlermeister Wladislaus Witkowski, Mutter Antonie Witkowska geborene Knie

„Die Leiche des jungen Mannes wurde am Donnerstag früh von der Pilzesuchenden Arbeiterfrau Michalina Kaczmarek aus Posadowo gefunden, welche auf dem Gute Posadowo den grausigen Fund sofort meldete.

Die schnell telephonisch verständigte Staatsanwaltschaft in Posen mit einem Polizeihund sowie der Kreispolizeihund aus Neutomischel mit seinem Führer trafen noch im Laufe des Vormittags an der Mordstätte ein, um die Ermittelungen aufzunehmen.

Die Leiche wies nur zwei Schußwunden auf. Die ein Revolverkugel war vom Nacken aus in den Kopf eingedrungen und zum linken Auge wieder herausgetreten, wie der neben der Leiche liegende Klemmer bewies, denn das linke Augenglas war zertrümmert worden. Der zweite Schuß war ebenfalls von hinten abgefeuert worden, denn der Schußkanal ging von der linken Rückenseite nach der linken Brustgegend. Beide Schüsse müssen in unmittelbarer Nähe des Opfers abgefeuert sein, wie die an den Schußwunden befindlichen Brandstellen beweisen. Da der Tatort etwa 1000 Schritte von dem Komunikationswege zwischen Posadowo und Pinne mitten im Walde liegt, die Leiche auch weiter keinerlei Verletzungen aufweist, die auf einen stattgefundenen Kampf schließen lassen, so steht fest, daß der Bedauernswerte meuchlings getötet worden ist.

Es ist verwunderlich, aus welchem Grunde der junge Mann den Weg nach Posadowo wählte und nicht die direkte Chaussee Pinne-Neustadt. Daß er mit einem Fremden in den Wald gegangen sein würde, der ihn aus nächster Nähe von hinten erschießen konnte, ist ebenfalls kaum anzunehmen. Jedenfalls wäre dies kaum verständlich.

Der Polizeihund „Pfeil“ aus Posen, der zuerst arbeitete, verfolgte eine Fährte von der Leiche aus, deren Kleidung vollständig durchsucht war, nach der Neustädter Chaussee zu. Der Polizeihund „Fritz“ aus Neutomischel dagegen stellte zunächst einen im Gebüsch in der nahen Sandgrube verborgenen Arbeiter namens Andreas Walinowski aus Neustadt b. P. Dieser gaben an, daß er sich nur verborgen habe, um etwas zu sehen, da sonst der Ort polizeilich abgesperrt war. Der Hund verfolgt darauf die Spur weiter nach der Richtung des Posadowoer – Pinner Weges. Leider verlor das Tier in den auf der Chaussee stehenden nach hunderten zählenden Neugierigen die Fährte. Da beide Hunde eine andere Spur aufnahmen, ist anzunehmen, daß der eine den Eingangsweg der beiden Männer in den Wald, der andere die Ausgangsspur des Raubmörders verfolgt hat.

Zuletzt ist der Ermordete, der auch sein Fahrrad bei sich hatte, auf der Chaussee Pinne – Neustadt b. P. in Begleitung des zu Fuß gehenden Getreidehändlers Flechner aus Pinne gesehen worfen, wie zwei Zeugen bekundeten. Dieser war gestern nach Posen gereist und kann vielleicht über den Verbleib des Opfers Auskunft geben. Hoffentlich gelingt es den Behörden, den Verbrecher zu ermitteln, damit er der irdischen Strafe nicht entgeht.“

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1913-08-25 „Ueber den grausigen Raubmord, über den wir bereits in letzter Nummer berichteten, ist noch nachzutragen, daß der Polizeihund „Prinz“ aus Neustadt b. P. mit seinem Führer, Polizeisergeant Breuer, sich an der Ermittelung beteiligt und auch ein Spur aufgenommen hat.

Der ermordete Stephan Witkowski hatte am Mittwoch in Pinne, wo der „Rolnik“ eine Filiale besitzt, verschiedene Geschäfte zu erledigen, unter anderem auf dem Pinner Wochenmarkte Getreide aufzukaufen. An Geld mag er etwa 2000 Mark bei sich geführt haben. Bei Gerichtsvollzieher Kretschmann hatter er noch geschäftlich zu tun. Dieser wollte nun mit dem jungen Mann nach Neustadt ins Hauptgeschäft kommen und ließ ihn einstweilen vorausfahren. Auf dem Wege holte er ihn ein sah ihn mit dem Getreidehändler Flechner von Pinne in einem Gespräche. Kretschmann fuhr deshalb allein weiter.

Als der junge Mann abends noch nicht kam, schöpfte man Verdacht und forschte nach seinem Verbleib. Trotz eifrigen Nachforschens wurde er erst am anderen Morgen als Leiche gefunden. Der Verdacht, den scheußlichen Mord begangen zu haben, richtete sich sofort auf Flechner, mit dem der Ermordete zum letzten Male gesehen wurde.

Flechner steht im Vermögensverfalle, hat aber noch am Mittwoch abend einen Gläubiger mit einem größeren Betrage befriedigen können. Angeblich will er diesen Betrag in Posen beim Spiel gewohnnen haben. Vormittags verreiste er und kam nachmittags 5 Uhr wieder in Pinne an. Dort erwartete ihn schon der Kriminalkommissar Wiesenhütter aus Posen und Polizeisergeant Sodtke von Pinne. Bei ihm wurden ein Browningrevoler gefunden, aus dem 2 Schüsse abgegeben waren. Flechner stammt aus gutsituierter geachteter Familie in Koschanowo und steht in der Mitte der dreißiger Jahre. Er ist jung verheiratet und Vater von zwei kleinen Kindern.

Die Leiche des Ermordeten wurde nach der Leichenhalle in Posadowo gebracht. Freitag nachmittags erschien dortselbst eine Gerichtskommission zur Abhaltung eines Lokaltermins. Der mutmaßliche Mörder wurde vor die Leiche geführt, leugnete aber hartnäckig die Tat. In geschlossenem Wagen wurde er dann von mehreren Polizisten nach Pinne zurückgeführt, um von dort nach Posen transportiert zu werden.

Wie die Sezierung der Leiche ergab, muß der Mörder sein Opfer durch zwei Schüsse, die in einem Zeitraum von 6-8 Sekunden aufeinanderfolgten, meuchlings niedergesteckt haben. Jede Kugel hatte das verlängerte Mark gestreift, das Gehirn durchbohrt war dann am Nasenbein nach links abgeprallt und im vorderen Schädelknochen stecken geblieben. Tieferschütternd war es, als die bedauernswerten Eltern, die auf die Unglücksnachricht hin sofort herbeigeeilt waren, ihren ältesten Sohn in der Blüte des Lebens dahingerafft erblickten.“

1913-08-27 „Zum Raubmord im Posadowoer Wäldchen erfahren wir noch folgendes: Die aus dem Körper des ermordeten Kaufmanns Witkowski entfernten Kugeln stammen ohne Zweifel aus der bei Flechner beschlagnahmten Browning-Pistole. Der Waffensachverständige stellte fest, daß aus dem Browning vor kurzer Zeit 2 Schuß abgegeben worden sind. Der Lauf der Browning hatte einen Fehler, durch den jede Kugel beim Abschießen geritzt wurde. Sowohl die in dem Ermordeten vorgefundenen Kugeln als auch eine probeweise abgeschossene zeigten deutlich diesen Riß.

Flechner bestreitet nach wie vor, den Mord ausgeführt zu haben, trotzdem die Beweise geradezu erdrückend sind. Er bestreitet auch auf dem Posadowoer Wege mit dem Ermordeten zusammen gegangen zu sein und will sich bereits auf der Chaussee von ihm getrennt haben.

Bei der an Ort und Stelle erfolgten Gegenüberstellung haben zwei Zeugen aber mit Bestimmtheit bekundet, daß sie ihn zusammen mit Witkowski auf dem fragl. Wege gehend gesehen haben. Ein Mädchen aus Zgierzynka will um die Zeit, als der Mord passiert ist, im Posadowoer Wäldchen 2 Schüsse gehört und einige Zeit darauf einen Mann aus dem Walde kommend gesehen haben. Auch diese hat bei der Gegenüberstellung in Flechner diesen Mann wiedererkannt. Die Vernehmungen des Angeschuldigten und der Zeugen dauerte bis nachts 1 Uhr. Am Sonnabend, den 23. d. Mts. wurde in der Wohnung des Flechner eine Haussuchung abgehalten, aber außer einem zweiten Revolver nichts besonderes gefunden.

Allem Anschein nach scheint Flechner schon längere Zeit mit dem Gedanken umgegangen zu sein, sich auf irgendwelche gewaltsame Art Geld zu verschaffen. So veranlaßte er vor einigen Wochen den Viehhändler Peter Adamczewski aus Senkowo, mit ihm nach einem benachbarten Dorfe zu gehen, da dort eine Wirtschaft zu verkaufen sei. Adamczewski hatte damals ca. 8000 Mark bei sich. Unterwegs hörte Adamczewski – Flechner ging hinter ihm – etwas knacken. Adamczewski dreht sich um und sah, wie dem Flechner eine Browning-Pistole aus der Hand fiel. Auf die Frage, was Flechner denn da mache, antwortete er, er wolle nur seine neue Browning-Pistole zeigen. Adamczewski ist am vergangenen Sonnabend dieses Vorfalles wegen vor dem hiesigen Amtsgericht vernommen worden.

Auch verschiedene andere Personen soll er versucht haben, unter der Vorspielung, daß F. zu verkaufende Wirtschaften wisse, an einsame Stellen zu locken. Weiter hat Flechner es verstanden, sich wiederholt Geld durch Unterschlagungen zu besorgen. Er hatte z. B. von verschiedenen Kaufleuten, mit denen er in geschäftlicher Verbindung stand, und für die er Vieh oder Getreide aufkaufte, Geld zur Ablieferung erhalten, dasselbe aber für sich verwendet. Ebenso soll er auch Geld, das ihm seine Schwester zur Absendung mit der Post übergeben hat, nicht abgeliefert haben. Sehr belastend ist auch, das Flechner noch am Mordtage verschiedene Schulden bezahlt hat. Am Morgen nach dem Morde, bevor er wegfuhr, hat er außerdem auf dem Dominium Pinne 1400 Mk. Schulden bezahlt. Über die Herkunft dieses Geldes kann er sich nicht ausweisen.

Am Sonntag nachmittag 5 Uhr fand die Beerdigung des so jäh aus dem Leben geschiedenen jungen Mannes auf dem katholischen Friedhof in Samter statt. Eine überaus große Anzahl Leidtragender aus nach und fern gaben ihm das letzte Geleit. Der Probst aus Neustadt b. P. widmet dem Verstorbenen am Grabe einen warm empfundenen Nachruf.

Das Gerücht, daß sich Flechner im Posener Gerichtsgefängnis erhängt haben soll, beruht auf einen Irrtum.

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1913-09-24 „Der Untersuchungsrichter hat das Ermittelungsverfahren gegen den Kaufmann Flechner auf den Fall Adamczewski ausgedehnt. Wenige Wochen vor der Mordtat erhielt der Landwirt Adamczewski in Senkowo einen Brief von Flechner mit der Aufforderung, gemeinschaftlich ein landwirtschaftliches Grundstück zu besichtigen und die Anzahlung von 7000 Mark gleich mitzubringen.

A. erschien mit der Anzahlung und beide begaben sich auf den Weg; unterwegs machte F. seinem Begleiter den Vorschlag, eine im Walde befindliche eigentümliche Quelle zu besichtigen, sie verließen die Hauptstraße und schlugen den einsamen Waldweg ein. An der Quelle nahm Adamczewski eine etwas gebückte Stellung ein, richtete sich aber unwillkürlich auf, um eine Frage an F. zu richten. In diesem Augenblick bemerkte er, daß dessen Händen ein Revolver entglitt und zu Boden fiel. Mit einer harmlosen Redewendung suchte Flechner A. von diesem Vorgang abzulenken und beide setzten ihre Wanderung fort. Die Behauptung des Beschuldigten, es habe sich damals um eine spielzeugähnliche Waffe gehandelt, in der nur mit Vogeldunst gefüllte Patronen steckten, ist durch die Beweisaufnahme widerlegt. Die Voruntersuchung ist nunmehr abgeschlossen, sodaß die Sache voraussichtlich das für November anberaumte Schwurgericht beschäftigen wird.“

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1913-11-24 „Nachdem im Posadower Wäldchen bei Neustadt bei Pinne ein Lokaltermin in Sachen gegen den Raubmörder Flechner stattgefunden hatte, legte der Angeklagte nach der Rückkehr im Untersuchungsgefängnis vor einer Gerichtskommission ein Geständnis ab, daß er nach einem vorangegangenen Streite den Witkowski erschossen und die Leiche darauf beraubt habe.

Er gab auch zu, daß er sich infolge finanzieller Schwierigkeiten in nervöser Aufgeregtheit befunden habe, bestritt aber, die Tat mit Ueberlegung ausgeführt zu haben.

Der Spruch der Geschworenen lautete auf schuldig des vorsätzlichen Totschlages in Tateinheit mit schwerem Raube unter Versagung mildernder Umstände.

Der Staatsanwalt beantragte darauf lebenslängliche Zuchthausstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrecht.

Der Verteidiger bat, nicht das härtete Strafmaß zur Anwendung zu bringen.

Das Urteil lautete auf lebenslängliche Zuchthausstrafe und lebenslängliche Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte.“

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Quellen, soweit nicht direkt im Text oder in Bildbeschreibungen angegeben: Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra) – “Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel” 1913 August-November