Lebensweise der Landleute – Hauländer – Spinnrockenstuben – Spuk- und Geistergeschichten / ca. 1847-1857

"Das festliche Jahr" - Eine Spinnstube - Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Spinnstube

„Das festliche Jahr“ – Eine Spinnstube – Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Spinnstube

In diesem Beitrag ist die Beschreibung des Lebens der Landleute – Hauländer durch B. Roy aus seinem Buch „Kind, Jüngling, Mann“ – Erstveröffentlichung im Jahr 1895 – wiedergegeben.

B. Roy selbst stammte aus einer Familie, in der beide Elternteile berufstätig waren. Sein Vater war Schuster und seine Mutter die Hebamme in und um Neu Tomysl; er beschrieb seine Mutter als „Haupternährerin“ der Familie. Wir haben seine Beschreibung ihrer Tätigkeit im Artikel „Die Hebamme von Neutomischel – um 1830“ im Mai 2012 veröffentlicht.

War in dem Beitrag über die Arbeit seiner Mutter noch von „armen Häuslern und Tagelöhnern“ geschrieben worden, davon, dass sie bei ihrer Anwesenheit zu einer anstehenden Geburt mit „so gut wie keiner Verpflegung“ oft auf die Niederkunft, wenn sie zu früh gerufen worden war, vor Ort blieb, und darüber, dass seine Mutter „immer witzig sagte; „nicht weniger als Alles fehle“ und „wo der Hunger Schildwacht stände“, so beschrieb er nun in diesem Kapitel ein Leben im Überfluss.

Der Autor Johann Carl Berthold Roy war am 23. August 1840 geboren worden. Er verließ 1857 die Stadt Neu Tomysl um in Posen in den Heeresdienst einzutreten.

Sein Bericht wurde weitestgehend nach dem von ihm erlebten Ereignissen als Kind bzw. Jugendlicher aus der Erinnerung, sein Buch erschien 1895, geschrieben. Die ein oder andere Aussage entsprach nicht ganz oder auch überhaupt nicht den tatsächlichen Lebensumständen, dennoch: auch diese Aufzeichnungen enthalten einen und sind ein Teil der Geschichte.

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Lebensweise der Landleute – Hauländer – Spinnrockenstuben – Spuk- und Geistergeschichten

Die Lebensweise der Hauländer war gut; alles was zur Leibesnahrung gehörte, wurde ja in Hülle und Fülle auf dem fruchtbaren Boden erzeugt. In meiner Jugendzeit führte noch keine Eisenbahn durch die Gegend, und der Überfluß an Butter, Käse und Kälbern wurde jede Woche einmal nur zu Wagen durch sogenannte „Fleischer“ nach Posen, der nächsten großen Stadt, zu Markte gebracht. – Der Preisstand für Fleisch und andere hier erzeugte Nahrungsgegenstände stellt sich mit dem von heute (1895) verglichen, um fast zwei Dritteile niedriger.

Obst aller Art und dessen Veredelung scheinen die ersten Ansiedler aus ihren verschiedenen Herkunftsgegenden her gekannt und eingeführt zu haben. Der Obstreichtum in meiner Heimat erscheint mir heute fast unglaublich, die Äste brachen schier unter der Last. Gewöhnliches Obst wurde in manchen Jahren gar nicht abgepflückt; das Abschütteln überließ man Sturm und Winden.

Billige und gute Fische lieferte der Obrafluß mit seinen Nachbarseen sowie die zahlreich angelegten Teiche und Landgräben.

Ein "alter" Hauländerhof in der Umgebung von Nowy Tomyśl / Aufn. GT

Ein „alter“ Hauländerhof in der Umgebung von Nowy Tomyśl / Aufn. GT

Unter so bewandten Verhältnissen konnten freilich Hochzeits-, Tauf- und andere Festtage oft eine Woche lang gefeiert werden. Nicht nur ein junges Rind, sondern Schaf, Schweine, Gänse, Enten wurden geschlachtet und deren Fleisch mit den verschiedensten selbstgezogenen Gemüsen zubereitet und nebst verschiedenen Fischgerichten aufgetragen.

Kaffee begann man erst in einzelnen wohlhabenden Familien und dann auch nur an Sonn- und Festtagen zu trinken. Sonst wurde morgens und abends von Herrschaft und Gesinde nach alter Weise eine Mehl- und Milchsuppe, mit kräftigem Roggenbrot als Zubiß, genossen. Zum zweiten Frühstück und Vesper (4 Uhr nachmittags) verabreichte man eine Brotstulle, im Sommer mit Butter, Käse und Quark (Weichkäse), im Winter auch mit Wurst oder Speck.

An Lohn erhielten Tagelöhner etwa 25 Pfg., außer der üblichen Kost.

Die Kleidung war einfach, derb und dauerhaft. Die Männer trugen durchweg Tuchsachen. Ihre Röcke, deren Schöße fast bis auf die Erde reichten, vererbten sich meist vom Großvater auf Sohn und Enkel. Der Schnitt blieb sich daher ziemlich gleich. Die Frauen, die fast alle einen Webstuhl besaßen, webten, wirkten und stickten sich ihre bunten Sachen meist selbst, bis auf wenige Putzartikel, welche sie entweder vom Hausierer, oder in den Buden des Jahrmarktes oder beim sonntäglichen Gang zur Kirche am Kirchorte einkauften. Und fleißig gingen sie zur Kirche; wer dieses ohne genügenden Grund nicht tat, erfreute sich keinen guten Leumundes. An solchen Tagen zeigte das weibliche Geschlecht seinen größten „Staat“, wie sie es nannten. Wer von ihnen nicht zu Wagen kam, zog sich im Sommer erst vor dem Orte die weißen Strümpfe an. Blumensträuße brachten sie fast alle mit zur Kirche.

Ältere Frauen trugen fast zeitlebens (?) bei festlichen Gelegenheiten seidene, oben in einen kunstvollen Knoten mit zwei hinausgesteiften Enden auslaufende Kopftücher, welche am Hinterkopf gar zierlich eine silber- oder goldgestickte Unterhaube hervorblicken ließen.

Die Wohnungen der Hauländer waren durchschnittlich. äußerst sauber gehalten, auch weiße Gardinen fehlten nicht, und Blumentöpfe auf dem Fensterbrett schmückten das Heim.

Das Feuerungsmaterial bestand fast ausschließlich aus Holz, höchst selten aus Torf, da an kräftigem Tannen-, Buchen- und Eichholz weder auf den einzelnen Besitzungen der Landleute noch in den nicht weit entfernten königlichen Forsten ein Mangel war; ja, die Bauern hatten zu Zeiten, wo die Arbeiten der Landwirtschaft etwas ruhten, noch tüchtige Baumklötze aus der Erde zu roden, die ihre Väter, von denen noch nötigere Besiedlungsarbeiten zu verrichten waren, nach Absägung des Stammes in der Erde gelassen hatten. Solche ausgerodeten Klötze gaben, wie sich denken läßt, an Abenden strenger Winter ein gar stetiges und behagliches Kaminfeuer, um das herum es sich sehr gemütlich „hocken“ ließ. Das taten denn auch die Frauen und Mädchen des Landes, indem sie mit ihren Spinnrocken und begleitet von ihren Männern und Burschen aus der Nachbarschaft kamen, um hier zu bestimmen, an welchem Abend sie sich bei irgend einem anderen Nachbar ein Stelldichein geben würden. War der Abend nicht kalt, so zündet man auch ein Kienfeuer an auf einer umrandeten Blechtafel, welche mittels Drahtketten schwingend an einem großen blechernen, in der Stubenmitte aufgehängten Rauchfang von der Form eines umgekehrten Trichters befestigt war.

Was die Art der Beleuchtung sonst anbetrifft, so kamen außer kleinen, mit Rüb- oder Brennöl gespeisten blechernen Dochtlampen nur noch selbstbereitete, trübselig brennende Lichter aus ungereinigtem Talg zur Verwendung. Die Fortschritte im Beleuchtungswesen sind ja überhaupt noch nicht alten Datums.

"Rocken" - Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Rocken

„Rocken“ – Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/Rocken

Während meiner Schulzeit hatte ich dem etwas beschränkten Jungen eines in der Nähe unseres Städtchens wohnenden reichen Hauländers Nachhilfeunterricht zu geben, und ich blieb oft, wenn das Wetter unfreundlich oder der Abend finster war, auf dem Bauernhofe über Nacht, und so traf es sich manchmal, daß ich ein stummer Gast bei derartigen Spinnrockenzusammenkünften wurde.

Wenn nun die Räder schnurrten, das Kamin- oder Kienlampenfeuer glühte und knisterte, die Tabakswolken zauberhafte Gebilde schufen, draußen die Hofhunde bellend ihre Wachsamkeit bekundeten, und von den Anwesenden immer einer mehr als der andere von erschrecklichen Geschichten zu erzählen wußte, von Geistern und Spuk, von Stellen, wo ein Schatz läge, wo ein Mord geschehen; wo früher der Galgen gestanden und der letzte Verbrecher mit dem Rade hingerichtet worden; und wo die Pferde regelmäßig scheuten: da ist meine ohnehin lebhafte Phantasie gar mächtig erregt worden, und ich hätte beinahe das Gruseln gelernt. Jedenfalls, wenn ich es an solchen Abenden nicht mehr nötig hatte, an deutlich beschriebenen Stellen vorbei nach Hause zu gehen, war niemand froher als ich.

Zweier Schreckgeschichten entsinne ich mich noch deutlich.

„Einst“, so lautete die eine, „habe sich in einer Gesellschaft übermütiger Zecher ein Geselle zufolge einer Wette vermessen, auf dem nahen Kirchhofe in stockfinsterer Nacht um die zwölfte Stunde eine vorher gezeichneten Stab in einen bestimmten Grabhügel fest und tief zu stecken. Nach seiner Rückkehr wollte sich die übrige Gesellschaft von der Ausführung der Tat überzeugen. Der Mann geht fort nach dem Kirchhof. – Doch Stunde auf Stunde verrinnt: er kehrte nicht zurück. Da wird die Gesellschaft bedenklich, und mit der Laterne ausgerüstet geht man auf die Suche. Und was findet man an dem Grabhügel? – Den kühnen Zechgenossen, aber tot.“ Im Finstern schien er nicht gesehen zu haben, daß er den langen Schoß seines Rockes durch den Stab an den Grabhügel befestigt hatte; in der Hast, schnell wieder von der unheimlichen Stelle wegzukommen, sah er sich plötzlich festgehalten, und in dem Wahne, es halte ihn der Tote zurück, fand er vor Schreck den Tod.

Die andere Erzählung lautete folgendermaßen:

„Bei einer Hochzeit, als die Köpfe der Gäste von dem genossenen scharfen Getränken schon erhitzt gewesen, sei man nun auch, wie diese ja auf dem Lande in Ermangelung anderen Redestoffes oft der Fall ist, auf das beliebte Gebiet der Schauergeschichten gekommen. Da wäre unter den zahlreichen Gästen auch der nie aussterbende Prahlhans gewesen, welcher sich zur Bekundung seines gerühmten Mutes erboten hätte, aus dem Gebeinhause des Friedhofes einen der dort aufbewahrten Totenschädel zu holen. Gesagt, getan. – Er kommt zurück, holt unter seinem Mantel den grinsenden Schädel hervor und stellt ihn zwischen die Gläser und Flaschen der Hochzeitstafel. – Er hat ihn kaum hingestellt, da ! – geht die Tür auf, und herein tritt der – leibhaftige Satanas, schwarz behaart und Hörner auf dem Kopf. In demselben Augenblick fängt der Totenschädel an zu rollen, und die Gläser fangen an umzustürzen. Die Frauen sinken aufschreiend in Ohnmacht, und krampfhaft halten sie sich am Tischtuch fest, dasselbe mit herunterreißend. Durch das demzufolge umstürzende Geschirr und die zu Boden fallenden Gläser wird der Lärm und das Entsetzen nur vermehrt. Auch die Männer sind starr vor Grausen. Der Schreck hat mehrere hingerafft und viele auf das Krankenlager geworfen.“ – Und der ursächliche Zusammenhang dieses entsetzlichen Auftrittes ? – Ein zweiter der Gäste war, um den Helden vielleicht ob seines Wagemutes zu bestrafen, nach dessen Weggange heimlich hinausgegangen, hatte sich verkleidet und das noch gehörnte Fell des zur Hochzeit geschlachteten schwarzen Rindes umgetan und den Augenblick abgewartet, wo der zweifelhafte Held den Schädel auf die Tafel setzen würde. – Eine in dem Schädel befindliche Ratte, erschreckt und in dem Bestreben, ihre Freiheit wiederzugewinnen, hatte den Schädel umgestürzte und nun alle, auch den „Satanes“, in Schrecken gesetzt.“