Ende eines Brauches – Christnachtfeier in Neutomischel – Weihnachten 1912

Candels - Bild: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Candels.JPG?uselang=de

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Am 17. Januar 1913 erschien im Neutomischler Kreisblatt nachfolgender Artikel . . .

„Mit einem von altersher in der hiesigen evangelischen Kirche eingeführten Brauch des „Quempas-Singens“ bei der Feier der Christnacht am Vorabend des Weihnachtsfestes hat man leider gebrochen, und enttäuscht trat wohl so mancher Kirchenbesucher diesmal seinen Heimweg an.

Es ist keineswegs zu bestreiten, daß durch die große Menge der meist von Kindeshand getragenen, brennenden Kerzen und Wachsstöcke, durch Hantierung mit den Lichterkreuzen und -pyramiden der jungen Chorsänger auf den Emporen gar zu schnell ein Unglück geschehen könnte. Auch hätte oft die geradezu lebensgefährlich zu nennende Überfüllung des alten Gotteshauses am heiligen Abend bei den unzureichenden Ausgängen leicht zu einer traurigen, nicht abzusehenden Katastrophe führen können.

Weshalb verschließt sich die Kirchenverwaltung aber noch immer dem Ausbau weiterer Ausgänge und Treppenanlagen? Die Breiten- und Steigungsverhältnisse der letzteren dürften nach den heutigen baupolizeilichen Bestimmungen kaum für Wohnhäuser zulässig sein.

Es mögen vielleicht auch noch, wie man hört, unliebsame Vorkommnisse oder Ungehörigkeiten einzelner Kirchenbesucher als Beweggrund für die vorerwähnte Änderung mitgesprochen haben. Immerhin ist es doch sehr bedauerlich, wenn dieserhalb aus unserer Kirche, die sozusagen eine Geschichtstafel der hiesigen Gegend bildet, der jedenfalls schon von den ersten deutschen Ansiedlern eingeführte Brauch des „Quempas, oder Gottessohnsingens verschwinden soll.

Aus der Stadt und vom Lande, aus den entlegensten Winkeln der weitverzweigten Parochie strömte alljährlich, auch bei ungünstigem Wetter, alt und jung sonst herbei, und selbst der seltenste Kirchenbesucher hielt gewohnheitstreu von Kindheit an fest zu dieser seiner heimatlichen Christnachtfeier.

Ein ehemaliger Neutomischeler schreibt in seinen Erinnerungen über dieselbe: „Die Wirkung jener Feier ist mächtig, und der Mensch, der sie als Kind erlebt hat, verliert diesen herrlichen Eindruck nie, so lange er lebt.“

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Quempas Singen – Benannt nach einem alten Christnachts-Wechselgesang aus dem 14. Jahrhundert mit ehemals lateinischen, später lateinisch-deutschem Text: „Quem pastores landavere“, „Den die Hirten lobten sehre“.

Gottessohnsingen – „Gottes Sohn ist Mensch geboren“ (Solo) verkünden kleine Meistersinger der Schuljugend in den Schlußstrophen einen Weihnachtsliedes.“

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Lesen Sie hierzu auch unseren Beitrag:

Adventszeit und Christabend in Neutomischel – um 1847 – Autor: Johann Carl Berthold Roy (1895)

http://hauland.de/adventszeit-und-christabend-in-neutomischel-um-1847/#more-9518

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Quellen, soweit nicht direkt im Text oder in Bildbeschreibungen angegeben: Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra) – “Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel” Januar 1913