Apotheker Speichert, Bomst – Wiederaufnahmeverfahren gegen die Verurteilung wegen Mordes / 1886 – Teil -1-

Bomst Marktplatz – AK Ausschnitt

„Die Arbeiten des letzten Naturforscher Kongresses, insbesondere die für gerichtliche Medizin, haben für eine wegen Gattenmordes zum Tode verurtheilte, zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigte Person ein überraschend hoffnungsreiches Resultat gezeitigt.

Am 13. November 1876 wurde der Apotheker Wladislaus Speichert zu Bomst von dem Schwurgericht zu Meseritz in Folge des mit 7 gegen 5 Stimmen gefällten Wahrspruchs der Geschworenen, dem der Gerichtshof beitrat, für schuldig befunden, im Mai 1875 seine Ehefrau durch Beibringung von Gift (und zwar von Arsenik) mit Überlegung getödtet zu haben.

Dieses Urtheil stützte sich hauptsächlich auf die Gutachten des im Jahre 1879 verstorbenen Professor Dr. Sonnenschein, des Kreiswundarztes Dr. v. Zagrodzki, des damaligen Kreisphysikus, jetzigen Geh. Rath Professor Dr. Koch und Medizinalraths Dr. Wolff aus Berlin.

Professor Dr. Sonnenschein hatte in den von ihm untersuchten Theilen der Leiche der Frau Speichert, welche etwa ein Jahr nach ihrer Beerdigung ausgegraben worden und in mumifiziertem Zustande gefunden worden ist, eine Spur von Arsenik entdeckt, auf Grund welcher Thatsache hin er den sicheren Schluß zog, daß der Verstorbenen Arsenik beigebracht worden ist, welches ihren Tod zur Folge gehabt hat.

Die medizinischen Gutachten bauten auf diesen Ausspruch und namentlich auf die Thatsache hin, daß die Leiche mumifiziert war, ihre Ansicht auf, daß, obgleich die Krankheitserscheinungen nicht darauf hindeuteten, eine Arsenikvergiftung vorliege.

Der Angeklagte hatte bereits im Termin auf das Allerenergischste die Richtigkeit der Sonnenschein’schen Analyse bestritten und verlangt, daß andere Leichentheile von einem anderen Chemiker untersucht würden; der damalige Gerichtshof lehnte dies aber mit Rücksicht auf Sonnenschein’s unzweifelhafte Autorität ab. Der Verurtheilte wanderte, als die Todesstrafe in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt worden war, in die Strafanstalt zu Cronthal, in welcher er sich noch heute befindet. Aus dieser heraus wandte er sich an bedeutende Chemiker mit der Bitte um Prüfung des Sonnenschein’schen Verfahrens bei der Untersuchung und dessen Gutachtens.

Unterm 28. April 1882 gab der Medizinalrath Professor der Chemie an der technischen Hochschule zu Braunschweig Dr. R. Otto in einem eingehend motivierten Schriftstück sein Urtheil dahin ab, daß das Sonnenschein’sche Verfahren keinen sicheren Schluß darauf zulasse, daß die gefundene Spur von Arsenik sich in den Leichentheilen befunden habe; er erklärte es vielmehr für sehr wahrscheinlich, daß diese Spur durch das aus Schwefeleisen gezogene Schwefelwasserstoffgas in die Untersuchungsmenge hineingebracht worden sei.

Das auf dieses Gutachten hin gestützte Wiederaufnahmegesuch des Vertheidigers Rechstanwalt Dr. v. Jazdzewski in Posen wurde vom Landgericht zu Meseritz als unzulässig zurückgewiesen, ebenso die dagegen eingelegte Beschwerde vom Oberlandesgericht zu Posen, obwohl damals bereits die Oberstaatsanwaltschaft im Interesse der Aufklärung dieser Sache die Erhebung der beantragten neuen Beweise anheimgestellt hatte.

Ein Jahr später hatte ein Bruder des Verurtheilten die Bekanntschaft des hiesigen gerichtlichen Chemikers Dr. Karl Bischoff gemacht und diesen für die Sache interessiert. Auch dieser wohlrenommierte Sachverständige gelangte aus der Prüfung der ganzen Sache zum dem gleichen Resultat, wie sein Braunschweiger Kollege Dr. Otto, und Rechtsanwalt Dr. Ph. Fränkel in Berlin unternahm es, einen erneuten Wiederaufnahme-Antrag einzureichen.

Damals gelangten Mittheilungen über diesen Prozeß in die Presse, und es wird noch bekannt sein, wie zahlreichen Angriffen die Hr. Otto und Bischoff, die ohne jedes Verschulden in diese Sache hineingezogen waren, ausgesetzt worden sind.

Auch dem zweiten Wiederaufnahme-Antrag wurde seitens der Gerichte der Erfolg versagt, obwohl namentlich in der Beschwerdeschrift nichts weiter verlangt war, als daß eine Exhumierung der Leiche angeordnet und dieselbe nochmals auf Arsenik hin untersucht würde.

Inzwischen beschäftigte sich Geh. Rath Professor Dr. Liman mit diesem so merkwürdigen Fall. Da er ihn für überaus wichtig erachtete, brachte er ihn auf dem letzten Naturforscher-Kongreß in der Sektion für gerichtliche Medizin zur Sprache, und sein vor einem gefüllten Auditorium von medizinischen Autoritäten gefälltes Urtheil war für die früheren Gutachten, daß aus der Mumifizierung der Leiche auf eine Arsenvergiftung zu schließen sei, geradezu vernichtend. Nach zahlreichen wissenschaftlichen Erfahrungen kommen aus anderen Ursachen erheblich mehr Mumifizierungen von Leichen vor, als durch Vergiftung mit Arsen. Alsdann wiesen auch die Krankheitserscheinungen durchaus nicht auf eine solche Vergiftung hin.

Zu unserer großen Freude erfahren wir nun, daß ein neuer Versuch des jetzigen Vertheidigers Rechtsanwalt Dr. Hailliant in Bromberg, wenn zwar auch erst in der Beschwerdeinstanz, die Sache zur Wiederaufnahme zu bringen, den erhofften Erfolg gehabt hat. Das Oberlandesgericht zu Posen soll die Wiederaufnahme für zulässig erachtet haben; denn es findet nächsten Montag, den 15. des Monats, in Bomst die nochmalige Ausgrabung der Leiche der Frau Speichert statt, und zwar im Beisein des Geh. Medizinalrath Professor Dr. Liman, des Geh. Medizinalrath Dr. Wolff, des Dr. Carl Bischoff aus Berlin, des Professor der Chemie, Direktors des chemischen Instituts der Universität zu Breslau, Dr. Loewig, des Kreisphysikus und des Kreiswundarztes zu Bomst.

Es soll festgesellt werden, ob die Mumifizierung der Leiche noch besteht und ob sie aus der Bodenbeschaffenheit oder in Folge einer Vergiftung entstanden ist, ferner sollen noch, wenn möglich, von der Leiche zu entnehmende Theile nach dem Vorhandensein von Giften untersucht werden. – Wir werden über das Resultat seiner Zeit berichten“

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt: Berliner Volksblatt, Ausgabe Freitag, 12. Nov. 1886 – Deutsche Zeitungsportal (deutsche-digitale-bibliothek.de)