Die Laubenhaeuser zu Rakwitz

Abb. 34 Rakwitz, evangelisches Pfarrhaus, Ende XVII. Jahr., Markt 2 – Aufn. des Verfasser, 1914 u. 1919, gez. von Maksym u. Wypych (vergl. auch Tafel XXI)

„Das Bürgerhaus in den Posener Landen“ –  unter diesem Buchtitel veröffentlichte Professor Dr. Ing. Alfred Grotte, er wird auch als Pfleger der Kunstdenkmäler Schlesiens tituliert, seine Arbeiten. Dieser Artikel ist das Kapitel mit einer Auswahl seiner Bildern über die Laubenhäuser in Rakwitz.

Die Gesamtveröffentlichung ist zu finden in der digitalen Bibliothek DBC Dolnoslaska Biblioteka Cyfrowa (http://www.dbc.wroc.pl/dlibra)

Eingefügt sind zwei Aufnahmen aus dem Jahr 2010  – denn noch heute sind einige wenige dieser beschriebenen Laubenhäuser am Marktplatz in Rakwitz zu finden.

 

 

Rackwitz ist das typische Beispiel einer deutsch-evangelischen Stadtgründung des XVII. Jahrhunderts. Mit Urkunde vom 24. Februar 1662 gegründet, wird den Ansiedlern „ein freies, Religionsexartitium“ gesichert; gleichzeitig – und das gibt den Bürgerhäusern ihr besonderes Gepräge – die Aufnahme in die Stadt von dem Nachweis ihres handwerklichen Könnens abhängig gemacht (1652 erlässt der Starost von Bomst eine öffentliche Aufforderung an „alle und jede Handwerksleute deutscher Nation … sofern sie Lust haben, unter meinem kgl. Kommando zu bauen …“ (Schr.)). Ein großer Brand vom Jahre 1708 hat die größere Hälfte der Stadt zerstört, indessen hat sich die Westseite des viereckigen Marktplatzes bis zum Umsturz fast völlig unverändert erhalten. Der nun einsetzende Wiederaufbau wurde durch die Pest unterbrochen; nur fünf Familien blieben zurück; aber nach Erlöschen der Seuche siedeln sich nachweislich Schlesier und Sachsen an, die jenseits der polnischen Grenze ihres Glaubens willen scharfen Verfolgungen ausgesetzt gewesen waren.

Tafel XVII Rakwitz, Laubengang – Aufn. des Verfassers

Tafel XXI Rakwitz, Pfarrhaus mit massiver Laube – Aufn. Regierungsbaumeister Eberhard (vgl. Abb. 34)

Rakwitz, das vermutliche alte Pfarrhaus – Aufn. 2010/09 GT

Der große Wert der Rakwitzer Häuser für die Entwicklung des deutschen Bürgerhauses liegt in der Anpassung des Bauernhauses an städtische Verhältnisse, noch mehr aber in ihren Grundrissen, die auf handwerkliche Belange zugeschnitten sind. Wir sehen hinter der Laube der durchweg etwa 8,70m breiten Häuser (Abb. 35,37,39) zumeist den Eingangsflur in der Mitte, der die Treppe zugänglich macht und sich sodann nach einem an der Giebelseite angelegten Hofausgang fortsetzt. Wie bei den Fraustädter Fachwerksbeispielen ist der Kamin (schwarze Küche) massiv gemauert. Nach der Straßenseite ist ein größerer Raum als Werkstatt angelegt, während jenseits des Ganges, straßen- und hofseitig, sich die Wohnräume anschließen. Ganz besonders beachtlich erscheint das Haus Nr. 91 (Abb. 41),das im Jahre 1754 von Bäckermeister Schönaich für 1.000 Taler erbaut wurde und bis heute unverändert als Bäckerei erhalten ist.

Tafel XVII Rakwitz, Laubenhaeuser am Markt 124-130 - Aufn. Regierungsbaumeister Eberhard (vgl. Abb. 43)

Tafel XVII Rakwitz, Laubenhaeuser am Markt 124-130 – Aufn. Regierungsbaumeister Eberhard (vgl. Abb. 43)

Tafel XVI Rakwitz, Laubenhaeuser am Markt - Aufn. um 1900

Tafel XVI Rakwitz, Laubenhaeuser am Markt – Aufn. um 1900

Rakwitz Laubenhaeuser – Aufn. 2010/09 GT

Eine Ausnahme von diesem Typ, der mit geringen Abwandlungen bei den Häusern Nr. 125-127 nachweislich ist, zeigen die Häuser Nr. 2 (Abb. 34) und 129 (Abb. 42), bei denen der Eingangsflur seitlich angelegt ist (Nr. 129 ist wohl erst Mitte des XVIII. Jahrhunderts nach einem der Brände errichtet; der Bau kostete einsschl. Stallungen 700 Thaler.).

Das Obergeschoß weist fast überall einen hofseitigen Wohnraum auf, mit Rücksicht darauf, dass man die Laubenstützen entlasten wollte; nur in Ausnahmefällen ist diese Stube straßenseitig angelegt worden.

Im Äußeren erkennen wir einen einheitlichen Bauwillen und eine vorbildliche gegenseitige Rücksichtnahme hinsichtlich des Anschlusses der Traufen. So ist ganz besonders beachtenswert, wie das Haus Nr. 126 (Abb. 43), um die verschiedenen Traufhöhen der Nachbarn auszugleichen, ein unsymmetrisches Dach aufweist; die Laube ist hier, wie aus dem Längsschnitt ersichtlich (Abb. 38), gleichsam nur vorgeblendet und unorganisch mit dem Hause verbunden. Dieser Traufenausgleich wir durch ungleiche Drempel bewirkt, die im Querschnitt ersichtlich sind. Die ungleiche Traufenhöhe wurde veranlasst durch das abweichende Gepräge des Hauses Nr. 125, in dem der Erdgeschoßfußboden z. T. höher angelegt wurde als bei den Nachbarhäusern (vgl. die auffallend hohen Säulen der Laube), um hier Licht für einen tonnengewölbten Keller zu schaffen. Die Holzstützen der Laube sind aus quadratischen Querschnitt bis 37 cm Breite entwickelt und nach oben verjüngt, z. T. säulenartig in die Kreisform übergehend (Abb. 44, 45,46); ihre Gestaltung deutet auf ausgezeichnete Zimmerkunst. Die Form des Giebels ist das Winkel- oder Mansardendach, letzteres auch durch

Tafel XIX Rakwitz, Markt 127 – Aufn. des Verfassers (vergl. die Abb. 39 u. 46)

Tafel XX Rakwitz, Laubenhaeuser. Das rechte, eine Schmiede, wohl aus Gruenden der Feuersicherheit, massiv. - Photo A. Jacobi

Tafel XX Rakwitz, Laubenhaeuser. Das rechte, eine Schmiede, wohl aus Gruenden der Feuersicherheit, massiv. – Photo A. Jacobi

Tafel XIX Rakwitz, Markt 91 Haus des Baeckers Schoenaich 1754 – Aufn. Baurat Rambeau (vgl. Abb. 41)

Blenden in Barocke Linienführung übergeleitet (Abb. 44). Der Binder oberhalb der Laubenstützen ist (ebenfalls um deren Belastung zu verringern) zumeist fischgrätenartig verbrettert. Die lotrechte Verbrettung bei Nr. 127 und 91 ist vermutlich späteren Ursprungs. Die einzelnen Bretter sind 30-35 cm breit und reich profiliert. Die Knaggen sind handwerksmäßig mit dem Unterzug verblattet, bei Nr. 127 und 129 (Abb. 46 und 42) weisen sie eine Bogenlinie auf, die sich im Unterzuge fortsetzt und diesen auf Kosten seiner Tragfähigkeit beeinträchtigt.

Diese Nachbildung des Steinbaues zeigt sich auch in Volutenbildung einzelner Giebel, aber auch in der steilen Verdachung der Giebelfenster bei Nr. 125 (Abb. 43), die parallel zu der Verbretterung angeordnet ist. Im Gegensatz hierzu zeigen die Deckleisten der Verbretterung eine gefällig, dem Baustoff angepasste Form.

Zu bemerken wäre noch, dass sich die breite Laube bei Nr. 126 in ihrer Konstruktion nicht bewährt hat; in neuerer Zeit musste hier zur Entlastung des Giebels eine Mittelstütze (vgl. Tafel XVII) angebracht werden.

Das Haus Nr. 2 (Abb. 34 und Tafel XXI) stellt sich als einziges Haus am Markt mit massiver Laube und gemauertem Giebel dar. Indessen hat die Aufnahme ergeben, dass es sich um einen Neubau des XVIII. Jahrhunderts handelt, vielleichtnach dem Brande vom Jahre 1754 erstellt. Es war vermutlich das Pfarr- und Schulzenhaus, das bei etwas größerer Breite (8,80m) eine Tiefe von 19,57m aufweist, während die übrigen Häuser nur ca. 17,50m tief angelegt wurden. Beim Umbau sind nur die rückwärtige und rechte Giebelwand im Fachwerk belassen worden; der Grundriss weicht in seinem Schema kaum von dem der übrigen Markthäuser ab. Sehr beachtlich ist indessen, dass der Giebel völlig nach dem Muster der Holzhäuser erneuert wurde, was auf eine überaus gesunde Baugesinnung jener vergangenen Zeit hinweist.

Tafel XX Freiheit (Svoboda) in Böhmen. Vergleichsbeispiel für Rakwitz - Photo M. Thomas

Tafel XX Freiheit (Svoboda) in Böhmen. Vergleichsbeispiel für Rakwitz – Photo M. Thomas

Tafel XVIII Rakwitz, Laubenhaus in Umgebung neuzeitlicher Haeuser – Aufn. Stadtbaumeister Kunze, Meseritz

Im allgemeinen erweisen die Laubenhäuser deutliche ihre Verwandtschaft mit schlesischen Vorbildern; waren es doch größtenteils Schlesier, die hier eingewandert waren. Das Werk „Das Bauernhaus in Österreich-Ungarn“ zeigt ähnliche Holzhäuser aus der Gegend von Turnau, Eisenbrot und Freiheit. Besonders die Freiheiter Laubenhäuser, von denen eine Abbildung hier beigegeben ist, erinnern lebhaft an die Rakwitzer Beispiele (Tafel XX).

Endlich veranschaulicht ein vereinsamt innerhalb „moderner“ Umgebung noch stehengebliebenes Haus an anderer Stelle der Stadt (Tafel XVIII) den Wandel der Baugesinnung, eine Erscheinung, die auch in vielen anderen Städten diese Landesteils wahrnehmbar ist. Das alte Haus weicht in Grundriss und Aufbau kaum von den vorgeschriebenen Beispielen ab.

Zur Ergänzung der Einzelheiten ist hier noch das vierteilige Backstubenfenster des Hauses Markt 91 wiedergegeben (Abb. 49).

Die Ansichten des Marktplatzes sowie einzelner Häusergruppen, der Blick in den hölzernen Laubengang (Tafel XVII) alles dies erscheint als beredtes Beispiel für die Gewaltakte von Versailles. Kaum an zweiter Stelle in der ehemaligen preußischen Provinz tritt dies so sinnfällig zutage wie gerade in Rakwitz. Was haben deutsche Kultur und deutscher Handwerkerfleiß hier aus dem polnischen Dorfe Rakoniewice geschaffen ! – Ganz besonders reizvoll ist die Baugruppe an der protestantischen Fachwerkskirche, einem den Rankünen (=Rachsucht) des Starosten abgetrotzten Bau des XVIII. Jahrhunderts (Tafel XXI).