Grätz – der Beginn als evgl. Parochie

Grätz - die frühere evgl. Kirche; Aufn. 2009/10 PM

In dem Buch “Geschichte der evangelischen Parochien in der Provinz Posen ” – Erscheinungsdatum 1898 –  verfasst von Albert Werner, früher Pastor in Tremessen und überarbeitet von Johannes Steffani, Diakonius an der St. Petrikirche zu Posen, welches von dem königlichen Consistorium der Provinz Posen herausgegeben wurde, wurde versucht in kurzer Übersicht die Einrichtung der evangelischen Gemeinden in ihren Anfängen darzustellen.
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Die Stadt Grätz (Grodzisk) war im sechzehnten Jahrhundert eine der Hauptbesitzungen der angesehenen Familie Ostrorog, welche neben der Familie Górka der hereinbrechenden Reformation in Großpolen von Anbeginn den mächtigsten Schutz gewährte. Daher kam es, dass schon früh in Grätz, wahrscheinlich großenteils aus Deutschen, eine evangelische Gemeinde Augsburgischen Bekenntnisses sich bildete, welcher der Starost von Meseritz Stanislaw Ostrorog die katholische Stadtkirche übergab. Der erste Prediger dieser Gemeinde scheint ein gewisser Georgius gewesen zu sein, den Stanislaw Ostrorog im Jahre 1555 von Grätz aus zu einer Beratung der Evangelischen nach Goluchow sandte. Im folgte Jakob Lobzenczius, der am 28. Januar 1567 der Posener Synode, auf welcher über die Vereinigung der Lutheraner und böhmischen Brüder verhandelt wurde, beiwohnte. Nach diesem wirkte hier einer der ausgezeichnetsten lutherischen Theologen Polens Erasmus Gliczner. Geboren 1530 in Znin, besuchte er, nachdem er zu Goldberg in Schlesien seine erste Bildung erhalten hatte, mehrere deutsche Hochschulen, wurde Pfarrer in Czeracz bei Kalisch und auf der Synode zu Gostyn im Jahre 1565 zum Superintendenten der großpolnischen Kirchen Augsburgischen Bekenntnisses erwählt. Er trug zur Vereinigung der nach drei Bekenntnissen geschiedenen Evangelischen Polens auf den Synoden zu Sandomir, Posen und Thorn auf das kräftigste bei. Im Jahre 1569 kam er nach Grätz (die Anwesenheit Giczner’s veranlasste wahrscheinlich den Buchdrucker Melchior Neringk von Posen, wo er von den Jesuiten viel zu leiden hatte, nach Grätz zu ziehen. Dieser druckte hier mehrere jetzt sehr seltene polnische Werke, u. a. eine polnische Übersetzung der Eutrop von Gliczner (1581) und 1579 die theologische Streitschrift: „Spongia“ von Jac. Niemojewski. Später zog Neringk nach Thorn. Gliczner veröffentlichte auch eine polnische Übersetzung des Augburgischen Glaubensbekenntnisses: „Confessio Wiary“, Danzig 1594, ein „Chronicon regum Poloniae“, Thorn 1597 und eine Verteidigung der Dreieinigkeit: „De Sacrosanctissima Trinitate orthodoxae et verissimae observationes“ Francfurti ad, Odr. 1565) Die Gemeinde erlangte unter ihm, trotz der Vorliebe der Familie Ostrorog für die böhmischen Brüder, eine so große Bedeutung, dass die Synode zu Posen 1582 eine lutherische Hauptschule in Grätz zu gründen beschloss, welche schon zu einer Blüte gelangt war, al der Grundherr von Grätz Johann Ostrorog, ein Sohn des erwähnten Gönners der Gemeinde Stanislaw Ostrorog, zur katholischen Kirche überging und die Gemeinde nun auf einmal der Kirche, der Schule und aller ihrer Stiftungen verlustig ging. Gliczner hatte darauf so viele Verfolgungen zu erleiden, dass er 1593 Grätz und sein Vaterland Großpolen verließ und sich nach Straßburg in Preußen wandte, woselbst er Prediger bei der Gräfin Sophia Dzialynska, einer Schwester des berühmten Hermans Johann Zamoyski, wurde und unter Beibehaltung der Superintendentur von Großpolen bis an seinem am 26. Januar 1603 erfolgten Tod weilte.

Grätz - Blick zur Kirche Aufn. 22-07-2008 PM

Nach dem Abgange Gliczners ist die Grätzer Gemeinde wahrscheinlich verhindert worden, einen neuen Seelsorger zu berufen; sie scheint sich an die evangelische Gemeinde zu Gnin, einem unweit Grätz gelegenen, aber nicht zur Ostroroger Herrschschaft gehörigen Dorfe, angeschlossen zu haben, wo damals der Pfarrer Laurentius Karsnicius im Amte war, der 1595 die Thorner Synodalbeschlüsse mit unterschrieb. Als Karsnicius im Jahre 1596 nach Posen (s.d. Kreuzkirche) sich begab, woselbst er an der Stelle des abgesetzten Andreas Luperianus polnischer Prediger wurde, ist sicherlich auch die evangelische Pfarre in Gnin eingegangen; denn schon 1620 hielten sich nach beglaubigten Nachrichten die Evangelischen in Grätz nach Rakwitz (s.d.).

Von allen Ihrem Kirchengute war der Gemeinde nur der Kirchhof geblieben; aber auch die Benutzung desselben, ja sogar die Erlaubnis, die Kirche in Rakwitz zu besuchen, musste sie wiederholentlich durch Opfer erkaufen. So berichtet das hiesige Kirchenbuch: „Anno 1702 den 12. Juli haben wir Anstoß gehabt wegen des Kirchfahrens, dass wir keine hohen Festtage mehr haben sollen in unserer Kirche (nach Rakwitz) fahren, als haben wir unserem gnädigen

Grätz - Blick zum Kirchturm; Aufn. 2009/10 PM

Herrn verehret fünfzehn harte Reichsthaler und haben es wieder erhalten.“ Eine andere Notiz besagt: „Anno 1715 den 9. Februar hat die evangelische deutsche Gemeinde wiederum von den katholischen Geistlichen Anstoß gehabt, dass alle Sonntage aus jedem Hause einer in die (katholische) Kirche gehen soll. Da hat die Gemeinde löbliche Bürger zu dem gnädigen Herrn gesandt und ist dabei aufgegangen 21 Gulden.“ Im Jahr 1721 erhielt die Gemeinde von dem Grundherrn Carl von Bnin Opalinski, Starost zu Schrimm, die Erlaubnis, den Kirchhof zu erweitern und die Gestorbenen, doch nur auf dem Wege außerhalb der Stadt, mit Gesang zu ihren Ruhestätten zu geleiten, wofür sie dem Erbherrn einen silbernen Becher für 96 Tymfe und zehn harte Thaler, dem Herrn „Pleban“ sechs harte Thaler, dem Schreiber desselben zehn Tymfe verehrte.

Trotz der Pest, die besonders in den Jahren 1708 und 1709 viele Einwohner von Grätz dahinraffte, und trotz der Bedrückungen erhielt sich ein glaubensmutiger Stamm der Gemeinde, bis die Dissidenten das Recht freier Religionsübung errangen und infolge dessen die hiesige Pfarre auf Grund der Errichtungsurkunde vom 13./14. November 1775 wieder hergestellt wurde.

Laut eine am 27. Januar 1776 in Warschau ausgestellten Privilegiums erlaubte Fürst Adam Czartoryski, General von Podolien, in Vertretung der zeitigen Grundbesitzerin, der verwitweten Wojewodin Theresia von Potocka, geb. von Opalinska, die Gründung einer Pfarre und versprach zugleich zu einer Kirche und den Pfarrgebäuden das nötige Bauholz zu schenken; sein Wohlwollen gegen die Gemeinde ging sogar so weit, dass er ihr bis zur Vollendung der Kirche das Schloß in Grätz zur Benutzung einräumte, in dem am 17. Dezember 1775 unter Leitung des Kreisseniors Gottfried Nickisch aus Wollstein der erste Gottesdienst stattfand.

Grätz - ehem. evgl. Kirche; Aufn. 2009/10 PM

Die Wahl des ersten Pfarrer Callmann entzweite aber die Gemeinde mit dem Bevollmächtigten ihres fern wohnenden Grundherrn Czartoryski, dem General Casimir von Radonski. Der Willkür desselben ausgesetzt, musste sie das Schloß bald wieder räumen und war genötigt, ihren Gottesdienst lange Zeit auf dem Boden eines Privathauses zu halten. Erst unter dem Pfarrer Roehl scheint ein besseres Verhältnis mit dem General von Radonski eingetreten zu sein, denn letzter genehmigte 1786 das vom Fürsten Czartoryski erteilte Privilegium, und nun brachte es Roehl durch seine rastlose Tätigkeit, seinen festen Willen und seine Geschicklichkeit im Umgange mit der oft widerstrebenden Gemeinde dahin, dass am 5. November 1787 der Grundstein zu einer Kirche gelegt und diese am ersten Adventsonntage 1788 geweiht werden konnte. Ebenso veranlasste er den Ankauf einer Pfarrwohnung und eines Schulhauses. – Zum Ausbau der Kirche und zur Erbauung eines Turmes hat im Jahre 1830 König Friedrich Wilhelm III. der Gemeinde 6.000 Mark geschenkt.

Die Feststellung des Kirchspiels erfolgt erst im Jahre 1817. Gegenwärtig umfasst dasselbe, nachdem im Jahr 1851 Konkolewo (s.d.) und 1865 Kuschlin (s.d.) und 1893 mehrere Ortschaften zu Opalenitze abgezweigt worden, die Stadt Grätz und etwa 50 ländliche Ortschaften. In größerer Anzahl wohnen Evangelische außer in Grätz in Doktorowo, Rojewo, Schwarzhauland, Weißhauland, Snowidowo, Terespotocke und Sworzyce. Die Gesamtzahl der Evangelischen beträgt 2.666, von denen viele zerstreut unter Katholiken wohnen.

Das Pfarramt haben seit dessen Erneuerung verwaltet:

  1. Jeremias Callmann, vorher Rektor in Bojanowo, 1775 berufen, gab nach sechsjähriger Wirksamkeit wegen der Mißhelligkeiten in der Gemeinde sein Amt auf und wurde Prediger in Stawiczyn.
  2. Fanz Hönika, kam 1782 hierher und ging 1784 nach Bentschen (s.d.)
  3. Samuel Benjamin Kreuschner; 1784 berufen, wurde 1786 Pfarrer in Brätz (s.d.)
  4. Carl Gottfried Roehl, aus Birnbaum gebürtig, war anfangs, wie auch seine Vorgänger, nur Generalsubstitut. Er trat 1786 sein hiesiges Amt an und starb am 23. Februar 1816, 62 Jahre alt. Als Gründer der Kirche und als kräftiger Leiter und einsichtsvoller Berater der Gemeinde in den Drangsalen der Kriegszeit steht er noch heute bei derselben in gutem Andenken.
  5. Johann Theodor Gottfried Sukkert, vorher Pfarrer in Obersitzko (s.d.). Bei seiner Introduktion am 3. August 1817 war auch der katholische Ortsgeistliche zugegen. Er starb in frühem Alter am 27. Dezember 1829.Während der Erledigung der Pfarrstelle verrichtete die Amtsgeschäfte in uneigennütziger Weise der von der Britischen Gesellschaft zur Bekehrung Israels ausgesandte Missionar Hendes, bis
  6. Cäsar Wilhelm Alexander Krause, vorher Rektor in Filehne, wurde am 13. Juni 1832 in sein Amt eingeführt. Er erwarb sich durch eifrige Seelsorge und den Bau eines Hospitals unleugbare Verdienste um die Gemeinde und war bereits zum Superintendentur-Verweser ernannt, als er 1840 einem Rufe nach Breslau als Archidiakonus und Senior an der Pfarrkirche zu St. Bernhardin folgte. Er starb 1863 als Pastor in Hamburg. Von seinen zahlreichen Schriften seien nur folgende während seine Aufenthaltes in Grätz von ihm herausgegebene erwähnt:„Predigt am Jubelfeste der evangelischen Kirche in Grätz.“ Lissa 1839. (Beigfügt sind „Nachrichten von der evangelischen Gemeinde zu Grätz und der Errichtung des dortigen Kirchspiels.“), „Sendschreiben an den Herrn Probst Franke. Entgegnung auf dessen Sendschreiben an den Herrn Pastor Jäkel in Dobrzyca.“ Glogau 1837. (Franke antwortete durch eine ausführliche „Kritische Beleuchtung.“ Leipzig 1839.)
  7. Georg Wilhelm Theodor Fischer, Sohn des Superintendenten Fischer in Posen (f.d. Kreuzkirche), geboren am 21. September 1811 zu Günthersdorf in Schlesien, wurde 1835 Diakonus in Karge (s.d.) und am 25. März 1841 durch seinen Vater in sein hiesiges Amt eingeführt. Er wurde 1871 zum Superintendenten ernannt und erwarb sich allgemeine Verehrung der Gemeinde. Im Jahre 1885 emeritiert, zog er nach Posen und starb daselbst am 14. September 1889. Mehrere seiner Predigten und Aufsätze stehen in der von ihm herausgegeben Zeitschrift: „Der evangelische Hausfreund“, Grätz 1847 und 1848. Seine genaue und umfassende Kenntnis der polnischen Kirchengeschichte bewährte er in dem Werke: „Versuch einer Geschichte der Reformation in Polen.“ 2 Teile, Grätz 1855, auch übersetzte er die Geschichte der böhmischen Brüderkirchen in Großpolen von Lukaszewicz, Grätz 1877, und schrieb die vorn genannten „Gedenkblätter für die Grätzer Gemeinde.“ Noch veröffentlichte er eine: „Predigt zum Gedächtnisse König Friedrich Wilhelm III.“, Züllichau 1840 und eine Schrift: „Offener Brief an meine lieben Amtsbrüder in der Provinz Prosen“, Grätz 1851.
  8. Friedrich Haedrich, geboren in Zangenberg bei Zeitz in Sachsen, ward Rektor in Kempen, dann Pfarrer in Gramsdorf (s.d.), 1886 zum hiesigen Pfarrer berufen. Seine „Festschrift“ ist vorn erwähnt.