Unseren Artikel „Das Rathaus – gebaut als Amtsgericht – und Gefängnisgebäude der Stadt im Jahr 1879 (http://oledry.pl/de/das-rathaus-gebaut-als-amtsgericht-und-gefangnisgebaude-der-stadt-im-jahr-1879/) haben wir mit der erteilten Baugenehmigung vom 10. Februar 1879 begonnen.
Durch einige weitere Dokumentenfunde ist es nun noch möglich, etwas über die Vereinbarungen zwischen dem Justizfiskus und dem Königlichen Gerichtsrat in Posen einerseits und der Stadt Neutomischel andererseits zu ergänzen. Diese Vereinbarung hat letztlich, den Dokumenten nach zu urteilen, den Ausschlag gegeben dieses Gebäude, wie wir es heute noch in Nowy Tomysl besichtigen können, zu errichten.
Die Frage warum sich eine „Provinznest“, denn nichts anderes war Neutomischel im Jahr 1879, einen solchen „Monumentalbau“ eines Gerichts- und Gefängnisses leistete ist damit zwar noch nicht schlüssig beantwortet; aber vermutlich hatte es auch etwas mit dem Prestige der Stadt und dem Versuch der Bedeutungslosigkeit zu entkommen zu tun. Oder waren die „guten Beziehungen“ zu den Justizbehörden, Neutomischel hatte die Zellen seines Stadtgefängnisse zuvor auch schon an das Gerichtsgefängnis Grätz vermietet, der Grund warum die Stadt sich so hoch verschuldete.
Die Bausumme hatte letztlich 67.900 Mark betragen, wovon allein 45.000 Mark zu einem jährlichen Zinssatz von 5% als Darlehen aufgenommen worden waren – wie sich das Ganze im Stadthaushalt darstellte, welche Einnahme diesen gewaltigen Ausgaben gegenüber standen wissen wir bis heute noch nicht.
Im Sommer 1878 , genauer am 16. Juli 1878, also sechs Monate bevor die Baugenehmigung erteilt wurde, wurde zwischen dem Justizfiskus Posen, vertreten durch den Königlichen Gerichtsrat Herrn Paul Hülse (auch Hilse geschrieben) und dem Bürgermeister der Stadt Neutomischel Herrn Karl Witte, ein Vertrag im Falle dessen, das ein Amtsgericht in der Stadt errichtet werden würde, geschlossen.
In diesem Vertrag im § 2 heißt es darin, dass die Stadt sich verpflichtet in einem neuen und massiv zu errichtendem Gebäude
- 1 Schöffensitzungssaal von 7m Breite und 8,5m Tiefe, 6 Zimmer von 5m Breite und 6m Tiefe und 6 Zimmer von 3,5 m Breite und 6m Tiefe
einzurichten und „zu ebener Erde“
- 1 gewölbtes Lokal für die Grundbücher, 1 Pfandkammer und 2 Kammern für die reponierten Akten
In einem zweiten Gebäude, dieses durch einen gemeinsamen Hof mit dem ersten verbunden, sollten
- 6 Einzelzellen, jede 25 Raumeter, 3 größere Zellen von mindestens 60 Raummetern, 1 Gefängnisküche, 1 Waschküche, 1 Badezelle, 1 Keller und 1 Gefangenenwärterwohnung mit 2 Zimmern, Kammerküche und Keller
erbaut werden.
Alle Räume des Erdgeschosses sollten eine lichte Höhe von 4m und alle des 1sten Stocke eine Höhe von 4,5 m aufweisen.
Der gemeinsame Hof sollte von einer 5 Meter hohen Mauer umgeben bestehen, wobei der Gefängnishof nochmals durch eine Mauer abgetrennt sein sollte. Der Hof sollte durch eine Einfahrt u. a. für Zulieferungen erreichbar sein.
Als letzter Punkt wurde dann noch
- 1 Gelass für die Lagerung eines Jahresbedarfs an Heizmaterial eingefordert.
Auch bei der Inneneinrichtung wurde die Stadt verpflichtet zahlreiche Auflagen zu erfüllen:
- die Amtsräume und Wohnungen waren mit doppelten Fenstern auszustatten
- eine angemessene Wandbekleidung war vorgeschrieben
- im Schöffensaal war der Fußboden dort wo das Gericht tagen würde zu erhöhen
- Barrieren für den Sitz des Angeklagten und für die Abgrenzung zum Publikum waren aufzustellen
- Öfen für die Kohlenbeheizung des Saal, der Amtsräume, der Wohnräume und den Zellen waren aufzustellen
- die Zellenfenster, welche nur nach dem Innenhof zeigen durften waren mit eisernen Gittern zu versehen.
- im Hof war ein Brunnen herzustellen
Die Justizverwaltung erhielt noch eine 4wöchige Frist nach Vertragsgenehmigung, bauliche Änderungen die vom Fiskusamt, welches diesen Vertrag zeichnete, einzufordern. Gleichzeitig aber auch das Recht eine geringere Raumzahl geltend zu machen: statt der 6 größeren Zimmer nur 5, statt der 6 kleineren Zimmer nur 3 und auch weniger Einzelzellen.
Letztlich erfolgte die Bestätigung, so die Aufstellung im Anschlussvertrag vom 14. Dezember 1878 für:
- 1 Schöffensaal, 5 zweifenstrige und 3 einfenstriege Zimmer, 2 Aktenkammern, 1 Pfandkammer, 1 Gewölbe für die Grundbücher 3 Zellen zu 60 Raummeter, 3 Zellen zu 25 Raummeter, 1 Badezelle, 1 Wasch- und 1 Kochküche, 1 Wohnung für den Gefangenenwärter, Abritte, 1 Keller und 1 Kohlengelass
Die Stadt blieb ebenfalls in der Verpflichtung vorkommende Reparaturen auf Ihre Kosten auszuführen. Auch war sie für die Tapezierung der Wände zuständig, wenn der 1ste Anstrich schadhaft geworden war.
Der Rohbau, so die Verpflichtung der Stadt hatte bis zum 1. Mai 1879 fertig gestellt zu sein, alle anderen Arbeiten einschließlich der Innenausstattung bis zum 1. September 1879. Jeder begonnene Monat Verzögerung würde für die Stadt nicht nur eine Konventionalstrafe von 500 Mark bedeutet haben, sondern sie hatte zusätzlich für die Zeit der Verzögerung, für die anderweitige Unterbringung des Gerichtes und des Gefängnisses die Kosten zu tragen.
Bei Errichtung des Baues auf dem Neuen Markt der Stadt, so die Vereinbarung, hätte die Stadt die Verpflichtung diesen zu pflastern. Dieser Punkt erhielt in Dezember 1878 im Anschlussvertrag eine Erklärung dahingehend, dass man ausführte, dass dieser Punkt dahingehend zu verstehen sei, dass nur von allen Straßengängen gepflasterte Bahnen von zehn Fuß Breite zum Gerichtseingang hergestellt werden müssten.
Das Ganze klingt bis hier wie ein einseitiger Knebelvertrag.
Doch es gab hierzu eine Gegenverpflichtung des Fiskusamtes bzw. der Königlichen Justizverwaltung. Diese nämlich verpflichteten sich auf 30 Jahre vom 1. Oktober 1879 ab gerechnet, die erforderlichen Räume für das Amtsgericht und dessen Geschäftsbüros und den Gefängniseinrichtungen zu mieten. Die Miete wurde auf jährlich 2.000 Mark mit ¼ jährlicher Zahlung im Quartalsende festgeschrieben. Dieses aber unter dem Vorbehalt, dass wenn die Justizverwaltung die Raumanzahl verringern würde, sich dann auch die Mietzahlung auf nur 1.500 Mark reduzieren würde. Letztlich wurden zwar an den Raumzahlen einige Änderungen vorgenommen, trotzdem wurden aber doch die 2.000 Mark Mietzins bestätigt.
Das Mietende sollte nach den 30 Jahren mit einer 6 monatigen Kündigungsfrist enden, oder wenn die Stadt Neutomischel den Sitz eines Amtsgerichtes nicht mehr inne gehabt hätte. Aber auch für letzteren Fall gab es eine Vereinbarung:
- bei Kündigung und Aufhebung bis 10 Jahren hatte der Justizfiskus der Stadt die Hälfte, der Kosten für den Bau und dessen ersten Ausstattung zu vergüten
- bei späterer Kündigung vor Ablauf der 30 Jahre, ermäßigte sich die Erstattung mit jedem Jahr um 2 ½ % der Kosten der Bau- und Einrichtungskosten
Dieser am 16. Juli 1878 geschlossene Vertrag war bis einschließlich dem 1. August 1878 in der Annahme der Justizverwaltung offen. Die Stadt hatte innerhalb von acht Tagen einen Plan des Grundrisses des Bauvorhabens einzureichen.
Wenn man es sich zeitlich anschaut, dann war die Zeit vom der endgültigen Vertragsgültigkeit vom 1. August 1878 bis zur verbindlicher Errichtung des Rohbaus per 1. Mai 1879 unter Abzug der Wintermonate doch recht knapp bemessen; vermutlich resultiert aus dieser unangemessenen Terminierung, die im Anschlussvertrag vom Dezember 1878 genannte Verlängerung der Fertigstellung des Rohbaus auf den 1. August 1879. Abgerückt wurde nicht von dem vollständigen Fertigstellungsdatum per 20zigsten September 1879.
Wir wissen, dass dieser Termin nicht eingehalten wurde, da erst per 20zigsten September der Versand per Eisenbahnwaggon der “Utensilien für die Geschäfts- und Gefängnißlokale“ aus Posen vorgenommen worden war. Aber wir wissen auch, dass per 01. Oktober 1879, wie aus Posen vorgegeben, das Amtsgericht Neutomischel „ins Leben getreten“ war.