Das „Drama von Dakowy Mokre“ – Ereignisse, Ermittlungen und das Urteil – 1913/1914

Blick auf Dakowy Mokre (2)

Blick auf Dakowy Mokre – Bild: EA

Im Neutomischler Kreisblatt wurde es als „Drama von Dakowy Mokre“ überschrieben, im Berliner Tageblatt war es eine Schreckenstat. Graf Mielzynski  hatte im Dezember 1913 seine Frau Felicie geborene Gräfin von Potok-Potocka und deren Neffen den Grafen Alfred Mianczynski  erschossen.

Mathias Graf-Comte Mielzynski-Brudzewo  war am 13.10.1869 in Köbnitz / Chobienice unter dem Namen Maciej Ignacy Przecław Mielżyński geboren worden.  Zu seiner Person findet sich, dass er den Gymnasial Abschluss hatte, als Kunstmaler galt obwohl er ein begonnenes Kunststudium abgebrochen haben soll, Rittergutbesitzer und Offizier gewesen war und sich als polnischer Publizist im politisch literarischen Bereich betätigt hatte.

Bei den Reichstagswahlen des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1903 war Graf Mielzynski über die Polnische Liste für den Landkreis Samter-Birnbaum als Vertreter der polnischen Fraktion in den Deutschen Reichstag gewählt worden. Durch seine Tat legte er dieses Mandat allerdings mit Beginn des Januar 1914 nieder.

Während des  Dritten oberschlesischen Aufstandes im Jahr 1921 wird ihm die bedeutende Rolle des Anführers, er hatte in jener Zeit das Pseudonym „Nowina Doliwa“ angenommen, zugeschrieben.

Er starb am 09. Januar 1944 in Wien.

Über das Privat- und Seelenleben, des Grafen Mielzynski wurde in den Berichterstattungen geschrieben; es sind Erwähnungen zu finden wie: „… er sich einen Lungenschuss  beibrachte, als sich seiner Eheschließung mit der Gräfin Potocka Hindernisse in den Weg stellten“, es zu einer „Versöhnung“ gekommen war, und auch, dass die „Familienverhältnisse angespannt“ waren.

In der Kreiszeitung Neutomischel, dem Berliner Tageblatt, selbst in dem „The West Australian“  und anderen Blättern, wurde zum Teil ausführlich über die Ermittlungen, die Gerichtsverhandlung und letztlich das Urteil berichtet; nachstehend einige Artikel bzw. Auszüge aus diesen:

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1913-12-22 Berliner Tageblatt – (Telegramm unseres Spezialkorrespondenten) – H. Grätz (Posen), 21. Dezember – Die Schreckenstat des Grafen Mielzynski. – Der Graf im Grätzer Amtsgerichtsgefängnis. Der Reichstagsabgeordnete Graf Mielzynski, der seine Frau und deren Neffen erschossen hat, befindet sich im hiesigen Amtsgerichtsgefängnis als Untersuchungsgefangener.

Der Palast verm. vor dem Umbau - Bild: Z dziejów parafii dakowskiej 1401-2001

Der Palast verm. vor dem Umbau – Bild: Z dziejów parafii dakowskiej 1401-2001

Ueber die Schreckenstat werden jetzt folgende Einzelheiten bekannt: Graf Mielzynski war am Freitag vormittag in Posen und kehrte gegen 2 Uhr im Automobil nach Dakowymokre zurück. Unterwegs traf er das Automobil seiner Gattin, die sich auf dem Wege nach Posen befand, um dort Weihnachtseinkäufe zu besorgen. Die Gräfin war gegen 1/2 u Uhr abends wieder in ihrem Schloß. Bald nach ihrer Rückkehr erschien auch der junge Graf Alfred Miaczynski, in Begleitung seines Leibjägers, der vom Grafen Mielzynski eine Jagdeinladung erhalten hatte. Graf Mielzynski, die Gräfin und der junge Graf Maiczynski nahmen gemeinsam das Abendessen in den Wohnräumen der Gräfin in dem Parterre des Schlosses ein und blieben noch mehrere Stunden beisammen. Es wurde getrunken, geraucht und musiziert. Keinem der Anwesenden war irgend eine Erregung anzumerken. Erst nach Mitternacht trennt sich der Gast von seinen Gastgebern. Graf Mielzynski begab sich in seine in der ersten Etage gelegenen Schlafzimmer, und auch der junge Graf Miaczynski, der bezecht war, ging in sein Zimmer, das gleichfalls im ersten Stockwerk des Schlosses lag. Die Lage des Zimmers des jungen Grafen war derartig, daß er, um in sein Zimmer zu gelangen, an dem Schlafzimmer des Schloßherrn vorüber mußte. Der junge Graf hat sich nun, nachdem er kurze Zeit in seinem Schlafzimmer geweilt hatte, wieder in das unter Geschoß des Schlosses begeben und die Räume der Gräfin aufgesucht. Beim Verlassen seines Zimmers sagte er seinem Leibjäger, er solle auf ihn warten, er sei in zehn Minuten wieder zurück.

Es wird nun angenommen, daß Graf Mielzynski, dessen Schlafzimmertür nicht geschlossen gewesen sein soll, hörte, daß sein Neffe wieder in die Parterreräume des Schlosses hinunterging. Er soll dann, als der junge Graf nach längerer Zeit nicht wieder in sein Schlafzimmer zurückkehrte, selbst hinuntergegangen sein und an den Türen der Gemächer der Gräfin gelauscht haben. Der Chauffeur der Gräfin wurde noch gegen 2 Uhr nachts in den Salon der Gräfin befohlen, und zu dieser Zeit saßen die Gräfin, ihre Gesellschafterin und der junge Graf noch im Salon, unterhielten sich und rauchten Zigaretten. Plötzlich gegen 4 Uhr morgens erlosch in sämtlichen Räumen des Schlosses das elektrische Licht. Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Schlafzimmer der Gräfin, in dem sich der junge Graf und die Gräfin befanden. In der Tür des durch eine Kerze erleuchteten Zimmers erschien Graf Mielzynski in Nachtkleidung, mit der Jagdflinte und einer elektrischen Taschenlampe in der Hand. Ohne ein Wort zu sagen, soll er das elektrische Licht wieder entzündet und die beiden tödlichen Schüsse abgegeben haben.

Der erste Schuß traf die Gräfin, der zweite den jungen Grafen. Die Gräfin erhielt eine Schrotladung mitten in die Brust. Der junge Graf wurde am ganzen Oberkörper von Schrotkugeln getroffen. Durch die Schüsse wurden der Leibjäger des jungen Grafen und die Gesellschafterin der Gräfin aufmerksam gemacht. Graf Mielzynski ging auf dem Korridor vor dem Schlafzimmer seiner Frau auf und ab. Als der Leibjäger des jungen Grafen die Treppe herabeilte und den Schloßherrn auf dem Flur sah, soll ihm dieser entgegengerufen haben, sein Herr sei schon lange tot. Jetzt wurde das gesamte Dienstpersonal geweckt, und es versammelte sich auf dem unteren Korridor des Schlosses. Graf Mielzynski rief den Leuten zu: „Geht doch hinein und rettet den Sündern ihre Seelen! Ruft doch den Priester für die Gräfin!“. Er soll dann an das Dienstpersonal eine Ansprache gehalten haben, in der er erklärte, daß er seine Frau und den Grafen Miaczynski erschossen habe, weil er ihn in den Zimmern seiner Frau ertappt habe. Unterdessen bemühten sich mehrere Bedienstete um die Erschossenen. Man legte die Gräfin auf ihr Bett und rief einen Priester herbei. Die Gräfin war nur mit einem Nachtkleide bekleidet; ihre Füße waren nackt. Der junge Graf war vollständig angekleidet, nur hatte er keine Stiefel an; diese standen in einer Ecke des Zimmers. Graf Mielzynski, der äußerlich vollkommene Ruhe zeigte, ging darauf in sein Zimmer und soll dort einige schriftliche Aufzeichnungen gemacht haben. Als um 8 Uhr morgens der telephonische Dienst eröffnet wurde, ließ er sich zunächst mit dem Gute Ivno verbinden, wo sein Bruder wohnt, und setzt diesen von seiner Tat in Kenntnis. Dann benachrichtigte er seinen Rechtsanwalt, Justizrat Motty in Grätz, von der Tat und machte zuletzt dem Amtsgericht Grätz Mitteilung von dem Geschehenen. Der Bruder des Grafen und dessen Gattin eilten im Automobil nach Dakowymokre, wohin sich auch Justizrat Motty begeben hatte. Bald war auch die Gerichtskommission unter Leitung des Amtsrichters Hagen aus Grätz an Ort und Stelle; aus Meseritz kam ein Vertreter der Staatsanwaltschaft, und auch der Distriktkommissarius aus Buk erschien. Die Vernehmung des Grafen Mielzynski, über deren Ergebnis nichts bekannt ist, dauerte den ganzen Tag an. Abends gegen 1/2 11 Uhr kehrte die Gerichtskommission nach Grätz zurück und nahm den Grafen Mielzynski im Automobil mit; es war unterdessen ein Haftbefehl gegen den Grafen erlassen. Er wurde in das Grätzer Untersuchungsgefängnis eingeliefert.

Ausschnitt aus Messtischblatt 1911 - Quelle: http://mapy.amzp.pl/tk25.cgi?23,48,60,80

Ausschnitt aus Messtischblatt 1911 – Quelle: http://mapy.amzp.pl/tk25.cgi?23,48,60,80

Heute fand die Obduktion der Leichen statt, zu der der Graf nicht zugezogen wurde. Die Ehe des Grafen und der Gräfin sind, wie gemeldet, drei Kinder entsprossen, zwei Töchter im Alter von 16 und 13 Jahren, die in einem Kloster in Galizien erzogen werden, und ein siebenjähriger Sohn, der sich bei dem Bruder des Grafen auf dem Gute Ivno befindet. Der Eheschließung des gräflichen Paares hatten seinerzeit große Hindernisse im Wege gestanden. Der Vater der auffallend schönen damaligen Komtesse Potocka war gegen die Ehe seines Kindes mit dem Grafen Mielzynski. Als Graf Potocki dem Bewerber erklärte, daß er ihm seine Tochter nicht zur Frau geben würde; brachte sich Graf Mielzynski vor den Augen seines zukünftigen Schwiegervaters einen Schuß in die Brust bei, unter dessen Einwirkung er noch heute zeitweise zu leiden hat. Schließlich gab der alte Graf Potocki dennoch die Einwilligung zur Eheschließung.

Die Ehe war in den ersten Jahren glücklich. Bald stellten sich aber Zwistigkeiten ein, die schließlich zu einer längeren Trennung führen. Erst im Frühjahr dieses Jahres, nachdem die Gräfin durch den Tod ihrer beiden Brüder die Herrschaft Dakowymokre geerbt hatte, wurden von den beiderseitigen Familien Versuche unternommen, die beiden Ehegatten wieder zu versöhnen. Es fand schließlich auch eine Aussöhnung statt, und der Graf und die Gräfin verbrachten einen Teil des Sommers gemeinsam mit ihren Kindern in Ostende.

Erst vor etwa acht Wochen ist der Graf völlig nach Dakowymokre übergesiedelt. Während der Abwesenheit des Grafen hatte sich zwischen der Gräfin und ihrem Neffen Miaczynski, dem Sohne ihrer Stiefschwester, der auf Bendlewo wohnte, ein Freundschaftsverhältnis entwickelt. Der junge Graf war fast täglich in Dakowymokre, und auch die Gräfin besuchte ihn häufig auf seinem Schloß. Beide machten wiederholt gemeinsame Fahrten nach Posen oder trafen sich dort. Von glaubwürdiger Seite wird versichert, daß die Gräfin, die eine sehr vermögende Dame war, den Grafen Miaczynski durch große Geldgeschenke unterstützte, und daß sie ihm auch wiederholt Juwelen und Pelze geschenkt hat. Ob das Gerücht, daß schon längere Zeit zwischen beiden unerlaubte Beziehungen bestanden, richtig ist, wird die Untersuchung ergeben.

Graf Miaczynski war stark dem Alkoholgenuß ergeben. Es soll Monate gegeben haben, in denen er an jedem Tag betrunken war. Auch war er in den Vergnügungslokalen in Posen kein seltener Gast.

Die Gräfin wird von allen Seiten als eine bildschöne Brünette geschildert. Sie soll für die Armen jährlich viele Tausende gegeben haben. Die Herrschaft Dakowymokre, die einen Umfang von 22.000 Morgen hat, ist eine der schönsten und ertragreichsten der Provinz Posen. Das Dorf Dakowymokre, das etwa vierhundert Einwohner zählt, besteht aus kleinen einstöckigen Lehmhütten. Die Bevölkerung ist fast ausschließlich polnisch. Das Schloß liegt inmitten eines kleinen Parkes. Es ist in den letzten Monaten ausgebaut und renoviert worden und hat zwei neue Seitenflügel erhalten. Die Inneneinrichtung ist sehr prunkvoll. Um das Schloß herrscht große Totenstille. Die Schloßbediensteten beklagen das Schicksal ihrer Herrin tief.

Heute vormittag fand in der Dorfkirche eine Messe für die Tote statt. Die Leichen sind noch nicht freigegeben. Die Gräfin wird im Erbbegräbnis der Familie Mielzynski in Woznik, Graf Miaczynski auf dem Gute Netlowo beigesetzt werden. Graf Mielzynski bleibt zunächst bis zum Abschluß der ersten Untersuchung im Amtsgerichtsgefängnis in Grätz und wird dann nach dem Landgerichtsgefängnis in Meseritz überführt werden. Vor den dortigen Geschworenen wird er sich auch zu verantworten haben.

Fassade der Kirche des Klosters in Wozniki; hier findet sich die Familiengruft der Mielzynski Familie; auf dem Friedhof hinter der Kirche wurde der Sohn Karol Maciej  Mielzynski (1906-1994) als letzter Nachkomme der Familie  beigesetzt - Bild: PM

Fassade der Kirche des Klosters in Wozniki; hier findet sich die Familiengruft der Mielzynski Familie; auf dem Friedhof hinter der Kirche wurde der Sohn Karol Maciej Mielzynski (1906-1994) als letzter Nachkomme der Familie beigesetzt – Bild: PM

1913-12-22 Berliner Tageblatt – Unterredung mit dem Rechtsvertreter des Grafen Mielzynski – Im Hinblick auf die Ehetragödie des Grafen Mielzynski haben wir uns an den hiesigen Rechtsvertreter des Grafen, Rechtsanwalt Dr. Lubszynski, gewandt, der sich wie folgt dazu äußert: „Ueber die Tat selbst ist mir Näheres noch nicht bekannt. Ueber voranliegende Einzelheiten verbietet mir das Berufsgeheimnis weitere Mitteilungen. Für den, der die Familienverhältnisse näher kennen zu lernen Gelegenheit hatte und bemerken mußte, welche seelischen Qualen der Graf unter dem ganzen Leben der Gräfin in den letzten Jahren erduldet hat, kann die Tat nichts Ueberraschendes haben. Die starre und unbeugsame Art, mit der die Gräfin allen Bestrebungen des von starker Leidenschaft und von Liebe für seine Gattin erfüllten Grafen auf Wiederherstellung eines geordneten Ehelebens ablehnend entgegentrat, mußte die Erregung des Grafen zum Aeußersten bringen. Der nächste Anlaß mußte die Explosion herbeiführen. Die Gräfin, eine bekannte und gefeierte Schönheit, war, seitdem sie nach dem Tode ihres Vaters und ihrer beiden Brüder Alleinerbin und unbeschränkte Eigentümerin des großen Potockischen Familienfideikommisses und Schloßherrin von Dakowymokre geworden, völlig in den Händen ihrer Umgebung, zum großen Teil untergeordnete Personen, die systematisch jede Wiederannäherung ihres Gatten zu verhindern suchten. Nur mit Kunst und Mühe gelang es dem in Berlin seiner Kunst und der Politik lebenden Grafen überhaupt, Zutritt zu dem Schloß zu erhalten und einen Einblick in die Bewirtschaftung des ausgedehnten Grundbesitzes zu nehmen. Aber selbst bei diesen Zusammenkünften drängte sich die Umgebung zwischen die Ehegatten, so daß der Graf kaum eine Gelegenheit zu der erwünschten Aussprache fand. Die unselbstständige und schwankende Natur der Gräfin verstärkte die Herrschaftsmacht der Umgebung über sie. Dazu kam der durch frühere Vorkommnisse genährte Argwohn in die eheliche Treue der Gräfin, der schließlich, als auch diese Vermutung zur Wahrheit geworden war, dem von Verzweiflung erfüllten Mann die Waffe in die Hand drückte.“

1913-12-23 Berliner Tageblatt – Das Drama von Dakowymokre – (Telegramm unseres Korrespondenten) – Grätz, 23. Dezember – Obgleich nun schon mehrere Tage vergangen sind seit der Nacht, in der sich das Familiendrama im Schloß von Dakowymokre abspielte, weiß man immer noch nicht recht, welche Motive den Grafen Mielzynski zu der Tat veranlaßt haben.

Die polnischen Kreise sind nach wie vor der Ansicht, daß zwischen der Gräfin und ihrem Neffen ein unerlaubtes Verhältnis bestanden habe. Der Graf selbst soll von den Beziehungen, über die man seit langer Zeit unterrichtet war, erst in der letzten Zeit durch anonyme Briefe Kenntnis erlangt haben. Ist diese Ansicht richtig, so würde sich die Schreckenstat des Grafen als Eifersuchtsdrama darstellen. Andere neigen der Ansicht zu, daß der Graf, wie er selbst behauptet, durch ein Geräusch aus dem Schlaf geweckt, angenommen habe, es seien Einbrecher im Hause, und daß er die Gräfin und den Grafen Miaczynski versehentlich erschossen habe.

Daß zwischen den Eheleuten auch nach der Versöhnung eine tiefe innere Kluft bestand, darüber ist man sich nicht im Zweifel. Die Gräfin zeigte niemals das richtige Verständnis für die politischen und künstlerischen Neigungen ihres Mannes. Der Graf soll übrigens lange Zeit zu einer verheirateten Dame der polnischen Aristokratie Beziehungen unterhalten haben, von denen die Gräfin Kenntnis erhielt, und die schließlich den Anlaß zu der Trennung haben. In polnischen Kreisen erhält sich das Gerücht, daß auch die Gräfin verschiedene Liebhaber gehabt habe, nachdem sie sich von ihrem Manne getrennt hatte. Der letzte Liebhaber soll eben der erschossene Graf Miaczynski gewesen sein.

Wie es heißt, soll sich jedoch die Gräfin wiederholt dahin ausgesprochen haben, daß sie sich ihres Neffen nur angenommen habe, weil dieser ein Mensch ohne jeden sittlichen Halt sei, und weil sie befürchtet habe, daß er ohne Führung zugrunde gehen werde. Darüber, ob tatsächlich zwischen beiden unerlaubte Beziehungen bestanden haben, werden die gesamten Hausangestellten der erschossenen Gräfin und des Grafen vernommen werden. Wie verlautet, sollen die bisherigen Bekundungen des Personals sehr belastend sein.

Kirche d. hl. Catherine - Bild: PM

Kirche d. hl. Catherine – Bild: PM

Nach den Mitteilungen der Gesellschaftsdame der Gräfin muß der erschossene Graf in der Unglücksnacht zweimal in die Gemächer der Gräfin eingedrungen sein. Beide Male erschien der betrunkene Graf in dem Schlafzimmer der Gräfin, und beide Male sollen ihm die Damen nach den Bekundungen der Gesellschafterin deswegen ernste Vorhaltungen gemacht haben. Die Bekundungen der Gesellschaftsdame können durch keinen Zeugen widerlegt werden. Es muß aber als feststehend erachtet werden, daß sich der junge Graf trotz der Vorhaltungen der Damen mehrere Stunden in den Zimmern der Gräfin aufgehalten hat. Zweifellos war der waghalsige nächtliche Besuch im Schlafzimmer seiner Tante eine Folge seiner Trunkenheit.

Der verhaftete Graf ist gestern nochmals eingehend vernommen worden. Er soll bei seinen bisherigen Angaben geblieben sein, daß er geglaubt habe, es seien Einbrecher im Schloß.

1913-12-27 Berliner Tageblatt – Die Haftbeschwerde des Grafen Mielzynski zurückgewiesen – (Telegramm unseres Korrespondenten) – Posen, 27. Dezember – Die gegen die Verhaftung des unter Mordverdacht stehenden Reichstagsabgeordneten Grafen v. Mielzynski durch seinen Verteidiger Rechtsanwalt v. Drwenski eingereichte Beschwerde ist zurückgewiesen worden. Auch die für die Freilassung angebotene hohe Kaution ist abgelehnt worden. Graf Mielzynski ist im Untersuchungsgefängnis erkrankt und seelisch völlig zusammengebrochen.

1913-12-29 Kreisblatt NeutomischelDas Befinden des Grafen Mielzynski soll infolge einer Lungenblutung, die auch Temperatursteigerung hervorgerufen hat, kein günstiges sein. Der Graf, dem Speisen und Getränke aus einer Hotelküche in das Gefängnis geliefert werden, genießt und schläft nur sehr wenig. Er liegt größtenteils zu Bett und macht im ganzen den Eindruck eines gebrochenen Menschen.

Die Leiche des Grafen Miaczynski wurde von Dakowy Mokre nach Bedlewo überführt, so sie der Familiengruft beigesetzt wurde. Die Leiche der Gräfin von Mielzynski wurde in der Ortskirche aufgebahrt. Dieser Feierlichkeit wohnten außer den nächsten Angehörigen zahlreiche Menschen aus Dakowy und Umgegend bei. Die Beisetzung selbst erfolgt im Kloster Woznik, wo sich die Familiengruft der Grafen von Mielzinsky befindet und wo man zunächst eine stille Messe las. Es wurden keinerlei Ansprachen gehalten.

1913-12-29 Berliner Tageblatt – Die polnische Presse trat, wie uns ein Privat-Telegramm aus Posen meldet, neuerdings dafür ein, daß Graf Mielzynski sein Mandat niederlege. Die ursprünglichen Sympathien für Mielzynski sind umgeschlagen.

1913-12-29 Berliner Tageblatt – Die Tragödie des Grafen Mielzynski – (Telegramm unseres Korrespondenten) – Grätz, 29. Dezember – Das Befinden des Grafen Mielzynski hat sich soweit gebessert, daß der Graf heute an einem Lokaltermin, der im Schloß von Dakowymokre stattfindet, teilnehmen konnte. Er wurde im Automobil von Grätz nach dem Schloß gebracht. Gestern abend ist der Erste Staatsanwalt vom Landgericht Meseritz mit einem Schießsachverständigen in Dakowymokre eingetroffen, um nochmals die Angaben des Grafen an Ort und Stelle nachzuprüfen. Bei dem heutigen Termin sollen noch einige Zeugen vernommen werden.

1913-12-31 Kreisblatt Neutomischel – Der verhaftete Graf Mathias v. Mielzynski kann auf Grund einer Testamentsklausel des verstorbenen Grafen Boleslaus v. Potocki, seines Schwiegervaters, weder jemals ein Potockisches Gut erben noch die Nutznießung haben. Durch diese Bestimmung werden die gespannten Familienverhältnisse offenbar. Der Graf Ignatz Mielzynski-Iwno ist zum Kurator ernannt worden durch eine Verordnung, welche die ermordete Gräfin in ihrem Testament getroffen hat. Dieses Testament wurde vor einigen Monaten verfaßt, ehe die Gräfin nach Ostende reiste, wo dann die Versöhnung mit ihrem Gatten zustande kam.

1914-01-09 Kreisblatt Neutomischel – Der Reichstagsabgeordnete Graf Mathias von Mielzynsi hat sein Mandat niedergelegt. Es ist also demnächst im Wahlkreise Samter-Obornik-Birnbaum-Schwerin eine Reichstagsersatzwahl notwendig.

1914-01-21 Kreisblatt Neutomischel – … Graf Mielzynski wird demnächst von Grätz nach Berlin gebracht, um in der dortigen Charitee auf seinen Geisteszustand untersucht zu werden.

Graf Mielzynski vor Gericht "Das Drama von Dakowy Mokre"

Graf Mielzynski vor Gericht „Das Drama von Dakowy Mokre“

1914-02-21 Berliner Tageblatt – Morgenausgabe – Der Prozeß gegen den Grafen Mielzynski – Wiederholte Schwächeanfälle des Angeklagten – (Telegramm unseres Spezial Korrespondenten) – Die Vernehmung des Grafen Mielzynski, die länger als vier Stunden dauerte, war bei Beginn der Mittagspause beendet. Die Vernehmung des Grafen mußte wiederholt unterbrochen werden, da er von Schwächezuständen befallen wurde, und konnte erst wieder fortgesetzt werden, nachdem die anwesenden Aerzte den Angeklagten durch Medikamente wieder vernehmungsfähig gemacht hatten. Der Graf hat den Verlauf der Tat, wie verlautet, folgendermaßen geschildert:

Er habe an dem Tag der Tat gegen Mitternacht seinen Gast in das Schlafzimmer geleitet und sei dann selbst zu Bett gegangen. Nach einiger Zeit sei er durch einen Lichtschein wach geworden. Er sei aufgestanden und auf den Flur gegangen, um das elektrische Licht auszuschalten. Kaum sei er wieder im Bett gewesen, als er Schritte, die sich an seinem Zimmer vorbeibewegten, wahrnahm. Nun habe er sich notdürftig angekleidet und sei in das Parterregeschoß des Schlosses gegangen. Hier habe er festgestellt, daß die Tür zum Eßzimmer seiner Frau offen stand. Er habe deshalb mit der Möglichkeit gerechnet, daß Diebe im Schloß seien.

Aus diesem Grunde habe er die auf einer Truhe liegende Doppelflinte ergriffen und mit zwei Patronen geladen. Dann sei er durch das Eßzimmer und den Damensalon in das Herrenzimmer gekommen. Aus dem angrenzenden Schlafzimmer seiner Frau sei ein Lichtschimmer in das Herrenzimmer gefallen und er habe auch eine Männerstimme gehört, die er sofort als die Stimme des Grafen Miaczynski erkannt habe. In der sinnlosen Wut, die sich jetzt seiner bemächtigte, sei ihm schwarz vor den Augen geworden, so daß er von den weiteren Vorgängen nur eine unklare Vorstellung habe. Als die Tür des Schlafzimmers geöffnet worden sei, habe er blindlings losgeschossen, und als eine Person zusammengebrochen sei, habe er einen zweiten Schuß abgegeben. Er habe weder gezielt noch gewußt, ob er auf einen Mann oder eine Frau geschossen habe. Ebenso hab er nicht gewußt, daß er zwei Personen getroffen habe. Daß er seine Frau getötet habe, sei ihm erst von der Gesellschaftsdame mitgeteilt worden. Nach der Tat sei er in sein Zimmer gegangen, habe sich umgekleidet und gegen Morgen, als die telephonische Verbindung möglich war, seine Angehörigen und die Behörden von dem Geschehenen verständigt.

Nach der Beendigung der Vernehmung des Angeklagten wurde die Verhandlung abgebrochen und der Graf wurde in das Untersuchungsgefängnis zurückgeführt. Gegen 4 Uhr wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.

Als erste Zeugin wurde die Gesellschaftsdame der verstorbenen Gräfin, Fräulein v. Koczorowska, vernommen. Sie bekundete dem Vernehmen nach folgendes: Sie befand sich mit der Gräfin in dem Schlafzimmer, um ihr beim Auskleiden behilflich zu sein. Plötzlich habe Graf Alfred an die Schlafzimmertür geklopft. Die Gräfin habe geöffnet und alle drei hätten sich in das Herrenzimmer begeben. Nach kurzer Zeit habe die Gräfin ihn ersucht, in sein Zimmer zurückzukehren. Der junge Graf sei auch dieser Aufforderung nachgekommen. Bald darauf habe er aber wieder geklopft. Die Gräfin, die schon zu Bett lag, habe sich mit einem Schlafrock bekleidet und geöffnet. Der Graf sei in das Schlafzimmer gegangen und dort geblieben, obgleich die Gräfin ihn wiederholt zum Gehen aufgefordert habe. Sie, die Zeugin habe gehört, wie der Graf der Gräfin zugeflüstert habe, sie solle sie, die Zeugin, aus dem Zimmer fortschicken. Kurze Zeit darauf sei die Tat geschehen. Nach der Tat habe der Angeklagte ihr Vorwürfe gemacht, weshalb sie ihm nicht Mitteilung gemacht habe, daß Graf Miaczynski nachts bei seiner Frau sei. Er habe sie auch aufgefordert, einen Priester zu holen. Die Zeugin wurde auch eingehend über ihre Kenntnis von den Beziehungen zwischen beiden Erschossenen vernommen.

Während der Vernehmung der Gesellschaftsdame, die auf den Grafen einen tiefen Eindruck machte, wurde der Graf wiederholt von neuen Schwächezuständen befallen. In einem Fall mußte eine längere Pause gemacht werden, und der Graf wurde in ein Nebenzimmer des Verhandlungssaales geführt, wo er mit Wein und Kaffee gestärkt wurde. Erst nach einer Viertelstunde konnte die Verhandlung fortgesetzt werden. Darauf wurden weitere sieben Zeugen vernommen, und zwar die Dienerschaft aus dem Schloß Dakowymokre und auch der Leibjäger des erschossenen Grafen. Die Bekundungen der Zeugen decken sich im allgemeinen mit den Angaben des angeklagten Grafen. Besonders interessant sollen die Angaben der Zeugen über den erschossenen Grafen Miaczynski gewesen sein. Alle Zeugen, die über ihn Auskunft geben konnten, sagten aus, daß sie den Grafen selten anders als betrunken gesehen hätten. Er habe zeitweise ganz gewöhnlichen Branntwein getrunken, und zwar alle 15 Minuten. Seit er der Gräfin das Versprechen gegeben habe, keinen Branntwein zu trinken, habe er täglich etwa fünf bis sechs Flaschen Wein getrunken. Der Erschossene war auch ein häufiger Besucher der Posener Nachtlokale, die er stets betrunken verließ. Einmal kam es seinetwegen zu einem Exzeß. Es kam auch vor, daß er das ihm von der Gräfin zur Verfügung gestellte Automobil vor einem Nachtlokal stehen ließ, bis er dann in dem Automobil total betrunken die Rückfahrt antrat.

Um acht Uhr abends wurde die Verhandlung auf morgen vertagt, da der angeklagte Graf sich nicht mehr als verhandlungsfähig erwies. Von einem Lokaltermin in Dakowymokre ist Abstand genommen worden.

Mathias Graf-Comte Mielzynski-Brudzewo  (1907) - Bild: http://de.wikipedia.org/wiki/Mathias_von_Brudzewo-Mielzynski

Mathias Graf-Comte Mielzynski-Brudzewo (1907) – Bild: http://de.wikipedia.org/wiki/Mathias_von_Brudzewo-Mielzynski

1914-02-21 Berliner Tageblatt – Abendausgabe – Der Prozeß gegen den Grafen Mielzynski – Schluß der Zeugenvernehmung. – (Telegramm unseres Spezial-Korrespondenten) – H. Meseritz, 21. Februar – Die Eröffnung der heutigen Verhandlung wurde durch einen neuen Schwächeanfall, den Graf Mielzynski in seiner Zelle im Untersuchungsgefängnis erlitt, um eine halbe Stunde verzögert. Der Graf wurde gegen Morgen von nervösen Zuständen befallen, die die Gefängnisleitung veranlaßten, den Arzt des Grafen telephonisch herbeizurufen. Erst nach einiger Zeit erholte sich der Graf so weit, daß die Verhandlung gegen 1/2 10 Uhr begonnen werden konnte.

Heute soll noch einmal die bereits gestern vernommene Gesellschaftsdame der Gräfin, Fräulein v. Koczorowska, vernommen werden. Ihre Angaben über die Vorfälle und die Einzelheiten der Tat sollen sich nicht in allen Punkten mit den Aussagen des Grafen decken.

Als erste Zeuge wurde heute der Ortsgeistliche von Dakowymokre, der Propst Gorsti, gehört. Der Propst, der täglich im Schloß Dakowymokre ein- und ausging, war nach der Tat auf Veranlassung des Grafen ins Schloß gerufen worden. Er traf den Grafen weinend im Schlafzimmer der Gräfin bei den Leichen der Erschossenen. Auf seine Frage, was denn geschehen sei, soll der Graf gesagt haben, er habe seine Frau auf Händen tragen wollen, wenn nur der Mensch nicht gewesen wäre. Er werde es nicht überleben und sei ruiniert. Er habe auch gesagt: „Was werden meine Kinder sagen, nur gut, daß diese gerettet sind.“ Der Propst äußerte sich auch über seine Wahrnehmungen im Schloß Dakowymokre.

Dann wurden die Mutter des Angeklagten und sein Bruder, Graf Ignaz Mielzynski, als Zeugen vernommen. Ihre Bekundungen betreffen in erster Linie das Familienleben des Grafen und seiner Frau. Sie ließen sich über die Gründe der Trennung der Ehegatten aus und erklärten auch die Motive, die sie veranlaßt hatten, eine Versöhnung wieder herbeizuführen. Aus ihren Aussagen geht hervor, daß in der Hauptsache die Kinder den Anlaß zur Wiederversöhnung gegeben haben. Die Mutter des Angeklagten und sein Bruder machten auch Bekundungen über die Kindheit des Grafen. Er soll schon als Kind kränklich gewesen sein und sich niemals voller Gesundheit erfreut haben. Es wurden darauf noch der Vetter und einige Angestellte des Grafen als Zeugen gehört. Die heute vernommenen Angestellten bestätigen im allgemeinen die Aussagen des bereits gestern vernommenen Personals. Auch sie sagen über den Grafen Miaczynski aus, daß er fast stets betrunken gewesen sei.

Früher als beabsichtig war, mußte noch vor 1 Uhr die Mittagspause gemacht werden. Der Angeklagte, der bis dahin der Verhandlung gut folgen konnte, wurde bald nach 12 Uhr von einem neuen Schwächezustand befallen und der Arzt stellt seine Verhandlungsfähigkeit in Frage, so daß das Gericht schon vor 1 Uhr beschloß, die Mittagspause eintreten zu lassen.

Aus der Verhandlung werden noch folgende interessante Einzelheiten bekannt: Großes Interesse erweckten die Angaben eines Posener Barbesitzers über die Persönlichkeit des erschossenen Grafen Miaczynski. Der Barbesitzer gab an, daß der Erschossene zu seinen besten Gästen gezählt habe. Er sei wöchentlich mehrere Male und meist schon am Nachmittag in seiner Bar gewesen. Die Zeche habe oft 150 bis 200 Mark betragen. Der junge Graf habe niemals billigeren Sekt als die Flasche zu 24 Mark getrunken. Auf Antrag der Verteidigung wurde eine Anzahl von Briefen verlesen, aus denen hervorgeht, daß die später Erschossenen seit längerer Zeit einen sträflichen Verkehr unterhalten haben. Während der Verlesung dieser Brief wurde der Graf von Schwächeanfällen befallen.

Die Verhandlung wird nach 2 Uhr fortgesetzt. Es werden zunächst die Sachverständigen vernommen, dann folgen die Plaidoyers. Das Urteil wird für die späten Abendstunden erwartet.

... der Angeklagte freigesprochen ...

… der Angeklagte freigesprochen …

1914-02-22 Berliner TageblattFreisprechung des Grafen Mielzynski. – (Telegramm unseres Spezial Korrespondenten) – H. Meseritz, 21. Februar – Die zweitägige Schwurgerichtsverhandlung gegen den Grafen Matthias Mielzynski endete mit der Freisprechung des Angeklagten.

Nach einer Beratung von nur zwanzig Minuten verneinten die Geschworenen die beiden vorgelegten Schuldfragen, die auf Totschlag, begangen an der Gräfin Felicia Mielzynski und dem Grafen Alfred Miaczynski, lauteten. Der Vorsitzende des Schwurgerichts verkündete darauf das Urteil. Er führte aus:

„Nachdem die Geschworenen die ihnen vorgelegten Schuldfragen verneint haben, mußte die Freisprechung des Angeklagten erfolgen. Es ergeht daher das Urteil dahin, daß der Angeklagte freizusprechen ist; die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Außerdem wird infolge des Beschlusses der Haftbefehl gegen den Grafen Mielzynski aufgehoben. Damit schließe ich die Verhandlung.

„Der Angeklagte, dem, anscheinend vor Rührung und Ueberraschung über den Freispruch, die Tränen in die Augen traten, erhob sich und machte vor den Geschworenen und dem Gerichtshof eine leichte Verbeugung. Der Erste Staatsanwalt trat dann an die Anklagebank heran und drückte dem Grafen die Hand. Der Freigesprochene begab sich darauf in seine Zelle. Als er durch die Tür des Gerichtssaales auf den Korridor trat, schwankte er und weinte.

Unter den Zuschauern löste das freisprechende Urteil zum Teil Befriedigung aus, zum Teil aber auch Ueberraschung, insbesondere, da das Gutachten des Geheimen Medizinalrats Dr. Leppmann-Berlin die Anwendung des § 51 verneint hatte. Der Graf wurde aus der Haft entlassen. Er begab sich vom Gefängnis, vor dem sich eine große Menschenmenge angesammelt hatte, in Begleitung seiner Mutter in das Hotel Spielhagen und hat noch heute abend im Automobil Meseritz verlassen, um sich nach Schloß Köbnitz zu begeben. Der Verhandlung wohnten bis zu Ende der Oberlandesgerichtspräsident Lindenberg und Oberstaatsanwalt Zitzlaff bei.“

Aus der Verhandlung ist noch folgendes nachzutragen. Nach der Mittagspause wurde mit der Vernehmung der Sachverständigen begonnen. Geheimer Medizinalrat Leppmann-Berlin verneinte, wie verlautet, daß der Graf die Tat in einem Zustande begangen habe, der seine freie Willensbestimmung ausschloß. Er gab zu, daß es begreiflich sei, daß der Graf über das Verhalten seiner Frau und seines Neffen in große Erregung geraten sei, aber trotzdem könne man nicht das Vorliegen des § 51 als gerechtfertigt anerkennen. Die übrigen Sachverständigen wichen in einigen Punkten vom Gutachten des Geheimrates Leppmann ab. Sie wiesen die Möglichkeit, daß § 51 angewendet werden könne, nicht ganz von der Hand. Nach der Vernehmung der Sachverständigen schloß der Vorsitzende die Beweisaufnahme und verlas die vier formulierten Fragen.

Die beiden ersten Fragen lauteten auf Totschlag, die beiden letzten auf mildernde Umstände. Darauf ergriff der Erste Staatsanwalt das Wort zur Begründung der Anklage. Er hielt die Anklage in vollem Umfange aufrecht und führte aus, daß trotz der begreiflichen Erregung des Angeklagten im Augenblick der Tat von Straflosigkeit nicht die Rede sein könne. Er bat die Geschworenen, die Schuldfragen auf Totschlag zu bejahen, aber auch dem Angeklagten mildernde Umstände nicht zu versagen. Justizrat Jarecki-Posen trat dann in zweistündigem Plaidoyer für die Freisprechung des Angeklagten ein. Er schilderte zunächst die politische Wirksamkeit des Grafen, dessen Tätigkeit als Künstler und gab dann eine Darstellung seines ganzen Lebensganges. Nach einer eingehenden Ausführung zu § 51 des Strafgesetzbuches ging der Verteidiger dann auf die ethische Seite des Falles ein, indem er darlegte, daß der Angeklagte auf das Empfindlichste in seiner Ehre als Ehemann und Hausherr verletzt worden sei. Er konnte als Ehrenmann nicht anders handeln, wie er es getan hat. Der zweite Verteidiger Drwenski schloß sich den Ausführungen seines Vorredners an und beantragte gleichfalls die Freisprechung.

Nach einer entschiedenen Replik des Ersten Staatsanwaltes, in der er die Geschworenen davor warnte, sich von Mitleidsempfindungen bewegen zu lassen, trat Justizrat Jarecki noch einmal in seinem dringlichen Schlußworte dafür ein, daß nicht Mitleid, sondern rechtliche Erwägungen zur Freisprechung führen müßten. Graf Mielzynski erklärte, daß er den Ausführungen seines ersten Verteidiger nichts hinzuzufügen habe. Darauf erteilte der Vorsitzende den Geschworenen die Rechtsbelehrung. Die Geschworenen zogen sich in das Beratungszimmer zurück und schon nach zwanzig Minuten erschienen sie wieder im Sitzungssaal. Der Obmann der Geschworenen verkündete zunächst in Abwesenheit des Grafen den Wahrspruch; der Graf wurde dann hereingeführt, und der Gerichtsschreiber verlas nochmals den Spruch der Geschworenen. Als der Graf hörte, daß die Schuldfragen verneint worden seien, sank er auf die Anklagebank nieder und stützte seinen Kopf in beide Hände.

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Quellen:

  • http://de.wikipedia.org/wiki/Mathias_von_Brudzewo-Mielzynski
  • Kreisblatt Neutomischel 1913/1914 einzelne Ausgaben siehe im Text  – Wielkopolska Biblioteka Cyfrowa – http://www.wbc.poznan.pl/dlibra
  • Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung 1913/1914 einzelne Ausgaben siehe im Text – Staatsbibliothek zu Berlin – http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/list/title/zdb/27646518/?no_cache=1
  • „The West Australian“ – http://trove.nla.gov.au/ndp/del/article/26896992