Goldmann K.E. Die letzten Wind- und Wassermühlen um Neutomischel – Teil 1

Die Kunstmühle zu Neutomischel

 

Anhand dieser Ansichtskarte kann man feststellen, wo eigentlich diese Kunstmühle stand

Hier finden Sie als Leser den berühmten Artikel von Karl Eduard Goldmann, der in den Büchern „Aus dem Posener Lande“ /10.1912 veröffentlicht wurde. Goldmann beschreibt die Kunstmühle, die heute nur noch auf alten Ansichtskarten. betrachtet werden kann. Die Mühle befand sich in der Piłsudskiego Str 40 (Bahnhof Str). Die Bezeichnung „Kunstmühle“ wurde ihr verliehen,weil sie ein einzigartiges Bauwerk unter den anderen Mühlen war. Durch den Erfindungsreichtum ihres Besitzers mahlten in ihr anstelle von Mühlensteinen Walzen aus Stahl das Korn.

Die Fotos stammen aus der Kreis- und Gemeinde-Bibliothek von Nowy Tomyśl.

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ul. Piłsudskiego 40

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Vor einiger Zeit ist die in Stadt und Land und darüber hinaus bekannte Kunstmühle zum Abbruch gekommen; zum großen Leidwesen so manches Bewohners des Städtchen; denn ohne diese Kunstmühle kann man sich das Gesamtbild des freundlichen Ortes gar nicht mehr recht denken. Handelte es sich doch um eine Bauwerk eigener Art, welches als zweites Wahrzeichen neben dem ältesten und größten Bau der Stadt, dem 1790 errichteten Turm der evangelischen Kirche (Der erste Turm brannte 1789 ab), gelten dürfte. Zwar war es kein monumentales oder altes Gebäude mit geschichtlicher Vergangenheit, aber immerhin eine Denkmal deutschen Bürger- und Gewerbefleißes. Der auf schlankem Halse sitzende Mühlenkopf schaute seinem flink kreisenden Flügeln weit hinaus in die Gegend, schon von ferne die anmutige buschige Landschaft belebend.

Als die seltsame Mühle etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts erbaut wurde – ein altes Bild (Abb. 1 nach Seite 448) zeigt ihre frühere Gestalt mit sechs Flügeln – , blickten die alten Bockwindmühlen, welche damals die Stadt umgaben, gar neidisch auf den neumodischen Konkurrenten. War doch dieser Neuling nicht nur in der äußeren Gestaltung schon ein eigenartiges Bauwerk, auch im Innern hatte der Erbauer es mit den neuesten Errungenschaften der Mühlentechnik jener Zeit ausgestattet, so dass sich die Bezeichnung „Kunstmühle“ im Volke ganz von selbst eingebürgert hatte.

In einer alten Beschreibung in der Probenummer der Neutomischeler Hopfenzeitung von 1877 heißt es:

„Wenn man vom Bahnhof Neutomischel nach der Stadt fährt, so sieht man auf der linken Seite nahe der Stadt ein Mühlwerk wunderlich erscheinend, wohl an 100 Fuß zum Himmel emporreichend. Dieses Mühlwerk ist die so genannte Kunstmühle. Die Mühle ist von dem jetzigen Besitzer, einem höchst intelligenten Manne, dem Mühlenmeister Herrn Gottlieb Pflaum im Jahre 1853 erbaut und im Jahre 1873 zum wirklichen Kunstwerk umgestaltet worden. Sie hat eine Front von 401 und eine Tiefe von 301. Die Mühle besteht aus einem 81 hohen Kellergeschoß und hat außerdem 3 Stockwerke. .. Im Kellergeschoß sind alle Vorrichtungen getroffen worden, eine Windstille durch Dampfkraft zu ersetzen. Es dürfte nur eine 12 Pferdekraft-Gasmaschinen (Gasmotor) aufgestellt werden, und man hinge vom Wind nicht mehr ab. In dem sogen. Parterre befindet sich das Betriebswerk, wie auch der sog. Mehlboden, welcher bei allen sonstigen Windmühlen nie im Erdgeschoß, sondern meist im zweiten Stockwerk angelegt ist. Das Betriebswerk wird in Bewegung gesetzt durch eine stehende Welle, die von der Flügel- oder Rutenwelle ausgeht. An dieser stehenden Welle ist ein Stirnrad angebracht, welches in zwei Gänge direkt eingreift und noch zwei andere Gänge durch Riemen treibt. .. In dem Dachbalken ist der Ständer, der die Hülle der Welle bildet, so befestigt, dass er die darauf befindliche Koppe leicht zu tragen vermag. In dieser Koppe geht eine gusseiserne Flügel-. oder Rutenwelle, welche am vorderen Ende mit einem 5flügligen Stern (dem sogen. Rutenkranz) endet, an dem die Betriebsflügel sind (Ergänzend möchte ich bemerken, dass mit der „Koppe“ der Erbauer das drehbare Dach einer holländischen Windmühle, die sogen. KEG) Haube, ersetzte.. An dem hinteren Ende der Koppe sieht man eine 6flüglige Windrose, sowie den Regulator, eine lange Stange mit einer Fahne versehen. Es wird durch diesen Regulator die Rute nach dem Winddruck reguliert und das Auf- und Abtüren der Windflügel vermieden. Dieser Regulator stellt bei der Veränderung der Richtung des Winde die Betriebsflügel in den Wind.“

Später verbesserte der Erbauer diese Einrichtung noch durch das über dem Dache des Hauptgebäudes wagerecht angebrachte Flügelpaar (siehe die neueren Abbildungen: Abb. 2 nach Seite 448 und Abb. Seite 457).

Durch das alle Nachbargebäude überragende obere Mühlwerk konnte die Mühle bis zuletzt ihren Standplatz behaupten, wohingegen den durch die Erweiterung der Stadt eingeengten Bockwindmühlen der Wind entzogen wurde und diese deshalb das Feld schon früher räumen mussten.

Einige Male hatte der Blitz in das obere Gebäude eingeschlagen, ohne besonders großen Schaden anzurichten. Eine in der Mühle angebrachte Inschrift lautete: „Erbaut im Jahre 1853. Bauherr u Baumeister G. Pflaum. Vom Blitz beschädigt am 19. Juni 1871 und 17. Aug 1873. Gott, durch Deine Güte diese Mühl’ behüte.“.

Das Bauwerk konnte in seiner Art sogar als Kuriosum gelten, und Personen, die viel in der Welt herumgekommen sind, haben verschiedentlich erklärt, eine derartige Mühle noch nicht gesehen zu haben. Fremde, welche sie zum ersten Male und in der Dämmerung, wenn das Getriebe ruhte, mit dem hochragenden, aber verhältnismäßig kleinen Rumpfe und den dünnen schlanken Flügeln von ferne zu sehen bekamen, vermeinten oft, eine riesenhafte Spinne zu erblicken.

Kunstmühle Pflaum

Kunstmühle Pflaum

Kunstmühle Pflaum

Der Erbauer, der schon als Hütejunge im kindlichen Zeitvertreib alle möglichen Mühlen gebastelt haben soll, ließ nicht nach, fortwährende Verbesserungen, vornehmlich an dem äußeren Werk, anzubringen. Aus Müllerkreisen, von mühlentechnischen Ausstellungen usw. sind ihm mancherlei Belobigungen zuteil geworden, und Fachzeitschriften hatten s. Z. wiederholt seine Neuerungen beschrieben. Pflaum hatte mittellos angefangen. Die Mühle war sein Stolz, er setzte dafür seine ganze Lebenskraft ein. Auch bis heute, nach seinem vor etwa 15 Jahren erfolgten Tode, hat sich der ihm nach dem Berliner Großindustriellen scherzweise zugelegte Beiname Borsig in der Stadt erhalten. Die Mühle wurde bis zuletzt von einem Enkel des Erbauers verwaltet und war kurz vor dem Abbruch noch in Betrieb. Es ist sehr bedauerlich, dass es nicht möglich war, das interessante Bauwerk zu erhalten. Die anmutige Landschaft ist leider wieder um ein eigenartiges Bild ärmer.