Die Einsamkeit des Haulandes – Hugo Bock – Lehrer in Alt Dabrowo 1895-1900

Zufahrt zur ehemaligen evangel. Schule in Dabrowo – Aufn. Mai 2011

Über Alt Dabrowo sind lediglich einige sachliche Informationen zu finden:  gegründet vor 1750, der genaue Zeitpunkt ist jedoch nicht bekannt; der Name Dombrowo vermutlich abgeleitet von dem polnischen Wort Eiche „dab“ welches als „domb“ ausgesprochen wird; dass die Gemeinde Alt Dombrowo zusammengenommen mit der Gemeinde Michorzewko Hauland im Jahr 1905 gerade einmal 62 Höfe mit 402 Bewohner auf einer Fläche von 622,9 Hektar hatte und letztlich auch, dass im Jahr 1885 im Ort eine eigene Schule vorhanden war.

Durchschnittlich stand auf einer Fläche von 10 Hektar, in etwa der Größe von 14 Fußballfeldern, 1 Gebäude. Jedem Bewohner, gleich ob Kinder oder Greis stand ein Areal von annähernd der Größe des Neuen Marktes in Neutomischel zur Verfügung.

Der nächste Nachbar war weit entfernt, die Bewohner eines Hofes blieben unter sich, die in der Landwirtschaft zu leistende Arbeit war schwer, sodass der Tag früh begann und ebenfalls nicht allzu spät endete. Es gab keine Elektrizität, Licht spendete oft nur eine Petroleumlampe. Es gab keine Kommunikationsmittel außer jemand machte sich auf den Weg um eine Nachricht zu überbringen oder auch einen Arzt zu holen. Als Fortbewegungs- und Transportmittel dienten Pferdefuhrwerke, Pferde selbst oder man ging zu Fuß. Es gab keine gepflasterten oder asphaltierten Straßen vorherrschend waren Sandwege. Erschwerend kam hinzu, dass nur die Bewohner die richtigen Verbindungswege zwischen den Gehöften kannten;  Straßenschilder gab es keine, eine Abzweigung war z. B. an der großen Eiche, eine Abbiegung hinter der vom Blitz getroffenen Birke und die Rechtsabbiegung war bei dem großen Findling. Jeder Fremde ohne Hilfe verirrte sich unweigerlich. Im Sommer mag dieses ja alles noch erträglich gewesen sein. Die Winter jedoch mit hohem Schnee, Eiseskälte und ihren langen dunklen Tagen müssen geradezu eine Herausforderung an das Gemüt der Menschen gewesen sein.

Einer der die Herausforderung annahm als Fremder und Städter in das dünnbesiedelte, menschenleere Hauland Dabrowo zu ziehen, und von dem wir ein klein wenig erfahren, war der Lehrer Hugo Bock. Während er die ersten 2 Jahre seiner Tätigkeit noch optimistisch zu betrachten scheint, hadert er im 3ten Jahr schon mit seiner Umgebung, eben dieser fast unendlich erscheinenden Einsamkeit. Im 4ten Jahr scheint es, dass er sich nochmals gefangen hatte. Vom 5ten Jahr seiner Tätigkeit  ist mehr oder weniger nichts mehr notiert; und in der Mitte des 6ten Jahres findet sich nur noch ein Vermerk, dass Lehrer Bock auf eigenen Wunsch an eine andere Schule in einem anderen Ort versetzt worden sei.

Erfahren haben wir von Lehrer Hugo Bock aus einer heute noch erhaltenen Chronik der Schule Dabrowo. Mit der freundlichen Genehmigung des letzten Schuldirektor Herr Jerzy Dakowski, haben wir diese lesen dürfen und wir erhielten auch die Genehmigung Auszüge aus dieser hier zu veröffentlichen. An dieser Stelle nochmals: Vielen Dank !

Von Lehrer Hugo Bock stammt nachfolgender Bericht aus der Schulchronik.

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Das Jahr 1895 (1.)

Nach der Versetzung des Herrn Lehrer Müller nach Snowidowo, wurde ich, Hugo Bock, von der königlichen Regierung zu Posen am 1. Januar 1895 hier angestellt. Bis dahin immer in Städten gewesen, machte Dombrowo mit seinem Schulhause einen geradezu unbeschreiblichen Eindruck.

Am 2. Januar wurde ich vom Lokal-Schulinspektor Herrn Pastor Tank in Kuschlin in mein Amt eingeführt. Nach der Einführung erhielt ich noch 8 Tage Ferien, da ich meine Sachen und meine Schwester, die mir die Wirtschaft führen sollte, nach hier holen wollte. Kaum waren wir hier angekommen und hatten es uns etwas bequem gemacht, da klopfte es und herein traten die beiden Töchter meines Nachbarn, die älteste Tochter mit den Worten: „Ha, wir müssen doch sehen, wie unser neuer Herr Lehrer aussieht!!!“

Alte Schule Dabrowo vor 1901 – Postkartenausschnitt – Quelle: Schulchronik

Ebenso werde ich den ersten Eintritt in das Wohnzimmer nicht vergessen. In der Mitte der leeren Stube stand ein kleiner eiserner Ofen, dessen Rohr durch die ganz Stube ging, und an dem Ofen stand ein altes Mütterchen, das uns ein Tasse Kaffee kochte. – Im April des Jahres 1895 starb mein Vater. Im Juli 1895 diente ich 10 Wochen im Grenadier Regiment Graf Kleist von Nollendorf (1. Westpreußischen) No. 6. – Im Dezember nahm der Lehrer an der Volkszählung teil; es wurden 377 Seelen gezählt.

Das Jahr 1896 (2.)

Am 18. Januar wurde das 25 jährige Bestehen des neuen deutschen Kaiser Reiches festlich begangen. – In diesem Jahr diente ich wieder 6 Wochen im Infanterie Regiment Graf Kirchbach (1. Niederschlesischen) No. 46. Nach meiner Rückkehr vom Militär wurde ein Kinderfest veranstaltet, welches den Kindern, den Gemeindemitgliedern und den auswärtigen Gästen noch lange Zeit in lieber Erinnerung blieb.

Später wurde ich gebeten, doch auch eine Weihnachtsfeier abzuhalten, da den Leuten der Weg mit den Kindern nach Kuschlin zu weit sei. Es ist dies denn auch geschehen und ist die angewandte Mühe durch den überaus gastreichen Besuch beglichen worden.

Das Jahr 1897 (3.)

Im März wurde an drei Tagen der hundertste Geburtstag Kaiser Wilhelms I. gefeiert. Von einem Schüler Ausflug musste abgesehen werden, da die Eltern sich mit den Kindern die geschmückte Stadt Neutomischel ansehen wollten. – Auch in diesem Jahr diente ich 4 Wochen im 6. Regiment zu Posen. Leider verlief diese Übung nicht ungetrübt, da sich ein Kollege, der Strafe bekommen hatte, erschoss. Nach der Übung wurde auch diesmal hier ein Kinderfest veranstaltet. Im Oktober zog meine Mutter, die unsere Gärtnerei in Birnbaum verkauft hatte, zu mir. Weihnachten wurde wieder gefeiert.

Das Jahr 1898 (4.)

In diesem Jahr wurde ein Termin abgehalten, in welchem über den Neubau unseres Schulhauses beraten wurde. Es wurden auch zwei schöne Pläne vorgelegt; leider ist dann von dem Bau nichts mehr zu hören gewesen. Später wurden aber die Dächer der verschiedenen Gebäude des Schulgehöftes ausgebessert.

In diesem Jahr fing ich an fünf Knaben unentgeltlich Violine Stunden zu geben. Dieselben wirkten bei der diesjährigen Weihnachtsfeier dadurch mit, dass sie die Lieder, die gesungen wurden, begleiteten. Diese Weihnachtsferien waren eigentlich so recht dazu angetan, mich für das schwere Leben hier wenigstens etwas zu entschädigen. – Tagelang keinen Menschen zu Gesicht zu bekommen, keinen im Orte zu haben, mit dem man verkehren kann, ist für einen jungen Menschen nicht angenehm. Ich verstehe nicht wie der Lehrer Kollege Müller schreiben konnte, dass hier ein lediger Lehrer eher bestehen könne als ein verheirateter. Meiner Meinung nach kann hier nur ein verheirateter Lehrer mit Familie erträglich leben. Nahrungsmittel kann man sich hier schon auch verschaffen; aber geistig könnte man verkommen, da die Menschen fehlen, mit denen man reden möchte und man sich doch nicht immer nur mit Büchern beschäftigen kann.

Das Jahr 1899 (5.)

Vom 16. Februar bis 6. April war der Unterricht wegen Keuchhusten geschlossen. – Mit dem 1. Mai wurde die geistliche Kreis-Schulinspektion aufgehoben. Bis dahin gehörte Dombrowo zur Kreis-Schulinspektion Grätz (Herr Pastor Haedrich, Kreis-Schulinspektor). Jetzt gehört die hiesige Schule unter die Aufsicht des weltlichen Kreis-Schulinspektors Herrn Dr. Lohrer zu Neustadt bei Pinne. – Sämtliche Revisionen und Schulprüfungen sind aus dem Klassenbuch zu ersehen. V.

Herr H. Bock wurde am 1. Juni 1900 auf seinen Antrag versetzt nach Pudlischki -> Pudliszki Krs. Gostyń.

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Selbst sein Nachfolger der Lehrer Oskar Böhm beschreibt 1901 die Situation wie folgt: Der Winter ist hier für einen alleinstehenden Lehrer geradezu schrecklich. Im Hauland selbst findet er keinen Verkehr mit gebildeten Menschen. Der Verkehr in den Nachbardörfern ist ihm in dieser Jahreszeit durch die schlechten, verschneiten Wege abgeschnitten.

Und im Jahr 1943 als Hamburger Mütter mit ihren Kindern im Dorf lebten wurde notiert, dass diese äußerten: „Lieber in Hamburg sterben, als hier noch länger in der Einsamkeit wohnen.“ – Licht, Gas, Heizung, Kino oder Theater, alles gab es auch 43 Jahre nach dem Weggang von Lehrer Hugo Bock noch nicht in Dabrowo

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Quellen:

  • „… und dazwischen Neutomischel“ – Autor Arno Kraft
  • Schulchronik Dabrowo – mit freundlicher Genehmigung von Herrn Jerzy Dakowski,