In der „Festschrift zum 125. jährigen Jubiläum der Schützengilde Neutomischel und 18.Bundesschießen des Schützenbundes Neumarkt-Posen“ erschien nachstehender Artikel unter der einfachen Überschrift „Neutomischel“ um eine Unterscheidung zu anderen Veröffentlichungen zu erhalten erfolgte hier er eine Ergänzung, daher hier „Neutomischel / Eine Luftreise im Jahr 1914″ ; er ist durchsetzt von einer leichten Ironie und die Frage ob er wirklich ganz ernst zu nehmen ist, wird auch hier unbeantwortet gelassen; möge der Leser selbst entscheiden . . .
Eine Kopie der Festschrift wurde zur Verfügung gestellt von Herrn Dieter Maennel, Kassel aus dem von ihm geführten Maennel-Archiv.
Anmerkungen der Autoren dieser Seite wurden in Kursivschrift in eckige Klammern eingeschoben.
Soweit nicht anders vermerkt, stammen die hier abgebildeten Postkarten aus der Sammlung des Hr. Wojtek Szkudlarski und wurden mit dessen freundlicher Genehmigung hier verwendet.
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Ergänzung (04-07-2010 PM): Ich war neugierig ob die ganze Gruppe wirklich imstande gewesen war diese Strecke wie beschrieben zurücklegen zu können. Es erwies sich, dass die Gesamtentfernung zwischen dem Landeplatz des Zeppelins und dem Schützenhaus als Ziel in etwa 8,5 km beträgt. Basierend auf einem gemütlichen Spaziergangs-Tempo der Fußgänger von 4 km/h, kann man diese Route tatsächlich in 2 Stunden bewältigen; rechnet man dann zusätzlich noch Zeit für eine Rast, so sind 4 Stunden insgesamt eine durchaus realistische Zeit. Im Text ist beschrieben, dass der Zeppelin Z5 ist um 9:00 Uhr gelandet sei, nimmt man jetzt die 4 Stunden des Spaziergangs hinzu, könnten die Besucher gegen 13:00h zum Gabelfrühstück im Schützenhaus eingetroffen gewesen sein.
Neutomischel
Wir hatten gerade mit Wohlbehagen in den Gondeln unseren Mokka geschlürft, als der Ruf des Kapitäns ertönte: Neutomischel in Sicht! — Weil wir nämlich hier militärfromm sind, aber nicht so wie in Zabern, hatte uns die Militärverwaltung das Luftschiff Z 5 zur Verfügung gestellt zwecks Abholung derjenigen Gäste, die mit den Freuden des Jubel- und Bundesschießens auch die einer Luftfahrt verbinden wollten.
Ein entzückender Anblick bot sich uns, denn die Wolken hatten sich geteilt. Prächtiges Grün in allen Schattierungen umrahmte die wie in einem großen Park behaglich ruhende Stadt, aus der sich der Kirchturm und der Wasserturm besonders gefällig abhoben, während das frische Rot zahlreicher Ziegeldächer gegen das Grün ein wunderbares Farbenspiel abgab. Die Hopfenanlagen boten manchem Beschauer, der sie noch nicht auf der Vogelschau gesehen hatte, einen eigentümlichen Reiz. Bei der üblichen Schleifenfahrt entboten wir der Feststadt unseren Gruß. Da bevölkerten krabbelnde kleine dunklere und hellere Punkte und Knäuel die regelmäßig angelegten Straßen und Plätze, auf denen sich die Baumreihen wie grüne Fäden ausnahmen. Beim Umkreisen des Kirchturms war selbst die etwas verblichene Sonnenuhr zu erkennen, ihr Zeiger stand zwischen 8 und 9 Uhr.
Wir machten nun alles möglich, indem wir Noah auf dem Berge Ararat auf einer Höhe nordwestlich der Stadt mit Hilfe von durch Funkspruch herbeigerufenen Mannschaften des verstärkten Bezirkskommandos glücklich den Gondeln entschlüpften. Außer den Mitgliedern des Empfangsausschusses begrüßte uns der vorzüglich geschulte Verein für gemischten Chorgesang mit dem Liede: „Wenn ich ein Vöglein wär’!“
Nach diesem Genuss gingen wir von dem Gipfel, auf dem am 18. Oktober 1913 [Datum der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals zu Leipzig] das Weihefeuer hellauf loderte, und der zu Winterszeit dem Rodelsport dient, zu Tal und gerieten zunächst in die Hartsteinfabrik {1} des Herrn Hasenfelder, der uns händeringend vor Freuden empfing. Interessenten, die Baukunst bekommen oder den Betrieb besichtigen wollen, mögen sich aber am Werktage einfinden. Von dort gelangte unsere Gesellschaft auf die Chaussee, die Tirschtiegel und Neustadt b. P. mit uns verbindet. Hier winkten wir unserm sich schnell in der Richtung nach Posen entfernenden Z 5 zu.
Beim Anblick der schleppfüssigen bunten Rinder, die auf der Sonntagsweide sich auf ihre Art an dem Wiesengrün ergötzten, konnte man wirklich nicht ahnen, dass wir uns einer Stadt näherten, deren Weltruf unser Führer den fremden Besuchern ad oculos zu demonstrieren versprach. Wir befanden uns bald in einer Vorstadt, die den schönen Namen Rutschkowe {2} führt: man versäume aber nicht, nach Gewohnheit der hier wohnenden Bevölkerung das „o“ des Wohlklangs wegen möglichst offen auszusprechen. Die Schule, an der wir weiter vorbeikamen, ist aber an diesem „Lokalismus“ (au, dieses Wort!) wirklich nicht schuld. Hinter der großen Maschinenfabrik {3} von Richter die Landwirtschaftliche Schule {4}, auch kurz „Bauernakademie“ genannt. Die Bedeutung dieser Institute dürfte allgemein bekannt sein, und deshalb will uns der Führer auch nicht mit großen Reden über die Tüchtigkeit ihrer Lehrkräfte belästigen. Vielmehr nur sehen, sehen! Und staunen! Zur rechten Hand macht eine stattliche Reihe von Privatvillen {5} einen vornehmen Eindruck, links das Katasteramt {6} harrt noch eines so schönen Baues in zeitgemäßem Stile. An dieser Stelle fesselt unser Auge aber schon das vor uns liegende gewaltige Gebäude der Schmidt’schen Dampfmühle {7}. Nach Nordwesten führt der Weg über Friedenwalde pp. nach Bentschen. Auf diesem kann man zwischen zwei Teichen {8} sich das liebliche „sub aqua“ ihrer Bewohner nach Herzenslust kostenfrei anhören. Im Winter zwei Eisbahnen! Auf dem bald erreichten Neuen Markt winken flatternde Fahnen erhebenden Festgruß, und überall passt sich frisches Grün
unseren Schützenröcken an. Rechts in der Ecke: Das hilfsbereite Bezirkskommando {9}, blüht im Verborgenen! In der Nähe: Die Apotheke {10}, kämpft im Schatten! Der Führer aber steuerte uns das vor uns liegende massige Rathaus{11}, in dem nach seiner Erklärung sich Magistrat mit seinem „Drum und Dran“, das Amtsgericht und die Kaserne der Soldaten des Bezirkskommandos befindet. Die Züllichauer Herren machten aus Ulanenstolz ob der Bezeichnung „Kaserne“ zweifelhafte Mienen. Wir folgten in den Sitzungssaal der Stadtverordneten, in dem die Begeisterung unseres Führers hell ausloderte beim Anblick der zahllosen
Auszeichnungen für Hopfenkultur. Unter diesen befinden sich außer deutschen solche aus Dublin, Paris und Wien. Als er behauptete, dass man sich auch auf den Weltmärkten Englands über die Güte des Neutomischler Hopfens einig sei, da ließ es den Bomster Herren nicht länger Ruhe, auch auf die Bedeutung ihrer Weinberge hinzuweisen. Und die Unruhstädter bekamen‘s mit der Unruhe zu tun, denn auch sie wollten darin etwas gelten. Es kam zu einer bedenklichen Debatte, in die auch die Bentschener und Wollsteiner einfielen. Sie behaupteten sich als See- und Handelsstädte, dazu betonte Bentschen noch seinen Knotenpunkt und Pferdemarkt. Die Tirschtiegeler renommierten mit ihrem Umsatz aus der Weidenkultur und stammelten etwas von ihren „Millionenbauer“. Die Züllichauer aber drohten, dass sie, wenn der Streit nicht bald ein Ende finde, und es gar zum offenen Kampfe käme, sie ihre Ulanen eine Attacke auf das Rathaus reiten lassen würden. Die Meseritzer erklärten, sie seien zum Bundesschießen und nicht auf einen Städtetag nach Neutomischel gekommen und würden sich wohl hüten, ihre Kräfte hier zu vergeuden, es läge ihnen vielmehr daran, den Bundeskönig in ihre Mauern zu führen. Schwiebus endlich legte den Streit bei, weil sein Vertreter durch eine gewaltige Dauerrede alle Zuhörer erschöpfte. Man befeuchtete durch das schleunigst herbeigeholte weltberühmte Grätzer Bier die trocken gewordene Kehle. Die Grätzer selbst waren zum Glück nicht da, und die Neustädter bei Pinne standen in einer Ecke wie begossene Pudel, weil ihnen das Sprechen schwer fiel.
Wieder an der frischen Luft angelangt, zog es einige Schützen nach dem in die Augen fallenden Gildehaus {22} [Garnter Gasthaus] zum Versöhnungsschoppen bei „Unruhstadt-Bomster Jahrgang 1911“. Der beruhigte Führer wollte uns die neueste Errungenschaft unserer Stadt, das Wasserwerk {12} vorführen. Wir bogen recht ab, umschritten das Rathaus {11}, folgten ihm in die Friedenstraße und standen zunächst vor der 1903 erbauten Gasanstalt {13}. Ihre Besichtigung kürzten wir ab, weil die Einrichtung allgemein bekannt schien und die zweifelhaften Düfte den Aufenthalt wenig angenehm machten. Das ganz in der Nähe befindliche Wasserwerk {12}, mit allen neuzeitlichen Einrichtungen ausgestattet, nahmen wir eingehend in Augenschein und überzeugten uns von der Vortrefflichkeit der Anlage, auch der Baustil des Wasserturms{12} fand ungeteilten Beifall. Ein Herr aus Bentschen fragte nach der Lage des Schlachthauses, da schwieg der Führer, als hörte er es nicht. Auf dem Rückwege nach dem Neuen Markt passierten wir das geräumige Anwesen des Herrn Karl Ed. Goldmann, auf dessen Lokalmuseum {14} Liebhaber empfehlend hingewiesen seien.
Herr Goldmann bat die Schützenbrüder, auf der Rumpelkammer nach Schützenkleinodien zu forschen, die etwa dort ihre Vorfahren haben in Sicherheit bringen wollen. Jetzt lenkten wir vom Neuen Markt in die Lange Straße ein, wo die Orgeltöne des Kirchleins der evangelisch-lutherischen Kirche {15} [abgerissen in 70-ger Jahren, heute Gebäude mit Geschäften] wohltuend an unser Ohr drangen. Links sehen wir das weinberankte Wohnhaus des Pfarrers {16} [heute das Gebäude der Staatsanwaltschaft] dieser Kirche, einige Schritte weiter ist zu beiden Seiten der Straße die Ausrüstung für ein Bataillon Infanterie {17} nebst Wagenpark untergebracht. Ausfallend wurde hier das Niesen. Ursache: Mottenpulver! Diesem Gebäude schließt sich links die Judenschule {18} und Synagoge {19} an, alsdann folgt die große Oelmühle der Firma Paech u. Wolff {20}. Unser Führer aber wendet sich hier, und wir folgen ihm geduldig wieder nach dem Neuen Markte. Als wir uns in der Richtung nach der Maennel’schen Dampfmühle{21} befanden, schlossen sich unsere nunmehr versöhnten Schützenbrüder vom Gildelokal{22} an. Nach den eindrucksvollen Erfahrungen, die die Besucher dort gesammelt hatten, kann man den Wirt nur als ein „Muster der Höflichkeit“ besonders Gästen gegenüber bezeichnen! — Zu der dem Laubengang in Sanssouci gleichenden Goldstraße {22}, die äußerst verkehrsreich, aber etwas eng ist, hatten wir Mühe durchzukommen, denn hier hatten sich verschiedene Neutomischeler postiert, um alte liebe Bekannte händeschüttelnd oder auch mit Umärmelung zu begrüßen. Aus jedem Fenster schon vom Neuen Markte an wie auch weiterhin sah man das freundliche Winken der Damen Neutomischels, bei deren Anblick manches Schützenauge hell aufleuchtete. Konnte man doch die Wahrnehmung machen, dass auf den schönen Gesichtern sich nicht nur zartes Seelenleben widerspiegelte, sondern dass auch Klugheit und Bildung aus ihnen stark ausgeprägt war. Dieser Umstand schien den fremden Herren besonders aufzufallen. Die Toiletten fanden sie einfach „blendend“. Der Alte Markt nun gar, der in eine große Laube verwandelt schien, deren Dach klarblauer Himmel war, machte auf alle Teilnehmer an dem Spaziergang einen erhebenden Eindruck.
Man konnte aber gleichzeitig die Wahrnehmung machen, dass sich bei einigen Schützen die Augenweide auch erstrebte auf die Umschau nach „Lokalen“, die hier reichlich vorhanden sind. Der Führer machte darauf aufmerksam, dass man sich aber auch die Lage seiner Wohnung einprägen möge, damit man diese nach dem Besuch der Lokale finde. Erwies dann auf das Kriegerdenkmal {23} hin und die neben ihm liegende, im Kreuzbaustil gehaltene evangelische Kirche {24}, die ringsum von prächtigen alten Linden flankiert wird. In dem eigentümlichen Torbau des Reichspostamts {25} empfing uns Herr Postmeister Bergmann, auch ein treuer Schützenfreund, der von alten bekannten Züllichauern stürmisch begrüßt wurde. Seiner harrte die Lösung vieler schwieriger Fragen, und seine Belehrung schätzte man hoch. Der Führer stellte mit Missbehagen fest, dass ein Teil seiner Gefolgschaft sich das Menschengedränge zu Nütze gemacht hatte, um in die zahlreichen Lokale und in die Konditorei zu verschwinden.
Trotzdem lenkte er aber jetzt eiligeren Schritts in die nach dem Witte-Platz {26} führende Straße. Witte! [viele Jahre Burgermeister der Stadt] Helle Freude löste dieser Name unter den Schützenbrüdern aus, die ihn noch kannten. Diesen Mann, der es sich bis in sein hohes Alter nicht nehmen ließ, die Bestrebungen der Schützensache zu fördern. An jedem Schützenfeste, jedem Bundesschießen nahm er mit Freuden tätigen Anteil. In derlei Gespräche vertieft, wären wir beinahe über die Turngeräte und das Tennisballnetz gestolpert, so dass wir nicht gewahrten, dass unsere Schar wieder vollzählig geworden war. Am Witte-Stein gedachten wir vergangener fröhlicher Stunden, die wir mit unserem Schützenfreunde verleben durften. Mögen uns nach seinem Vorbilde immer Freunde erhalten bleiben! Auf dem angrenzenden Kaiser Wilhelm-Platz {27} gibt uns Herr Karl Ed. Goldmann eine Beschreibung des nach seinem leider etwas abgeänderten Entwurf erbauten Denkmals zur Erinnerung an die Befreiungskämpfe {27} und das 25jährige Regierungsjubiläum unseres Kaisers. Die Vorarbeiten für die endliche Ausschmückung und die Aufstellung des noch dazugehörigen Sinnbildes sollen im Gange sein.
Durch den schattigen Stadtpark wandern wir bald rechts, bald links herum nach den Ostdeutschen Gasglühlichtwerken {28}, wo uns ihr Direktor, Herr Paech, mit seinem Stabe schon längst erwartet hatte, um sein Licht leuchten zu lassen. Die unter seiner Führung besichtigten Einrichtungen, die für die meisten Besucher etwas Neues waren, erweckten allgemeines Interesse. Auch in dieser industriellen Anlage liegt ein Stück Neutomischeler Weltruf, werden doch die hier hergestellten Glühkörper über den ganzen Erdkreis verbreitet. Wie dem auch sei: Glühwürmchen machen sich nur des Abends bemerkbar! Wir verlassen mit Dankesworten an Herrn Paech befriedigt die Fabrik und würdigen wieder von der Bahnhofstraße aus mit Kennerblick den Bau des Pfarrhauses {29}und der daneben zwischen schattigen Bäumen liegenden katholischen Kirche {30}. Alsdann tritt auf der rechten Seite das aus vielen großen Fenstern bestehende Gebäude der höheren Schule {31} (Luisenschule) in die Erscheinung. Über den Baustil ist hier nichts zu sagen, weil nämlich keiner vorhanden ist. Dagegen sollen die Lehrkräfte, wie der Herr Führer betont, großen Wert auf guten Stil im deutschen, mehr noch im französischen (!) Aufsatz legen. Hinter dem nahen Gehöft „bei Ecktepper“ {32} aber lassen sich unser Führer und einige alte Herren erschöpft auf einer Bank nieder. Die Abkürzung „V. V. Nr. 6“ gab zu den verschiedensten Deutungen Anlass. Vermutlich soll es heißen „Verschönerungsverein Nr. 6“, einige behaupteten aber, es könne nur „Viel Vergnügen Nr. 6“ gemeint sein. Der Zweck der Bänke soll jedenfalls auch der sein, Gelegenheit zum Zubinden aufgelöster Schnürsenkel zu bieten. Dann kann man aber nicht verstehen, weshalb sie so tief verankert sind. Oder soll das ein Mittel gegen die gefürchteten „Bankräuber“ sein? — Der Führer wies uns u. a. auf die Fabrikanlage der Kartoffel-Trocknungs-Genossenschaft {33} hin. Er bemerkte erläuternd, dass dort zumeist große Kartoffeln abgeliefert werden, bittet aber eindringlich, nicht etwa von der Größe der Kartoffeln auf die Intelligenz ihrer Anbauer Schlüsse zu ziehen. Dort in der Nähe steht auch ein Gebäude der Kleinbahnverwaltung {34}, das als ein Gegenstück zum schiefen Turm von Pisa gelten kann. Weiter links erheben sich über den Baumkronen die Schornsteine des Bahnhofsgebäudes {35}, dessen Besichtigung wir uns aber ersparten, weil der Führer uns damit tröstete, dass alles, was auf dem Bahnhofe sehenswert sei, sich auch sicherlich in figura auf dem Festplatz zeigen würde. Nachdem wir uns durch abwechselndes Sitzen auf der bewussten Bank wieder erholt hatten und umkehren wollten, ertönte vom Bahnhof her Hörnerklang und Trompetenschall. Aus der Marschweise: „Mit dem Pfeil, dem Bogen“ entnahmen wir, dass sich Bundesbrüder, die aus Kirchplatz und Paprotsch per pedes und die aus den anderen Bundesstädten mit dem Dampfross eingefunden hatten. Das war ein freudiges Begrüßen hier und dort, glaubte man doch, wir hätten mit unserm Z 5 Schiffbruch gelitten. Wir schlossen uns dem Zuge an.
Auf dem Marktplatz bogen wir rechts ab an der Elementarschule {36} und dem Wohnhaus des evangelischen Kantors {36} vorbei. Wir blieben vor dem evangelischen Pfarrhause {37} an der Stelle stehen, wo man ehemals im Schatten der mächtigen Lindenbäume an der sogenannten „Pastorpumpe“{38} [wahrscheinlich in der Ecke, neben Sportplatz] am Feierabend Liebesgeflüster vernehmen konnte. Der Führer nannte diese Gegend die „musikalische Ecke“. Im schönen Monat Mai nämlich lässt die Nachtigall hier ihre herrliche Stimme ertönen im Wettstreit mit dem lieblichen Gesang und der Instrumentalmusik, die aus den umliegenden Häusern manchmal bis spät in die Nacht hinein dringt. Die Bomster Herren natürlich behaupteten gleich wieder, dass das alles nichts bedeute gegenüber den Leistungen ihrer weit und breit bekannten Stadtkapelle. Jetzt nahm uns die Posener Straße auf.
Kurz vor ihrer Gabelung stehen wir vor dem Hause des allverehrten Schützenkönigs der Jubelgilde, Fleischermeister {39} Paul Schmidt [Posener Str 130a]. Trotz seiner majestätischen Würde ist das Fleisch bei ihm nicht teurer und die Wurst nicht kleiner geworden. Vor diesem Hause stehend, wurden wir auf einen rechten Seitenweg aufmerksam, der zu der Paech’schen Weidenschälerei {40}[heute grosses Neutomischler Geschäftshaus] führt, als deren Wahrzeichen der Windmotor weithin sichtbar ist. Buttermilchgasse hieß dieser Weg mit Recht, jetzt nennt man ihn leider Gartenstraße, weil nämlich keine Gärten daran liegen. Die Straße links führt uns vorbei an der bei Herrn Lehrer Bölsch eingerichteten Wetterdienststelle {41} einer der vier in der Provinz Posen befindlichen. Hier weiß man, wie der Wind weht! Weiter folgt die Dampfschneidemühle {42} des Herrn Bruno Roy [2005 abgerissen], der kein Opfer für die Schützensache scheut. Die Straße schneidet dann das Rittergut Alttomischel des Herrn von Poncet {43}, Rose {44} des Herrn Kurt Schwartzkopff. Hier ruhen die sterblichen Überreste unseres verehrten und in Neutomischel
besonders beliebten Oberpräsidenten, Excellenz H. Dr. [Philipp] Schwarzkopff [siehe hier verstarb 30-05-1914, also kurz vor der beschriebenen Feier]. Endlich folgt Wonsowo, das Majorat des Zeremonienmeisters Ihrer Majestät, Herrn von Hardt. Wir wendeten uns in die Grätzer Straße, die bis zum Schützenhause {49} treffender Schützenstraße hieße und zogen zunächst das Gebäude für das Landratsamt{45} mit seinen angegliederten Organen in den Kreis unserer Betrachtung, dem dann ein Blick nach der freundlichen Häuserreihe der Kleinsiedlungsgenossenschaft {46} folgte. Der Bau des neuen Krankenhauses {47} fand ungeteilten Beifall [eröffnet 1913, die Entwürfe stammten vom Architekturbüro Carl Mohr i Weidner Charlottenburg Bismarckstr 79. Die Bauzeit dauerte unter ihrer Kontrolle von 1912 bis 1913, eine erste Belegungsgrösse war für bis zu 36 Betten ausgelegt, mit einer Erweiterungsmöglichkeit auf 56 Betten, die Baukosten beliefen sich 160 RM. Dem Link folgend kann man Vergleiche zu anderen Krankenhäusern anstellen, es scheint ein „typischer“ Standard-Entwurf jener Zeit gewesen zu sein http://www.glass-portal.privat.t-online.de/suelzhayn/architekt/mohr_und_weidner1.2.htm]. Rechts ruhte das Auge auf saftigem Grün hohe buschige Erlen und Weiden durchquerten die ausgedehnten Wiesen, und wohlbestellte Felder ließen hier wieder den Fleiß des Landmanns erkennen. Ein Weinberg zeugte von vergangener Pracht.
Immer mehr beflügelten Hunger- und Durstgefühl den Gang unseres Führers, wir alle folgten ihm in demselben Tempo, denn wir wurden von gleichen Gefühlen geplagt. Trotz dieser Eile nahmen wir aber noch von der Anlage der Orgelbauanstalt {48}, der für eine kleine Stadt so seltenen Einrichtung, mit Befriedigung Kenntnis. Ausfallend war hier die Aufstellung zahlreicher Kinder nach Art der Orgelpfeifen. Die Zinnen und Flaggen unseres förmlich in Grün eingewickelten Schützenhauses {49} lockten uns; der gefällige schlossartige Baustil war trotz der Ausschmückung zu erkennen. Herr Niedermeyer, der Wirt, legt Wert darauf, das ruinenhafte Aussehen des Baues zu erhalten, deswegen wird jede Restaurierung im Innern und Äußern ängstlich vermieden.
Bei schäumendem Aßmannshäuser von dem von Weinkennern behauptet wurde, dass seine Heimat die Unruhstadt-Bomster Weinberge seien, und er nur in Aßmannshausen zur Taufe gehalten werde, sowie bei dem köstlichen Gabelfrühstück wurden die auswärtigen Herren sich darüber einig, dass Neutomischel durchaus nicht etwa den Eindruck einer Kleinstadt mache und sich zur Feststadt eigne wie keine andere. — Da rief die Schützenarbeit!
— Hier a Bischel, da a Bischel,
und dazwischen Neutomischel!
— n.