Erinnerungen an einen Sensationsprozeß – Kwilecki / 1903-1913

Wroblewo – AK Ausschnitt

„Posen, 11 . Okt. 1928

Im Alter von nur 31 Jahren ist der Majoratsherr von Wroblewo, Graf Joseph Kwilecki gestorben.

Der Tod des Grafen Kwilecki ruft die Erinnerung wach an einen der größten Sensationsprozesse der Vorkriegszeit. Er ließ hineinblicken in Lebensführung und Lebensauffassung des Hochadels.

Der alte Graf Kwilecki war, obwohl er Inhaber des riesigen Familienmajorates Wroblewo war, bis über die wenigen Haare seines fast kahlen Kopfes verschuldet. Auf den großen Grundbesitz Geld aufzunehmen, war schwer möglich, denn das Familiengesetz bestimmte, daß sich das Majorat nur im Mannesstamme vererbe. Dem Grafen aber hatte die Gattin, Sproß einer Adelsfamilie aus dem damaligen Deutsch-Polen, nur drei Töchter geboren.

Unfern, auf seinem Gute, lauerte Vetter Hektor Kwilecki, der nächste Agnat, auf den Tod seines Verwandten, um die willkommene Erbschaft antreten zu können.

Als die Gräfin Kwilecki-Wroblewo nahezu 60 Jahre alt war, als ihre Töchter schon großjährig waren, fuhr sie im Jahre 1879 eines Tages nach Berlin und quartierte sich in einer Privatpension ein. Hier gebar sie einen Knaben – vorausgesetzt, daß ihre Angaben stimmen – des vorgestern verstorbenen Grafen Joseph Kwilecki.

Der „Thronfolger“ war da, wenn auch als Spätling gekommen; das Fideikommiß vererbte sich in gerader Linie, der Graf auf Wroblewo konnte aufatmen und vor allen Dingen Geld aufnehmen.

Der Vetter Hektor aber bekam einen Wutanfall, der durch Jahre anhielt. Was? Das Erbe war weg, die große Sehnsucht zerronnen, verflogen wie ein Phantom? Nein! Hier mußte gehandelt werden! Der „Balg“ der aus Berlin nach Wroblewo gebracht wurde, war kein echter Kwilecki, der kleine Joseph war untergeschoben! Der rasende Hektor alarmierte Detektivbureaus, alarmierte die Polizei, alarmierte die Gerichte, alarmierte die Staatsanwaltschaft.

Ein Rattenkönig von Prozessen war die Folge.

Die Zeitungen berichteten ausführlich, Tag für Tag, über den „Kampf um das Majorat!

Plötzlich platzte eine Bombe, gab es eine Sensation: Hektors Geheimagenten hatten in Ungarn eine Bahnwärterfrau Meyer entdeckt, die behauptete, Graf Joseph sei ihr Sohn, den sie gegen Geld in Lemberg an den Bevollmächtigten der Gräfin verkauft habe.

Nun beantragte die Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen die Gräfin wegen Kindesunterschiebung, das Gericht gab dem Antrag statt. Ein wochenlanger Sensationsprozeß nahm seinen Anfang. Hierbei geschah es, daß die feindlichen Grafen und Gräfinnen sich aufs heftigste bekämpften.

Jedes Geheimnis wurde auf das genaueste durchgekramt, Graft Hektor wühlte im Dreck. Ihm war auch das schmutzigste Mittel recht – Wie hoch waren die Schulden des hochgeborenen Herrn Vetters? Was aß man auf Wroblewo? Falschen Hasen oder Hummermayonnaise? Wieviel Jagden, wieviel Diner, wieviel Gesellschaften gab man im Jahr? Aufklären, aufklären, aufklären, vor breitester Oeffentlichkeit! „Nackt soll mir die Verwandtschaft dastehen, sonst geht mir das Majorat flöten!“

In diesem Prozeß gab es eine Szene, wie sie selten vor einem Tribunal erlebt ward. Zwei unwissende Knabe standen vor dem Gerichtshof, der eine der erstgeborene Sohn der Bahnwärtersfrau, der andere der kleine Joseph, der eine im schlechtsitzenden Kinderkittel, der andere im schneeweißen, spitzenbesetzten Anzüglein eines jungen Grafen. Sachverständige gaben ihre Gutachten über Körperbau, Gesichtsausdruck, Stirn, Blick und Nase der Kinder ab, kamen aber zu keinem Schluß. Graf Hektor war blaß, die beiden Jungen sahen dem Schauspiel aus leeren, vergeblich ratenden Augen zu.

Justizrat Wronker, heute ein Nestor unter den deutschen Verteidigern, vertrat die Gräfin Kwilecki-Wroblewo und geißelte in einem der bedeutendsten Plädoyers das Verhalten des Grafen Hektor.

Die Gräfin ward freigesprochen.

Die Eltern und der feindliche Onkel sind tot. Jetzt starb auch, kaum über die Dreißiger hinaus, der Knabe von damals, der junge Joseph, bei seinem Tode Majoratsherr von Wroblewo.

Seine Standesgenossen, im Dünkel ihres Namens, haben ihn nie anerkannt, sie sahen ihn als einen Bastard an.“

Bergisch Gladbacher Volkszeitung Samstag – 13.10.1928

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* * * Rückblick * * *

 

„Die Kinderunterschiebungsaffäre der Gräfin Wensierski-Kwilecki vor Gericht

Berlin, 24. Oktober 1903

Ein Sensationsprozeß, wie er selbst in den Annalen der Berliner, an Sensationsprozessen so reichen Rechtsgeschichte einzig dasteht, nimmt nach einer mehr als vierjährigen Voruntersuchung nunmehr am kommenden Montag vor dem Schwurgericht des Berliner Landgerichts I. seinen Anfang. Auf der Anklagebank sitzt die jetzt im 57. Lebensjahre stehende polnische Gräfin Isabella Wensierski-Kwilecki, geb. Gräfin Bnin-Bnitzki auf Wroblewo unter der Beschuldigung der Kindesunterschiebung und der Verleitung zum Meineide, während neben ihr noch weitere vier Personen und zwar ihr Gatte, der Majoratsherr Graf Zbinginew Wensierski-Kwilecki, die Hebamme Ossowska aus Warschau, die Kammerfrau der Gräfin Frau Chwialkowska aus Troppau in Mähren und deren Mutter, die Dienstfrau Knoska aus Wroblewo in Posen wegen Beihilfe zur Kindesunterschiebung und wegen wissentlichen Meineids, bzw. Verleitung zu diesem Verbrechen mit unter Anklage stehen.

Die der Hauptangeklagten zur Last gelegte Kindesunterschiebung liegt volle sechs Jahre zurück. Sie soll begangen worden sein, um das im Besitz des Mitangeklagten Grafen Kwielecki befindliche Majorat Wroblewo im Kreis Samter in Posen der Familie desselben zu erhalten. Diese besteht zur Zeit aus drei Töchtern und dem angeblich untergeschobenen Sohne, bei dessen Nichtvorhandensein das Majorat nach dem Mirislaw Kwilecki, bzw. dessen Sohn, den Reichstagsabgeordneten Graf Hector Kwilecki gefallen sein würde. Das Majorat ist 18.000 Morgen groß und hat einen jährlichen Nutzwert von 60.000 M. Die Unterschiebung soll in folgender Weise vor sich gegangen sein:

Während der mitangeklagte Graf, angeblich wegen Kränklichkeit, im Süden weilte, reiste die Gräfin am 25. Januar 1897 nach Berlin, um hier ihre nahe bevorstehende Niederkunft, die mit Rücksicht auf ihr Alter von 51 Jahren als eine voraussichtlich sehr schwierige bezeichnet worden war, in nächster Nähe der ersten Geburtshelfer zu erwarten.

Sie mietete also in dem Hause Kaiserin-Augusta-Straße 74, dem vornehmsten Teile des Berliner Tiergartenviertels, eine große Wohnung, die auf das prächtigste ausgestattet wurde. Dienerschaft wurde jedoch nicht angenommen, da sie bereits die Mitangeklagten Chwialkowska und Knoska sowie die Hebamme Ossowska von Wroblewo mitgebracht hatte. Zwei Tage nach ihrem Einzuge kam die Gräfin dann in Gegenwart dieser drei Personen, die kein Wort deutsch können und aus diesem Grunde den übrigen Hausbewohnern von dem freudigen Ereignis keine Mitteilung gemacht haben wollen, nieder.

Auch in Wroblewo wurde die Geburt des künftigen Majoratsherrn so spät bekannt, daß der schleunigst nach Berlin abgereiste Hausarzt der gräflichen Familie bei seiner Ankunft mit der Nachricht heimgeschickt werden konnte, es sei alles in schönster Ordnung und es brauche sich deshalb niemand nach Berlin bemühen. Mutter und Kind bekam der Hausarzt bei diesem Besuche gar nicht zu sehen. Nachdem die Gräfin das Wochenbett mit seltener Frische überstanden hatte, kehrte sie in Begleitung ihrer drei Mitangeklagten nach Wroblewo zurück, wo sich alsbald auch der glückliche Vater einfand und die Geburt des Stammhalters mit großem Pomp feierte.

Allein die Tatsache, daß der alte Graf in den Kreisen des polnischen Hochadels als bekannter Lebemann galt, der die größte Zeit des Jahres über an der Riviera zu verbringen pflegt, während die im 51. Lebensjahre stehende Gräfin sehr zurückgezogen in Wroblewo lebte und vor 17 Jahren das letzte Mal niedergekommen war, ließ immer mehr Stimmen laut werden, daß bei der Sache nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sei, sodaß schließlich auch die nächstberechtigten Grafen Kwilecki von der älteren Linie, nämlich das Herrenhausmitglied und der Reichstagsabgeordnete und Rittergutbesitzer im Interesse ihrer Familie auf Klarstellung der Angelegenheit drangen. Es kam zu einem Zivilprozeß vor dem Posener Landgericht und in diesem erschien die angeklagte Gräfin persönlich wie weiland Maria Theresia mit ihrem Sohn auf dem Arm im Gerichtssaal, um die Echtheit ihrer damaligen Niederkunft zu bezeugen. Ebenso beschwor ihr Gatte und das Dienerinnentrio Chwialkowska, Knoska und Ossowska, daß die Gräfin in Berlin wirklich niedergekommen sei. Die Aehnlichkeit der Mutter und des Kindes, welche frappant sein soll, sowie das bestimmte Zeugnis der Hebamme und der beiden Kammerfrauen bestimmte denn auch die Posener Richter, die klagende ältere Linie zur Anerkennung der Legitimität des Knaben zu verurteilen.

Inzwischen wurde jedoch die Berliner Staatsanwaltschaft mit einer sehr merkwürdigen Affäre befaßt. Die Bahnwärterstochter Karoline Paretza in Zwierzine, welche am 25. Januar 1897, also an demselben Tage, an welchem die angeklagte Gräfin von Wroblewo nach Berlin gefahren war, von einem Knaben entbunden worden war und diesen gegen eine einmalige Entschädigung von 100 Gulden an die inzwischen verstorbene Hebamme Barberina Cewell in Warschau abgetreten hatte, erbat nämlich durch Vermittelung der österreichischen Polizei die Hilfe der Berliner Polizei bei ihren Nachforschungen nach dem Verbleib ihres Knaben, der einem Liebesverhältnis der Paretza mit einem österreichischen Hauptmann entstammte. Das Mädchen hatte inzwischen den Bahnwärter Meyer in Lipping bei Haresbutte in Mähren geheiratet und diesem ihr früheres Verhältnis und die Existenz des Knaben eingestanden, worauf der Mann sich großmütig bereit erklärt hatte, das Kind als sein eigenes anzunehmen. Die Ermittelungen ergaben, daß der Knabe von der Hebamme Cewel wieder weitergegeben worden war und zwar an eine unbekannte Dame, welche schon vor der Entbindung der Paretza bei dieser einmal erschienen war und sich nach dem Datum der voraussichtlichen Niederkunft des Mädchens erkundigt hatte. Als diese Unbekannte entpuppte sich schließlich eine früher in Diensten der angeklagten Gräfin gestandene Russin, die das Kind nach Krakau gebracht haben will. Hier soll es dann einer Amme übergeben worden sein, die den Auftrag hatte, mit dem Kinde nach Berlin zu reisen. Am Abend des 26. Januar 1897 traf die Amme auf dem Schlesischen Bahnhof ein, wo ihr das Kind von zwei polnisch sprechenden Frauen abgenommen wurde. Sie selbst mußte sofort nach Krakau zurückfahren und ist inzwischen ebenfalls verstorben.

Als gravierendes Moment wird nun gegen die Gräfin geltend gemacht, daß an diesem Abend des 26. Januar der Droschkenkutscher Adolf Wilke zwei polnisch sprechende Frauenspersonen, die ein Bündel vom Bahnsteig vorsichtig herunterbrachten, nach dem Hause Kaiserin-Augusta-Straße 74 gefahren hat und daß von Hausbewohnern beobachtet wurde, wie die beiden Frauen dieses Paket vorsichtig aus der Droschke hoben und in die Wohnung der Gräfin schafften. Am Tage darauf ist dann der junge Graf bei dem zuständigen Polizeibureau unter dem Geburtsnamen Josef Adolf Stanislaw Kwilecki angemeldet worden. Die Staatsanwaltschaft nimmt aus allen diesen Gründen an, daß der Sohn der Bahnwärtertochter Paretza mit dem jungen Grafen identisch ist und daß die Gräfin die Schwangerschaft im Jahre 1897 mit künstlichen Mitteln vorgespielt hat. Dafür spreche auch das Alter der Gräfin und die auffällige Geheimniskrämerei, welche bei der Entbindung getrieben worden sei. Unter diesen Umständen liege aber auch eine Verleitung zum Meineide vor, den die drei Frauen im Posener Prozeß geleistet hätten, als sie die Echtheit der Entbindung beschworen. Dasselbe Verbrechen wird dem Grafen zur Last gelegt, der zweifellos um die Affäre gewußt und die Frauen mit zu ihrer falschen Aussage verleitet habe.

Die Verhaftung der Gräfin erfolgte hier in Berlin im Anschluß an eine Vernehmung, die sie in dieser Sache vor dem Untersuchungsrichter zu bestehen hatte. Mit Rücksicht auf den außerordentlichen Umfang der Sache sind sechs Wochen für die Verhandlung des Prozesses in Aussicht genommen. Die Verhandlungen müssen mit Rücksicht auf die größtenteils nicht deutschen sprechenden Angeklagten und Zeugen teilweise in polnischer, russischer, französischer, czechischer und ungarischer Sprache geführt werden. Unter den zu der Verhandlung geladenen ca. 200 Zeugen, befinden sich u. a. der jetzt im 6. Lebensjahre stehende Sohn der Gräfin, Graf Stanislaw Kwilecki, das Herrenhausmitglied Graf Hector Kwilecki-Oporowo, der Reichstagsabgeordnete Graf Kwilecki-Dobrojewo, die drei Töchter der Hauptangeklagten, der die Ermittelungen leitende Kriminalkommissar von Trescow, der aus dem Wreschender Prozeß her bekannte Justizrat Wolinski aus Posen und zahlreiche Mitglieder des polnischen Hochadels, die frühere Dienerschaft der Angeklagten, mehrere Richter aus Posen, die in Frage kommenden Hebammen und Wartefrauen sowie die angebliche Natürliche Mutter des untergeschobenen Kindes. Die Verteidigung der Gräfin hat der Justizrat Wronker-Berlin, die der übrigen Angeklagten der Justizrat Lewinski-Posen und die Rechtsanwälte Seida-Posen, Zborowski-Berlin und Justizrat von Sikorski-Berlin übernommen.“

Badische Presse: Generalanzeiger der Residenz Karlsruhe und des Großherzogtums Baden – Abendausgabe – Sonntag, 25. 10.1903

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„Die Tragödie des jungen Kwilecki.

Der Kampf um das Grafenkind ist vorläufig beendet. Das Oberlandesgericht Posen hat den bisherigen jungen Grafen Joseph Kwilecki der Bahnwärtersfrau Cecilie Meyer als Sohn zugesprochen.

Posen, 20 Dezember 1909. Das hiesige Oberlandesgericht hat heute vormittag auf die Berufung der Bahnwärtersfrau Cecilie Meyer wegen Herausgabe ihres Sohnes das Urteil gefällt und die Entscheidung des Landgerichts, die das Kind der Gräfin Kwilecki zusprach aufgehoben. Das Oberlandesgericht stellte fest, daß der junge Graf Josef Kwilecki nicht der Sohn des Grafen Ignatius Kwilecki und dessen verstorbener Ehefrau, der Gräfin Kwilecki ist, sondern der Sohn der Bahnwärtersfrau Meyer.

… es steht allerdings zu erwarten, daß die gräflich Kwileckische Partei sich mit diesem Urteilspruch des Oberlandesgerichts nicht zufriedengeben, sondern von dem ihr zustehenden Rechtsmittel der Revision beim Reichsgericht Gebrauch machen wird. Auf diese Weise können wieder Jahre vergehen, ehe ein rechtskräftiges Urteil diese Affäre, die fast ein Jahrzehnt in der Schwebe ist, zum definitiven Abschluß bringt …

Der junge Graf Kwilecki

Der junge Graf

Es ist gewiß kein alltägliches Schicksal, aus einem Grafenschloß in eine Bahnwärterbude versetzt zu werden. Nach so langen Jahren konnte die Familie des Grafen Kwilecki kaum noch erwarten, daß der Prozeß ein solches Ende nehmen würde, wie es jetzt geschehen ist. Der junge Graf, der jetzt den gut bürgerlichen Namen Stanislaus Meyer führen soll, lebte bisher auf dem Majorat Wroblewo beim alten Grafen Kwilecki, der ihm eine sorgfältige Erziehung zu teil werden ließ. Der junge Graf, der am 27. Januar das dreizehnte Lebensjahr erreicht, wird von einer der Familie nahestehenden Seite als ein hübscher schwarzlockiger Knabe geschildert, der sich im Unterricht, den er von Hauslehrern erhält, als reichbegabt und lernbegierig zeigt. Der Knabe führte bisher ein sorgloses Leben auf dem Gute Wroblewo und war wegen der frischen Natur recht beliebt.“

General-Anzeiger für Dortmund die Provinz Westfalen – Dienstag, 21.12.1909

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„Der junge Kwilecki bleibt Graf – Aufhebung des Posener Urteils

Das Reichsgericht hat das Urteil des Posener Oberlandesgerichts in der Kwileckiaffäre aufgehoben. Der junge Kwilecki, der zurzeit Gymnasiast in Breslau ist, bleibt also zunächst Graf Kwilecki und fällt nicht der Bahnwärterfrau Cäcilie Meyer zu. Mit dem Urteilsspruch des Reichsgerichts hat ein kapitelreicher Roman aus dem Leben, der erbitterte Kampf, der seit fast acht Jahren um den Besitz des jungen Grafen Joseph Adolf Stanislaus Kwilecki geführt wurde, sein vorläufiges Ende gefunden. Ein Telegramm meldet über den Gang der Verhandlung folgendes:

Leipzig 14. Mai 1911. Der vierte Zivilsenat des Reichsgerichts hat in der Revision des Grafen Kwilecki gegen das Urteil des Zivilsenats des Oberlandesgerichts Posen das Urteil aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Lissa aus dem Jahre 1907 dahin abgeändert, daß Frau Meyer mit ihrer Klage, mit der sie die Herausgabe des jungen Grafen als ihren Sohn verlangte, abgewiesen wurde. – Die Plädoyers der Verteidiger der Parteien dauerten über sechs Stunden. Zum Schluß sprach Justizrat Asch-Posen. Er erhob den Einwand, daß die Klage auf Herausgabe des Kindes überhaupt unzulässig sei, solange nicht die Feststellung des Status bezüglich des Personenstandes des jungen Grafen Kwilecki erfolgt und ein Antrag auf Berichtigung des Standesamts III Berlin gestellt und entschieden sei. Denn zurzeit stehe Joseph Kwilecki im Standesamtsregister noch als Kind des gräflichen Paares, er sei danach deutscher Staatsangehöriger, während das Berufungsgericht Posen das Kind der Bahnwärterfrau Meyer in Krakau in Galizien zugesprochen habe, womit das Kind österreichischer Untertan wäre.“

General-Anzeiger für Duisburg, Ruhrort, Meiderich und Umgegend – Montag, 15.05.1911

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Das Urteil im Kwilecki-Prozeß. Breslau, 10. Juni 1913. Die hiesige Zivilkammer sprach heute, wie schon kurz mitgeteilt, das Urteil in der viel erörterten Kwilecki-Affäre und brachte damit einen Streit zum vorläufigen Abschluß, der seit 13 Jahren die deutschen Gerichte in verschiedenen Straf- und Zivilprozessen beschäftigt hat.

… wurde in dem heutigen Urteil die Klage der Bahnwärtersfrau Cäcilie Meyer gegen den Grafen Kwilecki auf Abänderung des Standesamtsregister in der Richtung, daß der junge Graf ihr uneheliches Kind sei, kostenpflichtig abgewiesen.

Jeversches Wochenblatt: Friesisches Tageblatt; gegr. 1791 – Samstag, 14.06.1913

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt:
Zeitungen deutsche-digitale-bibliothek.de – Einzelheiten sh. Text/-e