Kleinstadtbilder aus Rakwitz und Grätz in den letzten Jahrzehnten des polnischen Reiches – 1735 bis 1782 – Teil 6 – Recht und Rechtsprechung in Grätz, Pastor Calmann verlässt Grätz, die Familie Flegel wird vertrieben

Die Waage der Gerechtigkeit – Aufn. PM

Da seitens de Besitzers von Grätz die Maßnahmen zum Schutz des Pastors Calmann,der Flegelschen Familie und anderen nicht mit großer Intensität ausgeübt wurde, ging letztlich General Radonski als der „Sieger“ aus diesem seit Jahren schwelenden Kampf hervor. Mit roher Gewalt und Mord und hatte die Bevölkerung unterdrückt und verhindert, dass etwas gegen ihn unternommen wurde. Er wies Dritte zur Brandstiftung an, beugte das Recht nach seinem Belieben, verhinderte einen Mordanschlag nicht und beschritt den Weg der Enteignung. Am Ende gelang es ihm durch Unterstützung Angehöriger der Familie Flegel, die aus Habgier handelten und auch wieder durch den amtierenden evangelischen Pastor, dem späteren Erbauer der evangelischen Kirche von Grätz, seine Widersacher aus der Stadt zu entfernen.

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c) Recht und Rechtsprechung in Grätz – 1778

Die Belästigungen, denen die evangelische Gemeinde und die Familie Flegel durch den General Radonski ausgesetzt blieben, machten eine dritte Reise nötig, die gegen Ende des Jahres 1777 unternommen zu sein scheint. In den Einzelheiten derselben weichen die Chroniken wieder erheblich voneinander ab.  Nach der älteren wurden ein paar Deputierte der evangelischen Gemeinde nach Warschau geschickt, denen sich Karl Flegel und die Witwe anschlossen, um ihre privaten Beschwerden vorzutrage, namentlich über ungerechte Schuldforderungen, die der General an die Flegelsche Familie für den fürstlichen Hof erhoben hatte (A8f.). Nach der jüngeren Chronik (S10) wollte aus Furcht vor dem General niemand mitreisen, und so reisten Karl Flegel und die Witwe allein. Als hauptsächlicher Grund der Reise wird hier angegeben, dass der General von allen Wahlen Konfirmationsgelder verlangte. Die Berichte stimmen aber darin überein, dass der Fürst, den die Reisenden übrigens erst in Wolczyn fanden, diese beruhigte und ihnen versprach, eine Kommission zur Untersuchung der Beschwerden nach Grätz zu schicken. Als die Abgeordneten trotzdem, so erzählt die ältere Chronik, ihre Furcht vor dem General äußerten und zur Begründung derselben auf das Schicksal des Hauländers hinwiesen, gab ihnen der Fürst ein Schreiben an Radonski mit und versicherte sie nochmals, es werde ihnen nichts widerfahren, sie sollten deshalb unbesorgt sein. In Grätz angekommen, übergaben sie das Schreiben dem General, mussten aber noch lange warten, ehe die ersehnte Kommission ankam. Endlich am Palmsonntage 1778 traf sie ein, bestehend aus dem Obersten von Molski und dem fürstlichen Sekretär Zytowiecki; aber die Hoffnungen, welche die Flegelsche Partei auf sie gesetzt hatte, erfüllten sich nicht. Denn der erstere reiste schon in der Marterwoche wieder ab, und der Sekretär blieb allein zurück, ohne die Beschwerden der Gemeinde über den General zu untersuchen. In dem Schlosse wohnte damals auch die Geliebte des Generals, die Tochter des Grätzer Oberförsters Sypnieski, deren Gesellschaft den Herrn Kommissar auch mehr gefesselt haben mag, als die Untersuchung der Flegelschen Beschwerden.

Landratsamt und Gerichtsgebäude der Stadt Grodzisk früher Grätz – Aufn. PM

Zu der getäuschten Hoffnung Flegels kam noch ein neues Unglück. Am zweiten Ostertage 1778, Abends 8 ¾ Uhr, brach auf dem Flegelschen Grundstück in einem leeren Stalle Feuer aus, das schnell um sich griff und das ganze Hintergebäude von 82 Ellen Länge in Asche legt, wobei nur das Vieh gerettet werden konnte. Flegel und die Witwe verloren durch den Brand ein bedeutendes Kapital, da alles Kaufmannsgut auf dem Boden verbrannt war. Trotzdem wurde er noch obendrein als Brandstifter verdächtigt. Unmittelbar nach dem Ausbruch des Feuers erschien nämlich der General auf der Brandstätte, schlug Flegel mit dem Stock und nannte ihn einen Mordbrenner. Flegel rief empört aus: „Gott weiß, wer der eigentliche Mordbrenner ist!“ und deutete damit seinen geheimen Verdacht an, der sich auch später bestätigte. Radonski erwiderte kein Wort.

Nun folgte eine gerichtliche Untersuchung, die uns einen Einblick in die Rechtszustände in den letzten Jahren des polnischen Reiches gibt. Die Mitglieder der Flegelschen Familie wurden am folgenden Tage vor das Stadtgericht geladen, wo sie zunächst den Beweis erbrachten, dass keine fahrlässige, sondern eine absichtliche Brandstiftung vorliege. Auf die Frage, die an Flegel gerichtet wurde, wen er in Verdacht habe, erwiderte er vorsichtig, dass er nichts beweisen könne, und es daher am besten sei, zu schweigen. Am folgenden Tage musste Flegel mit den Seinen wieder vor Gericht erscheinen und hier wurde folgendes Urteil gefällt: „Ohngeachtet, dass Flegel bewiesen hat, dass er nicht Ursache an dem Feuer gewesen, auch angezeigt hat, dass es ein angelegtes Feuer sein müsste, so kann er doch niemanden namentlich machen; es wäre also seine Schuldigkeit gewesen, das Feuer zu verhüten. Da nun dies nicht geschehen, so soll Flegel 8 Tage im Arrest sitzen, 50 Mark an den Hof und 30 Mark an die Stadtgerichte zahlen und den der Stadt verursachten Schaden ersetzen.“

Eine Berufung oder Revision gegen dieses Urteil empörender Willkür gab es nicht; der der General war nach polnischem, d. h. ursprünglich Magdeburger Rechte, wie die jüngere Chronik (S.9) bemerkt, oberster Zivil- und Kriminalrichter seiner Bürger und Untergebenen, und den Bürgern adliger Städte, wie es z. B. Grätz war, stand kein Gericht gegen einen Edelmann offen. So konnte nur auf gütlichem Wege eine Milderung erreicht werden. Flegel wandte sich an den anwesenden fürstlichen Sekretär. Auf den Rat desselben reichte er ein Bittgesuch an den General ein, und zur Ehre desselben kann die Chronik (B10) berichten, dass das Urteil zwar nicht aufgehoben, aber doch auch nicht vollstreckt wurde.

Der Verdacht, das Feuer angelegt zu haben, lenkte sich nach wenigen Tagen auf die Magd Flegels. Konstantie, eine Tochter der Witwe Flegel, hatte gesehen, wie jene mit einem brennenden Kein aus der Stube ging, nachher zurückkam und das Kienchen in das Kaminfeuer warf. Auf die Frage, wo sie gewesen sei, erwiderte sie, dass sie den Hund in die Einfahrt geführt habe; aber die jüngste Tochter versicherte, dass das nicht wahr sei, da sie durch ihre, der Tochter Schlafstube hätte gehen müssen, dort aber nicht durchgegangen sei. So die ältere Chronik; die jüngere fügt noch hinzu, dass die Magd auch von Nachbarn, die z. T. genannt werden, dabei gesehen wurde, wie sie das Feuer anlegte (B11).

Flegel machte nun beim Stadtgerichte Anzeige und bat um die Verhaftung der Magd, besonders da sie auch etliche Kleidungsstücke gestohlen hatte. Aber Radonski, der davon gehört hatte, verbot dem Bürgermeister aufs strengste, die Magd zu verhören oder gar zu verhaften, und ihr selber befahl er, den Dienst bei Flegel zu verlassen. Auf Flegels Bitte, ihm doch sein Recht nicht zu verkürzen und die gerichtliche Untersuchung nicht zu hindern, versprach Radonski zwar, das zu tun, hielt aber nicht Wort (A10). Acht Tage später ließ er an einem Sonntage während des Gottesdienstes sogar die Lade und Sachen der Magd mit Gewalt abholen und beschenkte sie oben drein noch mit 8 Floren (polnische Gulden). Von jeder gerichtlichen Untersuchung blieb sie auf Radonskis Befehl verschont. Flegel wandte sich zwar an den fürstlichen Sekretär, dieser erklärte sich aber nicht für befugt, etwas gegen Radonski zu tun, und riet Flegel, ruhig zu sein und nicht das Feuer noch größer zu machen, als es schon sei. „Es ist ein Glück“, fügte er hinzu, „dass ich hier bin, denn sonst hätten Sie einen schweren Stand, weil Sie gesagt haben, dass der General das Feuer hat anstecken lassen.“ So weit Karl Flegel, der erzählt, was er selber erlebt hat (S.11).

Landratsamt und Gerichtsgebäude der Stadt Grodziec dem früheren Grätz – Aufn. PM

Sein Vetter, Johann Samuel, der jüngere Chronist, spricht es geradezu aus (S.11), dass Radonski durch seinen Koch Rafael im Einverständnis mit Flegels Magd das Feuer angelegt habe, um das evangelische Bethaus zu zerstören, nachdem er die Gemeinde durch die Vertreibung aus dem Schlosse nicht hatte vernichten können. Das Betragen Radonskis gegen die höchst verdächtige Magd rechtfertigt auch wirklich diesen Verdacht.

Die ersehnte Kommission hatte gar keine Hilfe gebracht. Flegel verlor die Hoffnung; Verdruss und Ärger warfen ihn auf das Krankenlager, an das er ein halbes Jahr lang gefesselt wurde. In dieser verzweifelten Lage, als alle Hoffnung auf eine Besserung der Dinge sich als eitel erwiesen hatte, wendete sich sein Blick auf die inneren Zustände des polnischen Reiches, die er mit dem stillen Wunsche richtet, dass Gott eine Änderung im Lande schicken möge. Die Worte, die ihm der Schmerz über sein Unglück auspresst, enthalten neben frommer Ergebung in Gottes Willen eine so treffende und doch einfache Schilderung der Stimmung von sicherlich Tausenden über die verrottenden Zustände, dass sie wörtlich angeführt werden mögen: „Es ist nicht alles zu beschreiben, was vor Verdrießlichkeiten wir ausgesetzt gewesen sind. Bei keinem Gerichte funden Gehör, sondern wir mussten alles, was uns begegnete, mit Geduld ertragen und nur hoffen, ob nicht Gott eine Änderung im Lande schicken würde, wodurch wir endlich aus unserem Kummer erlöset und zu dem uns Entwendeten kommen könnten.“

Die Änderung im Lande schickte Gott 15 Jahre später, als 1793 der heutige Bezirk Posen preußisch wurde; aber bis dahin hatte der tapfere, fromme Mann noch manchen Kampf zu kämpfen, noch manches Kreuz zu tragen.

d) Pastor Calmann verlässt Grätz. Eine Herodias.

Radonski arbeitete darauf hin, Flegel und dessen Anhange Grätz unleidlich zu machen und beide von hier zu vertreiben. Am leichtesten gelang ihm dies  mit dem Pastor Calmann, auf dem sein Hass ruhte, weil er gegen diesen bei der Pastorwahl mit seinem Kandidaten, dem Pastor Kuczewski aus Rakwitz, nicht durchgedrungen und dabei auch um das Konfirmationsgeld gekommen war. Dazu kam noch, dass Calmann durch seine Frau, eine geborene Flegel, mit der Familie seines Feindes verschwägert war. Calmann wohnte auf der Rakwitzer Straße, wo jetzt das Landratsamt ist. Das Haus, welches 1863 Fischer in seinen Gedenkblättern S. 32 als der Witwe Stahn gehörig bezeichnet, war von der Gemeinde gemietet worden. Nach hinten lag das zwei Stockwerke hohe alte Schloss, dessen Grundmauern und Gewölbe am alten Kanal teilweise noch heute erhalten sind. In diesem hatte der General seine Wohnung und konnte aus ihren Fenstern in das Gärtchen des Pastors sehen, das zwischen Pfarrhaus und Schloss lag. Eines Tages nun hatte Radonski Gesellschaft, und es ging bei ihm lustig und laut her; sodass man vom Pastorgarten aus, da die Fenster des Schlosses offen standen, die Stimmen unterscheiden konnte. Es war nachmittags gegen drei Uhr, als der Pastor sich im Garten aufhielt und nach seinen Blumen sah. Er bemerkte, da die Entfernung bis zum Schlosse nur gering war – der jüngere Chronist, der diese Begebenheit erzählt, berechnet sie auf 80 bis 100 Schritt -, dass die Aufmerksamkeit der Gesellschaft, die da oben an den Fenstern stand, und in der sich auch die Geliebte des Generals, die schon erwähnte Oberförstertochter, befand, auf ihn gerichtet war, und man über ihn lachte und witzelte. Plötzlich hörte er die Dirne nach einer Flinte rufen und sah, als ihr diese gebracht wurde, wie sie dieselbe auf ihn anlegte. Er bückte sich schnell, der Schuss krachte, und ein Teil der Schrottladung ging über ihn weg in den Bretterzaun, an dem der Pastor stand. (Der Vorgang ist (B16f.) nicht klar genug dargestellt.) Dieser fühlte sich von da an in Grätz seines Lebens nicht mehr sicher und ging im Herbst 1782 als Prediger nach Stawiszyn. Am 22. Mai desselben Jahres hatte er sich zum zweiten Male verheiratet und zwar mit Konstantie Flegel, einer Schwester seiner ersten Frau. Am 15. September hielt er seine Abschiedspredigt und an demselben Tage trat sein Nachfolger Hoenicka sein Amt in Grätz an. Die Übergabe des Kircheninventars fand am 30. September statt. Das darüber von Hoenicka aufgenommen Protokoll ist oben unter den Quellen beschrieben.

Roehl stellt den Fortgang Calmanns anders dar, indem er die Vorgänge auf dem Schloss und im Garten unerwähnt lässt und behauptet, dass Calmann „aus vieler Vorbitte“ vom Konsistorium nach Stawiszyn versetzt worden sei; aber seine Unglaubwürdigkeit in den Berichten über die vor ihm liegende Zeit, namentlich soweit die Flegelsche Partei in Betracht kommt, ist schon oben beleuchtet worden.

c) Von Grätz nach Borowo

Die Familie Flegel von Haus und Hof vertrieben

Schwieriger als der nachgiebige Pastor Calmann war Karl Flegel zu beseitigen, der durch sein Grundstück an Grätz gebunden und deshalb zum Widerstande genötigt war. Aber der General fand in einem ehrlosen, verräterischen Verwandten seines Gegners ein willkommenes Werkzeug, das ihm wichtige Dienste beim Angriff leistete.

Rathaus der Stadt Grodzisk – Aufn. PM

Radonski wusste nämlich, dass auf dem Flegelschen Grundstücke einige Schulden lasteten, und baute darauf seinen Plan. Er trat von neuem mit alten, freilich schon längst widerlegten Ansprüchen der Stadt und des fürstlichen Hofes hervor und hoffte dabei, dass auch die übrigen Gläubiger hohe Forderungen anmelden würden, dass Flegel nicht zahlen könnte, und das Grundstück verkauft werden müsste. Daher brachte er am 21. Juli 1781 das Haus „in Anschlag“, wie die ältere Chronik (Diese ist auch für die Geschichte des Prozesses allein maßgebend, da hier Karl Flegel seine eigenen Erlebnisse erzählt) sagt, d. h. er leitete die gerichtliche Versteigerung ein; aber, obwohl er die Klausel aufnahm, dass sich bis zum 3. August alle Gläubiger bei Verlust ihrer Forderungen melden müssten, meldete sich aus persönlicher Rücksicht gegen Flegel und aus Abscheu gegen das schurkische Vorgehen Radonskis niemand.

(Flegel sagt an dieser Stelle (A.11), dass sich „noch nicht genug rechtmässige, sondern mehrenteils ungerechte Forderungen meldeten“. Aus diesem und dem früheren Termine vom 3. August scheint zu folgen, dass nach damaligem deutschem Stadtrecht in Polen die auf dem Grundstücke lastende Schuld erst eine gewisse Höhe erreicht haben musste, ehe dasselbe zwangsweise verkauft werden konnte. Damit würde sich erklären, dass der General später (ält. Chron. S.12) Flegels Haus taxieren und verkaufen lässt. Eine derartige amtliche Taxierung soll auch nach preußischem Recht in unserem Jahrhundert bei öffentlichen Versteigerungen stattgefunden haben; oder sie sollte dem Kaufwilligen nur einen ungefähren Anhalt für die Schätzung des Grundstückes geben, ohne dass sie daran gebunden waren. In Polen aber hatte sie anscheinend den Zweck, außer dem Verhältnis zwischen Schuldenlast und Wert das Grundstück noch die Berechtigung oder Notwendigkeit einer öffentlichen Versteigerung festzustellen. Es wäre mir lieb, wenn rechtskundige Leser ihre Ansicht hierüber äußerten. D.B.)

Auch ein zweiter Termin im August verlief erfolglos, weil die vorgebrachten Forderungen widerlegt wurden. So behielt Flegel für dieses Mal noch sein Grundstück, bis auch der Amtmann Arndt aus Dakowy (einem zwischen Grätz und Buk gelegenen Dorf und Gute) gegen ihn als Eidgenosse Radonskis auftrat.

Arndts Frau war eine geborene Kause, die Tochter Karl Kauses, den wir schon bei den Reisen zum Fürsten Czartoryski als den Bruder der Witwe Flegel kennen lernten. Die Witwe, die mit Karl Flegel das Geschäft betrieb, schuldete ihrem Bruder und nach dessen Tode seinen Erben 280 Thaler oder 1.740 polnische Gulden. Nachdem nun die beiden Versuche des Generals, die er im August gemacht hatte, um das Flegelsche Grundstück zum Verkauf zu bringen, gescheitert waren, meldete sich Arndt mit einer Forderung von 3.715 Gulden 19 Groschen, also dem Doppelten von dem, was ihm zukam. Vergebens berief sich Flegel als Vertreter der Witwe und Mitbesitzer des Grundstückes vor dem Stadtgericht zu Grätz auf das gerichtliche Inventarium d.h. die beim Magistrat oder Gericht eingetragenen Forderungen und auf seine quittierten Rechnungen.

Am Eingang zum Gerichtsgebäude – Aufn. PM

(In den Städten bestand bis zur Besitznahme des Landes durch Preußen 1772 bzw. 1793 noch aus dem Mittelalter das deutsche oder Magdeburger Recht. Danach lag die Verwaltung der Stadt dem Magistrat, die Rechtsprechung dem Gericht ob. Die Mitglieder beider Behörden bestanden aus Bürgern und wurden meist nur auf ein Jahr gewählt (Ztschr. d. Hist. Gesellsch. VII. Jahrg. S. 271). Den Vorsitz im Gericht führte der erste Richter, der kurzweg auch der Richter genannt wird. Ein solcher war Karl Flegel, der Vater Karl Ehrenfrieds, in Rakwitz. Jedoch nicht alle gerichtlichen Angelegenheiten wurden vom Stadtgericht erledigt; für einzelne Rechtssachen, z. B. Schuldforderungen, kleine Beleidigungen, war auch der Magistrat zuständig, dem sonst die Verwaltung der Polizei oblag. (Ztschr. a.a.O. S. 272). Die Grenze der Zuständigkeit stand keineswegs überall fest. So konnte der preußische Beamte im Jahre 1772 bei der Übernahme des Netzedistrikts von den erschienenen Magistrats- und Gerichtspersonen in Nakel nicht herausbekommen, welche Sachen vor den Magistrat, welche vor das Gericht gehörten. Im Allgemeinen wurden Verbrechen und schwere Vergehen vom Gerichte abgeurteilt; von den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gehörten, wie bei der Besitznahme von Deutsch-Krone festgestellt wurde, nur die verwickelteren, welche eine rechtliche Erörterung erforderten, vor das Gericht, die anderen vor den Magistrat. (Vgl. a.a.O. 272)

Der Magistrat prüfte nicht erst Arndts Forderungen, sondern erkannte sie an und entschied, dass dieser von dem Hause „Intermission“ nehmen sollte, sprach es also dem Arndt zu.

Auch der fürstliche Hof zu Grätz und die Stadt traten jetzt mit angeblichen Forderungen an Flegel hervor, und diese wurden, obwohl sie unbegründet waren, gleichfalls anerkannt.

Da Flegel sah, dass er in Grätz kein Recht fand, reiste er nach Warschau, um dem Fürsten selber seine Sache vorzutragen, traf ihn jedoch nicht an. Die Fürstin dagegen verwandte sich für ihn und richtete an Radonski ein Schreiben, in welchem sie ihn ersuchte, Flegels Sache mit voller Gerechtigkeit zu behandeln.

Seine Anwesenheit in Warschau benutzte Flegel, um dem Könige seine Beschwerden gegen die Freistädter oder Rakwitzer Herrschaft vorzutragen, an die er ja noch alte Forderungen von seinem Vater her hatte. Der König wies ihn an den Kronkanzler, und dieser entschied, als ihm Flegel seine Sache vorlegte, dass er sich an den derzeitigen Besitzer von Freistadt, Herrn von Zakrzewski, halten müsse. Das tat Flegel auch, aber Herr von Zakrzewski erteilte ihm die bezeichnende Antwort: „Was hat mir der König zu befehlen? Ich bin König in meiner Stadt.“

Mehr Erfolg schien Flegel in Grätz zu haben, nachdem die Fürstin für ihn eingetreten war, bis er sich zuletzt auch hier enttäuscht sah. Zwar versprach Radonski eine gerechte Untersuchung, gab auch Flegel ein Verzeichnis der angeblichen Forderungen, damit dieser dieselben prüfen und, soweit sie nicht berechtigt waren, wiederlegen konnte; aber in Wahrheit suchte er ihn nur hinzuziehen, um ihn später beim Fürsten anzuschwärzen, wie sich der Chronist ausdrückt. Die Sache wurde daher verschleppt, bis Radonski sein Ziel erreicht zu haben glaubte. Plötzlich befahl er, das Haus zu taxieren, und verlangte gerichtlichen Verkauf.

Ehem. evangelische Kirche – Aufn. PM

(Das Verfahren des Generals ist rechtlich unklar und steht im Widerspruch mit dem Magistratsdekret, nach welchem Arndt von Flegels Haus „Intermission“ nehmen sollte. Da Radonski das Haus trotz dieses Dekrets von neuem „in Anschlag nehmen“ und später gerichtlich verkaufen lässt, so hatte Arndt vom Magistrat wohl nur das Recht, die Verwaltung des Grundstücks zu übernehmen, erhalten, bis das Urteil rechtskräftig geworden wäre oder Flegel Berufung an den Fürsten als Grundherrn eingelegt hätte.)

Aber Flegel war auf diesen Schlag doch nicht so unvorbereitet, als jener geglaubt hatte, sondern hatte die Absichten seines Feindes rechtzeitig erkannt und sich um ein sogenanntes Königliches Geleit beworben, das er gerade erhielt, als Radonski den Befehl gegeben hatte, das Haus zu taxieren und zu verkaufen. Dieser königliche Geleitsbrief war auf sechs Monate ausgestellt, hemmte auf diese Zeit das eingeleitete Verfahren und gab Flegel die Möglichkeit, seine Gläubiger vor Gericht zu fordern und ihre Forderungen hier zu widerlegen oder sich sonst mit ihnen auseinander zu setzen.

Flegel glaubte jetzt gewonnen zu haben. Er meldete sich mit dem Geleit bei dem Stadtgericht, wo es ins Stadtprotokoll eingetragen wurde, und lud Arndt vor das Gericht. Dieser weigerte sich zuerst zu erscheinen, weil er nicht unter städtischer Gerichtsbarkeit stände, und das Gericht stimmte ihm bei. Endlich nach mehreren Wochen, am 12. Juni 1782 kam er freiwillig, und jetzt wurde gerichtlich festgestellt, dass Flegel den Kauseschen Erben, zu denen Arndt gehörte, nicht mehr als 1.740 Gulden schuldete.

Die ältere Chronik berichtet den Ausgang des Prozesses nicht; denn sie bricht gerade an dieser Stelle ab. Dagegen erfahren wir aus der jüngeren (S.12), das das Flegelsche Grundstück Arndt übergeben und die Familie Flegel daraus vertrieben wurde. Die Einzelheiten, die der jüngere Berichterstatter erzählt, stimmen mehrfach nicht mit den Angaben des älteren Chronisten. Johann Samuel gibt das Jahr 1780 (Er hatte offenbar die Jahreszahl nicht mehr sicher im Gedächtnis. Die Urschrift hat 1781, die Reinschrift 1780, wobei 81 in 80 verwandelt ist, wie man noch deutlich erkennt.) als das der Vertreibung an; er sei damals mit seiner Schwester Elisabeth allein im Hause gewesen und habe dieses mit ihr noch an demselben Tage verlassen müssen, „weil alles verschlossen“ wurde; seine Mutter und Karl Flegel seien zu jener Zeit gerade in Warschau gewesen, um beim Könige Stanislaus August Schutz gegen die Vergewaltigungen zu suchen, denen sie durch Radonski ausgesetzt waren; aber auch der König habe ihnen nicht helfen können, da Grätz eine adlige, d. h. unter einem adligen Grundherrn stehende Stadt war, und jeder Edelmann – hier also der Fürst bzw. sein Bevollmächtigter – König auf seinen Gütern war.

Ehem. Bürgerhaus des Kaufmanns A. Herzfeld – heute Sitz der Handwerkszunft – Aufn. PM

Hier liegen mehrere Irrtümer vor. Flegel und die Witwe (auch die ältere Chronik sagt (S.12): Wir waren genötigt, nach Warschau zu gehen) haben in der Hausangelegenheit 1781 allerdings eine Reise nach Warschau unternommen, aber sie wollten sich nicht an den König, sondern an den Fürsten, als den Grundherrn von Grätz, wenden, der ihnen allein in ihrem Rechtsstreite helfen konnte, weil ihm, nicht aber dem Könige, die oberste Gerichtsbarkeit dort zustand. Da der Fürst in Warschau nicht anwesend war, so wandten sie sich und zwar mit Erfolg an die Fürstin. Dem Könige trugen sie die Freistädter Sache vor und hierbei, nicht in der Grätzer Angelegenheit, wird der Anspruch und zwar aus dem Munde des Freistädter Grundherrn angeführt, dass jeder Edelmann König auf seinen Gütern sei. Außerdem ist die Angabe unrichtig, dass Flegel und die Witwe von der Warschauer Reise nicht mehr nach Grätz zurückkehrten, sondern in Borowo ihren Aufenthalt nahmen. Wir wissen vielmehr, dass Flegel auf Veranlassung der Fürstin vom General ein Verzeichnis seiner Gläubiger erhielt, dass er 1782 einen Königlichen Geleitbrief bekam und am 12. Juni dieses Jahres mit Arndt vor dem Stadtgericht zu Grätz Termin hatte. Somit muss die Vertreibung der Familie Flegel erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1782 oder noch später erfolgt sein.

Wann diese aber auch immer erfolgte, die Familie verlor ihr Haus und musste Grätz verlassen. Sie fand eine Zuflucht und freundliche Aufnahme bei dem damaligen Präsidenten der dissidentischen Union, dem Obersten von Mojaczewski zu Borowo (wahrscheinlich dem bei Kosten gelegenen), den wir schon früher als einen Freund der Familie kennen lernten. Hier starb 1787 die Witwe Flegel, die Mutter des jüngeren Chronisten, und an jene Zeit erinnert auch ein Bild, welches die Kreuzigung Christi darstellt und noch heute in der Sakristei der evangelischen Kirche zu Grätz hängt. Es trägt die Überschrift: „Geschrieben von Karl Ehrenfried Flegel in Borowo Anno 1794 Monath Junij.“ Die Unterschrift lautet: Consumatum est. Es ist vollbracht. Joh. 19,30.