Kleinstadtbilder aus Rakwitz und Grätz in den letzten Jahrzehnten des polnischen Reiches – 1735 bis 1782 – Teil 4 – Der Schrecken der Konföderationszeit – 1768-1771

„1768 –Katharina II. erzwingt mit Waffengewalt die Deportation der widerspenstigen Bischöfe und anderer Oppositioneller nach Sibirien. Die vor allem aus russischen Truppen gebildete „Generalkonföderation von Radom“ („Republikanische Konföderation der Königsgegner und Reformfeinde“) umstellt mit 40.000 Mann den Reichstag und erzwingt so, daß dieser den „Ewigen Vertrag“ zwischen Rußland und Polen annimmt, der die Beibehaltung des „liberum veto“, freie Königswahl und Gleichstellung der Dissidenten garantiert.“ (1)

„1768 – Gegen die erzwungenen Reichstagsbeschlüsse schließt sich am 29. Februar in der Ortschaft Bar in Podolien zum ersten Mal ein Militärbündnis des polnischen Adels zusammen, die „Konföderation von Bar“ unter Führung des Bischofs Michal Krasinski. Mit ihrem Wahlspruch „Glaube und Freiheit“ trat die Konföderation, unterstützt von Österreich (Maria Theresia) und Frankreich, gegen den russischen Einfluss auf und wollte die katholische und die polnisch republikanische Tradition stärken. In der Folge kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den polnischen Auftsändischen und russischen Truppen, die Türkei erklärt Rußland den Krieg.“(1)

Dieser Teil ist eine kurze Schilderung der Familie Flegel in eben jener schwierigen Zeit …

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Haus im heutigen Graetz aus alter Zeit – Aufn. PM

3. Die Schrecken der Konföderationszeit – 1768-1771

Über das polnische Land brachen wie über das ganze Polen mit dem Jahre 1768 schwere, politische Stürme herein, die das ohnehin fortwährend von Unruhen heimgesuchte Land immer mehr dem Untergange zuführten. Da auch die billigsten Forderungen der Protestanten vom Reichstage stets einmütig zurückgewiesen wurden, so schlossen diese 1767 die Konföderation von Radom, deren Ziel war, den Dissidenten, zu denen die Protestanten gehörten, Religionsfreiheit und Zutritt zu allen Ämtern zu verschaffen. Diese Konföderierten wurden von den fremden Mächten, besonders Russland und Preußen unterstützt. Da bildete die national-polnische Partei unter Potocki, Krasinski u. a. die Gegenkonföderation von Bar im Jahre 1768, um den fremden, besonders russischen Einfluss zu beseitigen. Weil nun die Dissidenten an den fremden Mächten immer eine Stütze fanden, wurden sie von der Gegenkonföderation verfolgt und misshandelt; neben diesen politischen Gründen wirkte natürlich auch, besonders beim gemeinen Volke, der religiöse Hass mit. Herumziehende Banden machten das Land unsicher und überfielen die Dissidenten, um von Ihnen Geld zu erpressen, schreckten aber auch vor Mord und Totschlag nicht zurück. In der Gegend von Grätz war diejenige eines gewissen Gogolewski besonders berüchtigt.

Am 2. Dezember 1768 erschien der erste Haufen der Konföderierten in Grätz, denen man Flegel und die Seinen als hartnäckige Feinde des katholischen Glaubens bezeichnete. Die Familie hielt sich für verloren, besonders da sie auch gehörte hatte, dass man ihr nach dem Leben trachte, aber sie wurde durch eine wunderbare Fügung Gottes gerettet, wie die ältere Chronik S. 4 sagt; keins ihrer Mitglieder – die Witwe Flegel hatte 3 Töchter und 2 Söhne, von denen der eine der jüngere Chronist ist – wurde verletzt; dagegen wurde die Firma an Vermögen geschädigt, anscheinend indem das Haus geplündert wurde, denn Karl Flegel gibt den Verlust dieses Tages auf 80 Dukaten an. Seitdem statteten die Konföderierten, besonders Gogolewskis Bande, der Stadt noch viele, z. T. nächtliche und recht plötzliche Besuche ab. Dabei geriet Flegel mit den Seinen, denen man besonders nachtrachtete, oft in Lebensgefahr, aber er fand mit ihnen immer Schutz und Zuflucht bei dem Probst und Dekan Herrn von Konarski, einem milden und auch gegen die Protestanten duldsamen und liebevollen Mann, der die Flegelsche Familie wiederholt, wenn einmal unvermutet am Tage oder des Nachts die Konföderierten ankamen, in seiner Wohnung verbarg. Daher wendet sich auch der jüngere Chronist, Johann Samuel Flegel, der die Not und Verfolgung seiner Familie zur Zeit der Konföderation eingehend schildert, noch im Jahre 1839, als er selber schon ein Greis war, an den längst dahingeschiedenen Probst mit den warmen Worten: „Dank Deiner Asche, Du guter, redlicher Dekan von Konarski!“.

Aber auf die Dauer hätte auch der Probst die Familie nicht schützen können. Diese hielt es daher für das beste, das Land zu verlassen und sich über Karge nach Kontop in Schlesien zu begeben. Dies geschah aber wahrscheinlich erst 1770, denn die ältere Chronik sagt, dass die Familie fast zwei Jahre außer Landes war und erst seit 1772, als Preußen der Konföderation ein Ende gemacht hatte, wieder in Grätz wohnte.

Graetz und Rakwitz – Ausschnitt Gilly Karte – Quelle: http://teca.bncf.firenze.sbn.it

(Die Unruhen jener Jahre haben ihre Spuren auch in den Rechnungsbüchern hinterlassen. Während nämlich sonst die Rechnung für jedes Jahr abgelegt sind, bezieht sich der Bericht von 1771, wie dort ausdrücklich bemerkt wird, auf die 3 Jahre 1769, 1770 und 1771, also auf die Konföderationsjahre. Hier ist die Familie Flegel als Flegelische verzeichnet)

Die Übersiedlung konnte auch nur allmählich geschehen, weil das Haus voll Wein und Eisenwaren und sonstigem Kaufmannsgut lag. Da es durch Dienstboten verwaltet werden musste, so kamen Angehörige der Familie, wenn sie sich sicher glaubten, ab und zu nach Grätz, um nach dem Rechten zu sehen.

Aus dieser Zeit meldet die jüngere Chronik mehrere Überfälle der Konföderierten.

Eines Sonntags erschienen sie vor dem Flegelschen Hause, gerade als dort, wie es meist geschah, wenn die Grätzer Evangelischen des Wetters wegen nicht nach Rakwitz in die Kirche fahren konnten, Lesegottesdienst gehalten wurde. Von der Flegelschen Familie war niemand hier, dagegen war der Müller Schönfeld anwesend, der, wie auch der Chirugius Schultz, den Gottesdienst fleißig besuchte. (Im Bericht über die Jahre 1769, 1770 und 1771 werden Schultz und Schönfeld genannt, ebenso in den früheren: Johann Schultz und Andreas Schönfeld) Schönfeld wurde herausgerufen, und einer der der Banditen schoss ihn, wahrscheinlich aus Ärger, weil niemand von der Flegelschen Familie angetroffen wurde, nieder. Die Kugel ging durch das linke Schulterblatt, die Wunde wurde zwar geheilt, aber der Arm blieb lahm.

Ein anderes Mal trafen die Gogolewskischen die älteste Tochter der Witwe an. Der Offizier, der den Trupp anführte, hatte den Auftrag, die ganze Familie zu erschießen. Das Mädchen wurde herausgerufen, ihr die Pistole vor die Stirn gehalten, aber der Schuss versagte zweimal, obwohl das Pulver abbrannte. Das Mädchen lief fort, und der Offizier ritt weg, ohne sie verfolgen zu lassen.

Die Witwe Flegel rettete sich einmal nur dadurch, dass sie sich unter einem Malschfasse, das sie in der Brennerei über sich gestürzt hatte, verbarg. Die Banditen suchten sie im ganzen Hause, kamen auch an das Fass heran, horchten auf den Zehen gehend, aber sie fanden sie nicht.

Aus großer Gefahr wurden Flegel und die Witwe auf einer Flucht von Grätz nach Kontop durch einen glücklichen Zufall gerettet. Sie waren wieder einmal nach Grätz gekommen, um nach der Wirtschaft zu sehen, als sie erfuhren, dass die Gogolewskische Bande ankomme und den Auftrag haben, sie umzubringen. Sie flohen eiligst nach Schlesien, aber der Weg, den sie genommen hatten, wurde von Spionen verraten, und die Verfolger setzten ihnen nach. Auf dem Sande vor Kopnitz entdeckte Karl Flegel, gerade als ein furchtbares Gewitter unter Sturm und Regen losbrach, dass ihm die Konföderierten auf den Fersen waren. Er benutzte die herrschende Finsternis und ließ in ein dichtes Tannengebüsch einbiegen, das in der Nähe stand. Die Witwe war in der Angst von Wagen gesprungen und hatte sich versteckt. Es herrschte eine undurchdringliche Finsternis, der Regen fiel in Strömen, die Geleise waren verschwemmt und die Spuren der Flüchtlinge nicht zu erkennen, sodass diese nicht entdeckt wurden; die Verfolger 10 bis 12 Mann stark, sprengten an dem Versteck vorüber in die Stadt. Flegel fuhr diesen unter dem Schutz des Unwetters nach. Sie waren in Kopnitz an dem damals an der Straße befindlichen Wirtshause und der Wassermühle abgestiegen, hatten Lichter an das Fenster gestellt, damit ihnen die Flüchtlinge nicht entgehen konnten, und von der Obrabrücke, über welche der einzige Weg nach Schlesien führte, mehrere Bohlen weggenommen. Ihre Pferde hatten sie vor dem Wirtshause angebunden. Als Flegel nun hier ankam, fuhr er so, dass die Pferde zwischen ihm und dem Wirtshaus standen, und er in der Dunkelheit nicht gesehen werden konnte, vorbei, legte die abgeworfenen Bohlen auf die Brücke und entkam unter dem Schutze der Finsternis und des Unwetters glücklich den Verfolgern, wie die Chronik sagt, durch augenscheinliche Hilfe Gottes.

So lauten die Berichte des jüngeren Chronisten über die Erlebnisse seiner Familie in der Konföderationszeit. Aber der Verfasser berichtet hier nicht Selbsterlebtes, sondern nur, was er von denen gehört hat, die jene Zeiten erlebt haben, vielleicht von seinem Oheim Karl oder seiner Mutter. Der erstere schweigt völlig über diese Dinge, die hier eingehend geschildert werden, obwohl er doch z. T. selbst dabei beteiligt war; er springt vom 2. Dezember 1768 sofort über auf das Jahr 1772, das Ende der Konföderation, und sagt, dass Gott es allein weiß, wie viel seine Familie vom Magistrat und der Herrschaft zu Grätz zu leiden hatte. Die Schilderung dieser Leiden hatte er sich allein zur Aufgabe gemacht. Wenn die Erzählungen der jüngeren Chronik aus diesen Jahren sicher auch nicht erfunden sind, so weiß man doch, wie die Tatsachen in der Erinnerung allmählich verschwimmen und wie leicht sie von dem falsch aufgefasst werden, der sie nicht selbst erlebt, sondern von einem anderen gehört hat. Wir werden aber später an einem Ereignis, das beide Chroniken erzählen, dem Schicksal eines gewissen Schultz aus Schwarzhauland, sehen, dass der Bericht der jüngeren übertreibt. Darum müssen wir jene Erzählungen mit einer gewissen Vorsicht aufnehmen, wir dürfen aber aus ihnen das eine als wahr annehmen, dass die Familie Flegel wiederholt in der größten Lebensgefahr geschwebt hat.

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(*) Textquelle: www.deutsche-und-polen.de