Kleinstadtbilder aus Rakwitz und Grätz in den letzten Jahrzehnten des polnischen Reiches – 1735 bis 1782 – Teil 2 – Rakwitz und Polnisch-Freistadt und die Familie Flegel

Hier nun die 1ste Fortsetzung mit erklärenden Worten zu Rakwitz und Polnisch-Freistadt und der Differenzierung der beiden Orte, die später zu einer Stadt zusammenwuchsen.

Und weiterhin einigen Ausführungen zu der betroffenen Familie Flegel, die hier vermutlich seit 1668 ihren Wohnort hatte.

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Rakwitz Marktplatz - Aufn. ausgestellt in Feuerwehr Museum zu Rakwitz

3. Polnisch-Freistadt oder Rakwitz

Sowohl in der älteren Chronik als auch in den alten Rechnungsbüchern der Grätzer Gemeinde wird wiederholt der Ort Polnisch-Freistadt genannt, in welchem die Familie Flegel eine Zeit lang ansässig war, und der auch sonst zu Grätz in vielfachen Beziehungen stand.

Polnisch-Freistadt, die heutige Stadt Rakwitz, wurde 1662 neben dem schon vorhandenen Dorfe Rakwitz als Zufluchtsstätte, wie der Name Freistadt sagt, für evangelische Deutsche (Das Bestimmungswort Polnisch soll natürlich nur den Unterschied von Freistadt im deutschen Niederschlesien ausdrücken) gegründet, die wahrscheinlich, wie zahlreiche anderen Scharen deutscher Einwanderer des 17. Jahrhunderts, Schlesier waren und sich vor den unerträglichen Bedrückungen durch die Kaiserlichen nach Polen geflüchtet hatten. In Freistadt war auch eine evangelische Kirche, zu welcher die kleine Grätzer Gemeinde eingepfarrt war, bis sie 1775 losgetrennt und mit den um Grätz liegenden Dörfern zu einem neuen Kirchspiel mit eigenem Pfarrer vereinigt wurde. Das ältere der beiden Rechnungsbücher erwähnt aus dem Jahre 1682 eine Beisteuer, welche die Grätzer Gemeinde nach Neu-Freystadt d. i. Freistadt-Rakwitz zum Kirchbau entrichtete. Der ältere Name Polnisch-Freistadt oder Neu Freistadt oder Freistadt überhaupt scheint sich nach 1800 verloren zu haben, ist aber dem älteren Chronisten, der wahrscheinlich in den 90iger Jahren des vorigen Jahrhunderts schrieb, noch ganz geläufig, sodass er (S.2) den Ort Rakwitz genau davon unterscheidet, indem er von einem Fleischhauer Meisner erzählt, der angeblich Polnisch-Freistadt anzünden wollte, nach Rakwitz kam und verhaftet wurde. Ebenso ist der Name Freistadt in den beiden Rechnungsbüchern aus dem 17. und 18. Jahrhundert ganz gewöhnlich. Diese erwähnen im Jahre 1714 eine Revision, die der Bischof Posinantzky oder Bosinantzky (es ist natürlich der Bischof von Posen gemeint. Die evangelischen Geistlichen standen nämlich, was wunderbar genug klingt, aber doch wahr ist, unter der Aufsicht des nächsten Bischofs oder Probstes, der ihnen von Zeit zu Zeit ihre Pflichten einschärfte und namentlich darüber wachte, dass sie sich gegen die katholische Kirche keine Übergriffe anmaßten. Vgl. Ztschr. d. histor. Gesellsch. d. Pr. Posen VII (1892) S. 248f) „in der polnischen Freystadt bei der Evangelischen Kirchen“ abhielt und bei welcher auch die Grätzer Gemeinde zu einer christlichen Beisteuer, wie es dort heißt, herangezogen wurde, weil sie sich, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, dieses Gotteshauses bedient. Auch in den Notizen von unbekannter Hand über die erste Pfarrerwahl und den Pastor Calmann vom 24. Dezember 1775 ff. wird ausdrücklich der Pastor Kuczewski von „Polsch-Freistadt bei Rakwic“ genannt. Danach ist auch zu berichtigen, was Heinrich Wuttke in seinem Städtebuch des Landes Posen S. 422 über den Namen Freystadt sagt. Die jüngere Chronik spricht, obwohl sie von den vier letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts erzählt, stets nur von Rakwitz, nie von Freistadt; aber ihr Verfasser Johann Samuel Flegel schrieb dieselbe 1839, als der Name Freistadt durch den Dorfnamen schon verdrängt war.

Stammbaum der Familie Flegel - entnommen dem Original Artikel

4. Stammbaum der Familie Flegel

Die beiden Chronisten stammen aus einer alteingesessenen, deutschen Grätzer Familie, deren Name sich in den Rechnungsbüchern bis zum Jahre 1668 zurückverfolgen lässt. Da diese aber bis 1620 zurückgehen, so scheint es, als ob die Familie erst um 1668 in Grätz eingewandert ist. In diesem Jahre wird Martin Flehgell, der Urgroßvater der Chronisten, zum ersten Male genannt. Am 28. Dezember 1673 wird er als letzter der 8 an diesem Tage „gesetzten“ d.h. gewählten Ältesten aufgeführt. Sein Name erscheint zum letzten Male 1674, sodass er in diesem oder dem folgenden Jahre 1675 gestorben sein muss; denn von 1676 bis 1682 wird statt seiner unter den Beitrag zahlenden Mitgliedern der Gemeinde nur Frau Flegeln genannt.

Im Jahr 1686 ließ sich, wie das Rechnungsbuch berichtet, Karl Flegel, wahrscheinlich sein Sohn, in die Gemeinde einschreiben, und wir finden von da an seinen Namen unter den steuernden Familienvorständen bis 1719. Am 28. Dezember dieses Jahres wird er neben Johann Stoltz noch als Ältester genannt; er muss aber im folgenden Jahre 1790 gestorben sein, da im Jahresbericht vom 21. Dezember 1720 nur noch der Name der Frau Carol Flegeln sich findet.

Karl Flegel hatte zwei Söhne, von denen der eine Karl, der andere Samuel hieß. Etwa ein Jahr nach dem Tode des Vaters ließ sich Karl in die Gemeinde als beitragspflichtiges Mitglied aufnehmen und zahlte, wie das Rechnungsbuch unter dem 21. Dezember 1721 meldet, 6 Groschen Eintrittsgeld. Im Verzeichnis dieses Jahres nimmt er, da die Namen der Steuernden nach dem Alter geordnet sind, noch die drittletzte Stelle ein; am 28. Dezember 1733 ist er schon bis an die dritte Stelle des Anfangs vorgerückt.

Diese beiden Brüder Karl und Samuel, von denen der letztere sich mit einer Kause aus Grätz verheiratete, sind die Väter der beiden Chronisten. Karls Sohn war Karl Ehrenfried Flegel, der Verfasser der älteren Chronik; Samuels Sohn war Johann Samuel Flegel, der Verfasser der jüngeren Chronik. Zur besseren Übersicht und zu leichterem Verständnis dient der folgende Stammbaum; die Zahlen neben den Namen bezeichnen die Jahre, innerhalb deren die Mitglieder der Familie urkundlich nachzuweisen sind. Vorausgesetzt wird dabei, dass in den Rechnungsbüchern wirklich der Sohn auf den Vater folgt, was durch die Namen und Zeitverhältnisse allerdings sehr wahrscheinlich ist.