Lebensumstände in Neutomischel und Umgegend – 1904

Blick in die Hinterstraße - Postkarte aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Blick in die Hinterstraße – Postkarte aus der Sammlung des Wojtek Szkudlarski

Dieses ist der 2te Teil des durch den damaligen Kreisarzt Dr. Buddee erstellten Berichtes über die hygienischen Verhältnisse in der Stadt und Umgebung von Neutomischel im Jahr 1904. Im 1sten Teil wurde ja berichtet, dass allein schon das Klima eine Hauptursache für die schlechten Gesundheitsverhältnisse war.

In diesem Teil geht man dann auch nochmals auf den eingangs erwähnten Umstand ein, dass die in den Häusern durch den hohen Grundwasserspiegel und die fehlenden Isolierungen in den Gebäuden bestehende Feuchtigkeit ungesund gewesen sei.

Lebensumstände, vermutlich aus bestehender großer Armut resultierend, die verhinderten das Häuser repariert wurden und einstürzten, oder dass eine nachträgliche Isolierung von Häusern vorgenommen werden konnte, sind in dem Bericht unberücksichtigt.

Das fehlende Wissen der Hygiene, denn diese rückte ja gerade erst in das Bewusstsein der Menschen, ebenso wie das Beispiel der Beschreibung des Lebens der Arbeitnehmer hat den Bewohnern der Stadt und des Haulandes in jener Zeit sicherlich aber mehr geschadet, als das attestierte „schädliche Klima“.

Und … diese Zustände wurden vor erst 109 Jahren beschrieben !

von einigen unserer Leser, war es das Leben der Eltern oder Großeltern, dass hier beschrieben wurde.

* * *

Der Allgemeine Charakter der menschlichen Wohnungen der beschrieben werden sollte, wurde von Dr. Buddee wie folgt kommentiert:

meist massive Häuser: in den Nebengassen finden sich auch noch Holzhäuser. Überall haben die Häuser unter der Bodenfeuchtigkeit zu leiden, sodaß das unterste Stockwerk fast durchweg keine gesunden Wohnräume abgibt. Neuere mit Isolierschicht und Hochparterre gebaute Häuser sind etwas besser dran. Baupolizeiliche Vorschriften von gesundheitlicher Bedeutung gab es hierzu nur die allgemeinen.

Dr. Buddee hielt es für wünschenswert, daß generell für alle Neubauten eine starke Isolierschicht vorgeschrieben und Erhöhung bzw. Auffüllung des Bauplatzes empfohlen werden würde.

Hinterstraße in Höhe der evgl.-Luth. Kirche und des Pfarrhauses, um 1895 - Bild Maennel Archiv

Hinterstraße in Höhe der evgl.-Luth. Kirche und des Pfarrhauses, um 1895 – Bild Maennel Archiv

Vorgänge mit Bezug auf gesundheitswidrige Wohnungen, beschrieb der damalige Kreisarzt wie folgt:

  • Das Haus des Schuhmachers Zeidler ist sehr alt und baufällig.
  • Baufällig ist z. Zt. das Haus des Otto Hecke in der Hinterstraße;
  • in der Wohnung des Brunnenbauers Rietze ist eine Decke schon z. T. eingestürzt, in einem anderen Zimmer droht sie einzustürzen.
  • Über der eingestürzten Decke befindet sich eine z. Zt. noch bewohnte kleine Wohnung.

Unter dem Punkt der Frage nach Massenwohnungen; Schlafstellen- und Kostgängerwesen findet sich in dem Bericht:

  • eigentliche Massenwohnungen gibt es nicht,
  • allerdings gleichen an manchen Stellen die Schlafstellen Massenquartieren.
  • Z. B. sind bei dem Kapellmeister Röschke 8 junge Leute in einem kleinen Zimmer in Schlafstelle.
  • Desgleichen schlafen bei dem Schuhmacher Kurtz 6 Leute auf dem offenen kleinen Boden.
  • Bei Töpfer Saar schlafen 2 Lehrlinge auf dem offenen sehr zugigen Boden.

Den hygienischen Anforderungen einigermaßen entsprechend sind fast gar keine Schlafstellen. Die meisten sind sogar recht schlecht; entweder auf freiem Boden, zu eng, zu dunkel, im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt, gegen Zug nicht geschützt.

Blick vom Neuen Markt in Richtung Friedhofgasse - deutlich erkennbar die "kleinen" Häuschen früherer Zeit - Bildausschnitt

Blick vom Neuen Markt in Richtung Friedhofgasse – deutlich erkennbar die „kleinen“ Häuschen früherer Zeit, vor diesen von rechts nach links im Gefälle muss eine der Abwasserrinnen verlaufen sein – Bildausschnitt

Besonders schlecht sind die Schlafstellen der Gesellen pp. bei den Bäckern; sie bestehen z. T. aus dunklen, feuchten Kellergelassen, die noch zu allerhand anderen Zwecken – Aufbewahrung von Mehl, Gemüsen pp. – benutzt werden, z. T. aus dunklen, engen Räumen, die man nur als kleine Löcher bezeichnen kann.

Im Jahr 1904 als dieser Bericht verfasst worden war, also vor nur 109 Jahren, gab es in der Stadt selbst genauso wenig wie auf den Dörfern eine Kanalisation. Von Dr. Buddee wurden die damals herrschenden Zustände wie folgt „um“schrieben:

Die Art der Behandlung der unreinen Abgänge auf den Grundstücken in den Ortschaften ist dahingehend, dass diese auf die Dungstätten oder in die Abortgruben kommen. Es gibt hier zwar einen mit Saugevorrichtung versehenen Abfuhrwagen; derselbe wird aber zu wenig benutzt. Die Bestimmung, daß in anderen Wagen nur nachts Grubeninhalt fortgeschafft werden darf, wird ebenfalls sehr oft übertreten, was sich für die Bewohner sehr unangenehm bemerkbar macht.

Zu den Schmutzwasser – Leitungen, Rinnsteinen und den geschlossenen Kanälen stellte der Arzt dann folgendes fest:

Der das Haus von Otto Maennel in der Goldstraße durchbrechende Canal resp. Graben ist hochgradig verunreinigt. Die Dung- resp. Abortgruben entleeren z. T. ihre Jauche hinein, die Grabenwände sind zum Teil eingefallen, auch von den Häusern, Ställen etc. sind Steine und Putz hineingefallen. Der Zustand in dem eng verbauten Teil des Grabens zwischen Maennel und Knoll ist fürchterlich. Ebenfalls ist der zwischen Kupczyk und Gärtner verlaufende Graben stark verunreinigt. Beide Nachbarn sind z. T. schuld, doch ist der Graben, da er nicht gepflastert ist, schwer zu reinigen.

 Der alte "Neue Markt" - er gab Grund zur Beanstandung bzgl. des Ablaufs der Abwässer - Bild Stadtbibliothek Nowy Tomysl

Der alte „Neue Markt“ – er gab Grund zur Beanstandung bzgl. des Ablaufs der Abwässer – Bild Stadtbibliothek Nowy Tomysl

Der Verbleib der Schmutzwässer wurde ebenfalls in Recht „anschaulicher“ Form beschrieben

  • Beständig verunreinigt ist ferner der vom Rathaushofe nach dem Landgraben ziehende Rinnstein, welcher in seinem letzten Teil geschlossen nahe dem Brauer Morzynski’schen Hause in den Landgraben mündet. Das Gefälle ist in dem Rinnstein ungenügend, doch läßt sich dasselbe erhöhen.
  • Sehr verunreinigt ist der Hof von Ferdinand Lüdke (bei Fleischer Singer) sodaß von hier Jauche auf die Hinterstraße herausläuft.
  • Auf dem Hofe der Ww. Basch gelangen die ganzen Abwässer in die Nähe des sehr mangelhaften Abortes, wo sie versumpfen, sodaß die ganze Nachbarschaft des Aborts unpassierbar ist.
  • Sehr unsauber ist es auf dem Hofe von Hunold – Glinau (Cohn). Ein großer Dunghaufen liegt frei auf dem Hofe, und verunreinigt durch die austretende Jauche die ganze Nachbarschaft.
  • Auf dem Kaulfuss’schen Hofe ist eine alte ganz schlecht gedeckte Abortgrube, Dung und Jauche verunreinigen den Hof.
  • Auf dem Otto Hecke’schen Hofe (Hinterstraße) ist die Ecke um den Abort immer noch recht schmutzig. Eine gemauerte Grube existiert nicht.
  • Auf dem Wandrey’schen Hofe ist die Bedeckung der Abortgrube schadhaft.
  • Auf dem Hofe von Bräutigam – Brody muß die alte schadhafte und verschmutzte Holzrinne durch einen gepflasterten Rinnstein ersetzt werden.

Bezüglich der Straßenreinigung konnte jedoch auch eine erfreuliche Feststellung getroffen werden, denn es fand eine solche allwöchentlich statt; dieselbe ist im allgemeinen ergiebig und gut; sodaß die Stadt fast stets ein sauberes Aussehen hat. Die Reinigung wurde allerdings auch öffentlich versteigert und für den gezahlten Betrag, der Straßendünger wurde seinerzeit noch voll recycelt, achteten die Käufer schon selbst darauf, dass sie die Abfuhr erledigten.  

Die Pflasterung, oder eigentlich das Fehlen derselben wurde wie folgt notiert: 

  • der östliche Teil der Hinterstraße ist nicht gepflastert; bei feuchtem Wetter stehen hier oft tiefe Wasserlachen, sodaß eine Pflasterung sehr wünschenswert wäre.Dieser Zustand blieb vermutlich noch viele Jahre unverändert. Ernst Tepper legte in seinem Testament vom Jahr 1915 noch fest, dass im nördlichen und nordöstlichen Teil der Stadt Wege, Straßen, Promenaden etc. angelegt werden sollten.
  • Ebenso ist die Pflasterung an der Zinskowo’er Straße sehr nötig; doch ist bisher nur Steinmaterial angefahren, sodaß es fraglich erscheint, ob vor dem Winter noch die Pflasterung ausgeführt wird.
  • Sehr schlecht ist eine Strecke des Pflasters in der Posener Straße, östlich von der kleinen Quergasse.

*** Fortsetzung folgt***

Quelle: Staatsarchiv Poznan – Stadtakten/Akta Miasta Nowy Tomysl 4385/0195 Ortsbesichtigung