Gebäude der Stadt Neutomischel – No. 74 – Eine Bäckerei in der Posener Strasse

Blick vom Alten Markt in die Posener Strasse, rechts an das Gebäude des "Schwarzen Adlers" schließt sich das Gebäude der No. 74 an / Karte: Wojtek Szkudlarski

Blick vom Alten Markt in die Posener Strasse, rechts an das Gebäude des „Schwarzen Adlers“ schließt sich das Gebäude der No. 74 an / Karte: Wojtek Szkudlarski

Manche Häuser haben erst eine Geschichte durch das wechselvolle Leben Ihrer Bewohner. Eines dieser Häuser ist das mit der alten Hausgrundstücksnummer 74 in Nowy Tomyśl. Heute ist es unscheinbar, der eigentliche Baustil nicht mehr erkennbar und es ist arg „in die Jahre gekommen“.

Und doch es scheint als ob die wechselvolle Geschichte der Bewohner dieses Hauses sich wiederspiegelt im Aussehen des Gebäudes.

Wir bedanken uns ganz besonders bei Tracy Walters; sie öffnete ihr Familien-Fotoalbum für uns.

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Etwa im Jahr 1816 wurde auf dem Hausgrundstück No. 74 ein erstes Gebäude errichtet. Wer der erste Besitzer gewesen ist, kann nur gemutmaßt werden.

Das Gebäude in der Mitte ist das der ehem. No. 74 / Aufn. GT

Das Gebäude in der Mitte ist das der ehem. No. 74 / Aufn. GT

Da sich im Gebäude ein Backofen befand und auch in späteren Jahren dieses Gewerbe im Haus ausgeübt wurde, kommt der Bäcker und Pfefferküchler Samuel Gottlieb Grunwald, verheiratet in 2ter Ehe mit Christine Catherine Eger, und verstorben im April des Jahres 1819, in Frage. Aber wie geschrieben: dieses ist nur eine Annahme.

1836 wurde das Gebäude mit einem Alter von etwa 20 Jahre eingeschätzt. Das Haus hatte über Wände aus 4 Zoll (ca. 10 cm) starken Bohlen verfügt und war 49 1/2 Fuß lang, 30 1/2 Fuß breit und 7 Fuß hoch (ca. 15,00×9,00×2,10m) gewesen.

Die Wände waren innen und außen mit Lehm beworfen. Das Schindeldach ruhte auf einem stehendem Dachstuhl . Das Dach der Mansarde war ebenfalls mit Schindeln eingedeckt. Über eine Stiege war der Bodenraum mit dem Flur des Erdgeschosses verbunden. 3 Stuben, 1 Kammer und 1 Küche befanden sich in den ebenerdigen Geschoss. Als eine Besonderheit fand ein „Uhrgehäuse nebst Spind“ in der Wohnstube Erwähnung. Beheizt wurden die Räume über 2 „Ofen von Ziegeln“. Das Gebäude verfügte über 2 zweiflügelige Türen und die Räume wiederum über 7 Türen. Licht kam in das Gebäude über zahlreiche Fenster; in der Gebäudebeschreibung der Provinzialfeuerversicherung wurden 21 erwähnt, 4 mit vier Flügeln, 15 mit 2 und 2 mit nur einem Flügel, zusätzlich gab es noch 2 Giebelluken.

Weiterhin wurde ein Backofen gesondert erwähnt; dieses und das die späteren Bewohner das Handwerk der Bäcker betrieben, führte zur Annahme, dass in diesem Gebäude von Beginn an eine Bäckerei eingerichtet gewesen war.

Einer der Giebel von Fachwerk war mit Lehm ausgefüllt und der andere lediglich mit Brettern verschlagen. Interessant ist, dass die Lage der Giebel „von Süd nach Nord“ beschrieben wurde und nur die Ostseite des Gebäudes an das Gebäude des Hauses No. 75 stieß. Dieses bedeutet, dass das Gebäude mit der ca. 9 m breiten Giebelfront zur Posener Straße stand und die Länge von ca. 15 m in das Grundstück hinein vermessen worden war.

Das Gebäude der Familie Lemberg - ca. 1912 / Bild Familienbesitz Tracy Walters

Das Gebäude der Familie Lemberg – ca. 1912 / Bild Familienbesitz Tracy Walters

Im Jahr 1836 findet sich ein August Grunwald als Besitzer in den Unterlagen der Provinzial Feuerversicherung. Bei unseren Recherchen haben wir den in Neu Tomysl ansässig gewesenen Bürger und Bäckermeister Carl August Grunwald (geboren ca. 1803) in den Kirchenbuchaufzeichnungen gefunden. Er galt als ältester Sohn des oben genannten Samuel Gottlieb Grunwald. Im Jahr 1837 ehelichte er die Förstertochter Johanna Juliane Kalaene aus Gloden. Als Geschiedener ging der dann eine weitere Ehe im November 1847 mit Johanna Louise Zisler, einer Tochter der Christoph und Rosina Dorothea geborene Müller Zisler’schen Wirthsleute aus Wiosker Hauland ein.

Im Alter von 62 Jahren verstarb im Oktober 1865 der letztlich in Wytomysl ansässig gewesene Bäckermeister Carl August Grunwald. Seine hinterlassene Ehefrau Louisa Grunwald geborene Zisler, sie galt als Landbesitzerin in Witomischel, verstarb im Mai 1865.

Kinder aus beiden Ehen des Carl August Grunwald haben wir nicht ermitteln können.

Im Jahr 1857, das Haus No. 74 war nunmehr etwa 40 Jahre alt, gilt Robert Fechner als Eigentümer. Angenommen werden kann, dass die Eheleute Grunwald etwa im Jahr 1856 das Anwesen in Neu Tomysl verkauften um sich in Wytomysl anzusiedeln.

Es heißt in der Beschreibung der Provinzialfeuerversicherung des Jahres 1857, dass das Haus „im vorigen Jahr (1856) in allen Theilen umfassend repariert worden und sich daher jetzt in gutem Zustande befinden“ würde. Durch eine neue Unterschwellung war es um 2 Fuß erhöht worden, es hat unter anderem neue Balken und neue Fenster bekommen. Um das Dach zu verbessern waren 108 Schock neue Schindeln verwendet worden. Für die Arbeiten waren 243 Thaler für Material und weitere 117 Thaler für Arbeitslöhne aufgewendet worden.

Robert Friedrich Fechner war im April 1823 in Neu Tomysl als Sohn der Johann Gottfried und Johanna Juliane geborene Pflaum Fechner’schen Eheleute geboren worden. In Kirchenbuchaufzeichnungen wurde er als Bäcker in Wielichowo und Jablone erwähnt ehe sich in Neu Tomysl vermutlich endgültig niederliess. 1851 hatte er die Johanna Wilhelmine Haendtschke/Hentschke (geb. ca. 1825) geheiratet. Die in dieser Ehe geborenen Kinder verstarben alle sehr bald nach ihrer Geburt und als Johanna Wilhelmine Haendtschke/Hentschke selbst am 24. Juli 1859 im Alter von nur 34 Jahren an Abzehrung verstarb, hinterließ sie weder Kinder noch Vermögen.

Emilie Ernestina Haendtschke/Hentschke (geboren 1834), sie war die jüngere Schwester der Verstorbenen, heiratete im September 1859 ihren verwittweten Schwager. Aus dieser Ehe stammte Johanna Maria Fechner (geboren 1860), welche als Verkäuferin in Berlin tätig und ansässig gewesen war und die Louise Hermine Fechner (geboren 1865) welche 1883 noch in Neutomischel lebte.

Robert Friedrich Fechner verstarb vor dem Jahr 1873 in Berlin.

Die Familie Lemberg um 1920 vor ihrem Haus, das umfangreiche Umbauarbeiten erfahren hatte / Bild: Familienbesitz Tracy Walters

Die Familie Lemberg um 1920 vor ihrem Haus, das umfangreiche Umbauarbeiten erfahren hatte / Bild: Familienbesitz Tracy Walters

Seine hinterlassene Wittwe Emilie Ernestina Fechner geb. Haendtschke/Hentschke heiratete im Juli 1873 den Junggesellen Johann Ferdinand Carl Eduard Lemberg (geboren 1851) welcher als Bäcker in Neutomischel tätig gewesen war. Er war der Sohn der Adolph und Wilhelmine geborene Schmidt Lemberg’schen Eheleute aus Neu Tomysl. 1874, im Jahr nach der Eheschliessung, wurde der gemeinsame Sohn Carl Paul Ferdinand Lemberg geboren. Im darauffolgenden Jahr, 1875, findet sich im Gebäudesteuerbuch der Bäckermeister Ferdinand Lemberg als Eigentümer des Hausgrundstücks No. 74 in Neu Tomysl.

Emilie Ernestina Lemberg, früher verwittwet gewesene Fechner, geborene Haendtschke/Hentschke starb im Februar 1888 in Neutomischel.

Der Wittwer Johann Ferdinand Carl Eduard Lemberg heiratete in zweiter Ehe im August 1888 die Cäcilie Bertha Buchwald (geboren 1869) aus Neu Tomysl. Sie war die Tochter des Töpfermeisters Julius Buchwald und dessen Ehefrau Emilie Paulina geborene Steltzer gewesen. In dieser Ehe waren die Kinder Carl Hermann Ferdinand 1890, Otto Alfried Kurt 1892, George Otto 1894 und Heinrich Hans Bruno 1898 geboren worden.

Im Alter von nur 29 Jahren verstarb Caecilie Bertha Lemberg geborene Buchwald nur 1 Monat nach der Geburt des jüngsten Sohnes.

Heute ist das Gebäude arg in "die Jahre" gekommen ... / Aufn. GT

Heute ist das Gebäude arg in „die Jahre“ gekommen … / Aufn. GT

Die Söhne Kurt und Heinrich Lemberg sollen, so eine überlieferte Erzählung, in späteren Jahren in der Bäckerei des Vaters tätig gewesen sein.

Der nunmehr erneut verwittwete Johann Ferdinand Carl Eduard Lemberg schloss am 17. Januar 1899 seine 3te Ehe mit der Anna Ottilie Morzynski. Sie war am 04. Jun 1873 in Neu Tomysl als Tochter des Müllermeisters Theophil Morzynski und dessen Ehefrau Ottilie geborene Tepper zur Welt gekommen. Die gemeinsamen Kinder aus dieser Ehe waren Frieda Anna geb. 1899 und Gertrud Maria Magdalena geb. 1903.

Anna Ottilie verwittwete Lemberg geborene Morzynski gilt als letzte Besitzerin des Hausgrundstücks in Neu Tomysl, ehe sich die Spuren der hier beschriebenen Familie oder besser der Familien verlieren.

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt:
Akten des Staatsarchivs Poznan (http://szukajwarchiwach.pl/):
Stadtakten / Beschreibung sämtlicher Gebäude in der Stadt Neu Tomysl
Kirchenbücher der evangelischen Gemeinde Neu Tomysl