Preußens Hopfenkönig Joseph Jacob Flatau

J.J. Flatau. Nach einer Photographie – Aufn. aus Privatbesitz

Frau Rosemarie Köhler und Herr Ulrich Kratz-Whan veröffentlichten im Jahr 1992 im Haude & Spener Verlag das Buch „Der Jüdische Friedhof Schönhauser Allee“. Frau Köhler schrieb uns: sie sei bei den Recherchen für dieses Buch auf das Grabmal der Familie Flatau gestoßen ist und dass sie dann Näheres über die Familie gesucht und gefunden habe. Der nachfolgende Artikel entstand aus dem Recherche Material. Frau Rosemarie Köhler erlaubte uns diesen auf unserer Internetseite zu veröffentlichen, wofür wir uns hier nochmals bedanken !

Das Grab des Joseph Jacob Flatau (15.10.1812-28.02.1887) – Grabstätte 60/W4 – ein „… schlichter, vergilbter Grab­stein neben der Erbbegräbnisstätte Moritz Manheimer (Nr. 170)…“ besteht noch, da auf jüdischen Friedhöfen keine Gräber eingeebnet werden dürfen. Eingefügt wurde in dieser Veröffentlichung eine Abbildung des Porträts des Joseph Jacob Flatau. Das Foto des Erbbegräbnisses wurde im Original Artikel veröffentlicht.

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Zu den vergessenen Berliner Friedhöfen gehört der alte Jüdische Friedhof Schönhauser Allee, der 1827 angelegt und 1880 geschlossen wurde. Umgeben von Mietskasernen, umtost von brausendem Verkehr, liegt der 5 ha große jüdische Begräbnisplatz mit seinem efeuüberwucherten Gräbern, die teils durch Kriegseinwirkungen und teils durch Rowdytum in der Nachkriegszeit zerstört oder beschädigt wurden, wie eine stille Oase im Berliner Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg.

Nur selten verirren sich Besucher hierher, um die Gräber der prominenten Toten wie des Malers Max Liebermann, des Komponisten Giaccomo Meyerbeer und des Bankiers Gerson von Bleichröder zu besuchen. Vergessen sind viele, die das geistige, kulturelle und wirtschaftliche Leben Berlins im vergangenen Jahrhundert geprägt haben.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts konnten es viele Menschen zu beachtlichem Ruhm und Reichtum bringen, wenn sie auf den „Zug der Gründerjahre setzten“. Zu ihnen gehörte zweifellos „Preußens Hopfenkönig“ Flatau„.

Durch den von ihm mit großem Ehrgeiz und weitreichendem Sachverstand betriebenen Anbau des Hopfens verhalf er Preußen zu einem wichtigen Zweig des Nationalreichtums.

Joseph Jacob Flatau (1812-1887) genoss eine kaufmännische Ausbildung, die er durch volkswirtschaftliche Studien und Reisen ins Ausland vertiefte und erweiterte. In Belgien hatte er den Hopfenanbau kennengelernt, und sein wacher Verstand und sein Gespür für künftige Entwicklungen ließen in ihm den Entschluss reifen, in Preußen mit dem Hopfenanbau zu beginnen. 1838 führte er Wurzelsprossen und Fechser aus Böhmen und Bayern ein und begann mit dem Hopfenanbau in Neutomysl. Neutomischel (Neutomyschl), Kreisstadt im preußischen Regierungsbezirk Posen, wurde 1786 von deutschen Ansiedlern gegründet und zwei Jahre später zur Stadt erhoben.

Seinen Bemühungen ist es zu verdanken, dass in Neutomysl „zwanzig Tausend Menschen durch den Hopfenbau ihren Erwerb finden, dass der Ernteertrag auf 2.200.000 Thl. geschätzt wird und dass der früher ärmste Kreis der Provinz Posen (und das will viel heißen) durch diesen Hopfenbau sich eines wachsenden Wohlstandes erfreuet.“ (1)

In der Schrift „Der praktische Hopfenbau und Hopfenhandel“ aus dem Jahre 1862 (2) heißt es: „Für den Neutomysl’er Hopfen war das Erscheinen des Kaufmanns Joseph im Jahre 1837 in Neutomysl von großem Erfolge. Derselbe erkannte nicht allein die Güte der um Neutomysl produzierten Ware, sondern er war auch bemüht, uneigennützig und mit manchen Opfern eine Vermehrung der Produktion herbeizuführen und auf die immer noch mögliche Verbesserung der Ware hinzuwirken. In landwirtschaftlicher, so wie überhaupt in wissenschaftlicher Beziehung, durch Einführung ausländischer Fechser (d.s. Stecklinge), durch Belehrungen in der Cultur und durch die Einführung des Neutomysler Hopfens auf dem Weltmarkt, hat sich der Banquir J.J. Flatau, gegenwärtig in Berlin wohnhaft, um den Neutomysler Hopfen große Verdienste erworben. Der Neutomysler Hopfen hat bereits folgende Auszeichnungen erhalten:

  1. Das Diplom Sr. Kaiserl. Hoheit des Prinzen Napoleon Bonaparte bei der Gelegenheit der Welt-Ausstellung in Paris,
  2. Die goldene Medaille 1. Cl. Der National-Akademie für Ackerbau zu Paris
  3. Die Medaille 2. Cl. Des Kaiserl. Acclimatisation-Vereins in Paris
  4. Die Medaille der Versammlung deutscher Land- und Forstwirte in Coburg

und es folgen weitere 13 ehrenvolle Auszeichnungen

Erbbegräbnis Flatau mit Gedenkstein (rechts) - Foto: Joachim Donath (O-1071 Berlin)

Erbbegräbnis Flatau mit Gedenkstein (rechts) – Foto: Joachim Donath (O-1071 Berlin)

Hopfen wurde für die deutschen Brauereien überwiegend aus dem Ausland, sogar aus Amerika, eingeführt. Der clevere Flatau schob dem einen gewinnbringenden Riegel davor. „Aus Erfahrung wohl wissend, dass der amerikanische Hopfen auf den Preis drückend wirken muss, war auch die Beschleunigung des Verkaufs des Neutomysler Hopfens geboten, bevor der amerikanische Hopfen auf dem Festland anlangt, wozu sechs Wochen nach der Ernte nötig sind. Es ist mir dieses auch gelungen, denn sechs Wochen nach der Ernte war das Produkt aus den Händen der Produzenten. Der jetzige Bestand um Neutomysl dürfte nur noch höchstens 2.000 Centner sein, welche zu billigerem Preise verkauft werden müssen, 18.000 Centner sind verkauft“ (3)

Später waren die preußischen Brauer nicht nur weitgehend von Einfuhren unabhängig, sondern Flatau konnte den qualitativ hochwertigen Hopfen aus dem Posener Land sogar nach Böhmen, Frankreich und England exportieren.

Hopfen muss nach der Ernte schnell verarbeitet werden, er ist nur begrenzt lagerfähig. Deshalb gingen Flataus Bemühungen dahin, Konservierungsmetholden zu erproben. Offenbar war er auch hier erfolgreich, denn um seine Abnehmer von der Qualität des konservierten Hopfen zu überzeugen, führte er auf seinen Vortragsreisen hermetisch verschlossene Blechbüchsen mit sich, die Hopfen enthielten, der 20 Jahre zuvor eingeschlossen worden war; „Ich stelle die Öffnung der Büchse anheim, um zu beurteilen, ob auf diese Weise die Conservierung des Hopfens durch so viele Jahre einigermaßen möglich ist.“ (4)

Unermüdlich experimentierte Flatau, um die empfindlichen Pflanzen gegen Krankheiten, Wetterstürze und unsachgemäße Behandlung zu schützen. Der Wohlstand einer ganzen Region vermehrte auch sein Vermögen. Am 3. Dezember 1860 hielt Flatau einen Vortrag bei der Landwirtschaftl. Central-Vereins-Versammlung in Potsdam (in Gegenwart Sr. Königl. Hoheit, des Kronprinzen von Preußen, als Protektor des Vereins und des Hrn. Minister Grafen v. Pückler). In dieser Versammlung wurde eine Prämie von 150 Talern für denjenigen ausgesetzt, welcher binnen drei Jahren den besten und umfangreichsten Hopfenbau im Reg. Bezirk Potsdam haben würde. (5) Vermutlich erhielt Flatau diesen Preis, denn in seinem Vortrag konnte er schon auf seine bisherigen Erfolge hinweisen: „Bald nach der Ernte wurde der Hopfen in Neutomysl mit 45 Talern pro Centner angeboten, da die Produzenten die ungünstigen Ernteresultate des Auslandes noch nicht kannten, und das Ausland von den Ernteresultaten um Neutomysl noch nicht unterrichtet war. Zwei Tage darauf stieg derselbe jedoch auf 60, dann auf 90, 100 und so binnen 14 Tagen auf 160 Taler pro Centner, und fand zu diesem Preis seinen Absatz nach Bayern, Böhmen, Frankreich und England. Nehmen wir den Durchschnittspreis nur auf 110 Taler pro Centner an, so hat die diesjährige Hopfenernte um Neutomysl einen Brutto-Ertrag von 2.200.000 Talern geliefert.“ (6)

Der Anbau von Hopfen war in Preußen nicht unbekannt. Friedrich der Große hatte in Potsdam den Hopfenanbau gefördert, in Schlesien und im Regierungsbezirk Trier wurden große Mengen Hopfen angebaut. Die kleine Stadt Buckow in der Mark Brandenburg hat in ihrem Kirchen- und Staatssiegel eine Hopfenranke. Aus den Schriften von Flatau geht aber hervor, dass bis 1830 in Preußen kein Hopfen in nennenswerten Mengen angebaut wurde. Flataus Verdienst – im doppelten Sinne für die Volkswirtschaft und für seinen eigenen Reichtum – war es, der steigenden Nachfrage, die durch den erhöhten Bierkonsum entstand, durch den Hopfenanbau nachzukommen.

Über die Persönlichkeit Flataus ist nicht Näheres bekannt, ein Porträt nicht aufzufinden. Seine letzte Ruhestätte hat Flatau in einem Erbbegräbnis in Form eines Wandgrabes gefunden, in dem, wie nach jüdischem Brauch üblich, Gedenksteine für die verstorbenen Familienangehörigen aufgestellt wurden.

Sein Grabstein ist schlicht, und nichts erinnert heute mehr an den Mann, der mit Umsicht und Tatkraft den Hopfenbau in Preußen begonnen und erfolgreich betrieben hat.

Anmerkungen:

(1)    Ueber Hopfenbau v. Jos. Jac. Flatau, Berlin, Verlag von Gustav Bosselmann, 1861, S. 6
(2)    Der praktische Hopfenbau und Hopfenhandel, zweiter Teil, dargestellt durch von Saher, Frankfurt a.O., Verlag der Hofbuchdruckerei von Trowitzoch und Sohn, 1862, S. 9
(3)    wie (1), Seite 12
(4)    wie (1), Seite 13
(5)    wie (1), Seite 9
(6)    wie (1), Seite 18/19

Das Buch „Der jüdische Friedhof Schönhauser Allee“ von Rosemarie Köhler und Ulrich Kratz-Whan erschien 1992 im Verlag Haude & Spener, Berlin, ISBN 3-7759-0340-2