Bericht über den Kirchturmbrand in Neutomischel am 20. Dezember 1916

Die ehem. evgl. Kirche mit ihrem "schlanken" Kirchturm, dem damaligen Wahrzeichen der Stadt - AK aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Die ehem. evgl. Kirche mit ihrem „schlanken“ Kirchturm, dem damaligen Wahrzeichen der Stadt – AK aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Im Januar 2011 haben wir den Kurzbericht aus dem März 1917 des Karl Eduard Goldmann über den Kirchturmbrand unter dem Titel: „1916 der Kirchturm der evgl Kirche zu Neutomischel ist abgebrannt“ veröffentlicht.

Jetzt fand sich die Berichterstattung aus dem Kreisblatt Neutomischel, welche die Ereignisse dieses Abends bzw. dieser Nacht im Detail schilderte.

Das Richtfest des „so schnell wie möglich“ wieder aufgebauten Kirchturmes wurde 1923 gefeiert.

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„Brand des Turmes unserer evangelischen Kirche

Am Mittwoch abend (20.12.1916), kurz nach 9 Uhr, ertönten Feuerrufe in unserer Stadt und bald erscholl auch der der Angstschrei „Unsere Kirche brennt„.

Und wahrlich, aus den untersten Fenstern des Turmes entstiegen dicke Rauchwolken, und Flammen, immer größer und größer werdend, schlugen bereits hervor, als die ersten Rettungsmannschaften eintrafen.

Die Kirche mit dem abgebranntem Turm - Ansichtskarte aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Die Kirche mit dem abgebranntem Turm – Ansichtskarte aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Ehe die städtischen Spritzen und Hydranten der Wasserleitung Wasser gaben, hatte das Element im Innern des Turmes schon soweit um sich gegriffen, daß bald der obere Teil desselben von den an dem trockenen Gebälk reiche Nahrung findenden gierigen Flammen ergriffen wurde. Nunmehr war zunächst an eine Löschung des verheerenden Brandes nicht mehr zu denken, da bei der drohenden Einsturzgefahr nur unnütz Menschenleben gefährdet werden konnten.

Das Herz tat einem weh, zusehen zu müssen, wie die Flammen weiter und weiter hinauf züngelten binnen kurzem den Turm unserer lieben alten, 1777/78 erbauten Kirche vernichtend.

Der Turm, das Wahrzeichen unserer Stadt, ist zwar erst später errichtet, doch ist das Jahr der Erbauung nicht bekannt. Er ist schon einmal niedergebrannt (1789 durch Blitzschlag) und zu Anfang des vorigen Jahrhunderts (zwischen 1789-1800) neu aufgebaut worden.

Schaurig-schön, einer glühenden Krone gleich, war der Anblick der brennenden, weithin sichtbaren und die Umgegend taghell erleuchtenden Turmspitze.

Richtfest des neuen Kirchturmes im Jahr 1923 - Bild aus der Sammlung des A. Kraft

Richtfest des neuen Kirchturmes im Jahr 1923 – Bild aus der Sammlung des A. Kraft

Die schönen Kronenleuchter, die beiden Altargemälde und sonstige Wertgegenstände waren inzwischen in Sicherheit gebracht worden. Auch die der Kirche zunächst stehenden und am meisten gefährdeten Häuser wurden teilweise geräumt. Was für ein Brandunglück entstanden wäre, wenn das Feuer bei stürmischem Wetter, wie wir es in den vorhergehenden Tagen hatten, ausgebrochen wäre, ist kaum auszudenken. Da glücklicherweise aber völlige Windstille herrschte, so brannten die Säulen des Kuppelbaues gleichmäßig ab und der obere Teil stürzte krachend und mit großem Getöse in den massiven, stehengebliebenen, unteren Teil zusammen. Einige brennende Balken fielen mit dem Kreuz zwar auf das Dach der Kirche, doch blieb diese infolge sofortiger Löscharbeiten und durch besonders tatkräftiges Eingreifen einiger beherzter Bürger in den an den Turm angrenzenden oberen Dachstuhl vom Brande verschont, und es wurde ein Weitergreifen des Feuers nach dem Kirchenraum verhindert. Nur die Westseite, das Dach und die Orgel, deren Gebläse im Turm eingebaut war, haben durch das Feuer gelitten, sodaß sie vorerst nicht mehr benutzt werden können. Die im Turm befindlichen drei Glocken, die um 10 Uhr in die Tiefe stürzten, sind teils zersprungen, teils zerschmolzen. Das die Spitze bildende über mannshohe eiserne Kreuz wurde ebenfalls durch den Sturz beschädigt. In der daran befindlichen Urkunden-Kapsel, die aufgebrochen war, fand man gestern noch außer einigen alten Kupfermünzen ein leider nicht mehr lesbares Schriftstück, das vom Finder bedauerlicherweise achtlos weggeworfen und nicht wiedergefunden wurde.

Die Löscharbeiten, die durch den an dem Abend einsetzenden Frost erschwert wurden und bei denen die schnell herbeigeeilten Spritzen aus Scherlanke, Kirchplatz-Borui, Paprotsch, Friedenwalde und Sontop wertvolle Unterstützung leisteten, nahmen mehrere Stunden Zeit in Anspruch. Jedermann griff nach Kräften zu, auch die Frauen und Mädchen beteiligten sich in lobenswerter Weise bei dem Heranschaffen des Wassers.

Noch am gestrigen Tage schwelten die ineinander gestürzten Trümmer des Turmes und abends fing wieder ein Balken an zu glimmen, sodaß nochmals eine Spritze in Tätigkeit gesetzt werden mußte.

Ueber die Entstehungsursache des Brandes verlautet nichts Bestimmtes. Da aber an demselben Abend von 5 bis 6 Uhr Kriegsbetstunde in der Kirche abgehalten wurde, so ist wohl anzunehmen, daß unvorsichtiges Umgehen mit Licht die Ursache des Brandes gewesen ist. Der entstandene Schaden ist zum größten Teil durch Versicherung gedeckt.

Ist nun unser alt-ehrwürdiges Gotteshaus auch seines Turmschmuckes beraubt, und müssen wir vorläufig auch unsere Gottesdienst ohne liebliches Glockengeläut und Orgelklang feiern, so wollen wir es dem Allmächtigen danken, daß er den Herd des Feuers so gnädig beschränkt hat.“

Die Kirche mit ihrem neuem "kompakter" gebauten Kirchturm - Ansichtskarte aus der Sammlung des Wojtek Szudlarski

Die Kirche mit ihrem neuem „kompakter“ gebauten Kirchturm – Ansichtskarte aus der Sammlung des Wojtek Szudlarski

Nach dem Weihnachtsfest am 27. Dezember 1916 wurde noch weiterhin berichtet: „Zu dem Bericht, den Turmbrand betr., in voriger Nummer, ist Nachstehendes noch zu ergänzen. Die Prämie für die zuerst geleistete Hilfe und Heranschaffung der ersten Spritze und Wasserkufe fällt dem hiesigen Garnisonskommando zu. Dasselbe hat unter der umsichtigen Leitung des Herrn Major von Chappuis bis alle Gefahr vorüber und der Brand gelöscht war, tatkräftige Hilfe geleistet. Herr Major hatte sich in dankeswerter Weise, da die Gefahr für die Stadt eine große war und das Feuer sehr leicht größere Dimensionen hätte annehmen können, telegraphisch nach Posen gewandt, um evtl. einen Automobil-Löschzug kommen zu lassen. Dies erübrigte sich aber, da dank der tatkräftigen Hilfe und durch die während des ganzen Brandes andauernde Windstille alle Gefahr abgewendet wurde. Das alte, ehrwürdige Gotteshaus blieb uns erhalten. Auch den Orgelklang brauchen wir unseren Gottesdiensten nicht zu entbehren, da die hiesige Janottsche Orgelbau-Anstalt bis zur Wiederherstellung der alten Orgel eine andere, wenn auch kleinere, zur Verfügung gestellt hat. Die Wiederaufrichtung des Turmes und der Neuguß der Glocken soll so schnell wie möglich in Angriff genommen werden, sodaß uns der eherne Mund der Glocken schon in nicht zu ferner Zeit wieder zur Andacht rufen und morgens in der Frühe, mittags und abends sein altgewohntes Geläut erschallen lassen wird. Mögen sich hier Schillers Worte erfüllen: „Freude dieser Stadt bedeute, Friede sei ihr erst Geläute!„“

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Quellen, soweit nicht direkt im Text oder in Bildbeschreibungen angegeben: 1) Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra) – “Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel” 1916/12/22 und 1916/12/27