Goldmann K.E. – „Die ältesten Siegel und Wappen der Neutomischeler und umliegenden Holländergemeinden“ Deutsche Blätter in Polen 1925 (Jg. III)

Seit dem Mittelalter gehören die Wappen zu den besonderen Vorrechten des Adels. Außer dem hohen und niedrigen Adel  hatten aber auch die Städte und Dörfer, ebenso die „Schulzen und Gerichte“ in Polen zur Bekräftigung und größerer Glaubhaftmachung ihrer Schriftstücke das Recht, Wappen und Siegel mit dem entsprechenden Zeichen ihrer Würde zu führen. Man hat im allgemeinen in unserem prosaischen Zeitalter das Interesse für Siegel und Wappenkunde verloren.

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Dieser Artikel wurde in „Deutsche Blätter in Polen“ 1926 (Jg. III) veröffentlicht  und  mit einer Sammlung von Siegeln präsentiert, die von dem Lokalhistoriker Karl Eduard Goldmann, (er wohnte am Alten Markt – heute  Niepodległości Platz 24) zusammengetragen worden war.

Die grosse Schwäche dieses Artikels ist der Mangel an Bildern; auch das Original war nicht mit solchen versehen. Die hier dargestellten und eingefügten Abbildungen sind aus  dem Artikel „Wappen“ von Gumowski.

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Dennoch will ich Orts- und Gemeindesiegel aus einem Landstrich bringen, dessen erste Zuzügler einstmals ihre deutsche Heimat verliessen und in Polen eine neue Wirkungsstätte fanden. Die in der zweiten Hälfte des 17.  Jahrhunderts einsetzende kirchliche Reorganisation in Deutschland  trieb Tausende von Protestanten, meist märkische und schlesische Bauern, aber auch aus anderen Teilen des Landes über die Grenze, wo sie in Polen bereitwilligste Aufnahme fanden. Eine völlige Wildnis mit sandigen Höhen, morastigen Niederungen, von uralten Eichen, Buchen, Erlen dicht bestanden, war ihre neue Heimat. So prägte sie sich auch in den ersten Siegelbildern aus. Wenn man im 16. und 17. Jahrhundert einen Bauern als  Holländer, später auch Holänder, Houländer, Holenger, Hauländer bezeichnete, so dachte man nicht an seine Nationalität, sondern an seine landwirtschaftliche Tätigkeit und seine Rechtsstellung. (Der Name Holländer rührt daher, daß unter den ersten .Kolonisten dieser Art Einwanderer aus den Niederlanden die Mehrzahl bildeten, dann die mitgebrachten Eigentümlichkeiten der Arbeitsweise, des Rechtswesens, die in allen zu demselben Zweck angelegten Gemeinden und Dörfern eingeführt wurden und die Bezeichnung alsdann sich auch auf die  gekommenenen Zuzügler ausdehnte. —- Erich Schmidt, Das Deutschtum im Lande Posen. )

Der Holländer hatte als bäuerlicher Ansiedler die Aufgabe übernommen, für eigene Rechnung und Nutzen wüstes urwaldähnliches Land nutzbar zu machen. Er genoß dafür besondere Vorrechte, die ihn von dem gewöhnlichen, von seinem Grundherrn abhängigen polnischen Bauern unterschied: Recht und Gerechtigkeit, Arbeit in Wald und Feld.  Dieses prägt sich auch in den ältesten Siegeln vornehmlich aus. Ob auch den Landgemeinden vom Grundherrn solche verliehen oder vorgeschrieben worden waren, ist mir nicht bekannt; aber fast könnte man es annehmen, da die Zeichnungen der Siegel um die Wende des 17.—18. Jahrhunderts eine gewisse Gleichmäßigkeit zeigen und sich erst später größere Abwechselung bemerkbar macht. Einzelne Wappenbilder mögen vielleicht auch aus der alten deutschen Heimat übernommen sein. Die mehrfache Aufnahme des Waldbaumes, meist dürfte aber die Hof- oder Gerichts- und Dorflinde gemeint sein, ist, wie schon erwähnt, dahin zu deuten, daß große Waldstrecken erst ausgerodet werden mußten, ehe diese oder jene Ortschaft angelegt werden konnte. (s. Paprotsch, Friedenwalde, Zembowo, Grubske, Lewitz Hauland, Krummwalde, Schleife, Komorowo) Hin und wieder mögen auch die Siegelzeichen dem Wappen des Grundherrn entlehnt sein (s. Königsfelde, Blake, Lipke 1750, Neutomischel 1788),  denn die Patrimonialgerichtsbarkeit dürfte s. Z. in Polen noch bestanden haben.

Die ältesten Siegel geben in ihrer bildlichen Sprache nicht nur wichtige Anhaltspunkte über die Ortsgeschichte in bezug auf die Entstehung der Gemeinden und deren mutmaßliche Gründungs- und Entwickelungsjahre, sondern auch Hinweise verschiedener anderer Art, als frühere Gewerbe und sonstige Betätigungen. — Verhältnismäßig wenig vertreten ist das Tierbild. In den von mir bis jetzt gesammelten nahezu 40 Gemeindewappen aus der Umgegend von Neutomischel kommt es nur sechsmal vor, und zwar: der Löwe zweimal, der Hirsch einmal, Raub- bzw. Sumpf- oder Schwimmvögel dreimal.

Die Siegel lassen sich in zwei zeitlich getrennte Gruppen sondern, und zwar bildet

A. die Zeitspanne der polnischen Herrschaft vor 1793,

B. die darauf folgende preußische Regierungsperiode.

Als führende Ortsnamen wende ich zur besseren Orientierung die jüngsten deutschen Bezeichnungen an. Die Angabe der Tinkturen war mit wenigen Ausnahmen unmöglich.

Zur besseren Übersicht habe ich die Aufstellung A in zeitlicher Reihenfolge, dagegen B nach dem Alphabet geordnet. Für die Beschreibung bzw. Blasionierung der Siegel und Wappen gelten gewöhnlich folgende Grundsätze:

Rechts und links ist nicht dem Gesichtspunkt des Beschauers, sondern dem des Schildträgers entnommen. Die rechte Seite des Wappens ist also die vordere, zur linken Hand vom Beschauer. Die Beschreibung erfolgt von der oberen vorderen Seite des Wappens.

A.

Z i n s k o w o, Sinskawe, Cinslowo Hauland, Sękowo, Zenkowo, Zynskowo, Cinskawer Hld., Alte Gemeinde, Zinskau, Czinskower Hauland, Alt-Gorzycker Houland, poln. Sękowskie olendry, zuletzt Friedenwalde: 1692 zeigt das ältesteSiegel, dessen Schrift leider unleserlich war, einen großen Laubbaum.

Paprotsch

G r u b s k e, 1712 Grubcki: ein großer Laubbaum, unter dessen Blätterkrone nur noch die Anfangsbuchstaben GR… zu erkennen sind.

P a p r o t s c h, Paprocz, Paprockie olędry: Sein ältestes Siegel führt einen Laubbaum mit der Umschrift: „SIGIL. D. THOMISCHLER HO(?)GEM. I. PAPER…….. (?) 1725“ – (Die Jahreszahl ist undeutlich und kann möglicherweise auch 1728 oder 1729 lauten)

Eine gewisse Abwechselung vollzieht sich in den folgenden Siegelbildern, die, obwohl sie mit Ausnahme von Glinau, Sontop, Lipke den Baum auch führen, durch irgendeine figürliche Zutat nach und nach aber Veränderungen ausgesetzt sind, bis der Baum zuletzt auch in den Siegeln ganz verschwindet:

Scherlanke 1728 S*G*M*D*S* CH * GP *CW *AS (bes. Krystian Waśkowicz)

S c h e r l a n k e, Przylęg, Przylenk, Szyrlangner, Szirlanken, Szalanka, Szerlanke, Schirlanken, Przyłek, Przylęgner, Scherlanker Gemeinde: 1723 eine Frauengestalt, in der Rechten eine Waage, in der linken Hand ein Pflanzbäumchen.

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L e w i t z  H a u l a n d, Lewidz Holland, Lewickie olędry: ein Baum, davor ein von links nach rechts springender Hirsch. Umschrift: „DAS . G. RS. LEWIDZ HOLLAND 1735″ Auch die Gemeinden Zembowo (mit zwei flachliegenden Zweigen umschmiegt) und Blaker Hld. bzw. Sucha dembina, Krummwalde und Komorowo Hauland führten, von Laubzweigen umschmiegt, gleichfalls den Laubbaum im Siegel; Zembowo (anscheinend mit Blaker Hld.) hat anscheinend eine Pappel, Krummwalde außerdem noch die lateinischen Buchstaben K.W (Krummenwalde) 1773 sowie Komorowo „MB“ (Welche Bedeutung diese beiden lateinischen Buchgstaben „M.B.“ haben, die rechts und links der Baumkrone stehen, ist nicht klar. Allem Anscheine nach beziehen sich dieselben auf den Namen der derzeitigen Grundherrn Bninski der Herrschaft Lwowek (Neustadt i. P.) bzw. Opalenica, oder eines Verwalters, Gemeindevorstehers u. dergl.(?))

Von jetzt ab erfolgt hin und wieder eine gewisse Abwechselung in den Siegelbildern, und nur noch zweimal kommt der Baum vor, und zwar in Schleife und Komorowo-Hauland. (S. Aufstellung B).

 

Glinau

G l i n a u , Glinno, 1728 Glinoi: eine geharnischte Frauengestalt, in der rechten Hand ein Schwert, in der andern eine Waage. Die Umschrift des Siegels lautet: ,IN DER GLIENOSGMEIN:1728.“

S c h l e i f e, früher Grudzionka, auch Grudzynki, führt 1793 in einem ringartigen Schilde mit fünfzackiger Krone, welcher von einem offenen Blätterkranz umgeben ist, eine Tanne, möglicherweise ist es ein Laubbaum. — Vielleicht stammen die ersten Einwohner, die sich auf dem Besitz der Wierzbna-Pawlowski ansiedelten aus Schleife in Schlesien? — Zeitweise wurde auch vom benachbarten Gronsko das Siegel geführt.

Ausnahmen in den Siegelbildern, die größere Abwechselung zeigen, machen folgende Gemeinden:

 

Sontop

S o n t o p, 1740 (?) Sątop, Sonotopia, ein Ort slawischen Ursprungs, wurde 1736 zu Holländerei gemacht. Sein ältestes Siegel enthält ein sehr undeutliches Bild: einstrahlende Sonne (?) umgeben von einem offenen Blätterkranz mit der Jahreszahl 1740. Die anderen der Siegelzeichnung beigegebenen kleinen Zutaten sind nicht mehr zu erkennen.

B l a k e, D ü r r e  H o l l ä n d e r 1750, poln. Suche dembina, auch Suche olędry genannt. Ein mir vorliegendes undeutliches Siegelbild enthält einen schmucklosen Wachtturm, der von einen: Laubkranz umgeben ist. In Wirklichkeit handelt es sich aber um den Helmschmuck des Wappens Wierzbna, das eine gekrönte korinthische Säule, die in der oberen Hälfte von unten nach oben von einem Pfeile schrägrechts durchbohrt wird, zeigte. (Sonst führen die Wierzbna noch „in einem durch einen goldenen schmalen Balken geteilten blauen Felde in dem oberen wie unteren Teil derselben je drei nebeneinanderstehende golden Lilien“) Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war Michael v. Wierzbna, Erbherr von Neustadt b. P., Konin, Pawlowko, Zembowo und Zembowko, also auch gleichzeitig Besitzer von dem angrenzenden Blake und den „Dürren Holländern“ bzw. Chudopcice oder alsdann Dürrnhund, später Steinhorst benannt. Auch diese Ländereien sind zum größten Teil von deutschen Einwohnern besiedelt worden.

W a l d t a l, 1750 Wengielno, 1791 Wengelner Hauland, Wengielno. Aber einem mit Blumen gefüllten Gefäß drei Sterne; rechts bzw. links des ersteren die Buchstaben W.H. (Wengielno-Hld.) als Ortsbezeichnung.

L i p k e, Kreis Neutomischel, 1763 Lipker Holland, später Groß und Klein Lipke.(f. auch Kozielaske) führt 1766 einen von rechts nach links schreitenden Löwen, welcher in der rechten Pranke ein Schwert, in der linken eine Waage trägt.

Vielleicht bezieht sich das Siegelbild auf das Stadtwappen vom nächstgelegenen Neustadt b. P., poln. Lwowek, welches so viel wie „kleiner Löwe“ heißt und einen von rechts nach links schreitenden Löwen im Wappen führt. Vermutlich beziehen sich beide Siegel auf die gräfliche Familie v. Unruh-Birnbaum, welche jahrhundertelang das westliche Gebiet der späteren Provinz Posen besaß. — Die Beigaben von Schwert und Waage sind möglicherweise willkürliche Zutaten. — Es kann sich aber auch um das Wappen der Lipski handeln, die einen gekrönten Löwen, mit beiden Pranken ein Schwert haltend, führen.

K ö n i g s f e l d e, früher Kozielaski, Kozieloske: führt einen von rechts nach links schreitenden Löwen; Umschrift G.E.R.I.T.S S.I.G.E.L 1774 (Auch das Siegel der angrenzenden Holländergemeinde Lipke trägt in ihrem ältesten Siegel einen nach rechts schreitenden Löwen, allerdings aber mit Schwert und Waage).

Die älteste Namensbezeichnung dürfte aus den Beziehungen zu den Ostrorog bzw. Koscielecki entstanden sein, welche auch den Löwen im Wappen führen und im 16. Jahrhundert die Herrschaft Lwowek besaßen. — Immerhin kämen auch die Unruh in Betracht, welche bis zum 18. Jahrhundert die Herrschaft Birnbaum, Tirschtiegel, Witomysl, Karge usw. im Besitz hatten und auch im goldenen Felde einen roten Löwen, allerdings aber mit Krone im Wappen führen.(Zu den beiden letzterwähntenWappen von Lipke und Königsfelde möchte ich erwähnen, dass das Wappen von Alt-Polen (sonst führte Polen bekanntlich den silbernen (weißen) Adler im roten Felde) nach Grünbergs Wappenbuch von 1483 einen „Löwen gold in Schwarz, Zunge und Wappen rot“ zeigt. (Warnecke, Tafel 1, 9.))

K o n k o l e w o-H a u l an d, 1776 Konkolewe Dorf, auch Deutsch Konkolewo, Konkolewo (Kakol = Kornrade); auf einem Berge fünf im Halbkreise fächerartig verteilte Blütenstengel, anscheinend Kornraden, mit der Umschrift: „DAS DORF KONKOLEWO 1776″ — ein Siegel in der Größe etwa eines Talers. —

T o m i s c h l e r  H o l l a n d: ein vor Gründung der Stadt (hier scheint es sich um den noch nicht begrenzten Begriff des späteren Kirchplatzes im Tomischler Holland zu handeln) Neutomischel benutztes und sehr ungeschickt dargestelltes Siegel: ein mit Schwert bewaffneter Arm, der gleichzeitig eine Waage trägt. Umschrift: GERI…SIGEL 1784 8Der mir vorliegende Siegelabdruck ist sehr schadhaft und deshalb undeutlich).

Außer den Dörfern und Landgemeinden in Polen hatten selbstverständlich die Städte längst schon das Recht, Wappen und Siegel zu führen. So auch:

N e u t o m i s c h e l, Nowy Tomysl, Neu-Tomysl, Neutomysl, die jüngste Stadt der Provinz. Sie führt das Wappen Łodzia: in rotem Felde einen goldenen Kahn, bzw. eine Barke ohne Mast und Segel, deren Seitenwände, vier Bretter hoch, in der Mitte parallel sind, dann rechts und links in zwei Spitzen zusammenlaufen. Helmschmuck: einen Pfauenwedel, vor welchem der goldene Kahn erscheint.

( Das Wappen Łodzia finden wir in der Umgegend von Neutomischel ziemlich häufig, z. B. an der Wetterfahne der katholischen Kirche in Bukowiec mit der Jahreszahl 1635, ferner am alten Schloßgebäude in Wonsowo, am Burgtor vom Bentschener Schloß u. a. m.

Aus neuester preußisch-deutscher Zeit möchte ich ferner der Denkmünzen mit dem Stadtwappen

Zur Erinnerung an die Allgemeine Deutsche Hopfenaussttelung in Neutomischel 1893

a. „Zur Erinnerung an die Feier des 100jährigen Bestehens der Stadt Neutomischel am 18. Februar 1888″ und

b. „Zur Erinnerung an die Allgemeine Deutsche Hopfenausstellung in Neutomischel 1893,

welche heraldisch korrekt ausgeführt sind, erwähnen, denn in ähnlicher Ausführung sind auch die aus deutscher Zeit stammenden Siegel der Stadt vor Ausbruch der jüngsten polnischen Revolution in deutscher Schrift gehalten gewesen.

In der Gründungsurkunde des Felix Szołdrski-Tomysl vom 18. Februar 1733, Starost zu Lęczyc, von Tschempin und den Gütern Tomysl, Erbherr usw. heißt es: „Mein mir angeborenes adeliges Wappen erlaube, zu gebrauchen, das ist ein Kahn mit der Überschrift Neu-Tomysl.“ Ob der Grundherr mit dem Wortlaut seiner Erklärung die Übersetzung des Wortes Nowy-Tomysl = einen neuen Gedanken gleichzeitig ausdrücken wollte, muß dahingestellt bleiben.

Das erste, bis in alle Einzelheiten kunstvoll geschnittene Siegel der neugegründeten Stadt zeigt das Wappen Łodzia in großer Aufmachung, und zwar in einem länglich runden Schilde, umgeben von Fahnen, Standarten, Waffen, Kesselpauken und dergl. mit der in lateinischen Buchstaben, aber schon in deutscher Schreibweise bewirkten Ortsbezeichnung „NEUTOMISCHEL 1788.“ Höchstwahrscheinlich hat ein Siegel des Grundherrn oder eines in militärischen Verhältnissen gestandenen Vorfahren als Vorlage gedient, denn in diesem Aufbau zeigt es sich in farbigem Relief in entsprechend größeren Dimensionen auch an der Kanzelbrüstung in der 1779/80 erbauten Ev. Kirche in Neutomischel, ebenso über dem Portal des erst 1879 erbauten Rathauses.

Ein anderes Siegel aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts, zeigt den gekrönten fliegenden preußischen Adler mit kleinem Brustschild, Schwert und Zepter. Auf ersterem befindet sich der Adler des Großherzogtums Posen mit der Umschrift: „KOENIGL. PREUSS. MIDIATSTADT ZU NEUTOMISCHEL“

B. Nach der Besitzergreifung des Posener Landes durch Preußen in dem Jahre 1793 wurden um die Jahrhundertwende, vielleicht auch etwas früher oder später, andere Gemeindesiegel eingeführt, welche durch ihre abwechselungsreiche bildliche Ausstattung, besonders auch in lokalgeschichtlicher Beziehung meist von großem Interesse sind.

Nach welchen Quellen s. Z. diese Siegelbilder gefertigt wurden, vermochte ich nicht festzustellen. Vielleicht befinden sich darüber Unterlagen in den Regierungsakten bzw. im Staatsarchiv.

Die räumliche Einteilung der Bildfläche war meist ohne Abwechselung. Man stelle sich einen länglich runden Kreis vor, dessen innere Randflächen das Schriftband bildet. Der in der Mitte des Siegels übrigbleibende obere Halbkreis enthält in einem auf den Kopf gestelltem Schilde das eigentliche Ortszeichen bzw. Stempelbild, welches hier, man kann sagen, das Wappen der betr. Gemeinde darstellen sollte.

Auffallend und wenig erklärlich ist die unter B in dem Schriftband der Siegel angewandte Schreibweise „Houland“. — Möglicherweise richtete man sich nach der noch heute in der hiesigen ländlichen Bevölkerung gebräuchlichen, etwas breit und hohlklingenden Aussprache.

Entgegen den großen kreisrunden Siegeln der Serie A haben die kleineren Siegel B die länglich runde Form.

A l t b o r u i, Altboruy, Boruia stara, auch Kirchboruy, später Kirchplatz-Boruy. Die Beleihungsurkunde stammt von 1705.

Das einzige mir zugängig gewesene Gemeindesiegel der Ortschaft, welches ungefähr aus der Zeit um 1800 herrühren dürfte, zeigt über einem Berge ein Ordenskreuz mit der Umschrift: „BORUISCHE GEM.: S. BOMSTER KREIS.“

F r i e d e n h o r s t, vorher Alt-Jastrzembski, poln. Jastrzemski stara, dann Alt-Jastrczemsker Gemeinde; im Volksmunde Bentschener Schule genannt, womit aber mehr sein Kirchplatz gemeint war. Das Siegel zeigt drei Kornähren zwischen einer Sense und einer Harke, letztere hier Rechen genannt. Leider war es mir bis jetzt noch nicht möglich, einen klaren Siegelabdruck von Alt-Jastrzemski für die erste Serie — A — ausfindig zu machen. Den Namen soll die Holländergemeinde in dem „zu Kroschnitz-Lomnitz gehörigen Busch“ nach einem früheren Verwalter bzw. Bevollmächtigten. „Jastrzębski“ der Herrschaft Zbąszyn, Bentschen, erhalten haben, so daß man fast mit Bestimmtheit annehmen kann, daß das älteste Ortssiegel das Wappen „Jastrzębiec“ zeigte, und zwar: „in blauem Felde ein silbernes Hufeisen, nach oben geöffnet, innerhalb desselben ein goldenes Kavalierkreuz; Helmschmuck: ein Habicht mit halberhobenen Flügeln, mit dem rechten erhobenen Fuße ein gleiches Hufeisen mit dem Kreuz haltend.

F r i e d e n w a l d e, s. a. A 1.

Das zweite Siegel der Gemeinde enthält „auf einem Berge den Rumpf eines menschlichen Körpers, über dem ein Schwert wie zum Schlage ausholt.“ Umschrift des Siegels: GORSITZER H: GEM: S: BOMSTER KREIS“. Allem Anschein nach bezieht sich das Siegelbild auf eine alte Überlieferung, wonach an der westlichen Gemeindegrenze sich einstmals eine Richtstaette, Galgen mit Stabsäulen, befand.(Illgner) Auch ein Hexenprozeß aus dem Jahre 1771 bestätigt diese Angaben („Zum 100jähringen Jubiläum der Ev. Kirche in Friedenshorst“ 1897 S. 10, und Deutsche Wissenschaftl. Zeischr. für Polen 1924, Heft 4 „Zwei Hexenprozesse aus dem westpos. Holländereien“.) Ferner bedeutet die Übersetzung des Wortes Górzysko einen abscheulichen häßlichen Berg, der allerdings wegen seines schlechten Weges, Landstraße Neutomischel-Bentschen – der hier auch vorüberführt möglicherweise noch in Frage käme.

G l i n a u, Glinno, Glinoy‘sche Gemeinde: Auf einem Berge von rechts nach links ein mit einem krummen Säbel bewaffneter Arm.

G r u b s k e, Kreis Meseritz, Grubski olędry, Grubske Hauland. Das zweite Siegelbild der Gemeinde, dessen Abdruck leider sehr undeutlich überkommen ist, enthält anscheinend eine große dreiblättrige Wasserpflanze, vermutlich handelt es sich um die sogenannte Seelilie, auf deren beiden Seitenblättern zwei Sumpfvögel, anscheinend Störche, Rohrdommeln oder dergl. sich gegenüberstehen. Schriftband: GRUBSKER HOULAND MESERITZ KREIS

K o m o r o w o  Ha u l a n d, Gemeinde, Kreis Neutomischel: Zwei nach oben gekreuzte Fahnen, deren Enden gerafft über den Schaft hangen.

K l e i n – L i p k e, 1797—1821, früher Lipia, Lipka — Hauland: Ein Hufeisen, über dessen nach oben stehende Enden je ein Nagel (?) erscheint. Möglicherweise können es aber auch zwei Vögel sein.

L i p k e r  H a u l a n d, Lipie Hld., Groß-Lipke: Fünf von links nach rechts hintereinander schwimmende Enten oder Gänse. Lipke soll wegen seiner Gänse- und Entenzucht auch in der weiteren Umgegend bekannt sein.

K ö n i g s f e l d e, Kozielaski, Kozielaski: Zwei aneinandergelehnte rechts- bzw. linksarmige Tartschen mit je drei schmalen, senkrechten Längsstreifen.

K o n k o l e w o – H a u l a n d: Auf einem Berge fünf, zu zwei und drei übereinandergestellte Laubbäume.

K r u m m w a l d e, poln. Krzywylas: Sein zweites Siegel dürfte um die Wende des vorigen Jahrhunderts entstanden sein: ein Baum zwischen zwei Pfählen oder Baumstümpfen. Entweder handelt es sich um Grenzpfähle oder um eine in früherer Zeit eingeführte, dem Waldbestand höchst schädliche Manipulation der Eingewanderten, die darin bestand, daß man die größten und schönsten Bäume in bequemer Höhe rundum einkerbte oder anschlug, damit sie absterben und auf dem Stamm verfaulen sollten.(Die Bauern hatten zu Zeiten, wo die Arbeiten der Landwirtschaft ruhten noch tüchtige Baumklötze aus der Erde zu roden, die Ihre Väter, von denen noch nötigere Besiedlungsarbeiten zu verrichen waren, nach absägen des Stammes, in der Erde gelassen hatten. Berthold Roy (Kind, Jüngling, Mann, Berlin 1895.) Noch Jahrzehnte später fand man unzählige abgestorbene und verfaulte Bäume, ohne daß die Gegend gerodet worden wäre. Vielleicht waren auch hier vormdem schon Zuzügler wieder abgewandert oder vertrieben worden.

K u n i k, Kreis Meseritz: In ältester Zeit soll die Gemeinde Choinik geheißen haben, dann Kunicki olędry, Kuniker Houland bzw. Hauland, Kunike. Das Siegel enthält Blatt und Blüte der Seelilie, welche aus dem Wasser hervorragt, mit der Aufschrift im Schriftbande: KUNIK HOULAND GEMIEINE SIEG. KREIS MEZERITZ. Leider ist mir noch kein Siegelabdruck aus der ältesten Zeit der Gemeinde zu Gesicht gekommen.

K u s c h l i n, früher auch Kuslin, Kusln. Der mir vorliegende Siegelabdruck ist leider sehr undeutlich. Vermutlich stellt die Siegelzeichnung „zwischen zwei Bergen einen Schild oder einen Stein dar, auf welchem ein Vogel sitzt.“ Auch die Umschrift des Siegels ist nicht zu entziffern. Ein klares Siegelbild war mir bis jetzt leider noch nicht zugängig.

P a p r o t s c h, Paprocz, Paprocki olędry: Das zweite Siegel der Gemeinde zeigt auf einem Dreiberge zwei nebeneinander stehende Tongefäße, darüber eine Barte oder ein dem Beil ähnliches Gerät, welches zur Anfertigung von Mulden, Schaufeln, Futtertrögen und dergleichen Holzgeräte diente. Aufschrift: PAPROTZER GEM. BOMSTER KREIS (s. a. Schleife Nr. 38). Die Entstehung des Bildes ist dahin zu erklären, daß die wirtschaftliche Verwertung der großen Holzbestände in den Tomischler Holländereien zuerst eine äußerst gering entwickelte war. Meist wurde von den Ansiedlern außer dem im wirtschaftlichen Gebrauch notwendigen Bau- und Brennholz auch Pottasche aus den Hölzern hergestellt und nach auswärts verführt. Der gewonnene Kienteer wurde in sogenannten Teerbuden fabriziert und in den im Siegelbild dargestellten Gefäßen aufbewahrt, möglicherweise auch darin zum Versand gebracht. (?) Alt überkommene Beinamen der Eingesessenen, wie Pottasche Rausch, (s. auch Friedenhorst) erinnern noch an diesen ehemaligen Erwerbszweig. – Meyer, Geschichte des Landes Posen, S. 326, berichtet, daß aus dem Posenschen sogar Pottasche bis nach Danzig ausgeführt wurde.

Auch Illgner erzählt in seiner „Geschichte der evangelischen Kirche in Friedenhorst„: „Den Holländern blieb außer einigen Produtten der Viehzucht nur das Holz, um Geld daraus zu lösen. Anfangs freilich wurde es wenig geachtet. Man schichtete es in Haufen zusammen und verbrannte es, um freies Land zu gewinnen. Bald aber suchte man es zu verwerten. Man verkaufte es in Neutomischel oder Bentschen. Da aber der Erlös die Mühe kaum lohnte, so suchte man das Holz besser zu nutzen. Man brannte Kohlen und schwelte Teer.(Die Reste baulicher Anlagen von Teeröfen, in welchem höchstwahrscheinlich auch Pottasche hergestellt wurde, entdeckte ich in den sogenannten Buchen der Alttomischler Forst, sowie auch in Friedenhorst auf dem Gelände der Eigentümer Fischer, Kurtz und Müller. – Vergl. „Deutsche anthropologische Gesellschaft., XI. Hauptverf.1909″, Nachtrag Nr.2033-2048). Spuren von Teeröfen sind heute noch vorhanden: nordwestlich von der Kirche in Friedenhorst, am Wege nach Glashütte und südlich an der Grenze zwischen Friedenhorst und Kunik.

Die beste Verwertung war die Verwendung des Holzes zu allerlei Holzarbeiten. Die Ansiedler fertigten Mulden, Schippen, Tröge, Schwingen, Brechen und dergl.“

S c h e r l a n k e. Vier kreuzweise gestellte dreiblättrige Kleestauden.

S c h i c h a g o r a, Cisiogurskie olędry, Chichagora, auch Chichogura, Cichagora Hauland, seit 1757. Auf einem Berge (?) drei dreiblättrige Kleestengel, wovon der mittlere etwas höher gestellt ist.

Umschrift: SCHICHOGURSCHER G. BOMSTER KREIS

S c h l e i f e, Grudzionka, Grudzynki. Vier kreuzweise übereinanderstehende Barten bzw. Beil- oder Axteisen, ohne Helmgriff bzw. Stiel. (Dieses Beileisen oder Barte führte auch Paprotsch im Siegel. Bei den alten Deutschen diente schon dieses dreischneidige Gerät zum Hauen und Zimmern, sowie als Waffe zum Werfen)

S o n t o p. Ein naturalistisch dargestellter von links nach rechts sich rückwärts bewegender Krebs.

Zu gleicher Zeit waren auch kreisrunde Siegel in verschiedenen Größen für einzelne Gemeinden eingeführt, so z. B. für Neuboruy, Scharke, Konkolewo usw., die kein Wappenbild führen, sondern nur die lateinische Aufschrift, z. B.

NEUBORUYSCHER HOULANDGEMEIN BOMSTER KREIS

SCHARKER HOULANDER GEMEIN BOMSTER KREIS

SIEGEL KONKOLEW GEMEINE BOMSTER KREIS

Die beiden erstgenannten Siegel haben etwa die Größe eines früheren preußischen l—2 Pf.-Stückes, das dritte (c) eines früheren deutschen silbernen 2 M.-Stückes 1913. 22)

Schließlich will ich noch der sogenannten „Schulzensiegel“ Erwähnung tun, welche etwa im zweiten Viertel des vorigen Jahrhunderts, also zu preußischer Zeit in der Größe wie c eingeführt wurden. Sie zeigen einen naturalistisch dargestellten preußischen Adler mit Krone, Zepter usw. Die Auffschrift: SCHULZENAMT… (folgt der Name der Ortschaft bzw. Gemeinde).

Es bedarf keiner besonderen Vorliebe für die Wappen- und Siegelkunde, um zu ersehen, daß auch in den aufgezählten Wappen der Neutomischler Holländereien ein gutes Stück Heimatgeschichte liegt.