Evangelische Kirchen-Gemeinde Neustadt bei Pinne 1879 – Teil 6

Blick auf die Kirche – Aufn. Sep 2009 PM

  • Nachrichten über die Evangelische Kirchen-Gemeinde augsburgischer Konfession NEUSTADT bei Pinne,
  • zu ihrem hundertjährigen Jubiläum am 15. August 1879 aus den Kirchen-Akten zusammengestellt von Reylaender, Pastor

Als erster Pastor dieser Parochie galt Johann Georg Kaulfuß (1777-1803), ihm folgte Johann David König (1803-1826), der nächste Pastor dem in der Festschrift gedacht wurde war dann Johann Valentin Röder (1828-1850), der nächste gewählte Pastor war dann: Constantin Ferd. Heinrich Held (1851.1858); nach seiner Emeritation wurde verübergehend Pastor Petersen aus Schleswig-Holstein eingesetzt, ehe dann als nächster gewählter Pastor Rudolph Bethge (1859-1866) das Amt inne hatte. Letzter in dieser Chronik erwähnter und vermutlich auch Verfasser dieser war dann Oskar Reyländer ab 1866 an.

Sein Nachfolger war: Oskar Reyländer von 1866 an.

Geboren am 10. August 1840 zu Hermsdorf im Reg.-Bez. Königsberg, woselbst sein Vater Pfarrer war, besuchte er das Gymnasium und die Universität zu Königsberg. Nachdem er einige Jahre Hauslehrer gewesen war, wurde er Mitglied des Prediger-Seminars zu Wittenberg. Von dort wurde er im Jahre 1865 als Pfarrgehilfe nach Neutomischel gesandt und nach dem Abgange des dortigen Pastors ordiniert und als Pfarrverweser eingesetzt. Am 15. October 1866 wurde er nach Neustadt als Pfarrverweser gesandt und am 30. März 1867 zum Pastor gewählt. Im dem­selben Jahre verheiratete er sich mit Marie Laddey, Tochter des gewesenen Rittergutsbesitzers Laddey in Elbing.

Die erste Aufgabe, welche ihm zufiel, war der Bau eines neuen Pfarrhauses. Angeregt war die Sache, wie schon erwähnt, bereits von seinem Vorgänger. Die Königliche Regierung hatte dar­aus Veranlassung genommen, den Kirchenvorstand zur Beschaffung eines technischen Gutachtens über den baulichen Zustand des Pfarr­hauses aufzufordern. Da der Vorstand aber die Angelegenheit verzögerte, beauftragte die Regierung ihren Baumeister mit der Untersuchung. Dieser stellte die Notwendigkeit eines Neubaus fest, und eine Ostern 1867 convocirte Gemeindeversammlung gab ihre Zustimmung mit der Maßgabe, dass 5 Jahre hindurch durch Um­lagen auf die Gemeinde der Baufonds angesammelt werden solle. Da es später jedoch gelang, ein Darlehn aus der Provinzial-Hilfskasse zu erlangen, so begann der Bau bereits Ostern 1869. Zeichnung und Anschlag lieferte der Maurermeister Hoffmann von hier, den Bau übernahm der Zimmermeister Schiller von hier. Das alte Haus wurde für 200 Thlr. an den Gerbermeister Becker verkauft, welcher aus dem Material sich eine Werkstätte baute. Während der Bauzeit bezog der Pastor mit seiner Familie eine Interimswohnung, bestehend aus den beiden oberen Giebelstuben des vom Distriktskommissarius Glaubitz bewohnten Hauses auf dem Schwan, in welcher er den bitterkalten Winter des Jahres 1869/70 aushielt. Im Juli 1870 war der Bau beendigt. Die Kosten desselben beliefen sich auf ca. 5800 Thlr. — Leider war es nicht möglich, hiermit die Bautätigkeit zu beschließen. Neben dem schönen, stattlichen Pfarrhause nahmen sich die alten, dem Einsturz nahen Ställe wunderlich genug aus, und es war von vornherein in Aussicht genommen, dieselben durch neue zu ersetzen, wenn erst die Schuld an die Provinzialhilfskasse abgetragen sein würde. Es kam aber anders. Auch die Orgel befand sich in sehr schlechtem Zustande, und der Pastor Reyländer hatte schon längere Zeit frei­willige Gaben zum Neubau derselben gesammelt. -— Da  versagte am 1. Pfingstfeiertage (Am 1. Pfingstfeiertage 1786 war sie eingeweiht worden; sie war 86 Jahre alt.) 1872 die Orgel mitten im Hauptliede den Dienst gänzlich. So konnte kein Widerspruch erfolgen, als der Gemeinde der Vorschlag gemacht wurde, die letzte Rate des Darlehns an die Provinzialhilfskasse ein Jahr später abzutragen und mit dem Neubau der Orgel sofort vorzugehen; daran sollte sich der Neubau der Ställe anschließen. Die Orgel wurde vom Orgel­bauer Müller aus Meseritz mit 18 klingenden Stimmen für 1476 Thlr. erbaut und am 16. August 1873 eingeweiht. Aus dem Ma­terial der alten, für 25 Thlr. angenommenen Orgel erbaute Herr Müller für den Kantor Mertner ein kleines Werk, welches derselbe auf dem Konfirmandensaale aufgestellt hat, wo es zugleich beim Konfirmandenunterricht benutzt werden kann. — In demselben Frühjahre war auch der Pfarrstall gebaut worden, nachdem die an dieser Stelle stehende Wagenremise dem Kantor als Scheune über­wiesen und auf dessen Hof translozirt war. Das Material hatte die Baukommission angekauft, die Maurer- und Zimmerarbeiten der Zimmermeister Berger ausgeführt. Die Gesamtkosten be­trugen 1054 Thlr. Die Kosten des auf dem Stall befindlichen Taubenschlages trug der Pastor Reyländer. Im Jahre 1874 wurde die Pfarrscheune, mit welcher der Holzstall verbunden ist, vom Maurermeister Hoffmann für 585 Thlr. gebaut. Da das Pfarrgrundstück eine sehr geringe Breite besaß, so dass das neue Pfarrhaus dicht an die Grenze anstieß, so wäre für die Scheune kein Platz gewesen, wenn nicht der Pastor Reyländer das angrenzende Ackerstück von etwa 1 Morgen Größe angekauft und es später, — allerdings mit Schaden, — an die Kirche verkauft hätte. So war der nötige Raum für die Scheune sowohl als auch für die Einfahrt auf den Hof gewonnen, welche letztere ehemals unpassender Weise über den Kirchenplatz geführt hatte. Die Pfarre machte seit­dem einen so stattlichen Eindruck, dass die Gemeinde allen Grund hat, auf ihr Werk stolz zu sein, und es gereicht ihr zur großen Ehre, die bedeutenden Opfer ohne Zwang und ohne Hader darge­bracht zu haben. — Dasselbe Jahr bereicherte die Kirche mit einer dritten Glocke. Nach beendigtem französischen Kriege richtete der Gemeinde-Kirchenrath ein Immediatgesuch an Se. Majestät den Kaiser, in welchem um erbeutete Kanonen gebeten wurde. Se. Majestät geruhte, diese Bitte huldreichst zu gewähren und 15 Centner Kanonen der Neustädter Kirche zu schenken. Aus diesen goss der Glockengießer Schön in Posen eine Glocke, welche mit den beiden älteren einen Akkord (f-a-d) bildet. Am 15. April 1874 fand die Weihe und das Aufziehen statt. Die Glocke trägt die Inschrift: „Aus eroberten französischen Geschützen der Jahre 1870 und 1871 gegossen im Jahre 1873. — Geschenk des Kaisers.“ — 338 Thlr. mussten übrigens noch an den Glockengießer zugezahlt werden. — Endlich sei noch der letzten Renovation der Kirche gedacht. Die Gemeinde wollte den Ehrentag ihrer Kirche, an welchem sie das hundertjährige Bestehen feiert, nicht vorübergehen lassen, ohne ihr ein neues schmuckes Kleid angelegt zu haben. — Denn von der letzten Renovation des Jahres 1850 war nichts mehr zu spüren, und Inneres wie Äußeres sahen schon sehr wüst aus. So wurde denn bereits im Vorjahre die Kirche von außen abgeputzt, und in diesem Jahre das Innere in Angriff genommen. Die überaus schöne Decke in Kassettenform ist von den Gebrüdern Tischlermeister Rudolph und Amandus Seydel gefertigt worden. Den geschmack­vollen Anstrich der Decke, so wie der Wände, des Altars und der Bänke hat der Malermeister Wieland aus Posen gefertigt. Die Gesamtkosten werden etwa 1100 Thaler betragen.

Hierbei sei erwähnt, dass die Jungfrauen Neustadts, um auch etwas zum Jubiläum der Kirche beizutragen, Sammlungen veran­staltet haben, durch welche 53 Thaler zusammengekommen sind. Hierfür soll ein Teppich für die Kirche angekauft werden.

Schließlich noch einige Notizen aus der Zeit der Amtsverwaltung des Pastors Reyländer. Im Jahre 1868 wurde das Vorwerk Milostówko abgetrennt und nach Lewitz-Hauland eingepfarrt. In demselben Jahre feierte der Kirchenvater Scheffler seine goldene Hochzeit, Bei der kirchlichen Einsegnung konnte ihm eine von der Königin-Witwe huldreichst geschenkte Prachtbibel überreicht werden. 1870 werde der Kirchenplatz mit Strauchgruppen bepflanzt, welche 1878 erweitert sind. Die alten, hässlichen Pappeln waren damals beseitigt und durch Linden und Ahorn ersetzt worden. Im Jahre 1871 wird bei der Separation der evangelischen Stadtgemeinde ein Stück Land zum Kirchhof überwiesen. Derselbe wird am 28. Oktober eingeweiht und zugleich der alte Kirchhof an den Mühlen geschlossen. Den neuen Kirchhof bepflanzte der Pastor Reyländer mit Linden, Akazien, Ahorn, Kastanien und Fichten. Da der Pfarre jeglicher Landbesitz fehlte, war der Pastor Reyländer darauf bedacht, eine Ackerparzelle für dieselbe zu erwerben. Die Pfarrlandstiftung in Posen hatte auf seine Bitte eine Dotation zugesagt, und nach längerem Suchen und Handeln wurden 20 Morgen in, Jahre 1872 für den Preis von 1400 Thalern ange­kauft. Den Statuten gemäß muss der Pastor 35 Thaler jährlich amortisieren, so dass vorläufig der Nutzen kein großer ist. In der Folge jedoch, wenn die Amortisation nach Verlauf von 43 Jahren ein Ende hat, dürfte das Land eine nicht unwillkommene Zugabe zum Einkommen bilden.

Im Jahre 1874 wird auf Antrag des Pastors von der Gemeindevertretung der Neujahrsumgang des Pastors und Kantors, ebenso die Festtags- und Abendmahlsopfer für Beide abgelöst. Bei derselben Gelegenheit wird auch der Klingelbeutel abgeschafft. Das bare Gehalt war dadurch für den Pastor auf 324 Thaler erhöht. Sein Einkommen blieb aber so niedrig, als es gewesen, so dass im Jahre 1876 auf Veranlassung der Regierung 15 Thaler zugelegt werden mussten, damit das Gesamteinkommen aus der Stelle den Minimalsatz von 800 Thalern erreiche!

Im Jahre 1877 stirbt der Kirchendiener Ernst Pohl, ein treuer, bescheidener, aber leider dem Trunke ergebener Mann. Vorläufig hat seine Witwe das Amt weitergeführt.

Im Jahre 1878 wird für die städtische evangelische Gemeinde ein Leichenwagen angeschafft. Derselbe ist vom Wagenbauer Hönicke in Schwerin a/W. für 250 Thaler erbaut.

In diesem Jahre erreichte auch der seit 5 Jahren wegen eines Kirchenkapitals von 200 Thalern geführte Prozess der Kirche ein Ende. Es stammt dieses Kapital von der Witwe des Gutsbesitzers Nobiling in Chraplewo, welche es zur Zeit des Pastors Bethge der Kirche geschenkt hatte, mit der Verpflichtung, dafür das auf dem Chraplewoer Kirchhofe befindliche Grabmal des Nobiling für alle Zeiten in Stand zu halten. Als nun der Kirchenrath dasselbe zum Orgelbau verwenden wollte und es zu diesem Zwecke dem Bäckermeister Jahnke, auf dessen Grundstück es hypothekarisch ein­getragen war, aufkündigte, kam das Hypothekendokument durch eine

Vergangener Glanz … – Aufn. Sep 2009 GT

Reihe von Umständen in die Hände des Schuldners Jahnke, welcher es an den jüdischen Kaufmann Joachim verpfändete, so dass bei der hinterher erfolgenden Subhastation des Jahnke’schcn Grundstückes die Post von 200 Thalern an die Kirche nicht ausgezahlt werden konnte. Im Kriminalverfahren wurde zwar Jahnke verurteilt, aber Joachim freigesprochen. In dem darauf angestrengten Civilprozesse gegen Joachim siegte die Kirche und erhielt ihr Geld. — Vor besonderen Unglücksfällen hat Gottes Barmherzigkeit die Kirche und Gemeinde bisher bewahrt. Die neuere kirchliche Gesetz­gebung, welche an so vielen Orten dem Unglauben Tür und Tor geöffnet hat, ist bisher ohne Einfluss auf unsere Gemeinde geblieben. Tauf- und Trauverweigerungen sind noch nicht vorgekommen; alle Mitglieder des Gemeindekirchenrats und der Gemeindevertretung haben noch immer fest im Glauben an unseren Herrn Jesum und treu auf dem Bekenntnisse unserer evangelisch-lutherischen Kirche gestanden.

So soll es denn auch fernerhin bleiben! Der Herr segne uns das Jubelfest! Er sei und bleibe auch in Zukunft der Schutz­herr der Neustädter Kirche, der gute Hirte der Neustädter Gemeinde und gebe Gnade, dass sie einst vor Ihm bestehen möge auch in dem, wovon keine menschliche Chronik berichten kann: im lebendigen Herzensglauben,  in den Früchten des Heiligen Geistes!