Die Kunstmühle zu Neutomischel – Der Originaltext aus dem Jahr 1877

Im Jahr 1912 erschien von K.E. Goldmann der Artikel „Die letzten Wind- und Wassermühlen um Neutomischel„, den wir im Jahr 2008 (siehe Archiv) in drei Teilen veröffentlichten. Unter anderem zitiert K.E. Goldmann in seiner Arbeit dort aus „… einer alten Beschreibung aus der Probenummer der Neutomischeler Hopfenzeitung von 1877“. Diese „… alte Beschreibung …“ aus dem Mai 1877 ist nun nachstehend in voller Länge wiedergegeben.

Zum Autor ist leider nur eine Vermutung anzustellen A. ….r könnte der damalige Redakteur A. Richter der „Neutomischeler Hopfenzeitung“ gewesen sein – oder vielleicht auch ein ganz Anderer …

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Die Kunstmühle in Neutomischel vor dem Abbruch 1911 - Aufn. Paul Schulz / Veröffentl. in "Aus dem Posener Lande" 1912

Wenn man vom Bahnhofe Neutomischel nach der Stadt fährt, so sieht man auf der linken Seite nahe der Stadt ein Mühlwerk wunderlich erscheinend, wohl an 100 Fuß zum Himmel empor reichend. Dieses Mühlwerk ist die so genannte Kunstmühle. Die Mühle ist von dem jetzigen Besitzer, einem höchst intelligenten Manne, dem Mühlenmeister Herrn Gottlieb Pflaum im Jahre 1853 erbaut und im Jahre 1873 zum wirklichen Kunstwerke umgestaltet worden. Sie hat eine Front von 40‘ und eine Tiefe von 30‘.

Die Mühle besteht aus einem 8‘ hohen Kellergeschoß und hat außerdem 3 Stockwerke. Auf der linken Seite befindet sich eine ganz niedlich eingerichtete Wohnung, bestehend aus 4 geräumigen Zimmern, eine Küche und Rauchkammer – in welcher der gute Müllersmann die Schinken seiner selbst gezüchteten Vierfüßler räuchert -.

Man kann, wie der Schreiber dieser Zeilen sich selbst überzeugt hat, in den Räumen der Mühle sich recht wohl fühlen und es sollte keine Reisender versäumen, sich diese Kunst-Mühle anzusehen.

Auf der rechten Seite des Baues, ist das eigentliche Mühlwerk. – Im Kellergeschoß sind alle Vorrichtungen getroffen worden, eine Windstille durch Dampfkraft zu ersetzen. Es dürfte nur eine 12 Pferdekraft Gasmaschine (Gasmotor) aufgestellt werden, und man hinge vom Wind nicht mehr ab. Indes ist der alte Herr schon reich an Jahren und will wohl seinem tatkräftigen Sohne diese letzte Arbeit, welche das Kunstwerk ganz vollkommen machen würde, überlassen.

In dem sogen. Parterre (Erdgeschoss) befindet sich das Betriebswerk, wie auch der sog. Mehlboden, welcher bei allen sonstigen Windmühlen nie im Erdgeschoß, sondern meist im zweiten Stockwerk angelegt ist. Das Betriebswerk wird in Bewegung gesetzt durch eine stehende Welle, die von der Flügel- oder Rutenwelle ausgeht. An dieser stehenden Welle ist ein Stirnrad angebracht, welches in zwei Gänge direkt eingreift und noch zwei andere Gänge durch Riemen treibt. Es werden fern im Erdgeschoss die Mehlsichte-Maschinen, wie auch die Kühlschnecke und 4 Stampfen von dieser stehenden Welle in Bewegung gesetzt.

Das Erdgeschoss ist in gleicher Höhe mit den Wohnungs-Räumlichkeiten 10‘ hoch, so dass nur eine Gardine von der Glastür des einen Wohnzimmer bei Seite geschoben werden darf, um die Mühlräume übersehen zu können.

Die Konstruktion dieser Mühle ist eine so kunstgerechte, dass eine Winde zum Aufwinden des Getreides und zum Herabwinden des Mehles gar nicht erforderlich ist, es wird das Getreide vielmehr vermittelst einer Rampe direkt vom Wagen in die Mühle und das Mehl aus der Mühle direkt in den Wagen gefahren.

Auf einer 4 Fuß breiten bequem angelegten Treppe, gelangt man aus dem Erdgeschoss in das zweite Stockwerk. In demselben befinden sich 3 französische Mahlgänge und 1 Spitzgang, sowie ein Regulator der neuesten Konstruktion, welcher die Gänge wie es erforderlich ist, stellt. In diesem Stockwerke ist ferner ein Raum abgeschlossen, in dem eine Grützmühle angebracht; außerdem ist eine geräumige mit allen erdenklichen Handwerkzeugen versehene Werkstatt dort eingerichtet. Endlich ist in diesem zweiten Stockwerk ein Balkon angelegt, von welchem der Beschauer die prachtvollste Fernsicht genießt.

Das dritte Stockwerk dient zum Einspeichern der Getreide-Vorräte und werden auch von dort aus die Mahl-Gänge beschüttet. In demselben ist der Aufzug, der ebenfalls von der großen stehenden Welle in Bewegung gesetzt wird.

Jetzt kommen wir zum Dach der Mühle. Dasselbe ist ein Plattdach. In dem Dachbalken ist der Ständer, der die Hülle der Welle bildet, so befestigt, dass er die darauf befindliche Koppe leicht zu tragen vermag. In dieser Koppe geht eine gusseiserne Flügel-. oder Rutenwelle, welche am vorderen Ende mit einem 5 flügligen Stern (der sogenannte Rutenkranz) endet, an dem die Betriebsflügel sind. An dem hinteren Ende der Koppe sieht man eine 6 flüglige Windrose, sowie den Regulator, eine lange Stange mit einer Fahne versehen. Es wird durch diesen Regulator die Rute nach dem Winddruck reguliert und das Auf- und Abtüren der Windflügel vermieden. Dieser Regulator stellt bei der Veränderung der Richtung des Winde die Betriebsflügel in den Wind.

Dies ist die Kunstmühle Neutomischels, wert von Jedermann angesehen zu werden und man findet in ihr einen braven, biederen Müllersmann, der sich ein Vergnügen daraus macht, sein selbst erfundenes Kunstwerk den Reisenden zu erklären.

A. R…..r.