Der geschickte Zimmermeister Giese

  • Eine Spekulation – Verfasst im Februar 2010
  • Bilder: Kirche Neutomischel – Ausschnitt aus einer Postkarte; Innenansicht der Kirche – Foto Enderich; Kirchturmbau – undatierte Aufnahme mit freundlicher Genehmiung des Herr Arno Kraft, Berlin
  • Die Familiendaten wurden entnommen aus den Kirchenbüchern der ehemaligen evgl. Kirche zu Neutomischel verfilmt auf Mikrofilm von Manuskripten im Archiwurm Panstwowe, Poznan durch THE CHURCH OF JESUS CHRIST of Latter-Day Saints

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In der Überlieferung der Errichtung der ersten evangelischen Kirche (heute die katholische Kirche Herz Jesu zu Nowy Tomysl) in Neutomischel findet sich die Anmerkung: Durch Gottes Gnadenbeistand wurde  am 9ten April 1779 der Kirchen und Thurmbau unter Leitung des geschickten Zimmermeisters Giese aus Alt-Tomysl und des Maurermeisters Friedrich aus Fraustadt begonnen ….


Bild der Kirche aus der Chronik

Immer wieder werden die im Innern der Kirche eingebauten hölzernen Emporen erwähnt und das sich darüber erhebende Tonnengewölbe. Wurde diese Emporen und das hölzerne Tonnengewölbe oder   sogar alles durch diesen erwähnten geschickten Zimmermeister Giese errichtet ?

Über die Menschen im einstigen Neutomischel ist, wenn man  ehrlich mit den verschiedensten Überlieferungen umgeht, nichts Konkretes bekannt. Ob die überwiegend deutschsprachigen dem evangelischen Glauben angehörigen Siedler oder Hauländer, wie sie genannt wurden, aus der Umgebung kamen, aus Schlesien, aus Böhmen oder von noch weiter her, konnte in nur ganz vereinzelten Fällen nachvollzogen und wirklich belegt nachgewiesen werden. Viele Ahnenforscher würden viel dafür geben die Herkunft ihrer Vorfahren ermitteln zu können. Heute kann man sich nur noch schwer vorstellen welche Mühen und Entbehrungen diese Siedler wirklich auf sich genommen haben um ihren Traum nach einem eigenen Hof oder auch nach Freiheit zu verwirklichen. Auch schwer zu erfassen ist, diese unendliche Geduld bis zur Verwirklichung eines Traumes, zum Beispiel eine eigene evangelische Kirche haben zu wollen, zum Teil über Jahrzehnte, ohne jedoch das eigentliche Ziel jemals aus den Augen zu verlieren.

Leider verhält es sich mit Überlieferungen und noch vorhandenen Dokumenten auch nicht anders. Vieles ist spurlos verschwunden, vielleicht schon in den Weltkriegen vernichtet worden, vieles längst in Vergessenheit geraten und vieles durch die Geschehnisse der Zeit unwiderruflich verloren.

Aber man kann Spekulationen und Vermutungen anstellen Vielleicht lässt sich unter verschiedenen Betrachtungen und deren Veröffentlichungen und sich etwaig daraus ergebenen Diskussionen ja doch noch das Ein oder Andere als Tatsache belegen.

Begonnen wurde mit der Vermutung, dass jener geschickte Zimmermeister Giese ebenfalls dem evangelischen Glauben angehörig war. Es ist schwer vorstellbar, dass ein andersgläubiger die Holz- und Zimmermannsarbeiten an einer evangelischen Kirche ausgeführt haben soll. Aus schon oben angeführter Erwähnung wissen wir, dass dieser Herr Giese in Alt Tomysl wohnhaft war.  Wie alt war jemand im Jahr 1779 der sich hat Zimmermeister nennen dürfen?

Früher mussten Kinder schon sehr früh selbstständig sein und einen Beitrag zum Unterhalt der elterlichen Familie beitragen; Kinderarbeit war an der Tagesordnung. Kinder verließen das Elternhaus oft schon ab dem 14ten Lebensjahr oder sogar früher; Mädchen wurden nicht selten in diesem Alter bereits verheiratet. Zum Berufsbild, wie wir es heute nennen, des Zimmermanns gehörten auch Jahre der Wanderschaft. Zudem war es auch Sitte, dass ein Mann bevor er sich eine Frau zur Heirat auswählte, schon einen Beruf erlernt haben musste, der die Familie dann ernährte. Und dieser geschickte Zimmermeister Giese musste sich zudem auch schon einen Namen gemacht haben, ansonsten hätte er sicherlich nicht die Titulierung der Geschicklichkeit erhalten und wäre nicht zu einem derart bedeutsamen Bauvorhaben herangezogen worden.

Turmbau - undatiert

Herr Giese war in Alt-Tomysl ansässig heißt es weiter. Alt-Tomysl gehörte zu jener Zeit noch dem polnischen Adelsherrn Szoldrski, der seinen „Dissidenten“ wie er die Hauländer, die auf seinen Ländereien angesiedelt waren nannte, die Baumaterialien und das Land zum Kirchenbau schenkte.

In dem Artikel „Die letzten Wind- und Wassermühlen um Neutomischel“ von dem Historiker Karl Eduard Goldmann ist zu lesen, dass in Alt-Tomysl 2 Windmühlen zu finden gewesen waren und dass durch den späteren Besitzer dieses herrschaftlichen Besitzes, dem Eduard Grabs von Haugsdorf (1839/43) 2 Wassermühlen stillgelegt worden sein sollen. Diese Stillegung soll eine annähernd 350 Jahre alte Kultur beendet haben. Das Wissen um diese Mühlenanlagen aus den Jahren 1489-1839 soll aus den noch vorhandenen Privilegien gestammt haben. Über den Verbleib dieser erwähnten Dokumente ist heute leider auch nichts mehr bekannt.

Inneres der Kirche, Sicht von der Orgel Foto-Enderich (1930)

Mühlen bedurften zu jeder Zeit aufmerksamer Pflege und Wartung. In jener Zeit waren die Bauten nahezu vollständig aus Holz. Alt Tomysl war für einen Zimmermeister vermutlich ein unerschöpfliches Arbeitsgebiet. Aus diesem Umstand heraus wäre die Anwesenheit eines solchen in der seinerzeit noch bestehenden Wildnis erklärbar.

Eine weitere Spekulation wäre dann noch, dass der gereiste Zimmermann, der sich durch besondere Geschicklichkeit auszeichnete, der dann auch noch im Mühlenbau und deren Instandhaltung tätig war, sich eine Müllertochter zur Frau nahm. Durch die vorerwähnten Attribute wäre eine solche Verbindung wohl und den damaligen Aspekten einer standesgemäßen Eheschliessung denkbar gewesen. Müller galten in jener Zeit als Angehörige der gehobeneren Gesellschaft, sie galten oftmals auch finanziell besser gestellt als ihre Mitmenschen.

Und mit diesen Erklärung kommt nunmehr die Familie des Christian Giese (geb. ca. 1736, gest. 1797 zu Alt Tomysl) und seiner Ehepartnerin der Dorothea Elisabeth geborene Rausch (geb. ca. 1744, gest. 1830 zu Alt-Tomysl) in Betracht. Diese Familie ist im Übrigen auch die einzige Giese Familie in Alt-Tomysl.

Forscht man den Familien Rausch nach, so findet man oftmals die Zugehörigkeit in den Stand der Müller. Es ist durchaus denkbar, dass Dorothea Elisabeth eben die Müllertochter war, die die Ehe mit dem Zimmermeister Giese einging. Als Mitgift wäre denkbar, dass sie eine Mühle mit in die Ehe einbrachte. Denn daraus könnte sich erklären, dass der Christian Giese in allen aufgefundenen Eintragungen als Windmüller zu Alt Tomysl bzw. zu Tomysl erwähnt wird. Denkbar wäre aber auch, dass seine Ersparnisse zum Ankauf einer Windmühle ausreichten, um dann eben seiner Familie die Existenzgrundlage zu bieten. Es ist zu finden, dass die Töchter wiederum innerhalb des Standes Müller heirateten. Die Söhne finden in späteren Aufzeichnungen als Wasser- und Windmüller Erwähnung.

Christian Giese ist rückgerechnet aus seiner Altersangabe vom Toteneintrag aus ca. 1736 geboren. Zum Zeitpunkt des Kirchenbaus in Neutomischel wäre er somit rechnerisch 43 Jahre alt gewesen. Der Beruf Zimmermeister ist also durchaus denkbar.

Christian Giese könnte somit der geschickte Zimmermeister Giese aus Alt Tomysl sein.