Kraft Arno – Ein Kirchplatz für deutsche Siedler 2002

Ein Kirchplatz für deutsche Siedler“ – der Artikel wurde im Original von Arno Kraft für das Jahrbuch der Landsmannschaft Weichsel-Warthe Ausgabe 2002 verfasst und publiziert.
Eine Veröffentlichung auf dieser Seite erfolgt mit freundlicher Genehmigung der LWW – Landesmannschaft Weichsel-Warthe und Arno Kraft.

* * *

Rund fünf Kilometer südlich von Neutomischel liegt der Ort Kirchplatz-Borui. Er entstand als ein rechteckiger Platz um die in den Jahren 1776/77 erbaute evangelische Kirche. Diese wurde auf Wunsch der evangelischen Bewohner der Hauländergemeinden, welche zu Anfang des 18. Jahrhunderts im Heidegebiet südöstlich von Bentschen entstanden waren, als Fachwerkbau errichtet und in der Gemeinde Alt-Borui am Schnittpunkt zweier Wege erbaut. Der eine Weg führte in Nord-Süd-Richtung von TomysI nach Hammer und bildete die Verbindung von Pinne über Neustadt nach Wollstein, und der zweite in Ost-West-Richtung führte von Opalenitza über Bukowiec nach Scharke und weiter über Kroschnitz nach Bentschen. Beide Wege waren aber keine Hauptverbindungswege.

Gesamtansicht von Kirchplatz Borui, 1910 – Blick nach Norden von Hunolds-Mühle

Die Streu-Siedlungen, für deren Bewohner das neue Gotteshaus gebaut wurde, waren wohl schon am Ende des 17 Jahrhunderts begonnen worden und führten erst später zur Bildung einzelner Gemeinden. Für all diese Gemeinden fehlen Daten über die Erteilung von Privilegien, die es von den meisten Gemeinden der Umgebung, die nach Holländerrecht entstanden, gibt. Das mag möglicherweise daran liegen, daß die Eigentumsverhältnisse zu Siedlungsbeginn öfter wechselten. Ursprünglich war dieses ganze Gebiet im Besitz des Kastellans von Bentschen. Es reichte im Mittelalter im Osten bis an den „Stillen Berg“ (in dessen Nähe später der Ziegenkrug stand) heran. Im Osten grenzte der Besitz der Zbaskis an den der Familie Opalinski und im Norden an den der Ostrorogs.

Die Grenze der Besitzungen dieser Großgrundbesitzer war meistens durch Grenzhügel markiert. Von Zeit zu Zeit wurden die Grenzmarkierungen erneuert und durch Bevollmächtigte der Besitzer auch in Dokumenten neu festgelegt. Da die Grenzregionen fast menschenleer waren, konnten die Heidereiter und Grenzwächter zu Fuß ihr Gebiet nur sehr schlecht kontrollieren, und es gab immer wieder Überschreitungen, bei denen Wild in fremdem Gebiet erlegt wurde, Heu gemäht und auch abtransportiert wurde und vor allem Holz geschlagen wurde. Viel Holz wurde zu damaliger Zeit für das Verhütten: von Raseneisenstein benötigt, das im Süden im sogenannten Bentschener Hammer und im Norden im sog. Tirschtiegler Hammer verarbeitet wurde.

Der Bentschener Hammer lag an der Dojca in Höhe des Weißen Sees, der später Hammersee genannt wurde. Das Hammerwerk wurde schon vor 1500 in Dokumenten erwähnt. Der Tirschtiegler Hammer lag viel weiter nördlich am Schwarzwasser und wurde später Kupferhammer genannt, da in ihm in neuerer Zeit Kupfer verarbeitet wurde. Die Hammerwerke wurden im Mittelalter alle von Deutschen betrieben und das deutsche Wort „Hammer“ wurde als Bezeichnung damals für diese auch in der polnischen Sprache verwendet. Erst in neuerer Zeit verwendeten die Polen das Wort „kuznica“, das von „kuznia“ = Schmiede abgeleitet war.

Das Gebiet, in welchem die deutschen protestantischen Siedler ihre Bauernhöfe nördlich des Bentschener Hammers errichteten, lag in einer feuchten Heide. Dieses urtümliche Gebiet, rund 7 bis 17 km östlich der Festung Bentschen, welche am Nordostufer des gleichnamigen großen Sees lag, war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in seinem westlichen Teil schon einmal Zuflucht für Glaubensflüchtlinge geworden.Damals hatte Adam Zbaski die Hussiten unterstützt und nach dem Sieg der Truppen des Bischofs von Posen über ihn verbargen sich viele Hussiten in der Gegend nördlich des Dorfes Borui, welches 4 km westlich vom Hammersee liegt. Man sprach hier von den Zisker Siedlungen (nach Ziska, dem Heeresführer der Hussiten); später wurden diese Gemeinden Deutsch- und Polnisch-Böhmisch genannt.

Die deutschen Siedler, die viel später in diese große Heide kamen, waren ja auch Glaubensflüchtlinge, die aus dem katholischen Schlesien kamen, wo ihnen die Ausübung ihres Glaubens schwergemacht wurde und die darum nach Polen auswanderten, wo ihnen Duldung ihres Glaubens versprochen wurde.

Viele Rinnsale durchzogen die Landschaft, und Erlen, Weiden und Birken wuchsen auf feuchteren Stellen, und auf mehr trockneren konnte man auch vereinzelt Eichen finden. Auf den wenigen sandigen Stellen waren Kiefern und auch Fichten heimisch. In diesem menschenleeren Heidegebiet gab es viel Großwild, und sogar Bären waren hier recht lange zu Hause, wie die Ortsbezeichnung Grubske (von gruby = Dicker) für eine spätere Gemeinde bis jetzt bezeugt. Aber es gab in dieser Heidelandschaft auch größere Wiesen, denn es wird in alten Dokumenten berichtet, daß einmal 50 Wagenladungen Heu aus diesem Gebiet gestohlen wurden.

So waren die Großgrundbesitzer froh, daß es deutsche Bauern auf sich nahmen, hier zu siedeln und neben ihrer schweren Rode- und Entwässerungsarbeit auch gleichzeitig eine Art Wachdienst übernahmen.

Nachdem die erste und zweite Generation die Ansiedlungsstrapazen überwunden hatten, konnte die dritte an den Bau eines Gotteshauses denken. Eine Schule hatten die Siedler schon früher. Hier wurde auch ein „Schulbuch“ geführt, in das auch Geburten eingetragen wurden. Mir liegt eine Kopie von Geburtsbescheinigungen vor, in der die erste Geburt in einer Familie aus dem Jahre 1746 datiert. Zum Bau eines Gotteshauses war allerdings neben der Zustimmung des Grundherrn auch die Gesetzeslage des polnischen Staates Voraussetzung. Von den Nachbarn wurde Polen immer wieder zur Änderung seiner Politik gegenüber den „Dissidenten“ gedrängt. Bisher hatte ja die katholische Kirche in Religions- und auch Verwaltungsfragen das Sagen. Besonders im Osten des Staates beschwerten sich die vielen Orthodoxen über ihre Behandlung. Rußland hatte als Folge des Siebenjährigen Krieges durch Militärpräsenz stark an Einfluß gewonnen, und Zarin Katharina II, erhöhte den Druck und so behandelte der polnische Reichstag ab 1766 die Dissidentenfrage und als Ergebnis wurde in einem polnischrussischen Vertrag u.a. auch die Tolerierung der Dissidenten garantiert. Dieser Vertrag wurde am 5. März 1768 angenommen.Schon vorher, am 24. Februar, wurde das „Toleranztraktat“ von Rußland, Preußen, England. Schweden und Dänemark garantiert. Die Hoheitsrechte der katholischen Kirche waren nun aufgehoben, und adlige Dissidenten durften nun wieder staatliche Ämter bekleiden. In Lissa tagte daraufhin die Synode für das Posener Gebiet und gründete das Konsistorium, das sich ab 1. Januar 1776 mit der Neugründung von Protestantengemeinden befaßte. Die Gemeinden von Borui und Umgebung hatten schon beim Besitzer der Hammerschen Güter, dem ev.-reformierten Ludwig Mielecki, dazu einen Antrag gestellt und erhielten am 3. November 1775 die Erektionsurkunde für die neue Gemeinde Hammer-Borui, welche am 15. Januar 1776 vom Konsistorium Lissa genehmigt wurde. Nun konnte mit dem Kirchenbau begonnen werden. Der Grundherr schenkte der neuen Gemeinde Grund und Boden an der Kreuzung von den bereits zu Anfang erwähnten zwei Wegen. Außerdem erhielt die Kirchengemeinde von ihm Bauholz und 100 Dukaten für den Kirchenbau. Am 1. Juni 1777 konnte das Gotteshaus der Kirchengemeinde Hammer-Borui, wie sie zunächst hieß, durch den Pfarrer Nickisch aus Wollstein eingeweiht werden. Es war aus Fachwerk mit Schindeldach und mit Emporen im Inneren erbaut worden. Fachlich unterstützt wurde die neue Gemeinde bei ihrem Bau durch die Gemeinde Rakwitz (rd. 16 km südöstl. des neuen Kirchplatzes), die auch schon vorher die neue Gemeinde betreute. So hatte der Bau auch große Ähnlichkeit mit der neueren Kirche Rakwitz, die anstelle der ersten von 1662 auch als Fachwerkbau kurz vorher im Jahre 1763 neu erbaut wurde. Beide Kirchen hatten damals aber noch keinen Turm. In Rakwitz erfolgte der Turmanbau 1781 und in Borui erst mehr als 100 Jahre später. Der Kirchturm wurde 1900 hier in massiver Steinbauweise an das Fachwerkkirchenschiff angebaut, wie aus einer Markierung an einem Fundamentstein noch heute ersichtlich ist. Der Bau erfolgte mit Hilfe einer Spende des kinderlosen Brauereibesitzers Georg Haase aus Breslau, die erst 1898 genehmigt wurde und 9500 M betrug. Erster Pfarrer in der neuen Gemeinde war der 1750 in Neudamm geborene Johann Christoph Knispel, welcher in Frankfurt/Oder studiert und am 2. April 1776 seine Ordination erhalten hatte. Er konnte diese Gemeinde bis zu seinem Tode im Jahre 1824 betreuen.

evg. Kirche zu Kirchplatz Borui

1793 war die Gegend preußisch geworden, und nach den Siegen der preußischen Truppen am Rhein gegen die Franzosen sammelten auf seine Anregung hin zum Dank die Gemeinden des Bomster Kirchenkreises Spenden für verwundete Soldaten. Es kamen rund 79 Taler zusammen. Wenn nun auch unter protestantischer Oberhoheit, so gab es trotzdem für die deutschen evangelischen Bauern der Gegend noch keine gesicherten Verhältnisse. Der im Frühjahr 1794 unter militärischer Führung von Kosciuszko ausgebrochene polnische Aufstand hatte auch bis in das Posener Gebiet hinein seine Auswirkungen. Die unter Führung von Niemojewski und Sokolnicki gebildete Kommission für Großpolen hatte ihren Sitz in Kosten, das ja nur rund 35 km von den deutschen Hauländereien entfernt ist. Bewaffnete polnische Trupps zogen durch das Land und überfielen Postwagen und Kassen und verhafteten in den kleinen Orten preußische Beamte. Wegen der schwachen Militärpräsenz mußten sich die deutschen Bauern und Kleinstädter selber wehren, und Pastor Knispel stellte in seiner Gemeinde einen bewaffneten Selbstschutz auf und gab so ein Beispiel für andere Gemeinden. Er verfaßte auch einen Gegenaufruf als Antwort auf die in Umlauf befindliche polnische Schrift, die den Hauländern Befreiung von Abgaben an den Adel versprach, um sie so gegen Preußen aufzuhetzen. Seine deutsche Schrift verbreitete sich rasch und zeigte durch ihre klare und aufmunternde Sprache bald ihre Wirkung. Er selbst konnte kurz danach feststellen: „Der Erfolg entsprach meinen Wünschen.“ So konnte auch ein Vorstoß von Aufständischen nach Bentschen verhindert werden. Als wieder Ruhe hergestellt war, sammelte er erneut Spenden für die Opfer. Es kamen rund 36 Taler zusammen, eine recht stattliche Summe, wenn man bedenkt, daß bei den deutschen Siedlern Bargeld sehr knapp war.

Von 1790 bis 1817 war Pfarrer Knispel auch Superintendent des Bomster Kirchenkreises. Zur Kirchengemeinde Hammer-Borui gehörten die Hauländereien: Alt- und Neu-Borui, Alt- und Neu-Scharke, die Herrschaft Hammer mit Alexandrowo, Januszewo, Horst u. Sandvorwerk, das Dorf Borui sowie Cichagora (später Ziegenkrug genannt) sowie Bukowiec und Juliana. Die Kirche stand mitten auf dem langgestreckten Kirchenplatz, der erst 1900 erbaute massive Turm im Westen des rechteckigen Kirchenschiffs nur wenige Meter von der Nord-Süd-Wegedurchfahrt entfernt. In ihm befanden sich zwei Glocken. Diese Glocken hingen bis zum Turmbau in einem hohen Glockenstuhl aus starken Holzbalken. Beide waren bei Karl Kallife in Lissa gegossen. Die ältere und zunächst auch einzige trug die Jahreszahl 1714, befand sich wohl früher in einer anderen Kirche. Die neuere und später dazugekommene, aus der gleichen Gießerei in Lissa, trug die Zahl 1824 und war erst später in einem vergrößerten und stabileren Glockenstuhl eingebaut worden. Beide läuteten bis zum Ersten Weltkrieg und wurden, wie auch anderswo, vor Kriegsende für die Metallspende ausgebaut, und erst 1936 konnten neue Glocken aus Danzig feierlich eingeholt und neu eingebaut werden. Das Pfarrhaus und die Schule befanden sich am Nordrand des Kirchenplatzes und weiter drumherum, und an den vier Ausfallwegen errichteten Handwerker und andere Familien ihre Wohnhäuser mit Nebengebäuden. Es gab bald zwei Gasthäuser und zwei Windmühlen. Anstelle der von Hunolds entstand um 1900 sogar eine Dampfmühle, von dessen Dach die Gesamtaufnahme vom Ort in Nordrichtung gemacht wurde. So entwickelte sich mit der Zeit ein richtiger Kirchort. Und schon in der „Historisch, statistisch, topographischen Beschreibung von Südpreußen“ (Leipzig 1798) heißt es u.a.: „H.-B. hat eine lutherische Pfarrkirche mit einem Prediger; 23 Rauchfänge und 45 Familien mit 217 Menschen. Die ganze Gemeinde besteht aus deutschen Kolonisten, und wo die Kirche, das Prediger- und Schulhaus stehen, hat sich ein kleiner Flecken formiert.“

Die Herrschaft Hammer wurde später ein Dominium, und als Hauptmann Busse dessen Pächter war, wurde 1866 Theodor Postler vierter Pastor in H.-B.; nun war die Ortsbezeichnung Kirchplatz-Borui nicht nur im Sprachgebrauch, sondern auch amtlich üblich. Er blieb bis 1873 in diesem abgelegenen Ort und wurde danach Seminarlehrer in Halberstadt und später Seminardirektor in Bütow. Seine Ehefrau Elise betätigte sich als Schriftstellerin und gab unter dem Namen E. Linden später u.a. ein kleines Büchlein heraus mit dem Titel „Unter dem Weihnachtsstern“, das vom alltäglichen Leben der Kleinbauern dieser Gegend berichtete. Viele waren im Lauf der Zeit, vor allem durch den Anbau von Hopfen, der in dieser feuchten Gegend prächtig gedieh und wohl von den „Zisken“ eingeführt wurde, verhältnismäßig wohlhabend geworden. Leider liegt mir nur eine recht umfangreiche Buchbesprechung von Paul Beer (Aus dem Posener Land – 3. Jahrgang 1908) vor Sie schreibt von polnischen Wanderarbeitern, die zur Hopfenernte in die Gegend kamen und sie mit fremden Lauten und Trachten belebten; von dem alten Kantor und dem Schulbetrieb und schildert vor allem die verschneite Winterlandschaft und die weihnachtlichen Bräuche und besondere Kirchensitten. Das hier übliche Quempassingen wird besonders beschrieben, aber auch die nicht weiterlebenden heidnischen Sitten und der Aberglauben. Sie schrieb auch: Unsere arme Kirche hatte keinen Turm, nur vom hohen Glockenstuhl klang das Jauchzen und Jubeln der Weihnachtsglocken. Meilenweit waren sie (die Gläubigen) herbeigeeilt durch unwirtliche Wälder und schlecht gebahnte Wege.

Es war nicht immer leicht, die Pfarrerstelle in diesem Ort neu zu besetzen, manche Amtsinhaber versuchten alles, um bald wieder wegzukommen, und so gab es öfters in dieser recht großen Gemeinde, die bis auf rd. 3500 Seelen angewachsen war, Vakanzzeiten. Dabei gab es oft auch Streit um die Bezahlung für Vertretungen, der bei Pastor lligner aus Friedenhorst sogar zu einem Prozeß führte. So kam es auch, dass das 100jährige Gemeindejubiläum gar nicht gefeiert wurde.

Das alte Pfarrhaus war wegen seines schlechten Zustandes oft auch Hinderungsgrund für eine Neubesetzung, und um 1900 kam man nicht mehr um einen Neubau herum. Der alte Fachwerkbau wurde als nicht mehr reparaturfähig erklärt, und der Neubau sollte über 20 000 Mark kosten. Die Gemeinde sollte ein Drittel der Kosten tragen und über das fiskalische Patronat (Dominium Hammer) sollten die restlichen zwei Drittel abgedeckt werden. Im Ort gab es schon viele schöne Häuser, und die staatliche Schule hatte schon einen Neubau erhalten.

1909 mußte das Kirchendach erneuert werden; die Holzschindeln waren morsch. Zum Glück waren die Holzbalken der Dachkonstruktion noch nicht angegriffen und so stark, daß sie eine Ziegeleindeckung mit leichten schlesischen Dachsteinen tragen konnten. Schon ein Jahr davor mußte die alte Kantorschule neu eingedeckt werden. Wieder mußte die Gemeinde Schulden machen, obwohl der Fiskus als Patron die Hälfte der Kosten trug. Diese hohen Ausgaben trafen die Gemeinde in einer Zeit, da die Hopfenpreise wieder einmal stark gesunken waren, und der Hopfen war ja die Haupteinnahmequelle der meisten Bauern.

1919 wurde die Gegend polnisch, und 1920 wurde Otto Giersch mit der Führung der Gemeinde beauftragt, nachdem der bisherige Pastor August Goldmann nach Schlesien verzogen war. Er hatte bald viel Ärger mit der polnischen Verwaltung, da seine Kinder In Deutschland zur Schule gingen und Schwierigkeiten bei Ferienbesuchen in Polen hatten. Die Einreise wurde ihnen oft verwehrt, und es wurde behauptet, ihr Vater sei ein deutscher Spion und die Kinder überbringen Nachrichten. Pfarrer Giersch war deswegen sogar 2 1/2 Wochen in polnischer Haft. Der Starost in Wollstein hatte wörtlich gesagt: Ich will keine Spione reinlassen! So mußte Pfarrer Giersch nach zwei Amtsjahren seine Stelle aufgeben und nach Schlesien zu seinen Kindern ziehen. Die Gemeinde hatte jetzt noch 2850 Seelen. Zwei Jahre blieb seine Stelle unbesetzt, bis 1924 Johannes Leszczynski nach Borui kam. Am 1. Juni 1927 feierte die Gemeinde mit großem Aufgebot ihr 150jähriges Bestehen. Generalsuperintendent Blau kam aus Posen zur Feier und sogar der polnische Starost aus Wollstein. Vielleicht hatte man auf polnischer Seite eingesehen, daß man Pfarrer Giersch zu Unrecht beschuldigt hatte oder man wollte nur den neuen Pastor mit dem polnischen Namen hofieren.

Wenn man die Liste der in der Gemeinde tätig gewesenen Pastoren durchgeht, so waren eigentlich nur die ersten drei länger als zehn Jahre hier Seelsorger So findet man auch im „Bericht über die General-Kirchenvisitation in den Kirchenkreisen Wollstein-Neutomischel vom 30. Mai bis 22. Juni 1929″ die Bemerkung: Die immer noch 2200 Seelen zählende Gemeinde, die nur etwa 560 Seelen durch Abwanderung verloren hat, gehört zu den größten und kirchlich am festesten gefügten Gemeinden der Diözese. – Und wenig später – Leider ist die Pfarrstelle unbesetzt, da ihr bisheriger Inhaber sich nach Kosten gemeldet hatte.

Wenig später kam 1930 Alexander Bierschenk nach Kirchplatz und war bis zu seinem Tode 1940 Pastor dieser Gemeinde. Er ordnete die vorgefundenen Akten und verfaßte auch eine Gemeindechronik. Sein Sohn Theodor war ja viele Jahre lang führender Schriftleiter unseres Jahrbuchs und darum den Lesern wohlbekannt. Er hat viele Urlaubswochen mit seinen Eltern in dieser Gegend verbracht. Ein großes Ereignis zur Amtszeit von Pastor Bierschenk war die feierliche Einholung der neuen Glocken (eine wog 505 und die andere 519 kg) vom Bahnhof Neutomischel. Viele Gemeidemitglieder und auch mehrere, die nun in Deutschland wohnten, hatten sich durch Spenden an den Kosten beteiligt. Der letzte evangelische Pastor der Gemeinde Kirchplatz-Borui, Walther Threde, war nur kurze Zeit wirklich im Dienst für die Gemeinde, da er bald nach Übernahme seines Amtes zum Wehrdienst eingezogen wurde. Auch er ist den Lesern des Jahrbuchs durch seine Beiträge bekannt geworden. Seine Vertretung übernahm meist Pastor Schenk aus Friedenhorst.

Im Januar 1945 kam die Rote Armee in das Gemeindegebiet. Viele Bewohner waren kurz vorher nach Westen geflüchtet, aber auch viele waren geblieben und fühlten sich in diesem abgelegenen Gebiet sicher. Aber es gab bald auch hier viele unschuldige Opfer.

Polen übernahmen die Höfe und Wohnhäuser, und sehr viele polnische „Umsiedler“ aus den Ostgebieten Vorkriegspolens wurden hier auf ehemals deutschen Höfen angesiedelt und mit der Zeit heimisch. Sie benutzten das evangelische Gotteshaus für ihre katholischen Gottesdienste zuerst eigentlich illegal, denn erst 1948 wurde sie als „sw. Wojciech“-Kirche geweiht und als katholische Parochial-Kirche übernommen.

1955 bis 1957 wurde sie außen mit Ziegelsteinen ummauert und auch im Innern wurden hölzerne durch gemauerte Pfeiler ersetzt. Böse Zungen behaupten, die Umbauung hatte nur das Ziel, das Fachwerk (in Polen auch „pruski mur“ genannt) zu verdecken. Aber man wollte dadurch das außen witterungsanfällige Holz damit schützen; und der später angebaute Turm ist ja auch massiv gebaut, und so entstand dadurch ein einheitliches Bild der Kirche!