Stadtpark 24 September 2009 16:00 Uhr Nowy Tomysl


An diesem Tage fand die symbolische Einweihung der auf den ehemaligen protestantischen Friedhöfen aufgestellten Gedenkkreuze statt. Als Ort dieser Handlung war das Gelände des heute nicht mehr existierenden Friedhofes des Dorfes Paproc/Paprotsch stellvertretend für Alle ausgewählt worden. Dieser Artikel wurde auf dem Grund der Pressemitteilung (die in der Lokalzeitung „Dzień po dniu“ am 29-9-2009 erschien) geschrieben.

Die Übersetzung – Przemek Mierzejewski in Zusammenarbeit mit Damian Konieczny. Die Überarbeitung für die deutsche Veröffentlichung erfolgte durch Gudrun Tabbert. Die Fotos wurde vom Stadtamt gemacht.


Die heilige Handlung der Einsegnung wurde durch den Pastor der Evangelisch-Augsburgischen Gemeinde Herrn Tadeusz Raszyk und durch die Pfarrer der beiden katholischen Kirchengemeinden Herrn Jerzy Juja und Herrn Wladyslaw Kasprzak von Nowy Tomysl/Neutomischel vollzogen. Zugegen waren bei diesem geschichtlich denkwürdigen Ereignis ebenfalls der Bürgermeister von Nowy Tomysl Herr Henryk Helwing und der Stadtratsvorsitzende Herr Piotr Szymkowiak.

Die Ereignisse des I. und II. Weltkrieges hatten während und nach diesem grausame Auswirkungen auf die protestantischen Friedhöfe. Die Nachfahren, wenn es denn noch welche gab, waren seinerzeit nicht mehr vor Ort um gegebenenfalls anderweitigen Einfluss auf die nachfolgenden Geschehnisse zu nehmen. Der nach dem Krieg vorherrschende Gedanke alles „Deutsche” aus der Geschichte Polens auszuradieren hatte dazu geführt, dass die Areale zahlreicher Friedhöfe eingeebnet wurden. Die verbliebenen Grabsteine wurden als Baumaterial für Spielplätze, Bauten im Zoo oder auch zur Gestaltung von Kunstwerken weiter verwendet. Eine Veröffentlichung hierzu erschien im vorigen Jahr in der Lokalzeitung „Nasz Dzień po dniu“ (Unser Tag für Tag). Hinzu kam aber auch die Zeit; sie brachte Verfall und Vergessen.

Eine Initiative eben diesen Verfall und dieses Vergessen aufzuhalten wurde durch den Geschichtsforscher und -liebhaber Herrn Przemek Mierzejewski ins Leben gerufen. Sein Ziel ist, das Wissen um diese alten ehemaligen Friedhöfe und die damit verbundene Geschichte wieder zu beleben. Ein erster Schritt in diese Richtung ist die Ehrung dieser Friedhöfe mit der Aufstellung der Gedächtniskreuze.

Ein Nebeneffekt dieses Gedankens ist der Jugend die vergessene, verdrängte geschichtsträchtige Vergangenheit unserer Gegend lebendig mit Hilfe unserer älteren Generation näher zu bringen. Ein Wegbereiter mit ähnlichen Ideen in unserem Kreis war auch schon Herr Zygmunt Duda aus Opalenica.

Die heute wieder in der Gemeinde Nowy Tomysl/Neutomischel und ihren Nachbargemeinden herrschende Offenheit gegenüber den verschiedenen Religionen und die Akzeptanz der verschiedenen Nationalitäten muss offen gezeigt werden. Diese Idee führte letztlich dazu, dass durch unser Stadtamt alle Kosten für die Her- und Aufstellung der Gedenkkreuze aus Stahl übernahm, die Oberförsterei Grodzisk Wielkopolski/Grätz das Holz für die Umzäunung der Friedhofsanlagen zur Verfügung stellte und die Angehörigen der Freiwilligen Brandwache teilweise die Büsche der stark überwucherten Friedhofsareale rodeten.

Mit dieser Unterstützung konnte das Andenken der Friedhöfe in der unmittelbaren Umgebung von Nowy Tomysl/Neutomischel in Paproc/Paprotsch, auf ihm fand die Gedenkfeier statt, in Przylek/Scherlanke gelegen in Richtung der Autobahn, zwischen den Tankstellen vor der heiligen Figur, in Glinno/Glinau gelegen am Weg in den Wald hinter dem Friedhof der sowjetischen Soldaten, in Sekowo/Friedenwalde gelegen am Ende des Dorfes in Richtung Zbaszyn/Bentschen wieder hergestellt werden. Sekowo/Friedenwalde ist auch das älteste festgestellte Dorf, vermutlich zu 1692 gegründet.

ksiądz proboszcz Tadeusz Raszyk z Parafii Ewangelicko-Augsburskiej, ks. kanonik Jerzy Juja, ks. kanonik Władysław Kasprzak

In seiner Rede anlässlich der Einweihung unterstrich Herr Przemek Mierzejewski auch seine große Hoffnung, dass das Schicksal der polnischen Friedhöfe in der Ukraine, in Weißrussland und in Litauen

ksiądz proboszcz Tadeusz Raszyk z Parafii Ewangelicko-Augsburskiej, ks. kanonik Jerzy Juja

eine ähnlich gute Wendung nehmen möge. Einige Mut und Zuversicht gebende Zeichen seien, dass auch hier und da schon einige gepflegte Anlagen zu finden sind, die durch vor Ort ansässig gebliebene Polen gepflegt und unterhalten werden. Dass in Gegenden der Ukraine, wo dieses jedoch nicht mehr der Fall ist, dortige Jugendbewegungen sich selbst den Erhalt dieser alten Anlagen zur Aufgabe gemacht haben.

Herr Mierzejewski erinnerte auch daran, dass die Geschichte unserer Nowy Tomysler Gegend untrennbar mit den überwiegend deutschstämmigen und dem evangelischen Glauben angehörigen Kolonisten verbunden ist. Durch diese wurde vor mehr als 250 Jahren begonnen unsere Landschaft, wie wir sie heute kennen, zu gestalten. Für diese Siedler – seine „dissidentischen Hauländer“ – wie er sie nannte, stiftete der Katholik und dem polnischen Adel angehörige Feliks Szoldrski die Kirche auf dem Alten Markt. Und mit dieser Kirche gründete sich unsere Stadt. Sie gilt als erstes und heute ältestes Gebäude der Stadt Nowy Tomysl/Neutomischel.

Was hat diese Kolonisten aber eigentlich gerade in unsere Gegend geführt?

Das Gebiet unserer heutigen Gemeinde waren undurchdringliche Wälder, der Norden bestand nur aus Sümpfen – keine gerade gastfreundliche Gegend. Im Besitz der Region war der polnische Adel. Selbstständige polnische Bauern gab es nicht, der Adel betrachtete sie und ihre Familien als Sklaven. Landbesitz oder gar eigene Bauernhöfe standen dem Volk nach Meinung des Adels nicht zu. Hinzu kam auch, dass die Bevölkerung durch Pestepidemien stark abgenommen hatte; es mangelte an Arbeitskräften in der Landwirtschaft.

Betrachtet man den damaligen polnischen Adel als Unternehmer, der die Erwirtschaftung von Erträgen und Gewinnen als Ziel hatte, so wird verständlich, dass ihnen der Gedanke aus ihren „unnützen“ Besitzungen Kapital zu schlagen kam. Die Idee der Ansiedlung von Bauern, die das Land urbar machen würden und dann auch zu Steuerzahlungen herangezogen werden konnten, wurde geboren. Zuerst nur vereinzelt, später dann von allen Angehörigen des Adels, wurden bestimmte Gebiete ihrer Territorien in Parzellen aufgeteilt und es wurden Siedler für diese angeworben.

Um die Ansiedlung möglichst kurzfristig umzusetzen, bot man verschiedene Vergünstigungen, zum Beispiel galt in den ersten Siedlungsjahren mancherorts die Grundstücke unentgeltlich und steuerfrei zur Verfügung zu stellen. Eine weitere Vergütung wiederum war, dass Siedler das benötigte Bauholz ihrer ersten Hütten geschenkt bekamen oder das ihr Vieh frei weiden durfte. Die wichtigsten Punkte waren aber wohl, dass die Siedler als freie Bauern gelten sollten, ihnen Glaubensfreiheit gewährt werden sollte und die von ihnen erworbenen Grundstücke, zwar noch mit der Genehmigung des adligen Grundherrn, so aber doch vererbt und verkauft werden durften. Im Gegenzug hatten die Bauern zwar auch so genannte Hofarbeiten, wie zum Beispiel Hilfe bei der Ernte und auch Naturalienabgaben an den Gutsherrn zu leisten. Alles in allem waren die Bedingungen aber wohl um ein vielfaches verlockender als die Umstände unter denen diese Menschen bis zu diesem Zeitpunkt lebten.

Das Ganze war ein Langzeitprojekt. Der Adel hatte mit dieser Methode zu Beginn Einnahmen durch die Naturalien, die ihm seitens der Bauern zustanden, die unentgeltliche Arbeit, die sie zu leisten hatten und einiger besonderer Handelsgeschäfte, die der Adel ausschließlich für sich beanspruchte, zum Beispiel durch den Verkauf des Bieres So ganz nebenbei wurde mit den Jahren das bis dahin nutzlose Land zu wertvollem, ertragreichem Agrarland. Und nun profitierten die Adeligen zusätzlich, von den Tilgungszahlungen der von den Siedlern unterzeichneten Hypothekenverträge und den Steuereinnahmen aus den stetig wachsenden Erträgen des einstigen „unnützen“ Landes.

Während zu Beginn nur einige vereinzelte Adelshöfe diese Methode wählten, so führte der Erfolg dieser aber dazu, dass sich mehr und mehr Adelige in ganz Polen anschlossen. Siedler wurden regelrecht umworben. Entweder geschah dieses durch spezielle Anwerber, die durch die Lande reisten und den Menschen die weiten, fremden Lande verlockend darstellten und sie so zum Abbruch gen Osten überredeten oder aber auch durch Flugblätter, die überall ausgeteilt wurden und die Vorzüge in den schillerndsten Farben darstellten. Zu dieser Zeit waren etliche Bauernsöhne, die Familien waren ja viel grösser als heute, durch ihre eigene Initiative bestrebt dieses angebotene freie Land zu erwerben; einen eigenen Hof zu besitzen und zu bewirtschaften galt für viele als Lebensbasis. Man vermutet, dass der Großteil der Siedler unserer Gegend wohl aus dem nahegelegenen Schlesien und der Mark übersiedelten also deutsch stämmig und vornehmlich evangelisch waren.

Meist wurden die Privilegien, also die Verträge zwischen dem polnischen Adel und den Kolonisten eines ganzen Dorfes geschlossen. Somit standen alle Bewohner eines Dorfes für jeden einzelnen Mitbewohner in der Kollektiv-schuld gegenüber dem Guts- herrn, der auf diese Art und Weise Verluste vermied. Die Devise war: Einer für Alle, Alle für Einen!

Über die Jahrhunderte entstand ein Miteinander der Nationalitäten und Glaubensrichtungen.

Die Nachkommen dieser Siedler lebten in unserer Gemeinde und den umliegenden Gebieten bis 1945. Eine Schätzung besagt, dass ca. 90 % der deutschen und deutschstämmigen Bevölkerung gegen Ende des II. Weltkrieges mit dem Vorrücken der Roten Armee in Richtung Westen flohen. Die Bewohner, die geblieben waren, wurden dann bis 1949 zur Ausreise aus Polen gezwungen.

Wir sind heute die Bewohner der von ihnen gegründeten Städte, Hauländereien und Dörfer. In unseren Städten und Dörfern finden sich die ehemals protestantischen Kirchen. In unserer Landschaft finden sich ihre Friedhöfe.

In unserer Gemeinde Nowy Tomysl/Neutomischel haben wir 17 Friedhöfe gezählt, in Miedzichowo/Kupferhammer sind es 25 und in der Gemeinde Opalenica/Opalenitza 4 .

Im ganzen Landkreis gibt es über 80 ehemalige Friedhofsanlagen, und in der sogenannten Nowotomyska/Neutomischeler Niederung, einschließend im Süden die Kreise Grodzisk/Grätz und Wolsztyn/Wolstein, im Norden den Kreis Międzychód/Birnbaum und im Westen den Kreis Miedzyrzecz/Meseritz finden sich über 220 alte Areale.

Mit dem heutigen Tage haben wir eine kurze Rückschau auf dem Weg gehalten der gemeinsam von Menschen verschiedener Nationalitäten und Konfessionen in unserer Region über hunderte von Jahren gegangen wurde.

Und mit diesem Wissen um diese gemeinsame Vergangenheit sollten wir nun den Weg in die Zukunft weitergehen