Das Doycatal – ein Reisebericht aus dem Jahr 1908

Die „Alte Muehle“ bei Wollstein / AK Sammlung Kraft

Nachstehender Reisebericht aus dem Jahr 1908 ist als Teilauszug – Kapitel 3 – entnommen aus dem im Jahr 1909 erschienenen „Führer durch das Westposener Wald- und Seengebiet“. Professor Karl Graeter beschreibt darin seine Wanderung mit seinem Reisegefährten Remus, welcher seine botanischen Kenntnisse einfließen ließ.

Der Autor verzichtete auf Quellenangaben. Leider sind daher einige Ausführungen nicht nachvollziehbar und nicht zu belegen, sodass die Ausführungen als persönliche Aussagen zu werten sind und nicht als historisches Material angesehen werden können.

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Das Doycatal

Der Berzyner und der Wollsteiner See gehören den sogenannten Rinnseen an, die durch Ausfüllung von früheren Gletscherflußläufen entstanden sind. Die Richtung dieses alten Tales wird heute durch die Doyca bestimmt, die, bei Schichagura entspringend, im Obrasee endet; der Wasserreichtum dieser großen Talfurche wird durch den Obra-Nord-Kanal der Obra zugeführt, auf deren Lauf ich späterhin noch eingehen werde. Ursprünglich bildeten alle Seen, die die Doyca durchfließt, einen einzigen großen See, dann wurde durch die alluviale Moorbildung, die sich auch heute noch fortsetzt, ihr Zusammenhang unterbrochen. Eingebettet ist dieses liebliche Tal in ein sie rings umgebendes Diluvialplateau.

Wollstein selbst hat an 3.500 Einwohner, ist Sitz des Landratsamtes für den Kreis Bomst, besitzt ein Amtsgericht, eine katholische und eine evangelische Kirche, eine Realschule, eine Maschinen- und eine Zigarrenfabrik und treibt einen regen Getreide-, Hopfen- und Schuhwarenhandel.

Etappe von Wollstein nach Borui – Kapitel 3 / Zusammenschnitt Messtischblätter

Als wir Wollstein frühmorgens verließen, war der Himmel mit Wolken bedeckt. Auf einem anmutigen Promenadenweg wandelten wir am Westrande des Sees nach dem Etablissement Bleiche, das wir durchschritten. Ein freundliches Bild bot sich uns dar. Aus dem dichten Baumschmuck der Gärten ragen uns gegenüber die Häuser und Kirchen Wollsteins hervor; weit in den See hinaus erstreckt sich eine bewaldete Halbinsel; stahlgrau fluten die Wogen; am Ufer lispelt leise in lindem Winde das Rohr. Auch weiterhin fehlt es nicht an Abwechslung. Eine Insel, mit Laubwald bedeckt, erscheint; die Dächer von Karpitzko unterbrechen des Waldes Grün. In der Nähe des Sees erscheint Torfmoos, da in seinen Blüten an das Edelweiß der Alpen erinnert. Es erhöht, indem es abstirbt, den Boden. So erblüht aus dem Tode neues Leben. Malerisch breiten sich längs des Sees grüne Matten aus, die dadurch, daß sie von Eschen – und Birkengruppen unterbrochen werden, das Aussehen englischer Parkanlagen erhalten. Da, wo der Weg die erlenumwachsene Doyca berührt, liegt die Alte Mühle so poetisch schön, wie wir uns eine rechte Wassermühle denken, vor uns. Unter einer Reihe sehr starker Lebensbäume laden Tische und Bänke den müden Wanderer zur Rast ein. Wir folgen der freundlichen Einladung und erhalten, da der Besitzer Schankgerechtigkeit besitzt, ein Glas unverfälschter Milch und kernige, eigengebackenes Brot.

Nachdem wir uns erholt, setzen wir unsern Marsch fort, der uns an einer jetzt still stehenden Schneidemühle vorbeiführt. Aus früheren Zeiten stammt ein Badehause, um das sich eine Fülle von Seerosen gruppiert. An der Ruchotscher Mühle berühren wir den schmalen Wiosker See. Unterdessen hat sich der Himmel geklärt, heiß brennt die Sonne auf uns hernieder. Deshalb nehmen wir mit Dank den uns gebotenen Trank, einige Gläser Milch, an.

Aber wie angenehm auch der Aufenthalt in der vorgebauten Veranda ist, wir müssen scheiden. Auf dem westlichen Ufer des Sees breitet sich wieder Wald aus, auf dem östlichen, an dem wir entlang schreiten, harrt des Schnitters der Ähren goldige Flut. Nach ungefähr 17 Minuten stößt unser Weg auf einen von Ost nach West verlaufenden Sandweg. Wir verfolgen ihn etwas zehn Schritte nach links und treffen auf eine Schneise, die fortan unsern Weg bildet. Rechts erheben sich hohe Sandhügel bis zu der respektablen Höhe von 90 Metern. Auf dem unfruchtbaren Sandboden haben die Kiefern schwer um ihr Dasein zu kämpfen. Nicht kerzengrade erheben sie ihre Wipfel; ihre Äste laden sich breit und verkrüppelt aus, als suchten sie Schutz bei der Mutter Erde, die ihnen, die arme, eine so kärgliche Nahrung beut.

Da ein Kreuzweg, und Sand und Sand ! Durch einen Hohlweg, neben dem durch die Kiefern ein festgetretener Fußpfad führt, steigen wir rechts empor und erblicken den einsamen Friedhof und dahinter die Häuser von Blumer Hauland. Hier gedachten wir ein, wenn auch einfaches Mittagsbrot einzunehmen. Aber wir hatten unsre Rechnung ohne die Wirtin gemacht. Wir baten, da es kein Fleisch gab, um einige Eier. Die Wirtin erklärte, sie habe keine zu Hause. Auf die Bitte, im Dorfe welche zu besorgen, erwiderte sie, gestern sei Markttag in Wollstein gewesen und die Nachbarn hätten allen ihren Vorrat verkauft. Später erzählte uns ein Fuhrknecht, der auch eingekehrt war, der Wirt sein ein „warmer Bruder“, d. h. er sei ein reicher Mann, seine Schwiegertochter stamme aus einer wohlhabenden Wirtschaft. Sie war also nicht auf die Einnahme aus der Schankwirtschaft angewiesen; sie war zu träge, um sich ihren Gästen zuliebe zu bemühen. Ohne ein einziges freundliches Wort, wie eine erhabene Prinzessin, stellte sie ihren Gästen das Verlangte hin; mit gleichgültiger Miene strich sie das empfangene Geld ein. Es war natürlich, daß wir so bald wie möglich das ungastliche Gasthaus verließen.

Blick von der Bleiche auf Wollstein / AK Sammlung Kraft

Durch einen recht guten Waldbestand, an dem jetzt eingegangenen Boruiker Krug vorbei, wo in der Tiefe die kleine Doyca durch eine parkartige Wiesenlandschaft fließt, kamen wir nach Hammer, wo wir die freudige Erfahrung machten, daß solche Wirtinnen wie die, die wir in Blumer Hauland kennen gelernt hatten, doch zu den Ausnahmen gehören. Im Gasthause zu Hammer war geschlachtet worden; bald stand vor jedem von uns beiden ein Teller mit zwei Semmelwürsten und eine riesige Kanne Kaffee. Dazu die liebenswürdige Geschäftigkeit der jungen Maid, die uns bediente! Doch unsre Freude erreichte ihren Höhepunkt, als wir unsre Zeche bezahlten. Zwanzig Reichspfennige für die Person!

In Hammer ist eine Königliche Domäne. Vor dem ansehnlichen Herrenhause breitet sich ein umfangreiches Blumenrondell aus; alte Bäume spenden erquickenden Schatten; den Hintergrund bildet ein wohlgepflegter Park. Bei dem unmittelbar an das Gut angrenzenden Forsthause war kupiertes Gelände, durch das der Weg steil emporstieg. Die Landschaft nahm zeitwiese einen gebirgsartigen Charakter an. Durch die Stämme schimmerte die Flut des Hammersees, der in seiner Form an den Gurkasee bei Moschin erinnert. Ein prächtiger Promenadenweg begleitet das westliche Ufer des Sees, der als Grundmoränensee zu betrachten ist, bis Sand-Vorwerk. Eine volle Stunde lagen wir an seinem Ufer, lauschten den plätschernden, auf- und abgleitenden Wellen, freuten uns an der Finken fröhlichen Liede und der stillen, von dem Getriebe der Menschen völlig abgeschlossenen Einsamkeit. Der Hammersee ist unzweifelhaft zu den schönsten unsrer Heimat zu rechnen.

Eine Viertelstunde später waren wir in Borui, wohin ein Feldweg von Sand-Vorwerk führt. Das Dorf ist gemischtsprachig, Sitz eines Distrikskommissarius. Altertümliche mit dem Giebel der Straße zugekehrte Blockhäuser wechseln mit freundlichen modernen Ziegelhäusern. Im Gasthause von Richard Fechner fanden wir gute Aufnahme und billige Verpflegung.

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt: „Führer durch das Westposener Wald- und Seengebiet“ – Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz;