Die Rogasener Brandkatastrophen vom Jahre 1794

Rogasen – AK Ausschnitte

Als Großpolen im Jahr 1793 an Preußen fiel, wiesen die Posener Städte noch einen äußerst geringen Prozentsatz an massiven Häusern auf.

In den mittleren und kleinen Städten der jetzt „Südpreußen“ genannten Provinz gehörte ein steinernes Wohnhaus mit Ziegeldach zu den allergrößten Seltenheiten.

Selbst Rogasen, das damals noch aus den selbständigen Teilen der Altstadt und Neustadt, jede mit eigener Verwaltung, bestand und fast 3.000 Einwohner zählte, hatte unter seinen insgesamt 313 aus Fachwerk oder Holz erbauten Häusern nur zwei mit Ziegeln gedeckte Gebäude. Alle übrigen Behausungen waren teils mit Schindeln (224 Häuser), teils sogar noch mit Stroh gedeckt (87).

Bei der landeüblichen Bauweise jener Zeit – Haus eng an Haus, die Ställe dicht dahinter (es wurde ja noch viel Viehzeug von den Bürgern in der Stadt gehalten), die Schornsteine sogar aus Holz und nur dünn mit Lehm bestrichen – konnte das kleinste ausbrechende Feuer nur allzu leicht unabsehbare Folgen haben, besonders auch, weil damals noch viele Scheunen mitten in der Stadt zwischen den Wohnhäusern standen. Wollte es das Unglück, daß bei einem aufkommenden Brande etwa noch ein starker Wind wehte, dann half so gut wie nichts mehr gegen die Flammen, die am Holz und Stroh überreichliche Nahrung fanden.

Die Rogasener Feuerlöschgeräte bestanden zwar i. J. 1793 aus einer Metallspritze (der Neustadt gehörend), 7 Holzspritzen und über 300 Feuerleitern (für jedes Haus eine), aber daß das alles völlig unzureichend war, bewiesen gerade die Unglücksfälle des nachfolgenden Jahres.

Es war am 01. Juni 1794, einem Sonntage. Beim Bürgermeister Krzywoszynski, in seinem Hause auf der Südseite des Altstadt-Marktes, saß das Gesinde beim Abendbrot. Der Bürgermeister selbst war nach Posen gefahren. Plötzlich, kurz vor 9 Uhr, bemerkte der eine Knecht, der 68 jährige Bartholomäus Roszmichowicz, durchs Hoffenster an der Spitzes des strohgedeckten Pferdestalles Flammen, bei dem herrschenden trockenem Wetter mit ungeheurer Schnelligkeit um sich griffen.

„Feuer!“

Schreiend stürzte er auf den Markt hinaus und schrie „noch etliche mal“. Paul, der zweite Knecht, rannte auf den Hof zum Stall, um die Pferde zu retten. Der herbeigeeilte Schwager des Bürgermeisters, Andreas Foltynski, suchte ihm dabei zu helfen, aber es war schon zu spät, vom Dachgebälk fielen bereits brennende Latten und zwei angrenzende, jüdischen Nachbarsleuten gehörende Ställe, brannten auch schon lichterloh. Ein lebhafter Ostwind trieb die Funken über die Gassen ins Judenviertel zur Synagoge hin und in nicht mehr als 4 Stunden waren 8 Christen und 38 Juden zu Bettlern geworden. In der kleinen Judenstraße lagen 10 Häuser in Asche, in der großen Judenstraße 17, in der „blanken Straße“ 8 und am Markt und in der Posener Straße ebenfalls 8 Häuser. Außerdem verbrannten noch ein Brauhaus, das jüdische Hospital, die jüdische „Kanzlei“ und 5 Ställe mit 16 Schweinen, 3 Pferden und 2 Kühen. Wenn auch kein Menschenleben zu beklagen war, so zeigten sich doch die Sachverluste als ganz beträchtlich, da von den zahlreichen (1.044) Rogasener Juden gerade die wohlhabendsten durch das Unglück betroffen worden waren. An eine Rettung war um so weniger zu denken gewesen, als die große Feuerspritze vor einigen Tagen gerade unbrauchbar geworden war.

Der nächtliche Feuerschein lockte aus den umliegenden Dörfern zahllose Menschen herbei, die sich auch bei der Rettungsaktion sehr hilfreich bezeigten. „Außer deren Fleiß und besonderer Beihilfe der Neustadt würde auch diese von der Glut ergriffen worden sein, da bereits an dem einen Ende derselben ein Brandthaus (Branntweinhaus) durch das dahin geflogene Feuer mitten unter den Scheunen und übrigen Häusern ein Raub der Flammen geworden.“

Erst am Montag konnte der Brand völlig „gedämpfet“ werden. Aus Posen erschien ein Kommissar, der Steuerrat von Timroth, sorgte für die vorläufige Unterbringung der Abgebrannten und veranlaßte, daß den ganz Verarmten aus den nächsten Dörfern und Städten „eine kleine Unterstützung von Lebensmitteln gereicht“ wurde. Auch befahl er die Aufstellung von Tages- und doppelten Nachtwachen, um etwaige Plünderungen auf den Brandstellen zu verhüten. Noch an demselben Tage erstattete er durch die Posener Kammer Bericht an das Ministerium nach Berlin, wobei er hinzufügte: „Der Knecht (Paul) des Bürgermeisters, er hatte eben als das Feuer ausgebrochen, in der Stube Abendbrodt gegessen, ist entwichen; man gibt sich alle Mühe zu seiner Habhaftwerdung …“ Durch das spurlose Verschwinden hatte der Knecht den Verdacht der Brandstiftung auf sich gezogen.

Rogasen – Kartenausschnitt Handtke 1862

Schon am 3. Juni fand eine eingehende Untersuchung statt, wobei der erste Knecht, Bartholomäus, vernommen wurde, die beiden Dienstmägde des Bürgermeisters, Franziska und Helena, der Schwager des Krzywoszynski und die beiden Juden David und Seelig, deren Häuser an das Bürgermeister-Grundstück grenzten und als erste mitverbrannt waren. Bartholomäus konnte nur aussagen, daß der verschwundene Knecht nachmittags auf dem Boden geschlafen, danach in der Stadt auf einer Hochzeit gewesen, „wo er getanzet und sich stark angetrunken“, und gegen 8 Uhr zum Abendessen wieder nach Hause gekommen sei, wo man lange am Tisch gesessen und „discurirt“ habe. Seiner Ansicht nach sei der Paul nur weggelaufen vor Angst, der Bürgermeister werde ihn bestrafen, weil er die Pferde nicht aus dem Stalle gerettet habe. Die 20jährige Franziska erklärte, „am Feuer hat der Paul gewiß nicht Schuld“, da ja auch seine Sachen, wenn dessen Bruder sie nicht zufällig gerettet hätte, mitverbrannt wären. Im übrigen habe der Knecht nur sehr selten Tabak geraucht und am Sonntage habe sie solches nicht bemerkt. Die andere Magd wußte nichts zu sagen. Auch der Schwager und die Juden hielten den Knecht für unschuldig. Niemand konnte sich das plötzliche Ausbrechen des Feuers erklären und die ganze Untersuchung blieb erfolglos.

Die Aufregung in der Stadt hatte sich kaum gelegt, als nach einem halben Monate eine neue Katastrophe hereinbrach, wiederum ein Brand, diesmal in der Neustadt. Am 18. Juni brach dort am Ringe, bei den Ställen der Bürger Klatt und Kunckel, Feuer aus, griff sogleich auf die anstoßenden Wohnhäuser über, dehnte sich mit Windeseile rechts und links über die Posener- und Kirchhofstraße aus, vernichtete diese beiden Straßen völlig und legte sogar noch 8 zur Altstadt gehörige Häuser in Asche. Die Akten zählen als niedergebrannt auf: am Ringe 3 Häuser und Ställe, in der Posener Straße 16 Häuser und Ställe, in der Kirchhofstraße 14 Häuser und 13 Ställe und in der „Altstädter Vorstadt“ 8 Häuser und 5 Ställe, insgesamt also 41 Wohnhäuser und 37 Stallungen. Menschen oder Vieh waren nicht zu Schaden gekommen.

Hatte schon das Unglück vom 1. Juni und das damalige Verschwinden des Knechtes Anlaß gegeben zu Gerüchten über eine Brandstiftung, so glaubte man an eine solche bei der neuerlichen Katastrophe erst recht. Der wiederum aus Posen eingetroffene Kommissar schrieb an seine Behörde: „Übrigens dürfte dieser Brand durch bösliche Anstiftung einer alten Frau, die durch ihr aufmerksames Zuschauen beim Brand Verdacht erweckte und bereits in feste Verwahrung genommen, entstanden sein. Sie soll, nach Anzeige des Magistrats, durch einen bei ihr gewesenen Knaben verrathen worden sein, dem man theils durch Versprechungen, theils durch Drohungen das Geheimnis entlockte, daß solche (Frau) die Ursache des Unglücks gewesen.“

Das Berliner Ministerium nahm mit größtem „Mißvergnügen“ von dem abermaligen Brande in Rogasen Kenntnis und teilte ebenfalls den Verdacht der Brandstiftung. Die Festnahme der „verdächtigten Weibsperson“ wurde ausdrücklich gebilligt. Aber alles blieb umsonst. Genau wie nach dem ersten Brande brachten auch diesmal die Nachforschungen und Verhöre trotz der vorliegenden Verdachtsmomente keine Aufklärung über die Ursachen des in so auffällig kurzer Zeit zum zweitenmal eingetretenen Unglückes.

Das schwierigste Kapitel bildete der Wiederaufbau der Stadt, deren Schaden durch beide Brände auf rund 363.000 Zloty geschätzt wurde. In Posen erwog man umfangreiche Hilfsmaßnahmen. Rogasen als königliche Stadt, schrieb die Kammer nach Berlin, biete die beste Gelegenheit, „die hier in Südpreußen noch so äußerst geringe Kultur mehr zu verbreiten“. Man müsste den Ort auf alle Art „emporheben“ und besonders nach solchen Bränden zu unterstützen suchen. Die Kammer schlug einen 12jährigen Steuererlaß vor, Berlin genehmigte 8 Jahre. Auch der Rogasener Starost wurde aufgefordert, den Abgebrannten seinerseits einen 6jährigen Erlaß der starosteilichen Abgaben zu bewilligen. Er lehnte jedoch ab; er würde „gewiß diesem so edlen Gefühl, Menschen zu beglücken, gern folgen“, sei aber bloss Nutznießer, nicht Eigentümer der Starostei und müsse überdies schon seine Revenuen mit 50% versteuern. Daraufhin ermäßigte ihm die Regierung die Steuern, damit er den Bürgern wenigstens eine anderhalbjährliche Abgabenfreiheit gewähren könnte, was dann auch schließlich geschah.

Im Juli 1796 waren von den insgesamt 87 niedergebrannten Häusern 24 wieder aufgebaut und 7 im Bau. Zum Leidwesen der preußischen Behörden waren aber 11 der neuen Häuser wieder mit Rohr und Stroh gedeckt worden und ein Bürger hatte wiederum einen hölzernen Schornstein angelegt. „Ist uns nicht lieb“ schrieb das Ministerium nach Posen, als es davon hörte. Die Kammer wurde angewiesen, darauf zu sehen, daß wenigstens Schindeldächer, und zwar mit feuersicherem Anstrich aufgelegt würden, auch sollte der Posener Bauinspektor Wernicke die Rogasener Bauten alle 4 Wochen revidieren.

Im Oktober 1796 standen bereits 27 Häuser. Allen, die ihre Häuser vorschriftsmäßig feuersicher errichteten, wurden besondere Bauhilfsgelder gezahlt. Dabei entstanden jedoch einige Kalamitäten, weil der Magistrat die Gelder einigen Leuten voll auszahlte, bevor diese ihren Bau fertiggestellt hatten und ohne von ihnen Sicherheiten zu verlangen.

Die Berliner Zentralbehörde nahm dieses „unordentliche Gebahren“ mit „vielem Mißfallen“ auf.

Sechs Abgebrannten, darunter 4 Witwen, die erklärt hatten, aus eigenen Mitteln nicht anfangen zu können, wurde im Herbst 1796 angedroht, wenn sie nicht in einem Jahre Anstalten zum Bau machten, würden ihre Grundstücke meistbietend verkauft werden. Verwirklicht wurden diese Drohungen jedoch nicht.

Zur Erweiterung der Stadt wurden von der Kämmerei unentgeltlich Bauplätze auf städtischem Grunde zur Verfügung gestellt, wovon auch Viele Gebrauch machten.

Im September 1797 war das Retablissement so weit gediehen, daß bereits 43 Häuser fertig waren, 12 davon zeigten sich aber als nicht den Vorschriften entsprechend; an weiteren 12 Häusern wurde gebaut. Einschließlich der noch im Bau befindlichen waren also 63% des Gebäudeverlustes wieder wettgemacht.

Wann der Wiederaufbau zum eigentlichen Abschluß gekommen, ist aus den Akten nicht ersichtlich, zweifellos zog er sich aber noch viele Jahre hin. Viele Abgebrannte – vor allem die Tuchmacher unter ihnen, die fast alle ihre Webstühle verloren hatten – konnten die zu Anfang notwendigen Baugelder nur mit Mühe aufbringen. Mit dem fertigen Haus war es ja auch noch nicht getan, das ganze Inventar mußte neu beschafft werden.

Ein Gutes aber hatten die Brände doch zur Folge: man baute jetzt soweit angängig möglichst feuersicher, geräumiger, mit mehr Überlegung und nicht zu regellos und bunt durcheinander wie in früheren Zeiten. Diese Verbesserung wirkte sich allerdings nur auf einen kleinen Teil der Stadt mit ihren über 300 Häusern aus, der überwiegende Teil mit seinen engen Straßen und im Judenviertel recht üblen Gassen zeigte noch jahrzehntelange das althergebrachte Aussehen. Die dort stehenden alten stroh- und schindelgedeckten Holz- und Fachwerkbauten bildeten noch lange Zeit einen Gefahrenherd, wie schon der nächste Brand vom Juni 1903 bewies, wo trotz des verbesserten Feuerlöschwesens doch noch innerhalb einer Stunde 9 Häuser den Flammen zum Opfer fielen.

Im Zusammenhange mit dem Brande vom 1. Juni sei hier noch ein Bittgesuch erwähnt. Vier Jahre nach dem Unglück, im Oktober 1798, richtete der Jude Moses Jakob Gros eine Immediatvorstellung an den König Friedrich Wilhelm III. nach Berlin. Vor fünf Jahren, heißt es darin, habe er in Rogasen ein Haus am Markte besessen, und zwar das Eckhaus neben dem Bürgermeister Krzywoszynski. Bei der preußischen Besitznehmung im Jahr 1793 habe er nun sein Haus einem „Capitaein“ zum Quartier einräumen müssen, „Nach dem derselbe von dar weg und nach Posen marchirte, Schloss derselbe das Haus und geheft dichte zu“ mit dem Bemerken, wenn er zurückkomme, werde er wieder beim dem Juden sein Quartier nehmen. Das alles habe der Offizier getan, „ohngeachtet unseres mer malligen Schreibens um die Schlüssel zu erhalten“, denn inzwischen hätte sich ein Käufer eingefunden gehabt, der ihm, den Juden, 1.500 Taler (= 9.000 Zloty) für das Haus habe geben wollen, „wen ers besehen haben würde“. „Wir wanndten uns auch dieserhalb an der Posener Kammer, ich blieb aber immer ohn erhört“, bis schließlich das Grundstück am 1. Juni 1794 „in die Asche gelegt worden“. Vielleicht wäre noch eine Rettung möglich gewesen, wenn nicht sein Gehöft, das als letztes mit abgebrannt, verschlossen gewesen wäre. Gegenwärtig sehe er sich außerstande, mit eigenen Mitteln wieder aufzubauen, da er bereits 5 mal „abgebrannt“ sei. Mehrmals habe er die Posener Kammer um Unterstützung gebeten und solche auch erhofft, „da mein Haus grösten theils wegen des Eigensinnes des Capitaeins abgebrand ist“ und dieser auch die Ursache gewesen, daß der Verkauf nicht zustande gekommen sei. Wie er mit seinem „ganz gehorsamten gesuch von einer zeit zu andern verwiesen“, bitte er jetzt, ebenso wie die übrigen Abgebrannten eine kleine Bauhilfe erhalten zu dürfen.

In Berlin wurde aber das Ansuchen strikt abgelehnt. Die angeführten Gründe verdienten keine Berücksichtigung, wurde geschrieben, und im übrigen frage es sich noch, ob der Bittsteller sich zu einer Unterstützung qualifiziere oder vielleicht sogar schon Baugelder erhalten habe Kannten doch die Behörden durch die vielen Klagen über die Betrügereien der zahllosen Juden nur allzugut deren Manöver, um nicht von vornherein einem solchen Gesuche mit Mißtrauen zu begegnen. Dem Moses Jakob Gros blieb nicht weiter übrig als sich selbst zu helfen, denn ein zweites Gesuch reicht er nicht mehr ein und von einer Unterstützung der Kammer ist in den Akten nichts zu lesen.

 

Fußnote des Autors: Nach den im Geh. Staatsarchiv Berlin: Gen.-Dir. Südpreußen Tit. LXXII Nr. 1242 u 1252/53

 

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt:
Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen – Herausgegeben von Dr. Alfred Lattermann – Heft 35 / Poznan (Posen) 1938