Ein Kreisständehaus für Neutomischel – das heutige Stadtamt / 1900-bis heute – Teil 3

 

Das ehemalige Kreishaus, links im Bild die Remise - AK aus der Sammlung Wojtek Szkudlarski

Das ehemalige Kreishaus, links im Bild die Remise – AK aus der Sammlung Wojtek Szkudlarski

„Se Excellenz, der Herr Oberpräsident und der Herr Regierungspräsident werden am Montag, den 12. d. M. (12.11.1900) unserer Stadt einen Besuch abstatten und bei der Gelegenheit der Einweihung des Kreishauses beiwohnen. Unsere Mitbürger wollen durch Beflaggung der Häuser zum freundlichen Empfang beitragen und der Ehrung der hohen Herrn öffentlich Ausdruck geben.“  so die Mitteilung und Aufforderung an die Bewohner der Stadt Neutomischel über die Kreiszeitung vom 06. Nov. 1900.

Der Besuch verlief jedoch nicht wie geplant. Das Kreisblatt vom 13. November berichtete wie folgt:

 

GK_423,006

Schnitt von A-B u. Kellergeschoff – 1898 – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423,006

“ Zu den Einweihungsfeierlichkeiten des Kreishauses in Neutomischel hatten die Spitzen der Behörden unserer Provinz, der Herr Oberpräsident v. Bitter und der Herr Regierungs-Präsident Krahmer ihr Erscheinen zugesagt. Leider mußte Exzellenz v. Bitter noch in letzter Stunde seinen Besuch absagen.

Das Vestibül . oben: Vor dem Umbau - Bild: Kreis- und Stadtbibliothek von Nowy Tomyśl , mitte: 1900 – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423,021, unten: der Zugang zwischen Alt- u. Neubau 2014, Bild: PM

Das Vestibül . oben: Vor dem Umbau – Bild: Kreis- und Stadtbibliothek von Nowy Tomyśl , mitte: 1900 – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423,021, unten: der Zugang zwischen Alt- u. Neubau 2014, Bild: PM

Montag (12.11.1900) Mittag um 11 1/4 Uhr kam der Herr Regierung-Präsident mit dem fahrplanmäßigen Zuge in Neutomischel an, auf dem Bahnhof von den Herren Landrath v. Daniels, Distriktskommissar Roll und Bürgermeister Witte empfangen. Unter Führung des Herrn Kleinbahn-Direktors v. Scholten-Opalenitza galt der erste Besuch der Kleinbahn. Von dem mit Tannenbäumchen geschmückten Bahnhofsplatz aus ging es nach dem Marktplatz, woselbst der Landwehrverein nebst Sanitätskolonne und die Schulen Aufstellung genommen hatten. Gelegentlich der Begrüßung der höheren Töchterschule rief Thea von Daniels – die Tochter des Landraths – dem Herrn Regierungs-Präsidenten einen poetischen Willkommensgruß zu und überreichte einen Rosenstrauß. Auf dem Rathhaus wurde der Ehrentrunk gereicht und nach Besichtigung der Hartsteinfabrik des Herrn Hasenfelder wurde der zweite Theil der Feier, die Einweihung des Kreishauses vorgenommen.

Im Kreishause hatten sich die Kreisstände und die Kreisbeamten versammelt. Der gemischte Chor unter Leitung des Herrn Lehrers Arndt – der Dirigent, Herr Jungnik ist erkrankt, – brachte im Sitzungssaale zwei Lieder in geradezu mustergiltiger Weise zum Vortrag – („Gott grüße Dich“ von Sturm und „Deutsche Hymne“ von Rust.)

Wegweiser

Wegweiser durch die verschiedenen Abteilungen des Stadtamtes 2014 – Bild: PM

Zwischen den beiden Liedern hielt Herr Landrath v. Daniel die Weiherede. Redner führte aus, daß der Gedanke ein Kreishaus zu bauen schon von seinen Vorgängern in Erwägung gezogen, aber durch den Bau der Kleinbahn wieder in den Hintergrund gedrängt worden war. Dank der Allmächtigen Güte, der thatkräftigen Unterstützung der Stände, der Bauleiter und aller am Bau betheiligten Arbeiter sei das neue Kreishaus als ein würdiger Sitz der Kreisbehörden und zur Zierde der freundlichen Hopfenstadt Neutomischel entstanden. Herrn von Daniel übergab sodann das Kreishaus seiner Bestimmung. Ein Festessen in den Räumen des Herrn v. Daniels bildete den Schluß der Feier.

Um 1/2 5 Uhr Nachmittags fuhr der Herr Regierungs-Präsident wieder nach Posen zurück.“

Dieser Besuch unterlag mit der

  • Besichtigung der Kleinbahn,
  • der  Fahrt zum Marktplatz,
  • den  Begegnungen der Aufstellungen des Landwehrvereins, der Sanitätskolonne und den Schulen, der Begrüßung der höheren Töchterschule mit Überreichung eines Straußes,
  • der Teilnahme am Ehrentrunk,
  • der Besichtigung der Hartsteinfabrik Hasenfelder – sie war der Lieferant der letztlich für das Kreishaus 250.000 Stück verbauten Kalksteine gewesen, und schließlich
  • der Einweihung des Kreishauses in Verbindung mit
  • einem Festessen und der sich
  • daran anschließenden Rückfahrt zum Bahnhof –

alles in allem ein Aufenthalt von  5 1/4 Stunden – einem eng gesteckten Zeitplan.

Nach diesem „großen“ Tag in der Stadt zog wieder der Alltag in das Leben der Bewohner ein. Weitere Berichte oder Mitteilungen wurden nicht gefunden.

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Wo früher der linke Eingang war ist der Übergang vom Alt- zum Neubau, Bild:2014 GT

Wo früher der linke Eingang war ist der Übergang vom Alt- zum Neubau, Bild:2014 GT

GK_423.008

Erd- und Obergeschoss – 1898 – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423.008

In den 60iger Jahren des 20zigsten Jahrhundert erfolgte dann der Um- und Ausbau des Gebäudes, wie auch die Errichtung des Anbaus. Nach der Reorganisation der polnischen Selbstverwaltungen im Jahr 1976, die Kreise wurden abgelöst, zog das Stadtamt, welches in bis dahin im Amtsgerichtsgebäude auf dem ehemaligen Neuen Markt ansässig gewesen war, in die Räumlichkeiten des ehemaligen Kreishauses, wo es bis heute seinen Sitz hat.

Alle Geschosse des alten Gebäudes erhielten neue Raumaufteilungen, neue Fußböden und Decken und wurden mit einem zentralen Heizsystem ausgestattet.

Im Dachgeschoss, wo einstmals der große Trockenboden, Kammern für die Dienstmädchen und ein Bügelzimmer untergebracht waren, sind heute die Abteilungen für Bildung, Haushalt und Finanzen nebst Buchhaltung, sowie auch die für Rechtsberatung und Kontrolle zu finden.

Das Obergeschoss, welches die Wohn- und Wirtschaftsräume des Landrates beherbergt hatte, ist ausgebaut worden und heute sind hier die Amtszimmer des Bürger- und Vicebürgermeister, deren Sekretariate, die Räume der Amtsverwaltung, die Büros des Stadtrates nebst dessen Sekretariat, der Abteilung für Bürgerangelegenheiten, Räume der Promotion-, sowie der IT-Abteilung und der große Konferenzsaal eingerichtet.

Im Erdgeschoss findet man heute die Abteilungen für die Kommunalverwaltung, das Meldeamt, das Lokal-Steueramt, die Kasse und weitere Büros der Promotionabteilung.

Das Stadtamt in den 90iger Jahren – Bild: Kreis- und Stadtbibliothek von Nowy Tomyśl

Das Stadtamt in den 90iger Jahren – Bild: Kreis- und Stadtbibliothek von Nowy Tomyśl

Letztlich wurde das Kellergeschoss, in welchem früher Räume wie z. B. die für die Lagerung der Brennmaterialien, eine Waschküche, ein Weinkeller, die Registratur und auch die Wohnung des Hausmeisters eingerichtet gewesen waren, durch Einziehung von Zwischendecken und anderen Baumaßnahmen neuer Bestimmung zugeführt. Hier findet man heute Büros der Kommunalverwaltung, der Stadtpolizei und letzlich die Räume des Hausmeisters.

Vom Kreisständehaus zum Stadtamt 1900-2014 - gezeichnet und gebaut wie heute noch erhalten und zu besichtigen / Zeichnungen Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK423,020 links oben, GK423,028 rechts oben, GK423,026 rechts unten, Stadtamt links unten in den 60iger Jahren Kreisbibliothek, Aufnahmen 2014 PM

Vom Kreisständehaus zum Stadtamt 1900-2014 – gezeichnet und gebaut wie heute noch erhalten und zu besichtigen / Zeichnungen Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK423,020 links oben, GK423,028 rechts oben, GK423,026 rechts unten, Stadtamt links unten in den 60iger Jahren Kreisbibliothek, Aufnahmen 2014 PM

Durch den Künstler Marek Narozny wurden die Glasarbeiten für neue und auch Renovierungen für einige alte Mosaikfenster ausgeführt. So erfuhr auch das „große bunte Treppenfenster“ im Oktober 2008 eine Überarbeitung, sodass es noch weitesgehenst des Entwürfen des Architekten G. Knoblauch aus dem Jahre 1900 entspricht.

Leider waren bis zur Veröffentlichung dieses Beitrages keine Fotos bzw. Bilder der im Oktober 1900   (Ein Kreisständehaus / Teil 2) erwähnten Stuckarbeiten und Deckenmalereien mit den Darstellungen der Wappen der Städte Neutomischel und Neustadt b. P. und den Hopfen- und Kieferkulturen der Region zu finden.

Querschnitt durch Sitzungssaal u. Vestibül – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423,018

Querschnitt durch Sitzungssaal u. Vestibül – Gustav Knoblauch (1833-1916) Tuschezeichnung auf Transparent – Entwurf – Quelle: Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin in der Universitätsbibliothek, Inv. Nr. GK_423,018

Die größte Veränderung war die Errichtung des Anbaues, in welchem das heutige Landratsamt des Powiat Nowy Tomyl untergebracht ist. Hierzu wurde der ehemalige Eingang umfunktioniert. Das Oberlichtfenster mit dem Wappen der Stadt Neutomischel wurde dabei erhalten und ist als „Wandbild“ im Treppenhaus zu finden.

Nach Fertigstellung der umfangreichen Arbeiten ist das im Jahr 1900 errichtete Gebäude, wie eingangs geschrieben, heute der Sitz des Bürgermeisters und des „Stadtamtes“.

Starostwo Powiatowe Nowy Tomyśl - 2014, Bild: PM

Starostwo Powiatowe Nowy Tomyśl – 2014, Bild; PM

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 bereits erschienen:

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  • Kreisblätter von Neutomischel 06.11.1900 /13.11.1900  – Großpolnische Digitale Bibliothek – www.wbc.poznan.pl
  • Bauzeichnungen – Technische Universität Berlin – Architekturmusem – GK423,006 / 008 / 018 / 020 / 021 / 028 / 026
  • Bilder Stadtamt 60iger und 90iger Jahre – Kreis- und Stadtbibliothek von Nowy Tomyśl
  • Bilder 2014 Nowy Tomyśl – P. Mierzejewski, G. Tabbert