Neutomischel war in „stockfinsterer“ Nacht gefährlich – 1902

Es ist dunkel in Neutomischel – Aufn. PM

Neutomischel, den 3. VIII. 1902

An das Königliche Landrathsamt Neutomischel !

Dem Königlichen Landrathsamt erlaube mir, folgende Beschwerde vorzulegen:

Mit Ermächtigung von mehreren Herren, Herrn Major v. Hesse, Herrn Postmeister Hofmann, Herrn Leutnant Gosig u. a. beschwere ich mich darüber, dass soviel ich weiß, seit 1. April bis jetzt Abends keine Laternen in den Straßen der Stadt angezündet werden. Dadurch werden besonders jetzt bei den stockfinsteren Nächten geradezu unhaltbare Zustände geschaffen, die umgehend der Änderung bedürfen. Am 30.7. 10.45 A wurde mein Weg, als ich von der Wirtschaft M(a)ennel nach Hause ging, auf der Straße etwa vor Trojanowkis Haus (es soll aus der Goldstraße kommend links Richtung Posener Straße am Alten Markt gelegen haben) von einem vom Bahnhof kommenden Fuhrwerk gekreuzt, das ohne Laterne im schärfsten Trabe bei völliger Dunkelheit fahrend, mich niedergeschmettert hätte, wenn es mir nicht gelungen wäre, im letzten Moment auszuweichen. Nach der Aussage des einen Nachtwächters der dabei war, soll es ein Gefährt von Zink gewesen sein.

Eine diesbezügliche Anzeige sowie die Bitte um Beleuchtung habe ich am 31.7. an die hiesige Bürgermeisterei geschickt, bis jetzt aber keine Antwort erhalten. Major v. Hesse wollte vor einigen Abenden beim Nachhause gehen einigen ihm entgegenkommenden, ohne Licht fahrenden Radlern ausweichen, und geriet bei der herrschenden Finsternis in einen Chausseegraben, wo er sich die Knochen hätte brechen können.

Kandelaber auf dem Alten Markt – Ausschnitt AK Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Gestern Abend war ein höherer Postbeamter bei M(a)ennel mit uns zusammen, der 10.24 A nach Posen zurückfuhr. Um um 10.00 Uhr den Omnibus zu erreichen, der vor der Post hielt, musste der fremde Herr von dem H. Postmeister am Arm dahin geleitet werden, weil nicht die Hand vor Augen zu sehen war. Dieser Vorfall veranlasste mit Recht den Herrn Inspektor zu der Äußerung, dass er so etwas in einer anderen Stadt noch nicht erlebt habe.

Ich lasse mich jetzt des Abend durch den Burschen mit einer Laterne abholen während die Herrn vom Civil, nicht in der glücklichen Lage, über einen Diener zu verfügen, sich entweder selbst nach Hause leuchten müssen, oder, wie gestern Abend Herr v. Luck, der Führung des Nachtwächters sich anzuvertrauen gezwungen sind. Das sind doch antediluvianische (vorsintflutliche) Zustände.

Aus der Bahnhofstraße kam ohne Laterne und im schärfsten Trabe bei völliger Dunkelheit das Fuhrwerk – AK aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Da der gänzliche Mangel an abendlicher Beleuchtung doch lediglich aus Sparsamkeitsrücksichtigen von Seiten der Stadt zu erklären ist, so bin ich von mehreren, oben genannten, Herrn ermächtig, zu erklären, dass wir gern die entstehenden Mehrkosten für Beleuchtung bis 1. September zu tragen bereit sind. Dasselbe habe ich in dem Schreiben an die Bürgermeisterei beantragt.

Erlaubt mir nunmehr, das Königliche Landrathsamt ganz ergebenst zu ersuchen, seinen Einfluss auf die Stadtverwaltung derart geltend machen zu wollen, dass für eine umgehende, angemessene Beleuchtung der Hauptstraßen gesorgt wird, und dass wenigstens die Richt- u. J. Laternen die ganze Nacht brennen.

Bis dat, qui cito dat. („Zwei mal gibt, wer schnell gibt.“)

Hochachtungsvoll

Scheid – Hauptmann z. V. u. Bezirksoffizier

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Den Landrath muss diese Beschwerde sehr „verärgert“ haben, denn mit dem Vermerk: SOFORT verfasste er bereits am Folgetag, dem 4. VIII. 1902 einen Brief an die Polizeiverwaltung: 

E.R. der Polizeiverwaltung hier

Blick heute vom ehem. Alten Markt in die ehem. Goldstrasse – Aufn. PM

Ich bemerke schon jetzt, dass bei eintretender Dunkelheit auch in den Sommernächten und zwar bis 11.20 U Abend die Hauptstraßen und Plätze beleuchtet werden müssen. Wenn die Stadtgemeinde dieser unbedingten Verpflichtung nicht nachkommen sollte, werde ich mit Zwangsmaßregeln vorgehen!

Es ist amtlich festzustellen ob Zink mit seinem Fuhrwerk ohne Laternenlicht am 30. VII.02 den Weg des Beschwerdeführers gekreuzt hat.  Gegebenenfalls ist Zink zu betrafen.

Die Polizeiorgane sind anzuweisen, schärfer als bisher auf die Beachtung der verkehrspolizeilichen Vorschriften zu achten.  Wenn ein Polizist nicht im Stande ist, den Anforderung zu genügen, ist die Einstellung eines zweiten ins Auge zu fassen.

Der Landrath – von Daniels

Die Frist zur Beantwortung dieses Schreibens wurde auf 8 Tage festgesetzt.

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Laterne vor dem Hotel „Schwarzer Adler“ auf dem Alten Markt – Ausschnitt AK Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Unter dem 14. August 1902 wurde dieses Schreiben des Landraths dann seitens der Polizei-Verwaltung beantwortet. Die Antwort ist nicht unbedingt aussagekräftig. Zwar wurde die Fahndung nach dem „ohne Laterne im schärfsten Trabe bei völliger Dunkelheit“ fahrenden Fuhrwerk aufgenommen, dieses jedoch ohne jegliches Ergebnis. Ansonsten verwies man auf die nächste abzuhaltende Stadtverordneten-Versammlung für weitere Entscheidungen bzgl. eines Beschlusses die Beleuchtung in der Stadt betreffend.

Hier der Inhalt dieser Antwort seitens der Polizei-Verwaltung an den Landrath: Urschriftlich mit dem Bericht zurück, dass wir die Angelegenheit, da durch die Beleuchtung der Hauptstraßen während der Sommermonate besondere Kosten entstehen würden, der nächsten Stadtverordneten-Versammlung, die sowieso wegen Beschaffung einer besseren Beleuchtung für die ganze Stadt, beraten wird, vorlegen werden.

Bezüglich des Vorfalls in der Nacht am 30. Juli, den der Herr Antragsteller hier besonders angezeigt hat, sind die Ermittlungen nach dem Leiter und Besitzer des Fuhrwerks noch im Gange. Soviel steht fest, dass dem Fleischermeister Zink das Fuhrwerk nicht gehörte. Die Nachtwächter, die dem Herrn Antragsteller diese Angabe gemacht haben, haben hier erklärt, sich geirrt zu haben.

Die Polizeiorgane sind angewiesen worden schärfer als bisher auf die Beachtung der verkehrspolizeilichen Vorschriften zu achten und jede Übertretung derselben unverzüglich zur Anzeige zu bringen.

Nach Beschlussfassung der Stadtverordneten-Versammlung werden wir weiteren Bericht erstatten.

Die Polizei-Verwaltung  J.W. Peikert

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Gleiches wurde in etwa dann per 15. VIII 02 an den Königl. Hauptmann z. V u. Bezirksoffizier Herrn Scheid Hochwohlgeboren in Neutomischel, seitens des Landrathes mitgeteilt. Nur, die Polizei-Verwaltung kommt mit dieser nicht sehr doch sehr vagen Erklärung gegenüber dem Landrat nicht einfach so davon. Das nächste Schreiben des Landrats, ebenfalls vom 15.08.1902 lautete:

An den Herrn Bürgermeister hier

Zum Bericht vom 14. August : Es ist nicht angängig,  dass mit der notwendigen Beleuchtung der Straßen und Plätze solange gewartet wird bis die Stadtverordnetenversammlung sich über eine andere Beleuchtungsart, als die bisherige, schlüssig gemacht haben wird, zumal schon seit längerer Zeit vergeblich darüber verhandelt wird.

Sie wollen daher feststellen, welche Kosten zur Durchführung der Beleuchtung in der bisherigen Art auch für die Sommermonate, also noch bis zum 30. IX. erforderlich sind und diese Ausgabe, sofern ein Haushaltsanschlag für 1902 keine Mittel zwecks Bestreitung vorhanden sind, der Stadtverordnetenversammlung diese zur Bewilligung zu unterbreiten.

Wieder wurde binnen 8 Tagen eine Antwort in dieser Angelegenheit erwartet.

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Beleuchtung in der Bahnhofstraße – Ausschnitt AK Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Seitens des Magistrat wurde dieses Schreiben termingerecht per 25. August 1902 beantwortet. Zwar klingt aus dem Schreiben heraus, dass man keine Einmischung des Landrates in den Stadtangelegenheiten wünschte, jedoch wurde in der Angelegenheit bezüglich der Straßenbeleuchtung nachgegeben und diese auch in den Sommermonaten zugesagt. Die Antwort seitens des Magistrats lautete:

Betrifft die Beleuchtung der Straßen und Plätze in hiesiger Stadt – Verfügung vom 25. August 1902

Nach dem Beschluss der Stadtverordneten Versammlung vom 19. d. Mts. sollen fortan die in ausreichender Anzahl vorhandenen Straßenlaternen täglich, also auch während der Sommermonate bei eintretender Dunkelheit angezündet werden und bis 11 Uhr Abends brennen.

Die dadurch entstehenden Mehrkosten sollen aus dem Bestande der Kämmereikasse entnommen werden. Seit dem 23. d. Mts. wird dieser Beschluss bereits durchgeführt und werde ich darauf halten, dass er auch ferner durchgeführt wird.

Mit Rücksicht darauf, dass hierorts 2 Gendarme, 1 Stadtwachtmeister und 2 Nachtwächter die Straßenordnung überwachen, ist die Einstellung eines zweiten Polizeibeamten nicht notwendig.

Übertretungen, wie solche zur Sprache gebracht, kommen hier nur sehr selten vor und werden, wenn die Ermittlung der Übertreter zu ermöglichen, was bei der Schnelligkeit der Radler nicht immer der Fall ist, diesseits stets streng geahndet.

Im Übrigen, sind die diesseitigen Polizeibeamten – wie bereits berichtet  auf die Beachtung der verkehrspolizeilichen Bestimmungen protokollarisch angewiesen worden.

Es dürfte sich empfehlen, auch die hiesigen Gendarmen mit gleicher Anweisung zu versehen.

Witte

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Quelle:
Archiwum Państwowe w Poznaniu – Fond: Akta miasta Nowy Tomyśl [Stadtakten/Städte-Ordnung in der Stadt Neutomischel] http://szukajwarchiwach.pl/53/325/0/-/770