Evangelische Kirchen-Gemeinde Neustadt bei Pinne 1879 – Teil 4

Blick auf das eingestürtzte Kirchenschiff – Aufn. Sep 2009 GT

  • Nachrichten über die Evangelische Kirchen-Gemeinde augsburgischer Konfession NEUSTADT bei Pinne,
  • zu ihrem hundertjährigen Jubiläum am 15. August 1879 aus den Kirchen-Akten zusammengestellt von Reylaender, Pastor

Als erster Pastor dieser Parochie galt Johann Georg Kaulfuß (1777-1803), ihm folgte Johann David König (1803-1826), der nächste Pastor dem in der Festschrift gedacht wurde war dann: Johann Valentin Röder (1828-1850)

Die digitale Version dieser Schrift ist unter Großpolnische Digitale Bibliothek zu finden

Zum Pastor wurde gewählt: Johann Valentin Röder 1828-1850.

Derselbe war geboren am 25. December 1795 zu Allendorf im Herzogthum Sachsen-Meiningen-Hildburghausen. Sein Vater Johann Daniel war Landwirt und Weber; seine Mutter hieß Anna Dorothea, geb. Kürschner. Nachdem er die Stadtschule und das Progymnasium in Satzungen und dann das Gymnasium in Meiningen besucht hatte, inzwischen auch schon einmal zur Napo­leonischen Armee eingezogen war, bezog er die Universitäten zu Jena und Halle. Vorher hatte er das Rektorexamen bestanden. 1821 wurde er als Rektor und zweiter Prediger in Schmiegel angestellt. Dort verheiratete er sich mit Henriette Möller, der Tochter des zu Peisern verstorbenen Criminalraths Möller. — Von da kam er nach Neustadt.

Eins der ersten Projekte des Pastors Röder war die Anschaf­fung einer zweiten Glocke. Doch hatte er damit kein Glück; die Gemeinde ging auf seine Vorschläge nicht ein, da man meinte, bis in die Hauländereien reiche auch der Schall zweier Glocken nicht, und um das Zeichen zum Beginn des Gottesdienstes zu geben, sei auch die kleine Glocke hinreichend.

Blick auf den Glockenturm – Aufn. Sep 2009 GT

Die Bautätigkeit begann mit dem Jahre 1841. Das Kirchendach wurde umgedeckt, die Außenwände der Kirche sowie auch der Turm abgeputzt. Dabei ward der Turmknopf wiederum abgenommen und neu gestrichen. Zugleich wurde der Turm mit einem vom Mechanikus Schulz von hier gefertigten Blitzableiter versehen. Auch Pfarr-, Kantor- und Kirchendienerhaus wurden repariert. Die Kosten betrugen 800 Thlr. Der Pastor Röder klagt bei dieser Gelegenheit sehr über das Branntweintrinken der Arbeiter. Nun ja, Dachdecker und Maurer stehen in dieser Be­ziehung von jeher in schlechtem Rufe! — Hieran schlossen sich die Verhandlungen über weitere, sehr umfangreiche Bauausführungen, bestehend in Aufführung der Mauer des Kirchenplatzes, Reparatur des Brunnens und der Zäune des Pastors und vor Allem einer vollständigen Renovierung des Innern der Kirche, einschließlich der Orgel. Bereits 1842 waren die Anschläge gefertigt, dann erhoben sich aber Streitigkeiten, welche die Inangriffnahme der Arbeiten verzögerten, so dass endlich 1845 durch Dekret der Regierung der Bau angeordnet werden musste. Es handelte sich einmal um die Verwendung eines Kirchenkapitals zu den Kosten des Baues, welche die Gemeinde forderte, und worin ihr zum Teil Recht gegeben wurde, und sodann auch um die Verlegung der Kanzel. Diese sollte von ihrem bisherigen Platze an einer Säule hinweg genommen und über den Altar gesetzt werden. Schlimm genug, dass Pastor, Bau­meister und vorgesetzte Behörde damals so wenig von kirchlichen Dingen verstanden, sonst hätten sie wissen müssen, dass es aller kirch­lichen Ordnung und Schicklichkeit widerspricht, die Kanzel über den Altar zu stellen. Die Gemeinde hatte Anfangs der Verlegung sich widersetzt, dann aber leider zugestimmt. Die Renovation der Kirche bestand in der Pflasterung des Raumes der Kirchenbänke, im Abputz der Wände, Verschalung des unteren Teiles des Daches und gründlicher (?) Reparatur der Decke, der Fenster und der Bänke, endlich in der Anfertigung neuer Chorbrüstungen und Dielung der Emporen. Die Orgelreparatur wurde vom Orgelbauer Zachert aus Bentschen ausgeführt. Sämtliche Arbeiten waren vom Tischlermeister Ernst Seydel von hier in Entreprise genommen und wurden in den Jahren 1849—51 ausgeführt. Die Gesamtkosten betrugen ca. 1700 Thlr.

(Kirchplatzmauer 350 Thlr., Orgel 135 Thlr., Anstrich und Vergoldung von Altar und Kanzel 80 Thlr., der Rest 1130 Thlr.) — Schließlich ließ sich der Unternehmer noch auf einen unnützen Prozess gegen die Kirche ein, den er verlor.

Auch die Filialkirche zu Lewitz-Hauland wurde in den Jahren 1840 und 41 einer gründlichen Reparatur unterworfen. Zu den Kosten von 312 Mk. schoss der Patron 50 Mk. zu. Daran schloss sich eine Orgelreparatur durch den Orgelbauer Fabian in Schierzig- Hauland für 200 Mk., vollendet 1845. Als die Orgel abgenommen wurde, versagte sie den Dienst und musste erst gründlich nachgebessert werden.

Von Interesse ist ein in den Jahren 1835—39 geführter Prozeß der Kirche wegen eines Landstückes gegenüber der Pfarrei in der Größe von 6 [q] Ruthen. Ob dasselbe, überhaupt die ganze Fläche auf der andern Seite des Weges, ursprünglich in dem der Kirche geschenkten Lande inbegriffen gewesen, ist in der Tat zweifelhaft, lässt sich wenigstens nicht beweisen, da die Schenkungsurkunden keine genaue Angaben enthalten. So viel steht aber fest, dass dieser ganze Landstreifen von Anfang an von den Evangelischen in Besitz genommen war; es war das Todtengräberhaus darauf gebaut und der Rest als Anfuhrplatz der Kirchgäste benutzt worden, ohne dass die Grundherrschaft jemals Ansprüche auf denselben er­hoben hätte. Nun hatte der Pastor König ein Stück davon eben jene 6 [] Ruthen —umgraben lassen und in Benutzung ge­nommen. Als er starb, verweigerte die Wittwe die Herausgabe dieser Grabebeete, nachdem sie zuvor zu Herrn von Ląski gegangen war und ihn gebeten hatte, ihr dieses Land zu schenken. Dieser, welcher, jedenfalls vorher von der Existenz dieser Beete und seinem möglichen Anrechte an dieselben nichts geahnt hatte, gewährte ihre Bitte und überließ sie ihr auf Lebenszeit. Die Kirche klagte nun­mehr, nachdem das Sachverhältnis bekannt geworden, gegen Herrn von Laski auf Herausgabe, verlor aber den Prozess in allen In­stanzen, weil sie ihr Anrecht eben nicht nachweisen konnte.

Am eingreifendsten in die äußeren kirchlichen Verhältnisse war die im Jahre 1837 erfolgende Abzweigung von Pinne. Viele Jahre hindurch hatte der Besitzer von Pinne, Herr von Rappard, der weithin die größte Achtung genoss, der zum Kronprinzen, nach­maligen König Friedrich Wilhelm IV. in näherem Verhältnis stand, der, selber ein gläubiger Christ, sein Haus zum Sammelplatz aller gläubig angeregten Leute gemacht hatte,( Auch seine ausgezeichnete Gattin, eine geborene von Massenbach, blieb nach dem Tode ihres Gemahls der gern gesuchte Mittelpunkt der kirch­lichen Kreise in weiter Umgegend) die Abtretung Pinnes betrieben. Ihn bewog dazu einmal die weite Entfernung der bei Pinne gelegenen Ortschaften von der Kirche und sodann auch die ganze Glaubensrichtung und Predigtweise des Neustädter Pastors, welchem wiederum, wie man sich denken kann, die von Herrn von Rappard geleiteten Erbauungsstunden im Schloßsaal zu Pinne ein Dorn im Auge waren. Es dauerte lange, ehe Letzterer zum Ziele gelangte. Zunächst handelte es sich um die Entschädigungsgelder, für welche keine Fonds vorhanden sein sollten. Im Grunde aber war man in den leitenden Kreisen gegen die von Herrn von Rappard vertretene Glaubensrichtung misstrauisch und nannte Pietismus, was man jetzt einfach gläubiges Christenthum nennt. Endlich setzte er es doch durch, und etwa 20 Ortschaften wurden von Neustadt abgetrennt. Übrigens war schon lange zuvor die Verbindung mit Neustadt eine sehr lose gewesen, da schon seit dem Jahre 1829 verschiedene Kandidaten (Bergius, Fritsche, Klee) dort gepredigt, auch den Konfirmanden-Unterricht erteilt hatten. Die Neustädter Kirche durfte diese Auspfarrung eigentlich nicht beklagen, war doch Umfang und Seelenzahl der Parochie (damals ca. 6000) viel zu groß für die Kräfte eines Geistlichen geworden. Auch der pekuniäre Verlust ließ sich ertragen, da der Kirchkasse eine Entschädigung von jährlich 137 Thlrn. 18 Sgr. 3 Pf. für alle Zeiten gewährt worden.

Noch ist zu erwähnen ein vom Pastor Röder bewirkter Gesangbuchswechsel im Jahre 1835. Es war damals die Zeit, in welcher man die alten Kirchenlieder „zeitgemäß“ umzuwandeln suchte. Nicht bloß einige veraltete oder unschöne Ausdrücke, wie sie ja wohl in manchen alten Liedern vorkommen, wurden beseitigt, sondern möglichst auch alle diejenigen Stellen und Verse verändert, in welchen der Glaube an den Herrn Jesum deutlich ausgesprochen ist. Aus demselben Grunde ließ man viele, oft die schönsten Glaubenslieder in den Gesangbüchern ganz fort. Nun war das Letztere auch in der einen Ausgabe des Züllichauer Gesangbuches geschehen. Aber das war dem Pastor Röder noch nicht genug. Er setzte es durch, dass an Stelle desselben das „Neue Berliner Gesangbuch“, ein nach den oben angedeuteten Grundsätzen zusammengestelltes Buch, eingeführt wurde.

Was sonst das kirchliche Leben betrifft, so ist nicht viel Rühm­liches aus dieser Zeit zu vermelden. Die Advents- und Passionspredigten waren eingeschlafen, an Stelle der Katechismusunterweisungen waren Sonntagsschulen getreten, der sonntägliche Kirchen­besuch war ein sehr geringer, von dem Glaubensleben, welches einst der Pastor Kaulfuß so kräftig geweckt hatte, wenig mehr vorhanden.

Schließlich seien noch zwei Einbrüche in die Kirche kurz erwähnt. Im Jahre 1835 wurden 33 Thlr. aus dem Gotteskasten und die beiden neuen Chormäntel geraubt; im Jahre 1837 9—10 Thlr. aus dem Gotteskasten gestohlen. Die Täter wurden beide Male nicht entdeckt. Von da an wurde man vorsichtiger und leerte den Gotteskasten mehrmals im Jahre aus. Der Pastor Röder wurde am Anfange des Jahres 1850 seines Amtes entsetzt, zog nach Rogasen und ist dort auch gestorben. Es gibt nichts Traurigeres für eine Gemeinde, als solch ein Fall. Wie werden doch die Gemüter bis ins Innerste aufgeregt, wie viele Leiden­schaften angefacht!

Nach dem Abgang des Pastors Röder verwaltete ein Pfarrverweser Namens Freyschmidt ein Jahr lang, vom Juli 1850 bis zum August 1851, die vakante Stelle. Von ihm ist Besonderes nicht zu erwähnen. Er bewarb sich nicht um die Pfarre, sondern ging als Militärgeistlicher, wenn wir nicht irren, nach Breslau. Während seiner Amtsverwaltung wurde das Dorf Daleczynko ausgepfarrt und nach Pinne verwiesen, ebenso die Krugwirtschaft von Tuczempe, welche merkwürdigerweise hierher gehörte, nach Birnbaum eingepfarrt.