Volkszählung am 1. Dezember 1875

Gemäß Verfügung der Herren Minister des Innern und für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten  wurde für den 1. Dezember 1875 eine Volkszählung mit gleichzeitiger gewerbestatistischer Aufnahme an die Königlichen Privinzial- und Bezirksverwaltungsbehörden gemäß den Beschlüssen des Bundesraths des Deutschen Reichs verfügt.

Zu diesem Zwecke wurden seitens des Königlich Statistischen Bureaus in Berlin annähernd 114.500 Fragebogen und Formulare in 21 Kisten an das Landratsamt in Buk versandt. Das die Kisten an die „Bahnstation Buk“ versandt wurden, und dadurch ab Bahnhof Neutomischel noch eine Um- bzw. Weiterverfügung notwendig geworden war, ist vermutlich auf Unkenntnis der Mitarbeiter im Königlich Statistischen Büro in Berlin über die geographischen und verkehrstechnischen Verhältnisse in den  ländlichen Gebieten zurückzuführen.

Im Staatsarchiv in Poznan wird  ein Ordner bezüglich dieser Zählung verwahrt; In ihm findet sich ein Sammelsurium von Briefen, Anweisungen, Nachfragen, Meldungen über fehlende Formulare, deren Versand und Eintreffen, Korrekturen von Ergebnissen und anderer Schriftstücke. Die Unterlagen der Zählung sind leider nicht mehr vollständig.

Für diesen Beitrag wurde, soweit es möglich war, das Ergebnis der Zählung der Haushalte mit der dazugehörigen Einwohnerzahl zusammengestellt; Unterlagen der Erhebung der Gewerbezählung sind nicht in dem Konvolut enthalten.

Es wurden auch Kommentare hinsichtlich einiger Ortschaften übernommen, die, aufgrund der Anforderung von Stellungnahmen seitens des Landratsamtes, versuchten die Abnahme in der Zahl der Bevölkerung in diesen zu erklären.

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Die Einwohnerzahlen der Städte Neutomischel, Grätz, Opalenitza und Buk

Die Einwohnerzahlen der Städte Neutomischel, Grätz, Opalenitza und Buk

Dem Kommentar des Magistrats der Stadt Neutomischel ist zu entnehmen, dass Neutomischel  im Jahr 1874 die niedrigste Einwohnerzahl mit 1.101 Bewohnern seit Beginn von Volkzählungen aufwies.

Aber nicht nur Neutomischel, auch die anderen Städte, Dörfer und Ansiedlungen im Landkreis Buk kämpften mit dem Abzug von Familien und daraus resultierender sinkender Einwohnerzahl.

Einerseits gab es die Grenzgänger ins Brandenburgische. Für gleiche Arbeit in der Landwirtschaft wurden dort wesentlich höhere Löhne gezahlt. Die Arbeiter, vornehmlich junge Menschen verließen im Frühjahr ihre Heimatorte und kehrten im Spätherbst zurück. Von ihnen fehlte in der landwirtschaftlich geprägten Heimatregion vornehmlich die Arbeitskraft.

Andererseits stellte die Hauptstadt Berlin, die Entfernung beträgt nur annähernd 250 km, ein wesentlich größeres Problem für den Abzug von Arbeitskräften und somit Bewohnern des Kreises dar. Berlin bot weitaus mehr als nur höhere Verdienstmöglichkeiten. Durch die schon gegebenen technisch industriellen Errungenschaften einer Großstadt, die wie ein Magnet wirkten, war es die sich immer schneller wandelnde Arbeitswelt, die die Anziehungskraft ausübte. Diese bot, neben Tätigkeiten als einfacher Fabrikarbeiter, auch Möglichkeiten eines beruflichen Aufstiegs.  In Berlin sowie auch in anderen Großstädten entstanden z. B. Arbeitsmöglichkeiten im sich neu formenden Dienstleistungsbereich oder es  wurden mehr  Arbeitsplätze im Sektor der Büroarbeit angeboten. Vermehrt ergriffen auch immer mehr junge Frauen berufliche Tätigkeiten um sich ihren Lebensunterhalt in Unabhängigkeit zu verdienen.

Viele Bewohner der ländlichen Städte und Gemeinden ohne Grundeigentum, zu ihnen gehörten meist wiederum die Jüngeren, sahen in ihrer Abwanderung eine Chance für ihre Zukunft. Sie wollten  nicht länger gegen geringes Entgelt schwere Landarbeit in ihren Heimatgebieten leisten, wenn es für gleiche oder sogar leichtere Arbeit anderswo mehr Entlohnung gab. Besonders Berlin wurde in jener Zeit zur Drehscheibe für Tausende von Menschen aus den ländlichen Gebieten des Ostens.

Der Abzug in die Großstädte war meist endgültig. Mit ihnen verlor der Landkreis Buk nicht nur die Arbeitskräfte in der heimatlichen Landwirtschaft, sondern deren vollumfängliche Wirtschaftskraft.

Städte wie Buk, Grätz, Opalenitza und auch Neutomischel erlebten keine wirkliche Entwicklung in der Ansiedlung von Industrie- oder Handelsunternehmen. Sie waren Bauern- und Handwerkerstädte und hatten wenig Aussicht auf Änderung. Neustadt bei Pinne fehlt in dieser Aufstellung, hier gelang es leider nicht, überhaupt ein Ergebnis hinsichtlich der Einwohnerzahlen darzustellen.

In der Region des Landkreises Buk waren Besitzer von Lokomotiv- und Eisenbahnwaggon-Baubetrieben sowie auch weltweit operierenden Handelsunternehmen ansässig; sie waren die Besitzer der größten Landgüter. Doch war es auf Gütern üblich geringe Basislöhne an die Arbeiter zu zahlen. Als fortschrittlich galt, wenn dazu ein Ausgleich z. B. in der Bereitstellung von Wohnraum, Kaufhäusern, Kindergärten und in der Krankenversorgung gewährt wurde. Unberücksichtigt und unerwähnt blieb, dass alle diese Einrichtungen letztlich gutsherrschaftseigene  Unternehmen waren. Arbeiter, die hier tätig gewesen waren und einen Ausstieg aus einem solch in sich geschlossenen Kreis ins Auge fassten, mussten den kompletten Verlust ihres Lebensumfeldes mit einplanen. Dieser autarke Lebens- und Konsum-Kreislauf der Menschen der Dominien bedeutete gleichzeitig aber auch, dass die umliegenden Städte und Dörfer wenig bis überhaupt nicht von deren Existenz profitierten.

Die Zahlen der im Jahr 1875 durchgeführten Volkszählung sind ein Spiegel  dieser Umstände und Entwicklung.

Zählbezirk Buk

Zählbezirk Buk

Zählbezirk Grätz

Zählbezirk Grätz

Zählbezirk Neustadt (unvollständig)

Zählbezirk Neustadt (unvollständig)

Zählbezirk Kuschlin

Zählbezirk Kuschlin

Zählbezirk Neutomischel

Zählbezirk Neutomischel

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Quellen soweit nicht direkt im Text oder in der Bildbeschreibung genannt: Großpolnische digitale Bibliothek Poznan (http://www.wbc.poznan.pl/dlibra) –  Acta des Königlichen Landraths-Amtes Neutomischel betreffen die Volkszaehlung am 1ten December 1875 (Acta Starostwo 0325-0820)