Zum 100 jährigen Jubiläum der evgl. Kirche in Friedenhorst – 3. Kapitel: Rechtsverhältnis

Friedenhorst – Ortsansich

„Zum 100 Jährigen Jubiläum der evangelischen Kirche in Friedenhorst“

  • Abschrift der zum Jubiläum am 04. August 1897 vom Ortspfarrer Oscar Illgner veröffentlichten Festschrift
  • gedruckt zu Neutomischel 1897, Druck von Otto Scheumann

Pastor Illgner geht in dieser Veröffentlichung auf die Geschichte des Kirchspiels Friedenhorst mit seinen Ortschaften ein. Einge Wörter wurden zum besseren Verständnis nach der heutigen Rechtschreibung in den Text eingebracht, in Klammern findet sich dann die „alte“ Schreibweise. Der Text wurde in die 4 Kapitel, in dem er ursprünglich verfasst wurde, geteilt. Die hier abgebildeten Postkarten wurden mit freundlicher Genehmigung von Herrn Arno Kraft, Berlin zur Verfügung gestellt und veröffentlicht.

Die digitale Version dieser Schrift ist unter Großpolnische Digitale Bibliothek zu finden.

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Die Rechte und Pflichten der Ansiedler gegen einander sind von der Herrschaft in sehr humaner Weise durch die sogenannten Willküren geordnet worden. Es sind dies deutsch geschriebene Gesetzsammlungen. Die vorzüglichste ist die Choyniker Willkür, welche die Gutsherrschaft im Jahre 1763 der Gemeinde Kunik aus deren Wunsch gegeben hat. In diesen Willküren werden zuerst die Pflichten der Gemeindeglieder gegen den Schulzen und dann die gegen die Nachbarn abgehandelt. In letzterer Beziehung wird z. B. Folgendes bestimmt:

„Jeder Eigentümer soll eine rechtschaffne Grenze d. h. einen 1/2 Rute breiten und 2 Ellen tiefen Graben ober einen 2 Ellen hohen Zaun haben. Dann darf er fremdes Vieh, das zu schaden geht, pfänden. Stößiges Vieh soll nicht gehalten werden.“

Als der erwähnte Michael Schiller sah, wie eine Frauensperson, die über sein Land lief, sich nur mit Mühe vor seinem bösen Stammochsen über den Zaun retten konnte, so schalt er zuerst das Weib aus, weil es einen verbotenen Weg gegangen war, dann aber holte er sein Gewehr und schoss den stößigen Ochsen tot. Die Seinigen waren sehr ungehalten über diese rasche Tat, aber er hatte nach dem Geiste des Gesetzes gehandelt.

Die Willküren hinderten nicht nur die Nachbarn, einander Schaden zu tun, sondern sie nötigten sie auch, einander in der Gefahr zu helfen. 5 Mark nach damaligem Gelde zahlt derjenige Strafe, welcher bei einer Feuersbrunst nicht löschen hilft, 2 Mark, wer einem Diebe nicht nachsetzt, ebenso viel, wer ein Gesinde abwendig macht; Abgebrannten müssen alle Wirte aufbauen helfen; Witwen, Waisen und über 70 Jahre alte erhalten Vormünder. Auch Zucht und Sitte schützen diese Gesetze: Liederliche Männer oder Weibspersonen sollen bei 2 Mark Strafe nirgends aufgenommen werden. Richter über diese und ähnliche Vergehen an Eigentum und Gesundheit waren Schulze und Gerichtsmänner. Sie durften keine schweren Strafen auflegen. Es waren meist Geldstrafen. Nur gegen Widerspenstige oder solche, die nicht zahlen konnten, wurden Schläge oder Gefängnis angewendet. Das Gefängnis bestand darin, dass der Inkulpat eine Zeit lang an der Tür des Schulzenamts in Hals- und Fußeisen stehen musste. Die Freiheit der Bewegung war dadurch sehr beschränkt. Man erinnert sich aber eines Gefangenen, welcher aus den Fußeisen herausschlüpfte. Er hatte sehr weite Stiefeln an. Diese schüttelte er nach und nach ab und seine Füße wurden frei. Ehe er aber das Weite suchte, erfüllte er noch die Pflicht der Höflichkeit. Er trat an das Fenster der Stube, wo Schulz und Gericht versammelt waren und dankte für den guten Stiefelknecht. Staunen hemmte die Verfolgung. — Die Willküren waren jeden Falls im Interesse der Gemeinden gegeben, aber ganz hatte sich die Herrschaft auch nicht vergessen.

Eine Bestimmung lautet: „Wenn Güter oder Land verkauft werden, soll der Käufer der Gemeinde eine Tonne Bier geben“. Dieses Bier musste aber aus der herrschaftlichen Brauerei entnommen werden, denn die Holländer durften nur eine Art Conventbier brauen, welches zu festlichen Gelagen ungeeignet war. Der noch übliche Leihkauf ist ein schmählicher Rest der alten Sklavenkette. Vermöge der Willküren konnten also die Ansiedler gegen einander Recht bekommen, aber wo fanden sie Recht gegen die Herrschaft?

Die polnischen Herrschaften suchten sehr ungern bei den Gerichten ihr Recht, sondern verschafften es sich lieber selbst durch Gewalt. Ebenso erlaubten sie ihren Untertanen nicht, ihr Recht auf dem Wege der Klage zu suchen. Auch die Bentschner Herrschaft ertrotzte das Erbrecht auf Kunik und Grubske mit Gewalt. Als etwa zwischen 1730 und 1740 ein Erbstreit mit einer benachbarten Herrschaft ausgebrochen war, so wurden die Einwohner der Buschgemeinden mobil gemacht. Über den Verlauf des Krieges wurde mir von einem alten Ausgedinger berichtet, die Holländer wären mit Gewehren, Heu- und Mistgabeln, Sensen und Knütteln gegen Poraszin gezogen, die Gegenpartei aber habe sich nicht gestellt. Ein Holländer aber, dessen Vorfahr am Kriege teilgenommen, erzählte mir Folgendes: „Die Holländer marschierten unter dem herrschaftlichen Anführer heimlich nach Opalenica, erstürmten nächtlicher Weile das halbfertige Schloss und trieben die Bewohner heraus. Der Grundherr hatte während der Flucht jedem seiner beiden kleinen Söhne heimlich eine Pistole zugesteckt. Er selbst, im Schlafrock und unbewaffnet, bat um Frieden und Pardon. Als aber der Bentschner Anführer ihm keinen Pardon gewährte, sondern feindlich auf ihn eindrang, so zogen seine Söhnchen ihre Pistolen hervor und schossen den Anführer der eine in den Kopf, der andre in die Brust. Die Holländer kehrten darauf nach Hause zurück. Das Ende aber war, dass Kunik und Grubske bei der Bentschner Herrschaft verblieben. Da die Gerichte so wenig geachtet wurden, so konnten sie auch Leben und Eigenthum nicht genug schützen. Die Gesetze waren streng; jeder Mörder und jeder, der über 10 Thaler an Wert stahl, sollte hingerichtet werden. Die Grotgerichte hatten allein auf Leben und Tod zu urteilen. Aber die Strafvollziehung war sehr mangelhaft. Wer über die Grenze seiner Herrschaft gelangt war, war oft geborgen, insbesondere wenn die neue Herrschaft der alten nicht günstig war.

Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass auch die Bentschner Herrschaft die Rechte ihrer Untertanen wenig achtete. Die Religionsfreiheit war schon durch die Willküren eingeschränkt worden. Eine Vorschrift lautet: „Über Religion darf weder in Privat- noch in Gasthäusern gestritten werden bei 20 Thaler Strafe und im Wiederholungsfalle Vertreibung aus der Gemeinde“.

Ein Mann, welcher in Chlastawe zum heiligen Abendmahl gegangen war und über Bentschen zurückkehrte, machte dort eine abfällige Bemerkung über den katholischen Gottesdienst. Er wurde dafür mit dem Glockenstrange so unbarmherzig gehauen, dass ihm sein Leben lang die Augen weit aus dem Kopfe vorstanden. Leib und Leben der Holländer waren überhaupt nicht sicher, denn die Haideläufer und die Diener der Herrschaft schlugen mit Knütteln und Kantschu schonungslos zu und übten ein tyrannisches Regiment.

Die Eigentumsrechte der Holländer wurden willkürlich eingeschränkt. Mancher Punkt, der im Privilegium zweideutig gefasst war, wurde ganz zum Vorteile der Herrschaft ausgelegt und Einschränkungen hinzugefügt. Bauholz von seinem Lande durfte der Holländer nur mit Erlaubnis der Herrschaft verkaufen. Von Martini bis Klaibetag durfte der herrschaftliche Schäfer auf den Saaten der Holländer weiden. Wenn keine Erben vorhanden waren, fiel die Wirtschaft an den Gutsherrn zurück, welcher auch einen schlechten Wirt von Haus und Hof treiben durfte. Was endlich die Erwerbsverhältnisse betrifft, so wurden diese den Ansiedlern immer mehr erschwert und belastet. Es ging ihnen wie dem Volke Israel in Ägypten, welchem Pharao immer mehr Lasten auflegte, je mehr es an Zahl zunahm. Beide Söhne des Privilegiengebers edikten neue Privilegien. Eduard im Jahre 1757 für Alt- und Neu-Jastrzemski und Stephan 1765 für Kunik und Grubske. Hier wird der Zins von 10 auf 12 Thaler erhöht. 2 Scheffel groß Maß Zinshafer zugefügt, Wächtergeld für das Bentschner Schloß, Abgaben für die katholische Kirche. Kopfgeld u. dgl. gefordert. Die Hofe- oder Bitttage wurden verdreifacht. Im Privilegium hatten die Holländer nur versprochen, drei Tage in der Ernte Korn zu schneiden, aber nun mussten sie mit ihren Gespannen Hofedienste leisten. Mahl-, Brau- und Brennzwang wurden verschärft und ein Monopol nach dem andern eingeführt z. B. Heringe und Salz mussten die Holländer durch Vermittlung der Schulzen von der Herrschaft kaufen. Kurz die Herrschaft dachte: Je mehr das Land durch die Arbeit der Holländer im Werte gestiegen ist, desto mehr muss es der Herrschaft einbringen. Auf diese Weise wären die Ansiedler nie zum Wohlstände gelang, wie sehr sie sich auch mühten und einschränkten, wenn sich nicht Gott ihrer erbarmt hätte. Er gedachte seines von der Welt vergessenen evangelischen Häufleins in Polen, welches seinen Glauben treu bewahrt hatte. Er schickte ihnen, ohne dass sie es ahnten oder etwas dazu taten, einen Erlöser, der sie aus dem Diensthause befreite, König Friedrich Wilhelm II. von Preußen vereinigte im Jahre 1793 den Rest des Großherzogtums Posen, wozu unsere Gegend gehörte, nebst anderen polnischen Gebieten unter dem Namen „Südpreußen“ mit dem Königsreiche Preußen.

Kaum hatten die Holländer wahrgenommen, dass das preußische Scepter sich ihnen zuneigte, so suchten sie ihr altes Privilegium hervor, welches sie einst, als man es aus der Schulzenlade nehmen wollte, unter einer Kuhkrippe versteckt hatten. Die Gemeinden Alt- und Neu-Jastrzemski klagten bei dem preußischen Gericht in Unruhstadt aus Wiederherstellung des ersten Privilegiums nach ihrer eignen Auslegung. Sie gewannen in erster Instanz am 23. April 1793. Die erste Tat, durch welche sie ihre Unabhängigkeit dokumentierten, war eine Auflehnung gegen die aufgedrungenen Monopole. Wie die vereinigten Staaten von Nordamerika ihren Freiheitskampf damit begannen, dass sie gegen das Teemonopol Englands protestierten und zu Boston eine Ladung Tee ins Meer warfen, so protestierten die Holländer gegen das Herings- und Salzmonopol der Herrschaft. Sie verweigerten die Annahme einer Heringstonne und einer Ladung Salz und erklärten, dass ihnen die Preise der Heringe (9 statt 3 Pfennige das Stück) und des Salzes zu gesalzen seien und beschwerten sich vor Gericht darüber. Der Prozess wegen des Privilegiums ging indessen fort und wurde am 13. August 1800 in zweiter und am 3. August 1801 in letzter Instanz gewonnen.

Aber die Kuniker und Grubsker gingen nicht mit ein in das durch das Privilegium verheißene Land. Sie hatten an demselben gezweifelt wie Mose an dem Felsen in der Wüste. Sie klagten erst am 24. August 1803 und gewannen zwar in erster Instanz 1804 und in zweiter 1806; aber von da an zog sich die Sache in die Länge. Die Waage der Gerechtigkeit war wieder in polnische Hände gekommen und der Sitz des Gerichts von Posen nach Warschau verlegt wurden. Schließlich, obwohl das Land wieder preußisch geworden war, wurden die Kläger doch am 16. März 1818 in dritter Instanz abgewiesen. Obgleich keine Gründe in dem Erkenntnis angegeben sind, so lässt sich doch vermuten, dass die Behauptung des Grafen Stephan Garczynski junior, sein Bruder Eduard sei, als er 1757 das väterliche Privilegium bestätigte, nicht Besitzer von Kunik und Grubske gewesen, den unglücklichen Ausschlag gegeben hat. Möchten die vier Buschgemeinden nie wieder aus einander gehen, sondern so treu zu einander stehen, wie die vier Waldstädte in der Schweiz!

Die Nachwirkung der verschiedenen Schlußerkenntnisse haben viele gegenwärtige Besitzer gespürt. Während die Grubsker und Kuniker bei der Ablösung der Servituten von der Herrschaft Lomnitz, der Rechtsnachfolgerin des Grafen Garczvnski, keine Entschädigung auf Grund des Privilegii erhielten, so gewannen die Alt- und Neu-Jastrzemsker auf Grund ihres Schlußerkenntnisses einen Prozess mit der Herrschaft. Die Wirte wurden für ihr Bau- und Zaunholzrecht durch Bauholz oder Ziegeln und durch Waldparzellen abgefunden. Am längsten prozessierten die Wirte Friedrich Grunwald und Christian Siegmund. Sie erlebten kaum noch das Ende des Streites. Siegmund, welcher 1868 starb, genoss die Ruhe nach dem Streite auch nur einige Jahre. Massive Häuser sind die Denkmäler ihrer Beharrlichkeit.

Fortsetzung Kapitel 4.