Ein Gang durch die Zuckerfabrik Opalenitza – 1898

Opalenitza Zuckerfabrik - Bild: "Opalenica na dawnej pocztówce" S.36  Öffentlichen Stadt- und Kreisbibliothek

Opalenitza Zuckerfabrik – Bild: „Opalenica na dawnej pocztówce“ S.36 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Die erste Zuckerfabrik in Opalenitza war im Jahr 1884 fertiggestellt worden, dieser Artikel wurde 1898, 14 Jahre nach der Inbetriebnahme eines Neubaus, veröffentlicht. In der Hauptsache geht es sehr ausführlich um die Gewinnung des Zuckers aus Zuckerrüben. Es finden sich jedoch auch einige interessante Informationen in Nebensätzen, wie z. B., dass ca. 520 Menschen in diesem Betrieb Arbeit fanden. Dieses wurde von den Bewohnern der Umgegend sicherlich als „segensreich“ angesehen und die Stadt Opalenitza selbst wuchs durch den Zuzug der Arbeiter. Die Bezahlung in der Zuckerfabrik war, so eine Aussage eines Bewerbers auf den Nachtwächterposten in Neutomischel, besser, als dass dieser, den ihm angebotenen Posten in der Stadt hätte annehmen können.

Berichtet wurde aber auch, dass die Rüben Zulieferungen ausschließlich durch Aktionäre erfolgten. Im Umkehrschluss bedeutete dieses, dass jeder Grundbesitzer, der sich mit dem Rübenanbau beschäftigte und Aktien der Zuckerfabrik besaß, die Anbauflächen so groß als möglich ausgeweitet haben wird um seine Erträge zu maximieren; vermutlich ist so die Ruine des  Schlosses von Opalenitza letztlich untergepflügt worden.

Heute hält das Unternehmen „Nordzucker“ mit der Nordzucker Polska S.A. in Opalenica die Aktienmehrheit des umfangreich modernisierten Werkes, in dem jetzt mehrheitlich loser, kristalliner Weißzucker produziert wird.

* * *

Wer um die jetzige Zeit die Eisenbahnstrecke Bentschen – Posen befährt, wird überrascht sein durch die große Anzahl mit Zuckerrüben hoch beladener Güterwagen, die man auf allen Stationen zu sehen bekommt und die alle einem gemeinsamen Ziele, der Zuckerfabrik zu Opalenitza zugeführt werden. Namentlich auf dem recht ausgedehnten Bahnhof dieses kleinen Städtchen, dessen Name noch vor etwa Jahresfrist aus Anlass des Falles Carnap in aller Munde war, sehen wir in fast endlosen Reihen Güterwagen an Güterwagen, teils offen, teils geschlossen, teils leer, teils beladen stehen, die zum allergrößesten Teil dem Verkehr mit dem Fabriketablissement dienen, dessen gewaltige Baulichkeiten schon vom Bahnhof aus einen recht imposanten Anblick gewähren; schon dieser allein lässt wohl in jedem Beschauer den Wunsch nach einer näheren Besichtigung rege werden, zumal es hochinteressant sein muss, einmal den Werdegang eines unserer wichtigsten Nahrungsmittel aus eigener Anschauung kennen zu lernen.

Opalenitza selbst, ein Städtchen von etwa 3.000 Einwohnern, muss früher wohl ein erbärmliches Nest mit echt polnischem Gepräge gewesen sein, wie die große Mehrzahl der recht unansehnlichen, geschmacklos mit grellen Wasserfarben angestrichenen Häuser schließen lässt; denn alle etwas ansehnlicheren Gebäulichkeiten entstammen sichtlich der neueren Zeit, die allerdings eine recht rege Baulust geweckt zu haben scheint; man gewinnt unwillkürlich den Eindruck aufblühender Kultur, zu der sicher das Unternehmen deutschen Gewerbsfleißes, die Zuckerfabrik, den Grund gelegt hat. Die Stadt bietet jedoch so außerordentlich wenig Interessantes, dass wir uns eine Wanderung durch seine schmutzigen, schlecht gepflasterten Straßen getrost ersparen können; wir lassen sie daher zwar nicht links, aber doch rechts liegen und biegen, den Bahnkörper überschreitend, in die in nördlicher Richtung nach Neustadt bei Pinne führende Chaussee ein, an der etwa 1 km vom Bahnhof entfernt die Fabrik erbaut ist. Von der Hauptbahn sich abzweigend bemerken wir ein eigenes vollspuriges Bahngeleise in weitem Bogen an das Fabrikgrundstück herangeführt, während die neben der Chaussee herlaufende, Opalenitza mit Neustadt b. P. verbindende Schmalspurbahn, die früher nur die Rübenbeförderung diente, ebenfalls ein Zweiggeleise auf den rings eingezäunten Fabrikhof entsendet.

Eine Eschenallee führt uns an dem in einem Garten belegenen villenartigen Wohnhaus für den Direktor der „Zuckerfabrik Opalenitza, Aktien Gesellschaft zu Opalenitza“, wie das Unternehmen offiziell heißt, sowie an dem Lazarett und dem Pförtnerhäuschen vorbei zu dem Haupteingang, von dem aus wir folgenden Gesamtüberblick über die Anlagen zu gewinnen vermögen:

Die Zuckerrübe - Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Illustration_Beta_vulgaris_var._rapacea0.jpg

Die Zuckerrübe – Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Illustration_Beta_ vulgaris_var._rapacea0.jpg

Rechts und links vor uns liegen die gewaltigen Fabrikgebäude, weit überragt von den mächtigen, eisenberingten, rauchgeschwärzten Schornsteinen; rechts die sogenannte alte Fabrik, mit einem Vorbau versehen, in dem die elektrischen Lichtmaschinen untergebracht sind, links die neue Fabrik, deren Vorbau die Comtoirräumlichkeiten, Arbeitszimmer für den Direktor und den Aufsichtsrath sowie den Sitzungssaal enthält; zwischen beiden gerade vor uns steht ein Waagehäuschen, dessen Centesimalwaagen alle Lastfuhrwerke in beladenem und leerem Zustande passieren müssen; dahinter langgestreckte, mit Schienengeleisen durchzogene Schuppen, in denen die herangeschafften Rüben bis zu ihrer Verarbeitung lagern; sie vermögen aber anscheinend die gewaltigen Vorräte lange nicht zu fassen, denn auch außerhalb ihrer Räume sehen wir haushohe Berge von Rüben aufgestapelt.

Links von uns vor der neuen Fabrik bemerken wir die stets in Wasserdampf gehüllte Schnitzeltrocknungsanstalt, daneben ein Beamtenwohnhaus; ein zweites größeres steht mit der Front nach Süden, an der Wandgrenze des Grundstücks, an der entlang ein Stallgebäude, ein Lagerraum für Maschinentheile und Materialien, eine Kasernen für Arbeiter, eine Kantine für diese und ein Kasino für die zahlreichen Fabrikbeamten sich anschließen, denen für den Sommer auch ein hübscher Garten mit Kegelbahn zur Verfügung steht.

Unsere Bitte, den Betrieb selbst in Augenschein nehmen zu dürfen, wird höflichst gewährt und in zuvorkommendster Weise übernimmt einer der Herren Fabrikleiter unsere Führung; von ihm erfahren wir zunächst folgende interessante Einzelheiten:

Die Zuckerfabrik Opalenitza ist die größeste Rohzuckerfabrik nicht nur Deutschlands, sondern auch des Kontinents, sie beschäftigt in der etwa von Mitte September bis Mitte Januar währenden Hauptkampagne etwa 520 Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Rüben liefern ausschließlich Aktionäre, die sich aus Groß- und Kleingrundbesitzern zusammensetzen; für die laufende Kampagne ist eine Anbaufläche von etwa 21.000 Morgen gezeichnet, deren Gesamtertrag nach den bisherigen durchschnittlichen Ernteergebnissen auf etwa 3.400.000 Zentner berechnet wird. Es werden täglich in beiden Fabriken zusammen etwa 32 – 35.000 Zentner Rüben verarbeitet, aus denen etwa 3.600 – 4.000 Zentner Rohzucker gewonnen werden. Der Betrieb erforder einen täglichen Kohlenaufwand von etwa 230 Zentner.

Zum besseren Verständnis des Fabrikationsganges wird uns sodann folgende Belehrung zu Teil:

Die Zuckerrübe enthält in ihren kleinen, bläschenartigen Zellen, die durch ganz feine Häutchen voneinander getrennt sind, einen Saft, der aus etwa 80-84% Wasser und 16-20% Trockensubstanz zusammengesetzt ist; diese enthält etwa 13% Zucker, während der Rest, aus Eiweißstoffen, Farbstoff, Säuren und Salzen bestehend, unter dem Fachausdruck „Nichtzucker“ zusammengefasst wird. Die Fabrikation richtet sich nun darauf, zunächst den Rübensaft aus dem Zellengewebe der Rübe und aus diesem dann den Zucker durch Entfernung des Wasser und Ausscheidung des Nichtzuckers möglichst rein zu gewinnen.

In dem Rübenschuppen, den wir nun betreten, sehen wir Arbeiter damit beschäftigt, die aufgestapelten Rüben, die schon auf dem Felde von den grünen, zum größten Teil Nichtzucker enthaltenden Köpfen befreit sind, in einen schmalen aber tiefen Kanal zu schaufeln, in dem das mit natürlichem Gefälle in starkem Strom dahin schießende Wasser die Rüben der alten Fabrik zuführt, die wir zu besichtigen zu gedenken.

Zuckerfabrik 1899_12_29_101

Zucker ist ein Nahrungsmittel (1)

Hier werden sie von einem so genannten Schneckengang, einer schrägliegenden korkzieherartig um die Axe angeordneten sich drehenden Schaufel, aufgefangen und in eine Waschmaschine befördert, wo sie durch rechenartige Vorrichtungen in stetig ab- und zufließendem Wasser von dem anhaftenden Schmutz gereinigt werden. Blitzsauber gelangen die Rüben von hier über ein Schüttelsieb, dessen rüttelnde Bewegung sich möglichst vom Wasser befreien soll, einem senkrecht aufsteigenden Elevator entgegen, dessen Taschen sie aufnehmen und in das oberste Stockwerk der Fabrik befördern; polternd fallen sie aus den Taschen in den Kasten einer automatischen Waage, deren Spiel trotz der damit verbundenen donnerähnlichen Getöses sehr interessant zu beobachten ist. Sobald der Waagekasten zum größten Teil gefüllt ist, wird durch das Gewicht der Rüben ein Hebel ausgerückt, der die Balanciervorrichtung in Tätigkeit gelangen lässt; hat die Menge der Rüben in dem Waagekasten das Gewicht von 400 kg erreicht, so wird selbsttätig der weitere Zufluss von Rüben abgesperrt, der Waagekasten kippt nach vorn und schüttet den Inhalt auf eine schiefe Ebene, um sofort wieder in seine frühere Lage zurückzukehren. Hierdurch wird auch die Absperrung der Rübenzufuhr wieder aufgehoben und dasselbe Spiel beginnt von Neuem. Seitlich an der Wiegevorrichtung bemerken wir einen sinnreichen Mechanismus, der bei jeder Entleerung des Waagekastens ein Zählwerk genau um so viel fortschreiten lässt, als sich Kilogramm auf der Waage befunden haben; man kann also jederzeit genau ablesen, wie viel Kilogramm Rüben über die Waage gegangen sind, was täglich beim Schichtwechsel des Morgens um 6 Uhr und des Abend um 6 Uhr zu geschehen pflegt.

Die Zuckerfabrik in Opalenica - Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:58801_Opalenica_cukrownia_1.JPG?uselang=de

Die Zuckerfabrik in Opalenica – Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:58801_Opalenica_cukrownia_1.JPG?uselang=de

Nachdem wir eine Weile dem interessanten Automaten zugesehen, steigen wir eine Treppe hinab und werden vor die Schnitzelmaschine geführt, in welche die Rüben auf der eben erwähnten schiefen Ebene gelangen; wir sehen uns vor einem mächtigen, eisernen Cylinder, dessen seitliches Mannloch auf Geheiß unseres Führers geöffnet wird; jetzt können wir wahrnehmen, dass der Cylinder mit Rüben angefüllt ist, die durch ihr eigenes Gewicht gegen den in schnell kreisender Bewegung befindlichen Boden gedrückt werden; dieser ist besetzt mit scharfen wellenlinig gestalteten Messern, die das Fleisch der aufliegenden Rüben in schmale, dünne Streifen zuschneiden. Unten herausfallend, gleiten diese hinab in den von unserem Standort aus zu überschauenden Saal in eine, seine ganz Breit überspannende Rinne, in die an einem darüber herlaufenden endlosen Riemen angebrachte Rechen hineingreifen und die Schnitzel fortschieben, bis sie an eine der verschiedenen in der Rinne vorhandenen Öffnungen gelangen, an diesen befinden sich große drehbare Fülltrichter, die die Rübenschnitzel zur Gewinnung des Saftes den unter der Rinne angeordneten sogenannten Diffuseuren zuführen.

Um das Verfahren, dem die Schnitzel nun unterworfen werden, zu verstehen, müssen wir uns erst den Begriff der „Diffusion“, auf der die Saft-Gewinnung beruht, zu erklären suchen.

Wenn man die Öffnung eines mit einer Zuckerlösung gefüllten Glases mit einer Membrane (z. B. Schweinsblase) verschließt und es mit der verbundenen Öffnung nach unten in ein mit reinem Wasser gefülltes Gefäß taucht, so wird bei einiger Erwärmung ein Ausgleich der beiden Flüssigkeiten von verschiedener Dichtigkeit in der Weise stattfinden, dass ein Teil des minder dichten Wassers durch die Membrane hindurch zu der dichteren Zuckerlösung tritt, während diese in derselben Weise sich dem Wasser mittheilt; dieser Vorgang, den man Diffusion nennt, würde so lange stattfinden, bis die verschieden dichten Flüssigkeiten in den beiden Gefäßen sich vollständig ausgeglichen, also den gleichen Zuckergehalt erlangt haben.

Wie wir nun oben gesehen haben, ist der zuckerhaltige Rübensaft in kleinen mit seinen Häutchen, – Membranen – umgebenen Zellen enthalten, von denen durch das Zerschneiden in dünne Streifen möglichst viele bloß gelegt sind. Bringt man nun solche Rübenschnitzel in warmes Wasser, so wird dieses nach Analogie des eben beschriebenen Vorganges durch die Zellenmembrane hindurch zu dem zuckersaftigen Rübensaft eindringen, während dieser durch die Zellenwandungen in das Wasser tritt, und dieser Ausgleich wird so lange anhalten, bis sich außerhalb und innerhalb der Zellen eine Flüssigkeit von gleicher Dichte, d. h. gleichem Zuckergehalt befindet. Wird nun das zuckerhaltige durch reines Wasser ersetzt, so wird durch eine Wiederholung des eben beschriebenen Vorgangs dem in den Zellen enthaltenen Rübensaft ein weiterer Teil seines Zuckergehalts entzogen, was durch fortgesetzte Erneuerung des Wassers bis zur fast völligen Auslaugung der Rübenschnitzel wiederholt werden kann.

Diese Saftgewinnung durch Diffusion geschieht nun hier in den sogenannten Diffuseuren, von denen wir in dem Saale, in den wir jetzt hinabgestiegen sind, gewissermaßen nur die Hälse sehen; ihre Körper reichen bis in das Erdgeschoß hinunter und bestehen aus mächtigen, eisernen Cylindern, die unten einen trichterförmigen Aufsatz haben; dieser ist von dem cylindrischen Körper durch einen siebartig durchlöcherten Boden getrennt, der das zuckerhaltig gewordene Wasser durchlässt, die Schnitzel aber zurückhalt; zu ihrer Entfernung, wenn sie genügend ausgelaugt sind, dient ein seitlich angebrachtes Mannloch.

Eben sehen wir die Befüllung eines Diffuseurs vor sich gehen: Nach Entfernung des Mannlochdeckels wird der Fülltrichter aufgesetzt und hastig stürzen die Schnitzelmassen hinunter in den schier unersättlich scheinenden Schlund; als die Füllung bis an den „Hals“ reicht, steigt ein Arbeiter mit bloßen Füßen hinein und sucht die Schnitzel niederzutreten, dann wird wieder vollgefüllt und nun der dichtschließenden Mannlochdeckel aufgeschraubt; die Befüllung ist beendet und wendet sich nun dem nächsten Gefäß zu und so geht es weiter, bis die 12 Gefäße, die durch Übersteigrohre mit einander zu einer sogenannten Batterie vereinigt sind, sämtlich befüllt sind. In den ersten Diffuseur ist nun warmes Wasser geleitet worden und hat die darin befindlichen Schnitzel in der oben beschriebenen Weise zum Teil ausgelaugt; von hier tritt es durch ein Übersteigrohr in den zweiten Diffuseur, dessen Schnitzel noch zuckerreicher sind, als das eintretende Wasser, und an dieses wieder einen Teil ihres Zuckergehalts abgeben; so reichert sich das Wasser zwar immer mehr mit Zuckergehalt an; trifft aber in jedem neuen Diffuseur immer wieder Schnitzel an, deren Saft ihm an Zuckergehalt überlegen ist, bist es aus dem letzten Diffuseur der Batterie als Zuckersaft heraustritt.

Die Zuckerfabrik um 1912 -Bild: "Opalenica na dawnej pocztówce" S.34 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Die Zuckerfabrik um 1912 -Bild: „Opalenica na dawnej pocztówce“ S.34 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Die ausgelaugten Schnitzel kommen aus den Diffusseuren unter die Schnitzelpressen, wo sie von dem aufgenommenen Wasser möglichst befreit werden, um dann als beliebtes Viehfutter an die Aktionäre zurückgegeben zu werden. Ein Teil der Schnitzel, namentlich soweit sie mit der Bahn versendet werden sollen, wird in die eingangs erwähnte Trocknungsanstalt befördert, wo darüber hinweg geleitete heiße Luft ihnen den letzten Rest von Feuchtigkeit entzieht und in Wasserdampf umsetzt, sodass nur ein pulveriger Rückstand verbleibt, dessen Nährwerth als Futtermittel durch diese Behandlung jedoch nur wenig beeinträchtigt ist.

Der gewonnene Zuckersaft bedarf nun, bevor er weiter verarbeitet werden kann, einer gründlichen Reinigung, da er ja auch den in der Rübe vorhandenen Nichtzucker mit in sich aufgenommen hat; dieser muss aber entfernt werden, da er die Krystalliationsfähigkeit des in dem Saft enthaltenen Zuckers zu beeinträchtigen geeignet ist. Zur Abscheidung dieser Nichtzuckerstoffe wir der Zuckersaft zunächst in kupfernen Kochkesseln, von denen wir eine größere Anzahl neben den Diffusionsbatterien aufgestellt sehen, den sogenannten Scheidepfannen durch Dampf erhitzt und mit Kalkmilch versetzt. Diese Kalkmilch wird bereitet, indem frisch gebrannter Kalk, den die Fabrik in eigenen Kalköfen brennt, in reichlichen Wassermengen gelöscht und verrührt wird, und hat die Eigenschaft, die in dem erhitzten Zuckersaft vorhandenen Nichtzuckerstoffe an sich zu ziehen und zu binden. Durch in die Flüssigkeit hineingeleitet Kohlensäure, welche Gasform man beim Brennen des Kalk gewinnt, wird der Kalk zur Füllung gebracht. Der Scheidesaft wird nun mittelst Dampfkraft in die sogenannten Schlammpressen gedrückt, die wir in einem Nebenraum aufgestellt finden; sie sehen fast aus, wie große Harmoniums und bestehen aus zahlreichen senkrecht angeordneten Sieben in viereckigen eisernen Rahmen, die dicht aneinander geschoben bzw. gepresst werden, nachdem leinene Tücher zwischen die einzelnen Rahmen eingeschaltet sind. Durch diese Vorrichtung wird nun der Saft hindurchgepresst, wobei der darin enthaltene Kalkschlamm durch die Tücher zurückgehalten wird, während der Zuckersaft abfließt und nun die sogenannten Saturationspfannen, – die die Gestalt von eisernen Kästen haben -, verbracht wird. Hier findet eine zweite Saturation, bzw. Kohlensäurebehandlung statt, der sich eine nochmalige Beförderung durch eine Filterpresse anschließt, aus der der nun gereinigt Dünnsaft durch eigenes Gefälle langsam noch durch einen Filterbeutel geleitet wird.

Scheideschlammauktion (2)

Scheideschlammauktion (2)

Nachdem der Zuckersaft so nach Möglichkeit von allen fremden Bestandteilen befreit ist, gilt es, die schwache, nur ca. 10 % Zucker enthaltende Lösung soweit einzudicken, dass eine Krystallbildung ermöglicht wird; dies geschieht durch Verdampfen des in der Lösung enthaltenen Wassers. Von den Filterpressen werden wir wieder zwischen den Saturations- und Scheidepfannen hindurch in den großen Oberlichtsaal zurückgeführt, in dessen hinteren Teil zwei aufrecht stehende und 6 liegende cylindrische Gefäße von mächtigen Maßen unser Auge fesseln, die zu besserer Festhaltung der Wärme mit gelbgestrichenen hölzernen Latten umkleidet sind. Der Dünnsaft fließt nun zuerst in die aufrecht stehenden Gefäße, die uns als Vorwärmer bezeichnet werden und den Zweck haben die Flüssigkeit in stets gleichmäßiger Temperatur an die liegenden Gefäße, die sogenannten Verdampfkörper, von denen je drei zu einem System verbunden sind, weiterzugeben.

In diesen Verdampfkörpern großen von zahllosen messingenen Dampfrohren durchzogenen Kesseln, wird verdünnte Luft gehalten und zwar dergestalt, dass der Luftdruck im zweiten der mit einander verbundenen Körper geringer ist als im ersten, und im dritten der geringste Luftdruck vorhanden ist. Da nun eine Flüssigkeit um so eher zum Sieden gebracht wird, je geringer der auf ihr lastende Luftdruck ist, so wird es durch die oben erwähnte Luftdruckverteilung ermöglichst, dass die im ersten Körper sich entwickelnden Dämpfe in den zweiten übergeleitet, genügen, den in diesem befindlichen Saft auf Siedetemperatur zu erhitzen, während der hier erzeugte Wasserdampf wiederum in dem dritten die nötige Hitze zur Verdampfung des in dem Saft noch enthaltenen Wassers zu erzeugen vermag.

Der Dünnsaft fließt nun aus dem Vorwärmer in ununterbrochenem Strom in den ersten Verdampfkörper, setzt hier einen erheblichen Teil seines Wassergehalts in Dampfform um und tritt schon in konzentrierter Form in den zweiten Verdampfkörper über; nachdem er auch hier längere Zeit gekocht, wird er in den fast luftleeren dritten Körper gezogen, der ihn erst abfließen lässt, wenn er zu einer syrupartigen Flüssigkeit eingekocht ist, die nun Dicksaft genannt wird. Die Standgläser, die neben jedem Gefäß angebracht sind, ermöglichen es uns, zu verfolgen, wie der im ersten Körper schwach gelblich erscheinende Zuckersaft, im zweiten schon dunkler und dickflüssiger aussieht, während er im dritten völlig die Zähigkeit und Farbe von Syrup angenommen hat.

Blick auf das Fabrikareal -Bild: "Opalenica na dawnej pocztówce" S.36 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Blick auf das Fabrikareal -Bild: „Opalenica na dawnej pocztówce“ S.36 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Eine eiserne Wendeltreppe hinauf werden wir nun vor ein mächtiges, eisernes, holzbekleidetes Gefäß von kugelförmiger Gestalt geführt, in dessen Innern in verschiedenen Höhenlagen angebrachte Schaugläser einen Einblick gestatten; es ist das „Vakuum“, so genannt, weil die Luftpumpe unausgesetzt tätig ist, die in ihm enthaltene Luft bzw. die sich entwickelnden Dämpfe abzusaugen und so fast eine Luftleere zu erzeugen, bei der der Dicksaft durch Dämpfe, die in schlangenartig gewundenen Röhren das Innere des Gerätes durchziehen, bei möglichst geringer Temperatur langsam auf Korn verkocht, d. h. soweit abgedämpft wird, dass der in ihm enthaltene Zucker Krystallform annimmt.

Durch das oberste Schauglas sehen wir den braunen Saft in kochender Bewegung, an dem mittleren steht er schon als starre, unbewegliche Masse, während wir im untersten Teil des Gefäßes deutlich die kornartigen Krystalle erkennen können.

Um die weitere Gewinnung des Zuckers in Augenschein zu nehmen, steigen wir die Treppe hinab und werden nun durch eine ständig unter Aufsicht eines Steuerbeamten stehende Thür in die Räume geführt, wo der Zucker in Krystallform gewonnen und gelagert wird; sie sind gegen die anderen Räume der Fabrik und nach außen „feuersicher“ abgeschlossen, d. h. alle Fenster sind mit engmaschigen Drahtgittern versehen, die mit Steuerbleien gesichert sind, alle Türen sind mit Kunstschlössern verschlossen, oder stehen unter amtlicher Bewachung; wo hölzerne Wände sind, sieht man sogar die einzelnen fest aneinander gefügten Bretter unter einander mit Bandeisen beschlagen usw.; kurz, hier darf wohl alles hinein, aber nichts heraus, was nicht der steuerlichen Kontrolle unterzogen worden ist und jeder diese Räume verlassende Arbeiter kann dies nur durch die eine Thür, an der er Körbe, Kannen oder sonstige Behälter, in Verdachtsfällen sogar die Kleider dem prüfenden Auge des Mannes mit der grünen Mütze öffnen muss. Nun, wir beneideten ihn nicht um diese Aufgaben, die abgesehen von ihrer Eintönigkeit auch wegen der Höhe der hier herrschenden Temperatur, der schlechten Luft und dem ewigen Getöse der Maschinen keine angenehme sein dürfte, sondern wenden uns wieder dem Fabrikationsgange zu.

Aus dem Vakuum wird die körnige Masse in die sogenannten Sudmaischen verbracht, die wir gleich am Eingang neben dem Steuerbeamten aufgestellt finden: große, eiserne Kästen, die wir angefüllt sehen mit einem weißlich grauen Brei, jetzt „Füllmasse“ genannt, die ein Rührwerk in fortwährender Bewegung erhält, um sie abzukühlen und weitere Krystallbildung zu begünstigen. – Immer noch keine Zucker ? Aber Geduld, gleich werden wir ihnen sehen ! Eine Treppe hinab führt man uns einer merklich noch heißeren Temperatur zu, als wir sie bisher nur mit Mühe ertragen; ein surrendes Geräusch tönt uns entgegen, und vor einer Reihe niedriger cylindrischer Gefäße sehen wir ebenso viele Arbeiter scheinbar unbeschäftigt stehen. Doch nein, da stochert einer emsig in seinem Gefäß herum und nimmt etwas heraus ! Wahrhaftig, es ist Zucker ! Neugierig treten wir hinzu und haben nun Gelegenheit, das Gerät näher in Augenschein zu nehmen, und arbeiten zu sehen. In einem eisernen oben offenen Cylinder befindet sich um ihre senkrechte Achse drehbar eine Trommel, deren vertikale Wandung aus einem äußerst feinlöcherigem Sieb (Drahttuch), gebildet wird. Diese Trommel wird nun etwa bis zur Hälfte mit Füllmasse, wie wir sie oben in den Sudmaischen gesehen, befüllt und durch die Maschine allmählich in so schnelle Umdrehungen versetzt, dass sie dem Auge als stillstehend erscheint. Durch die Fliehkraft wird die Füllmasse an die Wandung gedrängt, die die festen Krystallkörper festhält, während alles Flüssige herausgeschleudert wird.

So sehen wir denn auch an dem die Trommel umgebenden eisernen Mantel den Syrup herabfließen, während um die innere Wand der nach einiger Zeit wieder zum Stillstand gebrachten Trommel ein fester Ring von Zuckerkrystallen sich gelegt hat, der mit einem kleinen Instrument abgestochen wird, sodass der Zucker in die Trommel zurückfällt. Damit ist der Rohzucker ersten Produkts fertiggestellt, der sich als eine klebrige Masse lose zusammenhängender Krystalle von blass gelber Farbe darstellt. Dicht daneben sehen wir auch weißen Zucker aus den Trommeln nehmen, den die Fabrik, wie wir auf Befragen erfahren, in beschränkter Menge, hauptsächlich für ihre Aktionäre und Beamten herstellen lässt; das Verfahren ist dasselbe bis auf die Ausschleuderung in den Centrifugen: zwar wird dieselbe Füllmasse in die Trommel gelassen, doch wird der sie umschließende Cylinder beim Schleudern geschlossen, und ein starker Dampfstrahl gegen die Wandung der rotierenden trommel gerichtet, wodurch verschiedene dem Rohzucker noch anhaftende Salze, die ihn zum menschlichen Genuss noch ungeeignet erscheinen lassen, entfernt werden, und das fahlgelbe Aussehen in ein rein weißes überführt wird. Damit ist dieser Zucker zum Verbrauch fertiggestellt, währen der Rohzucker erst in Raffinerien wandert, die ihn reinigen, und in die Formen – Brot-, Würfel-, Kandiszucker etc. – verbringen, in denen wir ihm im Handel begegnen.

Opalenica Cukrownia - Bild: "Opalenica na dawnej pocztówce" S.35 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Opalenica Cukrownia – Bild: „Opalenica na dawnej pocztówce“ S.35 Öffentliche Stadt- und Kreisbibliothek

Den Rohzucker schafft aus dem Centrifugenraum ein endloser Elevator auf die Zuckerböden, wo er nach Ausscheidung etwaiger Klumpen durch eine Sieb gelagert und getrocknet wird, dann erst wird er gesackt und unter steuerlicher Aufsicht zum Versand in Eisenbahnwagen verladen, von denen wochentäglich 25-30 Stück beladen werden – könnten, wenn nicht der chronische Wagenmangel auf der Staatsbahn dies häufig verhindern würde.

Was aber geschieht nun mit dem abgeschleuderten Syrup ? Unser freundlicher Führer will uns auch dessen Verbleib zeigen und führt uns in einen bei den Arbeitern bezeichnender Weise „Amerika“ genannten Raum, – Afrika wäre noch richtiger – , in dem wir zahlreiche, großmächtige eiserne Kästen wahrnehmen, mit Syrup angefüllt; doch schon nach wenigen Schritten bitten wir dringend umkehren zu dürfen, da die hier herrschende etwa 45° Celsius betragende Hitze uns den Aufenthalt unerträglich macht. Wir begnügen uns daher mit der Erklärung, dass in diesen Kästen der Syrup bei hoher Temperatur etwa 4-6 Wochen zum Auskrystallisieren belassen würde, um dann abermals auf Korn verkoch, und von Neuem ausgeschleudert zu werden. Der hiervon gewonnene Zucker wird das zweite Produkt genannt, von dessen Ablaufen auch noch ein drittes auf gleiche Weise erzeugt wird, während die dann verbleibenden Rückstände, Melasse genannt, meist als Viehfutter von hohem Nährwerth an die Landwirte abgegeben werden.

So hochinteressant und lehrreich nun auch der Gang durch die imposante Fabrik gewesen, so ahmen wir doch erleichtert auf, dass wir am Ende desselben angelangt sind und uns dem Ausgang zuwenden, die vielen Eindrücke, die dumpfe Luft, die Hitze, das Getöse der Maschinen und Geräte hat uns doch in eine gewisse Abspannung versetzt und das Bedürfnis nach frischer, reiner Luft, einem ruhigen, gemütlichen Aufenthaltsort und nicht zuletzt nach einer Erfrischung äußerst lebhaft in uns wachgerufen. Nur flüchtig durchschreiten wir den großen Maschinensaal, in dem besonders die gewaltigen Luftpumpen und die das elektrische Licht erzeugenden Maschinen unser Interesse erregen, lassen uns an den zwölf gewaltigen Dampfkesseln vorbei ins Freie führen und haben kaum noch einen Blick für die Kalkofenanlagen übrig. Wohl erstaunen wir noch über die riesigen Kohlen- und Kalksteinvorräte, die auf dem Fabrikhof aufgetürmt sind, über das langgestreckte Scheideschlammgebirge und das zum Abkühlen und Reinigen des heißen Wassers dienende langgestreckte Dorngradirwerk, über das Ab- und Zufahren der Gespanne und Eisenbahnwagen: aber ein zweifellos von Herzen kommendes „Gott sei Dank!“ entringt sich doch dem Gehege der Zähne, als wir den anheimelnden Raum des Kasinos betreten, aus dessen Küche uns der Duft frisch bereiteten Kaffees verheißend in die Nase zieht; behaglich lassen wir uns an dem sauber und geschmackvoll angerichteten Kaffeetisch nieder und gönnen nach so reichlich genossener geistiger Nahrung auch dem Körper das Seine !

Mit herzlichem Dank verabschieden wir uns dann von unserem liebenswürdigen Führer und nehmen das Bewusstsein mit auf den Wege, einen der größten und interessantesten Betriebe der Provinz Posen kennen gelernt zu haben.

* * *

  • Quellen: Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra)
  • Zeitungsanzeige: Scheideschlamm (2) – Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel 1899/No. 3
  • Zeitungsanzeige: Zucker ist ein Nahrungsmittel (1) – Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel 1899/No. 101
  • Artikel: Ein Gang durch die Zuckerfabrik – Amtliches Kreis-Blatt für den Kreis Neutomischel 1899/No. 4 und folgende