Untersuchung wider den Dienstknecht Malcher – Teil 1 Der Tatbestand

Hier ist eine Zusammenfassung des Tatbestandes zu finden:

Der Angeklagte Knecht Johann Malcher, 23 Jahre alt, früher wegen Diebstahls betraft, wurde kurz vor Neujahr 1855 aus dem Gefängnisse zu Fraustadt, wo er wiederum wegen Diebstahls eine Gefängnisstrafe abgebüßt hatte, entlassen.

Dort hatte er den in Lewitz-Hauland ansässigen Eigentümer Wilhelm Kirsch, welcher eine wegen Diebstahls ihm auferlegte zweijährige Zuchthausstrafe verbüßte, kennen gelernt. Dieser beauftragte ihn damit, eine Bestellung an seine Ehefrau auszurichten, und die dadurch vermittelte Bekanntschaft mit der verehelichten Kirsch hatte zur Folge, dass er alsbald als Knecht in ihren Dienst trat, in welchem er bei fortdauernder Abwesenheit ihres Ehemannes bis zu seiner am 9. Juni 1855 erfolgten Wiederverhaftung verblieb.

In dieser Stellung ist er verdächtig geworden, am 8. Juni 1855 die 72 jährige Ausgedinger-Witwe Anna Marie Kobling zu Lewitz-Hauland ermordet zu haben.

Die deshalb gegen ihn eingeleitete Untersuchung hat im Wesentlichen Folgendes ergeben:

Auf dem im Lewitz-Hauland in der Gegend von Meseritz gelegenen – von Gärten und Feldern umgebenen, einige Tausend Schritte von anderen Besitzungen entfernten – Gehöfte des Eigentümers Wilhelm Kirsch lebte um jene Zeit außer dessen Familie als Auszüglerin die Mutter seiner verstorbenen ersten Ehefrau, die verwitwete Anna Maria Kobling. Von der Familie Kirsch, bestehend aus der 24 jährigen Ehefrau Wilhelmine, geborene Hecker, zwei Töchtern erster Ehe, Emilie und Ernestine mit Vornamen, resp. 11 und 9 Jahre alt, und einem Kinde zweiter Ehe von ungefähr 2 Jahren, war die eine der im Erdgeschosse des Wohnhauses befindlichen beiden Stuben bewohnt. Die zweite dicht danebengelegene Stube hatte die genannte Witwe Kobling inne und in dies Zimmer waren von derselben ihre 25 jährige Tochter Ernestine Kobling, ihr Sohn, der 48 jährige Schuhmacher Gottlob Kobling, dessen Ehefrau Beate, geborene Neumann, und deren 4 Kinder, von denen das jüngste damals noch an der Brust lag, und die drei älteren, Wilhelmine, Caroline und Wilhelm in dem Alter von resp. 7 ½, 5 ½ und noch nicht voll 3 Jahren standen, als Mitbewohner aufgenommen.

Am 8. Juni 1855 – einem Freitage – hatten sich früh um 6 Uhr die genannten Schuhmacher Koblingschen Eheleute mit ihrem jüngsten Kinde von Hause fort auf den Wege nach Tirschtiegel begeben; schon vor ihnen war eben dorthin die verehelichte Kirsch abgegangen. Im Hause waren daher, da die Ernestine Kobling bereits seit einigen Tagen bei einer auswärts wohnenden Schwester zum Besuche sich aufhielt, nur zurückgeblieben:

  1. die Witwe Kobling;
  2. die drei älteren Kinder der Gottlob Koblingschen Eheleute;
  3. die drei Kinder des Wilhelm Kirsch und
  4. der oben genannte Knecht Malcher

außer welchem Gesinde auf der Kirschschen Besitzung nicht diente.

Als am Abend desselben Tages kurz vor Sonnenuntergang die Schuhmacher Koblingschen Eheleute nach Hause zurückkehrten, wo schon vorher Nachmittags in der dritten Stunde die verehelichte Kirsch wieder eingetroffen war, kamen ihnen ihre beiden ältesten Kinder entgegen, klagten sehr über Hunger und erzählten, dass die Großmutter, Witwe Kobling, nicht zu Hause sei. Die hierauf zum Zwecke ihrer Auffindung angestellten Nachforschungen blieben an jenem Tage ohne Erfolg. Die entstandene Vermutung, dass sie umgebracht worden sein möge, erhielt aber insbesondere dadurch Unterstützung, dass der in der Stube der Kobling stehende Kasten derselben, mit verbogenem Schließhaken, geöffnet und durchwühlt, und in einem anderen dort stehenden Behältnis – einer sogenannten Throne – der Schlüssel steckend gefunden wurde, den die Witwe Kobling sonst bei sich zu tragen pflegte, dass außerdem auch Wäsche und Kleidungsstücke der Vermissten in ihrem Zimmer zerstreut umherlagen, und dass endlich von ihren dort aufbewahrten Sachen, wie bei näherer Untersuchung sich herausstellte, Geld, eine Quantität Speck und einige Säckchen mit getrockneten Pflaumen und Kirschen fehlten.

Der Gottlob Kobling bezichtigte sofort, nachdem er von dem Verschwinden seiner Mutter Kenntnis erhalten hatte, den Knecht Malcher, welchen er auf dem Hofe antraf, dass er die Mutter erschlagen habe, und veranlasste wegen dieses Verdachts über dessen Gründe er sich jedoch selbst damals keine bestimmte Rechenschaft geben konnte, dass der Malcher im Hause bewacht wurde.

Bei den am anderen Morgen unter amtlicher Mitwirkung fortgesetzten Nachsuchungen wurde demnächst in einem Stalle des Kirschschen Gehöfts der Leichnam der Witwe Kobling, blutig und an verschiedenen Stellen, insbesondere am Kopfe, mehr oder minder schwer verletzt, im Erdreiche vergraben, aufgefunden.

Die hierauf angestellten weiteren Ermittlungen führten schließlich zu der gegen den Malcher wegen Mordes erhobenen Anklage, in deren Folge derselbe sodann, obwohl er die ihm schuld gegebene Tat mit Beharrlichkeit geleugnet hat, auf Grund des von den Geschworenen gegen ihn abgegebenen Verdikts zum Tode verurteilt worden ist.

Was zunächst  – I. –  den objektiven Tatbestand anbetrifft, so kommen vor allen Dingen

1. die Umstände in Betracht, unter denen die Leiche der Witwe Kobling aufgefunden worden ist. Wie bereits erwähnt worden, erfolgte deren Entdeckung in einem zur Kirschschen Besitzung gehörigen Stalle. Dieser Stall, welcher von der Eingangstür des Kirschschen Wohnhauses 24 Schritte entfernt gelegen ist und gewöhnlich als Schweinestall, mitunter aber auch den Schafen zum Aufenthalt gedient hat, war zur Zeit der darin angestellten Nachforschung am Fußboden mit frisch eingestreuter Nadelstreu bedeckt. Als die Eigentümer Carl Rau und David Büttner den Erdboden des Stalles zuerst mit einer Mistgabel untersucht hatten und hiernächst in dem unter der harten Oberfläche lockerer sich zeigenden Erdreiche von Rau mit einem Spaten nachgegraben wurde, ließ in der Tiefe von einer halben Elle Leinwand sich wahrnehmen. Man rief hierauf andere Personen, namentlich den Polizei-Distrikts-Kommissarius Pascal und den Gendarmen Gebhardt, herbei und fand bei fortgesetzter Nachgrabung den entseelten Körper der Kobling mit einem Hemde, einem kattunenen Kleide nebst Leibchen, einer Mütze von Kattun, einem wollenen Tuche und einer leinenen Schürze bekleidet, vor. Derselbe lag auf der linken Seite mit dem Kopfe nach der Stallwand zugewendet, und auf dem Kopfe liegend fand sich ein großer Feldstein, dessen Gewicht bei der Nachwiegung auf 39 Pfd. festgestellt worden ist. Der Kopf, insbesondere auch die Haare und die Bekleidung des Leichnams in ihren oberen Teilen waren durch mit Blut getränkten Sand verunreinigt. Auch war in der etwa 4 ½ Fuß langen, 2 Fuß breiten und 2 ½ Fuß tiefen Höhlung, in welcher die Leiche lag, namentlich an der Stelle, wo der Kopf seinen Platz hatte, frisches Blut in den Erdboden ziemlich tief eingedrungen.

2.     Bei der am 10. Juni 1855 vorgenommen gerichtlichen Obduktion des Leichnams, welcher als der der Witwe Kobling von ihrem Sohne Gottlob und dessen Ehefrau, sowie von dem Angeklagten rekognosziert worden ist, ließen sich äußerlich an der linken Schulter, an den Armen, namentlich in der Gegend der Ellenbogen, und am rechten Handgelenk verschiedene Kontusionen, Hautabschilferungen und Blutunterlaufungen von zum Teil nicht unbedeutendem Umfange wahrnehmen. Auch am Kopfe zeigten sich an verschiedenen Stellen, unter anderem in der Gegen der Schläfe und an den Ohrmuscheln, Blutunterlaufungen und Hautabschilferungen, außerdem aber eine Anzahl, zum Teil bis auf den Schädel durchgedrungener Wunden von verschiedener Größe, an denen die Ränder meist stumpfgezackt, blutrünstig und hohl waren, an einer Stelle aber mehr scharf erschienen. Eine besonders schwere Kopfverletzung befand sich am Hinterkopfe in einer mehrere Zoll langen, in der Richtung vom linken zum rechten Ohre laufenden, klaffenden Verwundung, welche aus mehreren einzelnen, nach verschiedenen Richtungen hin sich erstreckenden Wunden mit dazwischen liegenden Brücken bestand und in ihren komplizierten Verzweigungen fast den ganzen Hinterkopf einnahm. Bei Eröffnung der Kopfhöhle wurde die ganze Kopfschwarte mit Blut infiltriert vorgefunden, und auf der Knochenhaut war ein Bluterguss von 1 bis 2 Linien Dicke zu bemerken. Der rechte und der linke Schläfenmuskel waren mit Blut stark unterlaufen; die Substanz des letzteren war nicht mehr zu erkennen, sondern erschien als ein dunkelfarbiges Blutgerinnsel. In beiden Hemisphären des Gehirns zeigten sich starke Blutergüsse, von welchen der in der linken Hemisphäre die Windungen des Gehirns völlig ausfüllte. Als Verletzungen von ganz vorzugsweiser Bedeutung aber traten Fissuren des Schädels hervor, die in verschiedenen Richtungen über denselben sich verbreiteten. Diese Knochenspalten, welche über eine große Fläche des Schädels sich ausdehnten und sich erst in der Grundfläche desselben verloren, waren so ineinander verzweigt, dass sie den Zusammenhang der Knochen untereinander aufhoben und förmlich eine großartige Knochenfraktur bildeten.

Auf den Grund dieses Befundes der Sektion, bei welcher sich andere wesentlich abnorme Erscheinungen nicht ergaben, erklärten die Obduzenten Kreisphysikus Dr. Völkel und Kreischirugius Ludwig in ihrem vorläufigen Gutachten, dass die – von ihnen näher bezeichneten – erheblichen Kopfverletzungen an dem Körper der Kobling so beschaffen gewesen, dass sie unbedingt und unter allen Umständen in dem Alter der Verletzten für sich allein deren Tod hätten zur Folge haben müssen.

Bei diesem Ausspruche sind demnächst die Sachverständigen auch in ihrem definitiven Gutachten stehen geblieben. In demselben ist der Zusammenhang zwischen den äußerlichen Verletzungen am Kopfe der Kobling und den an ihr wahrgenommenen Verletzungen eine heftige Gewalt voraussetzen ließen, welche auf die Verstorbene noch bei ihrem Leben eingewirkt habe. Sodann aber wird aus eben dieser Einwirkung der Eintritt einer Erschütterung gefolgert, welche die Aufhebung der Funktionen des Gehirns und damit den Tod der Kobling unbedingt habe verursachen müssen.

3.       Darüber, mit welchem Instrument der Kobling die an ihr bemerkten Kopfverletzungen beigebracht worden, ist durch die Untersuchung eine sichere Aufklärung ebenso wenig zu erlangen gewesen als über die Details des Herganges überhaupt. In dieser Beziehung haben insbesondere die Gerichtsärzte in ihrem Obduktionsberichte sich auf die Bemerkung beschränkt:

Es werde schwer sein, zu ermitteln, welcher Art die gegen den Schädel der Kobling wirkende Gewalt gewesen und wie der Vorgang der gegen die Verstorbene verübten Gewalttätigkeit zu erklären sei.

Im Audienztermin ist sodann der Dr. Völkel auf diesen Punkt zurückgekommen und hat hier, ohne das ihm von dem Kreischirugius Ludwig widersprochen wurde, bemerkt, dass seiner Meinung nach die Kopfwunden der Kobling weder mit einem Stocke, noch mit dem auf ihrer Leiche vorgefundenen Steine beigebracht worden seien, indem namentlich, wenn Letzteres geschehen wäre, der Schädel der Kobling vollständig zerschmettert worden sein würde. Das zur Hervorbringung der Kopfbeschädigungen der Verstorbenen benutzte Werkzeug soll vielmehr nach der von dem Dr. Völkel nun geäußerten Vermutung in einem Beile bestanden haben und ist in dieser Hinsicht noch anzuführen, dass bei den Nachforschungen auf dem Kirschschen Gehöfte auch mehrere Beile vorgefunden worden sind, sich jedoch ein keinem dieser Beile Blutspuren haben entdecken lassen. Da dergleichen Spuren auch weder im Kirschschen Wohnhause, noch in dem Stalle, in welchem der Leichnam gefunden wurde, mit Ausnahme der Grube, in der letzterer lage, noch endlich auf dem Wege von dem Hause nach jenem Stalle hin wahrgenommen worden sind, so gewinnt es in Berücksichtigung weiter unten zu erwähnender Umstände im Übrigen den Anschein, dass die alte Kobling in ihrer Stube nur betäubt, dann hinausgeschleppt und erst im Stalle vollends getötet worden sein möge. Der Physikus hat aber auch ferner erklärt, dass der Tod der Kobling, ohne das Blut geflossen, in Folge der Betäubung, wenn diese eine vollständige gewesen, eingetreten sein könne und dass das Stattfinden einer Blutung nach einem solchergestalt durch Betäubung bewirkten Ableben sich wohl als möglich denken lasse.

Wie indes auch immer die näheren Umstände des Ablebens der Kobling unaufgeklärt geblieben sein mögen, so kann doch nach allem vorstehend Angeführtem es jedenfalls nicht zweifelhaft sein, dass dieselbe ihr Leben durch von fremder Hand gegen sie verübte Gewalttätigkeiten eingebüßt habe.