Zum 100 jährigen Jubiläum der evgl. Kirche in Friedenhorst – 2. Kapitel: Die Ansiedler

Ortsansicht: Kirche – Schule – Pfarrhaus

„Zum 100 Jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche in Friedenhorst“

  • Abschrift der zum Jubiläum am 04. August 1897 vom Ortspfarrer Oscar Illgner veröffentlichten Festschrift
  • gedruckt zu Neutomischel 1897, Druck von Otto Scheumann

Pastor Illgner geht in dieser Veröffentlichung auf die Geschichte des Kirchspiels Friedenhorst mit seinen Ortschaften ein. Einge Wörter wurden zum besseren Verständnis nach der heutigen Rechtschreibung in den Text eingebracht, in Klammern findet sich dann die „alte“ Schreibweise. Der Text wurde in die 4 Kapitel, in dem er ursprünglich verfasst wurde, geteilt. Die hier abgebildeten Postkarten wurden mit freundlicher Genehmigung von Herrn Arno Kraft, Berlin zur Verfügung gestellt und veröffentlicht.

Die digitale Version dieser Schrift ist unter Großpolnische Digitale Bibliothek zu finden.

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Woher sind aber die Ansiedler gekommen. Ihr Name verrät es nicht. Sie wurden von den Polen Holländer genannt, weil die ersten evangelischen Ansiedler Holländer waren, welche an der Warthe Holz zum Schiffbau geholt hatten und sich an passenden Stellen niederließen. Die Ansiedler selbst nennen sich Hauländer, weil sie den Wald ausgehauen haben. In unserem Busch sind die Ansiedler aus dem Schwiebus—Züllichauer Kreise gekommen. Davon kann sich ein Jeder selbst überzeugen, indem er die hiesige Mundart mit der um Schwiebus vergleicht. Die Verkleinerungssilbe „ang“ kann man hier wie dort hören: „Minchen“, heißt „Minang“, „Tinchen“ heißt „Tinang“, “vielfach“ heißt „fach“ usw. Ferner war die einzige Pforte zum Busch das Bentschner Schloss; wer dort anklopfte, kam von Westen her oder aus der Nähe von Bentschen, wie Gebauer aus Dürrlettel. Erst spät sind einige Nachzügler aus dem Osten gekommen, wie die Welke’s aus dem Netzbruche.

Was hat aber die Ansiedler bewogen in den unwirtlichen Busch zu ziehen? In die umliegenden Büsche waren viele junge Leute geflohen, um den Aushebungen zum Militair, einige wohl auch um Strafen zu entgehen, die meisten aber um ihren Unterhalt zu suchen. In den Lomnitzer Busch sind wohl die Einwohner fast nur aus letzterem Grunde gekommen. Jedoch sind auch einige durch Religionsverfolgungen in den Busch getrieben worden.

Ortseingang

Merkwürdig ist die Führung Gottes, durch welche Johann Georg Ulrich hierher geleitet worden ist, um die evangelischen Brüder durch die Erzählung seiner Schicksale im Glauben zu stärken. Sein Vater war ein wohlhabender Bäckermeister evangelischen Glaubens in Böhmen, unweit der Grenze, welchen man durch Überredung und Gewalt vom evangelischen Glauben abbringen wollte. Der katholische Geistliche zeigte ihm einen Brief mit goldenen Buchstaben und behauptete, dass dieser Brief vom Himmel gefallen sei und durch seinen Inhalt beweise, dass Gott die Anbetung der Maria verlange. Ulrich ließ sich nicht irre machen. Er fragte den Geistlichen: Ist es wahr, dass die erste Welt durch Wasser untergangen ist? Als der Geistliche dies bejaht hatte, fragte Ulrich weiter: Ist es auch wahr,dass die zweite Welt durch Feuer untergehen wird. Nachdem auch dies zugestanden war, sagte Ulrich: Dann kann mir die Schrift mit den goldenen Buchstaben nichts nützen. Im Feuer wurde sie nicht bestehen und ich hätte dem Weltenrichter doch nichts zu meiner Empfehlung vorzuweisen. Da die Überredung keinen Erfolg gehabt hatte, versuchte man es mit der Gewalt. Zunächst wurde dem Ulrich die Kundschaft entzogen, dann wurde ihm von Zeit zu Zeit eine Geldbuße auferlegt. Endlich wurde eine Wache in sein Haus gelegt, um ihn an der Flucht zu hindern. Seine Frau wurde mutlos und suchte ihn zu bewegen, den Glauben zu verleugnen, damit er seinen Kindern ihr Erbgut erhielte. Aber Ulrich wollte lieber Alles verlassen, ehe er dem Evangelium untreu würde. Er beschloss über die Grenze zu fliehen. Als die Nacht, die er zu seiner Flucht bestimmt hatte, angebrochen war, ging er aus seiner Behausung hinaus, fiel auf seine Knie und bat Gott inbrünstig um seinen Beistand. Insbesondere befahl er sein Weib und seine Kinder dem Schutze des Herrn. So gestärkt wartete er die letzte Revision der Wächter ab, welche gewöhnlich um Mitternacht stattfand. Als dieselben einige Zeit fort waren, sprach er seinem zaghaften Weibe aus Gottes Wort Mut zu, nahm in die eine Hand die Bibel und an die andere ein Kind und verließ Haus und Hof, um des Herrn willen. Aber die Wächter hielten zu ihrer Unterstützung große und starke Hunde, welche in der Regel den Fliehenden nachgeschickt wurden und dieselben entweder aufhielten oder zerrissen. Als unsere Flüchtlinge beinahe die Grenze erreicht hatten, hörten sie Paar Gewende hinter sich die Hunde der Wächter. Doch Gott der Herr lenkte durch zwei Hasen, welche über den Weg liefen, die wütenden Bestien von Ulrich, seinem Weibe und seinen Kindern ab. Die Hunde jagten den Hasen nach, und so gelang es den Flüchtenden, indem sie ihre Eile verdoppelten, unversehrt über die Grenze zu kommen. Sie ließen sich in Grenzdorf bei Wigandsthal in Schlesien wohnlich nieder und Ulrich konnte auch seine Profession wieder betreiben. Er hatte in einem Wagengeleise auf der Flucht einen Thaler gefunden. Und diesen Thaler hat ihm Gott so gesegnet, dass er wieder zu ziemlichem Wohlstande gelangte. Ein Sohn dieses Ulrich, Namens Johann Georg, hatte die Holzarbeiten z. B. das Brechenmachen u. dgl. gelernt. Um sich nun selbstständig zu unterhalten, kaufte er einige Meilen von Grenzdorf ein Stück Wald, welches viel Nutzholz, z. B. Buchen und Eichen enthielt, um dasselbe zu verarbeiten. Er mietete sich bei einem Bauern ein, welchem er für die Abfuhr des Holzes den Abraum und alles Unbrauchbare gab. — Da brach in jener Gegend die schwarze Pest aus, eine ansteckende Krankheit, welche mit unglaublicher Schnelligkeit Hunderte von Menschen hinraffte. Eines Tages war Ulrich im Walde, um Holz auszusuchen. Der Bauer hatte eine Fuhre nach Hause gefahren und wollte bald wiederkommen, um mehr Holz zu holen. Aber Ulrich wartete vergebens. Er ging endlich nach Hause, um nach der Ursache des Ausbleibens zu forschen. Als er in den Hof trat, sah er den beladenen Wagen und die angespannten Pferde davor stehen; aber keinen Fuhrmann. Diesen fand er zu seinem Entsetzen tot auf der Türschwelle. Auch die Familienglieder des Bauern sah er in der Stube tot liegen. An diesem Orte, wo der Tod so gewaltig regierte, konnte Ulrich nicht länger bleiben. Aber wohin sollte er sich wenden? Die Rückkehr in die Heimat war ihm versperrt. Wer aus der Pestgegend kam, wurde wie ein wildes Tier gejagt und man wusste, dass er sich dort aufhalte. Er verbarg sich daher mehrere Tage und Nächte im Walde und schlief in einem Haufen Laub. Es gelang ihm nur noch, eine heimliche Unterredung mit den Seinigen zu halten, wo er mit schwerem Herzen Abschied nahm, um anderswo sein Brot zu suchen. Dies geschah wahrscheinlich um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Ulrich suchte geeignetes Nutzholz und wurde immer weiter nach Osten gewiesen, bis er endlich im Lomnitzer Busche das gesuchte in Hülle und Fülle fand. Er ließ sich daher in Friedenau oder Grubske in der Nähe der Grubsker Schule nieder. Da aber die Gegend zu sumpfig war, so siedelte er sich südöstlich von der Kirche in Friedenhorst an, wo noch jetzt die Sand-Ulriche wohnen und von wo unser treuer Kirchmeister Gottlieb Ulrich sein Ausgedinge bezieht. Das Andenken des Gerechten bleibt im Segen.

Aber nicht lauter ehrliche Leute haben in unserem Busche redlichen Erwerb gesucht. Zwischen den Jahren 1757 und 1765 haben sich Leute in den Busch eingeschlichen, ohne die Herrschaft zu fragen. Sie haben in der Gegend, die noch heute die Teerbude heißt, drei Hüten gebaut und vom herrschaftlichen Holze Teer bereitet und ihre Bedürfnisse aus Neutomischel bezogen. Selbst der nächste Nachbar, der Hügel-Schiller ahnte nichts von diesen Eindringlingen, denn obwohl er nur ein paar Hundert Schritte entfernt wohnte, so hinderte doch undurchdringliches Gebüsch jede Wahrnehmung. Als man endlich einen Hund bellen hörte, so wünschte man doch keinen Verkehr mit den neuen Nachbarn. Der Gutsherr selbst musste die Eindringlinge entdecken. Als er in der Nähe der besprochenen Ulrichschen Wirtschaft jagte, spürte er einen Brandgeruch, wie von schwelenden Holze. Er schickte seinen Jäger aus, um nach der Ursache zu forschen. Dieser fand die ungebetenen Gäste. Sie wurden Räuber gescholten und bestraft, aber im Jahre 1765 unter den Bedingungen den Privilegiums vom Jahre 1757 in herrschaftlichen Schutz aufgenommen.

Aber noch viel schlimmere Räuber haben unter den ehrlichen Ansiedlern ihren Wohnsitz aufgeschlagen. Diese wurden aber nicht Räuber sondern Schenker genannt. Sie erwiesen sich gegen die Nachbarn sehr freundlich, bewirteten sie reichlich in ihrer Wohnung hinter dem Kirchhofe nordwestlich von der Kirche und teilten häufig Geschenke aus. Sie waren aber in der Tat ruchlose Räuber, welche in der Ferne große Kirchendiebstähle und andre Räubereien ausgeübt hatten. Sie glaubten sich hier im Busche geborgen und sollen ihre Schätze hinter und in den Grubsker Bergen vergraben haben. Aber die Hand Gottes fand sie doch; sie wurden entdeckt und an einem Galgen ausgehängt, welcher um ihretwillen an der Grenze des Neutomischeler Kreises errichtet wurde. Der Eigentümer Friedrich Grunwald hier, welcher 1866 in einem Alter von 66 Jahren starb, hat die Säulen desselben nebst der Staupsäule für unzüchtige Frauenzimmer, wenn auch schon halb umliegend, gesehen. Bis auf unsre Tage hat sich das Andenken an diese Schenker in einem Sprichworte in den Buschgemeinden erhalten. Wenn Jemand sagt: „Du könntest mir das schenken“, so antwortet der Angesprochene: „Die Schenker sind gehängt“.

Fortsetzung Kapitel 3.