Ein Wunderkind, so begann 1764 der damalige Pastor Krumbholz der evangelischen Kirche zu Polnisch Freystadt, welches später mit dem Dorf Rakoniewece zu einer Ortschaft zusammenwuchs, den Nachruf auf den verstorbenen Johann Gottlieb Heyder. Durch Einträge dieser und ähnlicher Art ist das ein oder andere Ereignis oder die ein oder andere Besonderheit im Leben der damaligen Einwohner im Kirchenbezirk einer Gemeinde zu erfahren.
Auch in dem Manuskript „Geschichte der Evangelischen Kirche zu Rakwitz“ von Karl Schulz wurde diese Eintragung schon als Transkriptionen veröffentlicht, die heute noch in dem erhaltenen Kirchenbuch jener Zeit einsehbar ist, sodass wir etwas über ein aussergewöhnlich begabtes Kind, welches vor 260 Jahren geboren wurde und im Alter von 12 Jahren viel zu früh verstarb, erfahren.
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Juli, den 2. starb abends um 10 Uhr nach harter Niederlage ein Hoffnungsvoller Knabe, nehmlich Mstr. Joh. George Heyders, B.(ürgers) und Müllers allhier eintziger Sohn, Nahmens Johann Gottlieb, alt 12 Jahr, 33 Wochen.
Dieses Kind hatte außerordentliche Gemüths-Gaben und Fähigkeiten. Er hatte in der Music, auff der Orgel, und andern Instrument ausnehmende Progressen gemacht. Schrieb eine schöne Hand und vollkommen orthographisch, das Rechnens zu erwehnen; trug auch schon in einem Brieffe seine Gedanken recht ordentlich und zusammenhangend vor. Er war dem Studieren gewiedmet, und ich habe ihn 2. Jahr nebst meinem Sohne in der Lateinischen Sprache und Geographie unterrichtet, worinnen er ungewöhnlich zunahm, und durch meinen Sohn, der jünger war, als er, nur auff gehalten wurde. Er war dabey ein sehr frommes Kind, von aller Leichtfertigkeit und Muthwillen gantz entfernet. In den 2. Jahren meines Unterrichts hat er nie einige Straffe verdient, oder einen Schlag bekommen. Er schrieb und lernte seine Lectionen mit solcher Application, als ein erwachsener Mensch nur immer haben kann, denn er war fern von aller Flatterhaftigkeit, und verrichtete alles mit einem gesezten und ernsthafften Wesen. In seiner Krankheit, ehe noch die Mattigkeit überhand nahm, laß er alle Tage in der Bibel, sonderlich laß er das Büchlein Tobiä durch, weil er die Führungen des jungen Tobiä auff sich deutete. Den Spruch Tob. 12, 13 führete er auch hernach stets im Munde, welchen seine Eltern auch zum Leichen Texte erwehlten. Deßgleichen ließ er sich täglich seine Schul-Bücher und Land-Charten ins Bette geben, und betrachtet gar offt diese Sphären, welche er so bald verlaßen solte.
Dieses Kind wäre sonder Zweiffel eine Zierde seiner Vater-Stadt, und vielleicht ein Licht der Welt geworden, daferne es dem unerforschlichen Willen Gottes gefallen hätte, ihm ein längeres Leben zu schencken. Er ward den 4. Juli begraben, mit einer, von seinen Eltern bestellten Leichen-Predigt. Ich hielt ihm aber, aus freyem Triebe, zum lezten Ehren Gedächtnis noch eine Abdanckung, über die, auff ihn sich gantz besonders schickende Wort, Sap. 4,13: Klugheit unter den Menschen ist das rechte graue Haar und ein unbefleckt Erbe ist das rechte Alter. Er ist bald vollkommen worden, und hat viel Jahre erfüllet, woraus ich vorstellete: Klugheit, und unbeflecktes Leben, als ein Ruhmvolles Alter in der Kindheit. Er sah wohl aus, hielt sich reinlich in Kleidung, und war, durch seine eigne Urtheils-Krafft weit, weit manierlicher als Kinder von seinem Stande und Erziehung zu seyn pflegen. Doch war er, bey angenehmen Lineamenten, nur klein von Statur, und schwächlich vom Leibe.
Daferne dieses Kirchen-Buch sich der Vergänglichkeit entreißet, und auff die Nachwelt kommt; so darff Niemand an der Wahrheit dieser Geschichte zweiffeln. Es ist hier viel eher zu wenig, als zu viel gesagt. Der Hochwohl Ehrwürden Herr Kopp von Unruhstadt, welcher diesen holden Knaben, wenig Wochen vor seiner lezten Krankheit bey mir gesehen, und selbst examiniret hat, ist über seine seltenen Gaben erstaunt, und gleichwie Er, nebst mir, etwas außerordentliches von diesem Kinde prophezeyet hatte, also hat Er auch nebst mir, desselben frühzeitigen Hintritt schmertzlich bedauert. Gott hat diesen jungen Theologum, (denn er hatte Willens Theologiam zu studieren, dahero er auch die Predigten mit ungemeiner Auffmercksamkeit anhörte, und in den öffentlichen Kinder-Lehren, mit männlicher Parrhesie und Verstande antwortete) bald gar zeitig, in eine höhere Schule eingeführet, und ihn von dem Schauen, durch einen Spiegel, als an einem dunckeln Orte, auffgenommen, zum Schauen von Angesicht , zu Angesicht. Sein heiliger Rahme sey auch vor dieses unbegreifliche Schicksaal gepriesen.
Amen !
Quelle: Kirchenbuch Rackwitz – Archiwum Państwowe w Poznaniu Dokumentacja aktowa Fond: Akta stanu cywilnego Parafii Ewangelickiej Rakoniewice (pow. wolsztyński) 53/3843/0/-/2